Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 08.12.2009, Az.: 13 A 2070/09

Abschiebehindernis; Abschiebung; Frist; Glaubwürdigkeit; politische Verfolgung; posttraumatische Belastungsstörung; PTBS; Türkei; türkische Staatsangehörige; Verfolgung; Wiederaufgreifen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.12.2009
Aktenzeichen
13 A 2070/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 50583
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 60 Absätze 2, 3, 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes.

2

Bei der Klägerin handelt es sich um eine türkische Staatsangehörige, nach eigenen Angaben kurdischer Volkszugehörigkeit.

3

Ein erster Asylantrag der Klägerin - noch unter den Namen D. - wurde durch den Bescheid des damaligen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24.10.1995 unanfechtbar abgelehnt. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg ließ am 01.05.1999 die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Hannover vom 17.03.1999 - 11 A 4607/96 -, welches den Bescheid bestätigt hatte, nicht zu. Seinerzeit hatte die Klägerin vorgetragen, als Yezidin in der Türkei benachteiligt gewesen zu sein.

4

Mitte des Jahres 2001 stellte die Klägerin zusammen mit ihrem „Ehemann“ bzw. Lebenspartner einen Asylfolgeantrag. Auch dieser Antrag wurde durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 02.10.2001 abgelehnt. Die Klage hiergegen vom Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 23.03.2004 abgewiesen.

5

Unter dem 19.05.2008 erstellte die Ärztin des Klinikums E. GmbH Dr. F. ein psychiatrisches Gutachten, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Beiakte A, Blatt 6 ff). In diesem Gutachten wird auf ein ärztliches Attest vom 18.02.2008 und einer Fachärztlichen gutachterlichen Stellungnahme vom 16.04.2008 verwiesen, wonach bereits seinerzeit der Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung bestand.

6

Am 05.08.2008 (Eingang des Schriftsatzes vom 30.07.2008) beantragte die Klägerin das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Zur Begründung wurde auf eine psychiatrische Erkrankung der Klägerin verwiesen und das Gutachten der Frau Dr. B. beigefügt.

7

Die Beklagte berücksichtigte bei ihrer Entscheidung eine amtsärztliche Stellungnahme vom 10.10.2008 ein, auf die wegen der näheren Einzelheiten in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten Bezug genommen wird (Beiakte A, Blatt 56).

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Mit Bescheid vom 07.05.2009, als Einschreiben am 11.05.2009 zur Post gegeben, lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ab.

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Die Klägerin hat am 14.05.2009 Klage erhoben.

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Erst nach Ablauf der Frist des § 74 Abs. 2 AsylVfG, über die die Klägerin von der Beklagten belehrt worden war, kündigte die Klägerin Anfang August 2009 einen Beweisantrag an. Wegen der näheren Einzelheiten des Beweisantrages wird auf Blatt 28 der Gerichtsakte verwiesen. Gleichzeitig wurde eine ärztliche Stellungnahme der Frau Dr. G. vom 13.07.2009 (Blatt 30 der Gerichtsakte) vorgelegt. Zuvor wurde bereits eine fachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie H. vom 15.05.2009 (Blatt 27 der Gerichtsakte) übersandt. Am 07.12.2009 übersandte die Klägerin dann noch eine amtsärztliche Stellungnahme gleichen Datums. In der mündlichen Verhandlung selbst legte die Klägerin noch eine fachärztliche Stellungnahme vom 26.11.2009 vor. Wegen des näheren Inhaltes dieser Stellungnahmen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

11

Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.05.2009 zu verpflichten, festzustellen, dass für die Klägerin Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 7 AufEnthG vorliegen und das die Klägerin subsidiärer Schutz nach Art. 18 der Richtlinien 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) zu gewähren ist.

13

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

15

Sie tritt der Klage entgegen.

16

Alle Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

18

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.

19

Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und der Feststellung von Abschiebehindernissen nach den § 60 Absätze 2, 3, 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes.

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Die Klägerin hat zum einen bereits die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG von drei Monaten für einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht eingehalten. Aus dem Gutachten der Frau Dr. G. vom 19.05.2008 ist zu entnehmen, dass spätestens die Klägerin durch die gutachterliche Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie T. vom 16.04.2008 wusste, dass bei ihr der dringende Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung vorliegen sollte. Seit diesem Zeitpunkt hätte sie einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens stellen können. Sie hat diesen Antrag jedoch erst später als drei Monate danach, nämlich am 05.08.2008 gestellt.

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Das später vorgelegte Gutachten der Frau Dr. B. bietet für die Beklagte keinen Anlass, von Amts wegen das Wiederaufgreifen des Verfahrens zu betreiben. Entsprechend kann das Gericht nicht die Beklagte dazu verpflichten oder gar von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gem. § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die Gründe des Bescheides der Beklagten vom 07.05.2009 Bezug genommen, denen das Verwaltungsgericht folgt.

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Ein weiteres Gutachten, wie mit Schriftsatz der Klägerseite vom 31.07.2009 beantragt, ist nicht einzuholen. Die Gegendarstellung der Klägerin gegen die Ablehnung des Beweisantrages wird zurückgewiesen.

24

Zum einen ist dieser Beweisantrag verspätet angekündigt worden. Die Frist des § 74 Abs. 2 AsylVfG - über die die Klägerin von der Beklagten belehrt worden ist - war bei Eingang des Schriftsatzes vom 31.07.2009 am 05.08.2009 bereits abgelaufen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens würde das Verfahren verzögern.

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Darüber hinaus würde - ohne das es darauf noch ankommt - die Einholung eines weiteren Gutachtens einen Ausforschungsbeweis darstellen. Denn bislang finden sich nicht hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund einer tatsächlich erfolgten Verfolgung in der Türkei eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten hat und deshalb wegen der Gefahr einer Re-Traumatisierung nicht in ihre Heimat zurückkehren kann.

