Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.02.2022, Az.: 2 Ws 31/22

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.02.2022
Aktenzeichen
2 Ws 31/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 49667
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 11.01.2022 - AZ: 75 StVK 81/21

Fundstelle

  • StV 2023, 42

In der Strafvollstreckungssache
gegen M. S.,
geboren am ...,
zurzeit in der Justizvollzugsanstalt H.,
Verteidiger: Rechtsanwalt K. aus H.,
Rechtsanwalt N. aus H.
wegen versuchten Mordes u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der
Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Landgericht XXX am
10. Februar 2022 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 2.Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 11. Januar 2022 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Verurteilte verbüßt derzeit in der Justizvollzugsanstalt H. eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und neun Monaten aus einem Urteil des Landgerichts Münster vom 29. Mai 2017 wegen versuchten Mordes in fünf tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und versuchter Brandstiftung mit Todesfolge sowie wegen versuchten Betruges. Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte der Verurteilte vor dem Hintergrund finanzieller Probleme einen Brand in seiner Wohnung in einem Mehrfamilienhaus gelegt, um von der Hausratversicherung eine Entschädigungszahlung zu erhalten. Die Hälfte der Strafe wird am 11. Februar 2022 verbüßt sein. Seinen Antrag, die Vollstreckung des Strafrestes zu diesem Zeitpunkt zur Bewährung auszusetzen, hat die Strafvollstreckungskammer mit der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Dabei kann dahinstehen, ob eine Reststrafenaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, § 57 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zwar verbüßt der Verurteilte erstmals eine Freiheitsstrafe und verhält sich im Strafvollzug im Wesentlichen ohne disziplinarwürdige Beanstandungen (vgl. insoweit BGH, Beschl. v. 25.04.2003 - StB 4/03, NStZ 2003, 200 [BGH 24.10.2002 - 4 StR 332/02]; Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 57 Rn. 14). An die Prüfung einer Reststrafenaussetzung sind indes beim Verurteilten strenge Maßstäbe anzulegen, denn das Gewicht der bei einem Rückfall drohenden Rechtsgutsverletzung und damit der anzusetzende Prognosemaßstab wird im Regelfall nach Art und Schwere der Straftaten zu beurteilen sein, die der Verurteilte bereits begangen hat (BGH, a.a.O.). Gerade schwerste Straftaten, wie die vom Verurteilten begangenen, lassen regelmäßig Anzeichen für tiefgreifende charakterliche Mängel naheliegen, die schon eine günstige Legalprognose nur unter besonderen Umständen gerechtfertigt erscheinen lassen. Angesichts der außerordentlich gravierenden Auswirkungen auf Dritte, die vorsätzliche Tötungsdelikte mit sich bringen, lässt sich eine günstige Prognose in solchen Fällen nur stellen, wenn aufgrund von Tatsachen sichergestellt ist, dass der Verurteilte seine charakterlichen Mängel soweit behoben hat, dass er Tatanreizen künftig widerstehen kann. Dazu wird vor allem die Behebung der tatursächlichen Persönlichkeitsmängel gehören, was die aktive und erfolgreiche Auseinandersetzung mit den Taten und die Aufarbeitung ihrer Ursachen erfordert.

Ausweislich der Stellungnahme der Vollzugsanstalt hat eine Tataufarbeitung im engeren Sinne mit dem Verurteilten bislang bestenfalls in Ansätzen begonnen. Auch eine geordnete Aufarbeitung der weitergehenden tatursächlichen Gründe hat bislang mit Ausnahme der sechswöchigen Teilnahme an Gruppengesprächen zum Thema Spielsucht im Wesentlichen nicht stattgefunden. Nach den Äußerungen des Verurteilten in der mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer haben neben übermäßigem Spielen auch der Konsum von Alkohol und Kokain in der Zeit vor der Tatbegehung die maßgeblichen Ursachen für die Begehung der vom Verurteilten begangenen Straftaten gesetzt. Dass dieser sich hiermit im Strafvollzug bereits angemessen auseinandergesetzt haben könnte, ist nicht ersichtlich. Die Vollzugsanstalt teilt hierzu mit, dass Gespräche mit der vollzugseigenen Suchtberatung bislang nicht stattgefunden hätten.

Angesichts der vorstehend skizzierten Umstände, von denen jedenfalls die Spielsucht schon vorher bekannt war, und der vom Landgericht Münster festgestellten näheren Tatumstände, die auf eine grundsätzliche Empathiearmut beim Verurteilten schließen lassen, war es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer für die Erstellung des Prognosegutachten einen forensisch erfahrenen Facharzt für Psychiatrie beauftragt hat. Ärzte mit dieser Spezialisierung sind regelmäßig in der Lage, auch die spezifischen kriminologischen und soziologischen Aspekte in ihrer Untersuchung zu berücksichtigen.

