Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.12.2016, Az.: 1 Ws 604/16
Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer verdeckten Maßnahme
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 20.12.2016
- Aktenzeichen
- 1 Ws 604/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 33193
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2016:1220.1WS604.16.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 21.11.2016 - AZ: 500 KLs 9/15
Rechtsgrundlagen
- StPO § 101 Abs. 7 S. 2
- StPO § 101 Abs. 7 S. 3
- StPO § 101 Abs. 7 S. 4
Fundstelle
- NJW-Spezial 2017, 153
Amtlicher Leitsatz
1. Zuständig für die Entscheidung über eine sofortige Beschwerde nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO gegen eine Feststellungsentscheidung nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO des mit der Sache befassten Gerichts ist das Beschwerdegericht und nicht das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen die das Verfahren abschließende Entscheidung zu befinden hat.
2. Ungeachtet des Wortlauts des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO ergeht die Entscheidung des mit der Sache befassten Gerichts jedenfalls dann, wenn es um einen Antrag eines Drittbetroffenen geht, nicht in dem die Instanz abschließenden Urteil, sondern außerhalb der Hauptverhandlung durch gesonderten Beschluss.
3. Die Feststellungsentscheidung des mit der Sache befassten Gerichts nach § 101 Abs. 7 Satz 2 und Satz 4 StPO darf frühestens im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der das Verfahren in der Instanz abschließenden Entscheidung ergehen. Eine Entscheidung vor Abschluss der Hauptverhandlung ist nicht statthaft.
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Stade vom 21. November 2016 wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Drittbetroffenen insofern entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe
I.
In einem vor der 5. großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Stade anhängigen Strafverfahren gegen den Angeklagten K. D. K. unter anderem wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges hatte die Kammer nach Anklageerhebung mit drei Beschlüssen vom 30. August 2016, 31. August 2016 und 1. September 2016 die Überwachung von mehreren mutmaßlich vom Angeklagten genutzten Telefonanschlüssen gemäß § 100a StPO zum Zwecke der Ermittlung des Aufenthaltsortes des Angeklagten angeordnet. Der Angeklagte, der bei Erlass der Beschlüsse unbekannten Aufenthalts war, weswegen gegen ihn Haftbefehl ergangen war, konnte bereits am 1. September 2016 ausfindig gemacht und in Untersuchungshaft genommen werden. Die Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, die ausschließlich der Ergreifung des Angeklagten dienen sollten, wurden daraufhin am 1. September 2016 beendet.
Von der durchgeführten Telekommunikationsüberwachung war auch der hiesige Antragsteller und Drittbetroffene T. K., ein Sohn des Angeklagten, betroffen, weil Telefonate erfasst wurden, die zwischen den vom Angeklagten genutzten überwachten Anschlüssen und einem Mobilfunkanschluss des Drittbetroffenen im Überwachungszeitraum geführt wurden.
Der Drittbetroffene wurde hierüber mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Stade vom 28. September 2016 gemäß § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO informiert. Hierauf stellte der Drittbetroffene mit Schreiben vom 14. Oktober 2016 fristgemäß innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie der Art und Weise ihres Vollzuges.
Mit Beschluss vom 21. November 2016 hat die 5. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Stade während laufender Hauptverhandlung gegen den Angeklagten auf den Antrag des Drittbetroffenen vom 14. Oktober 2016 gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO festgestellt, dass die von der Kammer angeordneten Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung rechtmäßig waren.
Gegen diesen Beschluss, der dem Drittbetroffenen am 29. November 2016 zugestellt worden ist, wendet sich dieser mit seiner sofortigen Beschwerde vom 29. November 2016, die am selben Tage beim Landgericht Stade eingegangen ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Mittlerweile ist die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten K. D. K. ausgesetzt worden, weil sich herausgestellt hat, dass der Vorsitzende der Strafkammer gemäß § 22 StPO von der Ausübung des Richteramtes gesetzlich ausgeschlossen ist. Die Kammer beabsichtigt, in anderer Besetzung mit der Hauptverhandlung am 11. Januar 2017 erneut zu beginnen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO statthaft. Die sofortige Beschwerde ist nicht gemäß § 305 StPO ausgeschlossen (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 - 4 StR 188/09, BGHSt 54, 30; MüKo-StPO/Günther, 2014, § 101 Rn. 90; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 101 Rn. 25c). Die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO ist gewahrt worden.
Das Oberlandesgericht Celle ist gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG sachlich zuständig für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde. Zur Entscheidung über Beschwerden gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO ist das Beschwerdegericht berufen und nicht das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen die das Verfahren abschließende Entscheidung zu befinden hat. Vorliegend ist mithin keine Entscheidungszuständigkeit des Bundesgerichtshofs begründet, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO bestimmt, dass das mit der Sache befasste Gericht eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO in der das Verfahren abschließenden Entscheidung trifft. Denn eine dem § 305a Abs. 2 StPO oder § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO entsprechende Sonderregelung zur Beschwerdezuständigkeit gibt es nicht (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - StB 20/09, NStZ 2010, 225; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 - 4 StR 188/09, BGHSt 54, 30; MüKo-StPO/Günther, 2014, § 101 Rn. 88 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 101 Rn. 25c).
2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache - jedenfalls vorläufig - Erfolg. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben, weil eine Entscheidung gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO über den Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie der Art und Weise ihres Vollzuges zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht ergehen durfte und auch im derzeitigen Verfahrensstadium noch nicht ergehen darf.
