Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 16.01.2002, Az.: 12 A 5010/98
Grenzgarage; Walmdach
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 16.01.2002
- Aktenzeichen
- 12 A 5010/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43448
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 7 BauO ND
- § 7a Abs 1 BauO ND
- § 7b Abs 2 BauO ND
- § 12 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Mit Zustimmung des Nachbarn darf eine in das Hauptgebäude integrierte Grenzgarage die Höhe von 3 m überschreiten, wenn deren Dachkonstuktion außerhalb der Abstandsfläche den Genzabstand von 1 H bzw. bei Ausnutzung das Schmalseitenprivilegs von 1/2 H einhält.
2. Auf Walmdächer ist die für Giebeldreiecke vorgesehene Vergünstigung des § 7 b II 2 NBauO gemäß S. 3 der Vorschrift entsprechend anzuwenden.
Tatbestand:
Der Kl. wendet sich gegen eine seinem Nachbarn (Beigel.) von der Bekl. erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit einer Grenzgarage, die dem Wohngebäude angegliedert ist und deren Höhe mit Zustimmung des Kl. 3 m überschreitet. Auf der Grenzgarage ist ein Walmdach errichtet, das sich als Fortsetzung der Dachkonstruktion des Hauptgebäudes darstellt. Der Kl. rügt im wesentlichen eine Grenzverletzung durch das von der Bekl. ausdrücklich mit bis zu 5,76 m Höhe genehmigte Walmdach, das nach den "grün" gestempelten Bauvorlagen jedoch auch mit bis zu 7,00 m Höhe genehmigt sein kann. Die Klage wurde abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Der Klage muss der Erfolg versagt bleiben.
Die dem Beigel. von der Bekl. erteilte Baugenehmigung in der Fassung der 2. Nachtragsbaugenehmigung ist rechtmäßig. Sie verstößt nicht gegen Rechte des Kl. schützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts.
Der Kl. rügt im wesentlichen, dass die dem Beigel. genehmigte und in dessen Wohngebäude integrierte Grenzgarage einschließlich aufstehendem Walmdach den Grenzabstand zu seinem Grundstück nicht einhält. Diese Rüge ist jedoch unbegründet.
Grundsätzlich müssen bauliche Anlagen gemäß § 7 III NBauO von der Grenze einen Abstand von 1 H, mindestens jedoch 3 m einhalten. Abweichend hiervon kommt gemäß § 7 a I NBauO an zwei Grenzen unter näher bestimmten Voraussetzungen die Verringerung des Grenzabstandes auf 1/2 H, mindestens jedoch 3 m in Betracht (Schmalseitenprivileg). Davon unabhängig ist gemäß § 12 I 1 Nr. 1 NBauO auf einem Baugrundstück jeweils eine Garage oder eine Anlage, die aus mehreren aneinandergebauten Garagen besteht, ohne Grenzabstand zulässig. Soweit diese Gebäude den Grenzabstand nach § 7 NBauO unterschreiten, darf gemäß § 12 I 2 NBauO ihre Grundfläche höchstens 36 m2 betragen, ihre Gesamtlänge an keiner Grenze größer als 9 m sein und ihre Höhe 3 m nicht übersteigen. Ausnahmsweise kann allerdings gemäß § 12 III NBauO auch eine größere Höhe zugelassen werden, wenn der Nachbar zugestimmt hat, das Gelände hängig ist oder andere näher bestimmte Ausnahmegründe vorliegen.