26

Das vorgelegte Gutachten der Frau Dr. G. ist nicht geeignet, Anhaltspunkte für eine PTBS aufgrund einer in der Türkei erlittenen Verfolgungsmaßnahme zu liefern.

27

Es steht rechtskräftig fest, dass die Klägerin die Türkei unverfolgt verlassen hat. Insoweit fehlen Anknüpfungspunkte für das Entstehen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund von Verfolgungsmaßnahmen. Mithin kann es auch nicht deshalb zu einer Re-Traumatisierung bei einer Rückkehr kommen.

28

Die von der Ärztin vorgenommene Diagnose einer PTPS beruht zudem nach Überzeugung des Gerichts auf einer offenbar unkritisch übernommenen Schilderung der Klägerin. Es ist nicht ersichtlich, dass die privat von der Klägerin beauftragte Gutachterin die Anhörungsprotokolle und die anderen Dokumente aus den vorhergehenden Asylverfahren der Klägerin hinreichend mit herangezogen hat. Die bloße Übernahme der Schilderungen der Klägerin von angeblichem Verfolgungshandlungen im Heimatland lassen eine fachgerechte ärztliche Diagnose von posttraumatischen Belastungsstörungen nicht zu, zumal das Vorliegen der geschilderten Symptome wie Erschöpfung, Aggressivität, Zukunftsängste, Kopfschmerzen, Schlafstörung, Grübeleien sowie Schattensehen und Stimmen hören fachwissenschaftlich nur eingeschränkt objektivierbar ist und die Symptome nicht zwingend den Schluss auf eine PTPS zulassen, sondern ihre Ursachen auch in anderen Umständen haben können. Zu Recht verweist die Beklagte daraufhin, dass im vorliegenden Falle bereits aus dem Alltagsleben der Klägerin, die fünf Kinder im Alter von derzeit zwei bis zwölf Jahren zu versorgen hat, sowie aus dem ungeklärten Aufenthaltsrecht der Familie starke reale Belastungen entstehen können, die bereits ein durchaus naheliegendes Potenzial für die vorgetragene Symptomatik in sich bergen. Weiterhin zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass die Ärztin Frau Dr. G. die Klägerin nicht über einen längeren Zeitraum, sondern lediglich insgesamt viereinhalb Stunden begutachtet hat. Auch als Laie kann man sich zum Thema PTPS problemlos und umfassend informieren und unschwer die Symptome einer PTPS berichten. Aus dem Erstverfahren ergibt sich, dass die Klägerin schon damals durchaus bereit war, falsche Angaben zu machen (angebliche Verfolgung als Yezidin), nur um ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erlangen. So hat sie gegenüber der Gutachterin auch eingeräumt, dass sie seinerzeit behauptet hatte, eine verfolgte Yezidin zu sein, weil man ihr gesagt habe, dass sie damit beste Chancen in einem Asylverfahren habe. Die fachärztliche Stellungnahme vom 26.11.2009 bescheinigt nur, dass die Klägerin sich im Fachkrankenhaus Wunstorf in Behandlung befindet und enthält keine weiteren Aussagen, die eine PTBS und insbesondere deren Ursache belegen könnten. Auch die amtsärztliche Stellungnahme vom 07.12.2009 ist nicht in der Lage, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Klägerin überhaupt an einer PTBS leidet. Diese Stellungnahme ist oberflächlich und entspricht nicht den Erwartungen des Gerichts an ein nachvollziehbares Gutachten.

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Letztendlich kann es aber dahingestellt bleiben, ob die Klägerin an einer PTBS leidet oder nicht. Daraus kommt es nicht an. Selbst wenn die Klägerin an einer PTBS erkrankt ist, kann dieser Umstand nicht der Klage zum Erfolg verhelfen. Leidet sie tatsächlich an einer PTBS, dann ist diese jedenfalls nicht - mangels Vorliegen überhaupt einer Verfolgung - verfolgungsbedingt. Die Bestands- und Rechtskraft der Entscheidungen in früheren Asylverfahren stehen der Annahme, dass die Klägerin in der Türkei infolge Verfolgungsmaßnahmen eine Traumatisierung erlitten hat, bereits entgegen. Im Übrigen hält das Gericht die Angaben der Klägerin hinsichtlich ihrer Erlebnisse auch nicht für überzeugend. Auch insoweit muss nicht - unabhängig von der Frage des § 74 Abs. 2 AsylVfG, der dem schon entgegensteht - ein Fachgutachten eingeholt werden. Ein Gutachter kann nur seine Meinung dazu äußern, ob er die Klägerin glaubt oder nicht, dabei war er nicht. Er muss sich insoweit auf die Angaben der Klägerin verlassen.

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Sollte die Klägerin an einer PTBS leiden, so steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass diese aus in der Türkei erlittenen Verfolgungsmaßnahmen beruhen. Sollte die Klägerin möglicherweise psychischen Belastungen bis hin zu einer PTBS im Hinblick auf den Tod ihres Bruders, den sie noch nicht verarbeitet hat, erlitten haben, so stehen der Klägerin nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnismitteln in der Türkei durchaus Behandlungsmöglichkeiten offen, so dass deshalb ihr eine Rückkehr in ihre Heimat zuzumuten ist. Anhaltspunkte für eine Re-Traumatisierung sieht das Gericht nicht.

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Über die Frage der Reisefähigkeit - und in diesem Zusammenhang der Suizidgefährdung wegen einer drohenden Rückführung - war in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.

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Nach alledem war die Klage abzuweisen.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

34

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.