Zwar ist die 5. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Stade als das Gericht, vor dem das Strafverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist, sachlich für die Entscheidung über den Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zuständig. Die Entscheidungszuständigkeit folgt hier nicht nur aus § 101 Abs. 7 Satz 1 StPO, weil die Kammer die betreffenden Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen selbst angeordnet hatte, sondern auch und vorrangig aus § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO. Danach ist, sofern Anklage erhoben und - was hier geschehen ist - (auch) der Angeklagte selbst über die Überwachungsmaßnahmen informiert worden ist, zur Entscheidung über einen Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO das mit der Sache befasste Gericht zuständig, und zwar auch insoweit, als es - wie hier - um den Antrag eines Drittbetroffenen geht (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - StB 20/09, NStZ 2010, 225; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 - 4 StR 188/09, BGHSt 54, 30; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 - StB 12-15/08, BGHSt 53, 1; OLG Celle, Beschluss vom 24. Februar 2012 - 2 Ws 44/12, NStZ 2013, 60; vgl. auch BT-Drucks. 16/5846, S. 63).
Zu Recht hat die Strafkammer über den Antrag auch durch gesonderten Beschluss entschieden. Ungeachtet des Wortlauts des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO ("in der das Verfahren abschließenden Entscheidung") ergeht die Entscheidung nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO jedenfalls dann, wenn es um einen Antrag eines Drittbetroffenen geht, nicht in dem die Instanz abschließenden Urteil, sondern - außerhalb der Hauptverhandlung und ohne Mitwirkung der Schöffen - durch isolierten Beschluss (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - StB 20/09, NStZ 2010, 225; KK/StPO-Bruns, 7. Aufl. 2013, § 101 Rn. 37; MüKo-StPO/Günther, 2014, § 101 Rn. 81; Singelnstein, NStZ 2009, 481, 485).
Indes folgt aus der Festlegung in § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO, dass das mit der Sache befasste Gericht die Feststellungsentscheidung über die Rechtmäßigkeit von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen "in der das Verfahren abschließenden Entscheidung" trifft, dass die Feststellungsentscheidung zeitlich zusammen mit der das Verfahren abschließenden Entscheidung zu ergehen hat.
Sie braucht zwar - weil es sich bei dem Feststellungsverfahren nicht um einen Teil der Hauptverhandlung, sondern ein gesondertes außerhalb der Hauptverhandlung (und damit ohne Schöffenbeteiligung) geführtes Verfahren handelt - nicht (wie ein Bewährungsbeschluss nach § 268a Abs. 1 StPO) zusammen mit dem Urteil in der Hauptverhandlung verkündet zu werden.
Die Feststellungsentscheidung nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO darf aber frühestens in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der das Verfahren in der Instanz abschließenden Entscheidung ergehen. Denn nur so ist sichergestellt, dass das Ziel der Regelung des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO erreicht wird, divergierende Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen in einem Beschluss nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO einerseits und der das Verfahren abschließenden Entscheidung andererseits zu vermeiden (vgl. zu diesem Regelungszweck BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - StB 20/09, NStZ 2010, 225; BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - StB 24/08, NStZ 2009, 399; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 - StB 12-15/08, BGHSt 53, 1). Dies zeigt sich mit aller Deutlichkeit auch im vorliegenden Verfahren, in dem nach dem Ergehen des angefochtenen Beschlusses die Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist und mit einer anderen Richterbesetzung neu begonnen werden wird.
Zwar wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass das erkennende Gericht auch noch nach der Urteilsverkündung einen Beschluss nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO treffen kann und muss, wenn der Antrag auf Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme vor Erlass der das Verfahren abschließenden Entscheidung beim Gericht anhängig gemacht worden ist, indes - aus welchen Gründen auch immer - nicht zusammen mit der verfahrensabschließenden Entscheidung beschieden wurde (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - StB 20/09, NStZ 2010, 225; OLG Koblenz, Beschluss vom 19. Mai 2010 - 1 AR 19/10, StV 2010, 562. Weitergehend SSW-StPO/Eschelbach, 2. Aufl. 2016, § 101 Rn. 35; Hegmann in: Graf [Hrsg.], StPO, 2. Aufl. 2012, § 101 Rn. 46b; MüKo-StPO/Günther, 2014, § 101 Rn. 72: Entscheidungszuständigkeit des erkennenden Gerichts für alle bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung anhängig gemachten Anträge). Dies ist vor dem Hintergrund des Ziels einer Vermeidung divergierender Entscheidungen auch sachgerecht.
Aus der insoweit beim erkennenden Gericht verbleibenden Zuständigkeit zur Entscheidung auch noch nach Urteilsverkündung folgt indes nicht, dass das mit der Sache befasste Gericht einen Beschluss nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO auch schon - wie im vorliegenden Fall geschehen - im Vorfeld der das Verfahren abschließenden Entscheidung fassen darf. Denn in der Phase zwischen Anklageerhebung und Ergehen der verfahrensabschließenden Instanzentscheidung können - namentlich durch eine Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung - neue Erkenntnisse zu Tage treten, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzuges von maßgeblicher Bedeutung sind.
Daher darf eine Entscheidung nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO durch das mit der Sache befasste Gericht im Sinne des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO frühestens am Schluss der Hauptverhandlung ergehen.
Mithin wird die 5. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Stade (erst) zum Zeitpunkt des Ergehens der das Verfahren gegen den Angeklagten abschließenden Entscheidung erneut (durch Beschluss) über den Antrag des Drittbetroffenen auf Überprüfung der Rechtsmäßigkeit der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie der Art und Weise ihres Vollzuges zu befinden haben.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).