Im Schrifttum und in der Rechtsprechung ist geklärt, dass es sich bei einer Grenzgarage im Sinne von § 12 NBauO nicht um ein freistehendes Gebäude handeln muss. Vielmehr bestehen keine Bedenken dagegen, die Garage an das Hauptgebäude anzugliedern, also den nach § 7 NBauO erforderlichen Grenzabstand des Hauptgebäudes voll mit dem Garagengebäude in Anspruch zu nehmen. Es ist das gute Recht eines jeden Bauherrn, eine Garage so harmonisch wie möglich an ein Wohngebäude anzugliedern, soweit und solange dadurch nicht die genehmigte Funktion als Garage beeinträchtigt wird. Einen Grundsatz dahingehend, dass eine Garage "allein" stehen muss, gibt es nicht. Vielmehr darf sie auch unter das Dach des Hauptgebäudes integriert werden (Große-Suchsdorf/ Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7 Aufl., § 12 Rdnr. 27 mwN; s. auch insbesondere Abb. 3 auf S. 260). Dabei dürfen Grenzgarage und Hauptgebäude dergestalt verbunden werden, dass das Hauptgebäude - die Grenzgarage hinweggedacht - das Schmalseitenprivileg in Anspruch nimmt (Große-Suchsdorf u.a., aaO, § 12 Rdnr. 39 und § 7 a Rdnr. 27). Ebenso ist eine Doppelgarage zulässig. Denn nach § 12 I 2 NBauO ist hinsichtlich der jeweiligen Flächenbegrenzung nicht die Gesamt-Grundfläche der Gebäude maßgebend, sondern der Flächenanteil der Gebäude, der in dem an sich frei zu haltenden Abstandsbereich liegt, wie dies aus der Formulierung "soweit die ... genannten Gebäude den Grenzabstand unterschreiten ..." folgt (Große-Suchsdorf u.a., aaO, § 12 Rdnr. 32).
Diesen Anforderungen genügt die dem Beigel. mit der Baugenehmigung in der Fassung der 2. Nachtragsbaugenehmigung genehmigte Grenzgarage. Ihre Länge wurde mit 8,99 m genehmigt und ihre Grundfläche im Abstandbereich beträgt nicht mehr als 27 m2. Sie enthält im Dachraum auch keine anderen Nutzungszwecken dienenden Räume, nachdem die Bekl. sowohl durch "Grüneintrag" in den Bauvorlagen als auch durch die Nebenbestimmung Nr. 2 c) und d) in der 2. Nachtragsbaugenehmigung sichergestellt hat, dass der Dachraum über der Grenzgarage innerhalb der Abstandsfläche - auch nicht teilweise - als Schlafraum genutzt werden darf. Vielmehr bleibt die Fläche Dachraum. Dass außerhalb der Abstandsfläche eine Nutzung des Dachraums über dem westlichen Teil der Doppelgarage zum "Schlafen" genehmigt ist, ist unerheblich. Denn bei diesem Aufenthaltsraum handelt es sich um einen Bestandteil des Hauptgebäudes.
Der 3 m überschreitenden Höhe der Grenzgarage hat der Kl. am 29.8.1996 zugestimmt. In der Zustimmungserklärung ist die Baumaßnahme der Errichtung eines Walmdaches auf der Grenzgarage wie folgt beschrieben: "Durch dieses Dach wird die zulässige Bauhöhe von 3 m im Grenzbereich überschritten". Der Kl. hat sich mit der "Überschreitung der zulässigen Bauhöhe" unter der Bedingung einverstanden erklärt, dass ein bestimmter Bezugspunkt als maßgebliche Höhe der Geländeoberfläche angenommen wird, der vom Straßenniveau abweicht. Die Bekl. war danach berechtigt, gemäß §§ 85, 12 III NBauO eine größere als die in § 12 I 2 Nr. 3 NBauO vorgeschriebene Höhe von 3 m zu genehmigen. Der sinngemäß erhobene Einwand des Kl., von seiner Zustimmungserklärung sei nur eine geringere Höhe gedeckt, trifft nicht zu, weil eine bestimmte Gebäudehöhe in der Zustimmungserklärung nicht festgelegt ist. Da die Baumaßnahme der Errichtung eines Walmdaches jedoch bezeichnet ist, geht ein etwaiger Irrtum des Kl. über die beabsichtigte Höhe des Daches im Abstandsbereich zu seinen Lasten, wenn er wie hier der Überschreitung der zulässigen Bauhöhe von 3 m pauschal zugestimmt hat. Aus dem Erklärungszusammenhang ist auch offensichtlich, dass es dem Kl. nicht auf eine bestimmte Höhe des Daches innerhalb der Abstandsfläche ankam, sondern darauf, dass für das (Wohn-) gebäude ein bestimmter Bezugspunkt festgelegt wurde, der als maßgebliche Höhe der Geländeoberfläche zugrunde gelegt werden sollte.