Zu Recht bemängelt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung allerdings die Qualität des gemäß § 454 Abs. 2 StPO eingeholten Gutachtens. Denn zutreffend weist er darauf hin, dass der Sachverständige die für die Begutachtung maßgeblichen Einzelkriterien regelmäßig in einem sorgfältigen Verfahren erheben muss, das regelmäßig die Auswertung des relevanten zugänglichen Aktenmaterials umfassen wird, insbesondere, wenn der Verurteilte selbst die Mitwirkung an der Gutachtenerstellung verweigert (vgl. allgemein die sog. Mindestanforderungen für Prognosegutachten, NStZ 2006, 537). Ein - ggf. durch die Sachleitung des Gerichts veranlasster - Rückgriff auf die Strafakten einschließlich des im Erkenntnisverfahren erstellten Gutachtens und auf die Gefangenenpersonalakten wäre daher mindestens erforderlich gewesen.

Die Erkenntnisse aus einer sachverständigen Begutachtung beleuchten allerdings nur einen Teilaspekt der nach Verbüßung der Hälfte einer zwei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe anzustellenden gerichtlichen Prüfung. Die Ergebnisse werden im Wesentlichen in die richterliche Einschätzung zur Legalprognose einfließen. Die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens wirkt sich daher jedenfalls vorliegend nicht aus. Angesichts der nachfolgend noch erörterten Umstände kam eine Strafaussetzung zum derzeitigen Zeitpunkt bereits aus anderen Gründen nicht in Betracht.

2. Denn die Strafvollstreckungskammer hat eine Strafaussetzung im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil keine besonderen Umstände hierfür ersichtlich sind.

Die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zwei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bereits vor Verbüßung von zwei Dritteln hiervon kommt nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB nur in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass in der Persönlichkeit des Verurteilten begründete besondere Umstände vorliegen, die gegenüber den Tatumständen größeres Gewicht erlangen. Neben einer günstigen Kriminalprognose müssen für den Verurteilten sprechende Umstände vorliegen, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen ein besonderes Gewicht aufweisen und eine Strafrestaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (OLG Hamm, Beschl. v. 12.07.2012 - III-3 Ws 143/12, zitiert nach juris, dort Tz. 4; OLG Köln, Beschl. v. 15.06.2007 - 2 Ws 272/07, NStZ 2008, 641 Tz. 2; OLG München, Beschl. v. 05.09.1986 - 1 Ws 494/86, NStZ 1987, 74). Das Gericht kann bei seiner Entscheidung auch Gesichtspunkten der Generalprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung berücksichtigen (vgl. OLG Köln a.a.O.). Die Umstände müssen die Tat, ihre Auswirkungen bzw. die Entwicklung der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt vergleichbarer Fallgestaltungen so deutlich abheben und in einem so milden Licht erscheinen lassen, dass eine Strafaussetzung ohne Gefährdung der allgemeinen Interessen verantwortet werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2012 - 2 Ws 661/12 - juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. September 2005 - 1 Ws 167/05 - juris). Insgesamt hat die Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB grundsätzlich Ausnahmecharakter (OLG Celle, Beschl. v. 13.11.2015 - 1 Ws 567/15).

Gemessen hieran liegen besondere Umstände nicht vor. Schon die Schwere der vom Verurteilten begangenen Straftaten und die hierbei zutage getretene Gleichgültigkeit des Verurteilten gegenüber den Rechtsgütern Dritter lässt aus generalpräventiven Gründen eine Halbstrafenaussetzung schwerlich zu. Daneben sind unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Verurteilten in Summe auch keine erheblichen mildernden Faktoren erkennbar, die die vorliegende Fallgestaltung in einem besonders milden Licht erscheinen ließen. Eine Tataufarbeitung hat - wie bereits oben dargelegt - bislang lediglich in Ansätzen stattgefunden. Eine familiäre Anbindung der Verurteilten bestand schon vor Tatbegehung, ohne dass ihn dies von den schwerwiegenden von ihm begangenen Straftaten abgehalten hätte. Auch die vom Verteilten für seinen Antrag ins Feld geführten gesundheitlichen Gründe stellen grundsätzlich keinen besonderen Umstand dar, der eine Strafaussetzung rechtfertigen würde.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StGB.