Zuzugeben ist dem Kl., dass die von der Bekl. genehmigte Höhe des Walmdaches über der Garage in einem Abstand von 3 m zur Grenze mit dem Grundstück des Kl. in den "grün" gestempelten Bauvorlagen zur 2. Nachtragsbaugenehmigung widersprüchlich dargestellt ist. Ausdrücklich ist sowohl in der Ost- als auch in der Westansicht eine Höhe von 5,76 m eingetragen. Jedoch lässt sich an der Westansicht im Maßstab 1:100 eine Höhe über der in "rot-orange" eingetragenen Linie mit der Bezeichnung "OK. Gelände "neu"" (s. die vergleichbare Linie in der Nordansicht) von ca. 6,30 m abgreifen. Die Höhe über der in der Westansicht als "OK. Gelände" ("alt") bezeichneten Linie beträgt sogar ca. 7,00 m. Bei Zugrundelegung der ausdrücklich genehmigten Höhe von 5,76 m hält das Walmdach - gemessen in einem Abstand von 3 m zur Grenze des Grundstücks des Kl. - bei Ausnutzung des Schmalseitenprivilegs den Grenzabstand nach § 7 a NBauO von 1/2 H (= 2,88 m), mindestens jedoch 3 m ein. Bei Zugrundelegung der aus den Bauvorlagen abgegriffenen Höhen von ca. 6,30 m bzw. 7,00 m hält das Walmdach - ebenfalls gemessen in einem Abstand von 3 m zur Grenze des Grundstücks des Kl. - den Grenzabstand von 1/2 H (= ca. 3,15 m bzw. 3,50 m) hingegen nicht ein.
Wird zugunsten des Kl. unterstellt, die Bekl. habe abweichend von der ausdrücklich mit 5,76 m bezeichneten Höhe des Walmdaches außerhalb der Abstandsfläche zum Grundstück des Kl. tatsächlich eine Höhe von bis zu ca. 7,00 m genehmigt, ist die Baugenehmigung gleichwohl nicht rechtswidrig. Denn gemäß § 7 b II 2 NBauO bleiben Giebeldreiecke, soweit sie, waagerecht gemessen, weniger als 6 m breit sind, bei der Bemessung des Grenzabstandes eines Gebäudes außer Betracht. Zwar weist das hier streitbefangene und zum Grundstück des Kl. ausgerichtete Walmdach keinen Giebel auf, jedoch gilt die Vorschrift gemäß § 7 b II 3 NBauO für andere Giebelformen entsprechend. Im Schrifttum wurde diese in § 7 b II 2 NBauO geregelte Vergünstigung bereits in der Vergangenheit vereinzelt auch auf Walmdächer entsprechend angewandt. Begründet wurde diese Auffassung mit der Erwägung, dass Nachbarn durch die geneigten Dachflächen weniger belastet werden als durch entsprechend große Giebeldreiecke (Barth/Müller, Abstandsvorschriften der NBauO, § 7 b Rdnr. 27; s. auch die Abb. 13 auf S. 52). Die frühere 1. Kammer Hildesheim des VG Hannover hatte in ihrem Beschluss vom 3.9.1997 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in dieser Sache noch ausgeführt, dass die Einrechnung eines fiktiven Giebeldreieckes in das vorhandene Gebäude bei summarischer Überprüfung nicht zulässig sein dürfte (1 B 1087/97. Hi, Beschlussabdruck S. 6). Nunmehr führen jedoch auch Große-Suchsdorf u.a. in der 7. Auflage ihres Kommentars zur NBauO aus, dass dem Wortlaut nach die Vergünstigung des § 7 b II 2 und 3 NBauO zwar nicht für Dächer vorgesehen sind. Gleichwohl bestünden keine Bedenken, die Regelung auch auf sehr steile giebelähnliche Dachformen wie Walmdächer anzuwenden (Große-Suchsdorf u.a., aaO, § 7 b Rdnr. 37; s. auch die Abb. 14 auf S. 201). Die Kammer folgt der damit herrschenden Auffassung im Schrifttum und wendet die Vergünstigung des § 7 b II 2 NBauO über S. 3 der Vorschrift auch auf das ca. 41( steile Walmdach über der streitbefangenen Grenzgarage entsprechend an.
Danach bleibt ein Giebeldreieck von bis zu 6 m Breite bei der Berechnung des Grenzabstandes zum Grundstück des Kl. außer Betracht. Dies führt dazu, dass die zu berücksichtigende Höhe des Walmdaches - gemessen in einem Abstand von 3 m zur Grenze mit dem Grundstück des Kl. - jedenfalls die Höhe von 6 m deutlich unterschreitet und unter Berücksichtigung des Schmalseitenprivilegs der Grenzabstand von 3 m eingehalten wird.