Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.10.1993, Az.: 6 L 3133/91

Baugenehmigung; Umbauarbeiten; Kalischachtanlage; Priviligierte Bauvorhaben; Aussenbereich; Pumpstation; Landwirtschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.10.1993
Aktenzeichen
6 L 3133/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 13671
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:1018.6L3133.91.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 24.04.1991 - AZ: 4 A 210/90
nachfolgend
BVerwG - 24.02.1994 - AZ: BVerwG 4 B 15.94

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer Hannover - vom 24. April 1991 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) sind erstattungsfähig. Die Beigeladene zu 2) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger zu 3) begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Einrichtung einer Wohnung nebst den dafür erforderlichen Umbauarbeiten in dem Erdgeschoß des Gebäudes der ehemaligen Pumpstation der Kalischachtanlage ....

2

Die Pumpstation liegt abseits jeglicher Bebauung etwa 700 m nördlich der Ortslage der beigeladenen Gemeinde .... In deren Flächennutzungsplan ist der Bereich einschließlich des Grundstücks der Station als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt. Die Kalischachtanlage wurde Mitte der 70er Jahre stillgelegt. Die Kläger zu 1) und 2), die Eltern des Klägers zu 3), erwarben das Grundstück und bezogen die im Obergeschoß des Gebäudes befindliche Wohnung, die zur Zeit des Betriebs der Anlage von dem Pumpenwärter bewohnt worden war. Das Erdgeschoß wird von der Pumpstation eingenommen, darunter befindet sich der Brunnenschacht.

3

Mit Bauantrag vom 6. September 1988 beantragte der Kläger zu 3), ihm die Einrichtung einer Wohnung in dem Erdgeschoß des Hauses nebst den erforderlichen Umbauarbeiten zu genehmigen. Dabei sollten in dem etwa 10 m × 8 m großen Innenraum ein Wohnraum, zwei Schlafräume, ein Bad und eine Küche eingerichtet und ferner die bestehenden Fenster verändert werden. Die beigeladene Gemeinde erklärte ihr Einvernehmen. Die Beigeladene zu 1) hingegen stimmte dem Bauvorhaben nicht zu, da seit Stillegung der Schachtanlage bereits die Nutzung des Obergeschosses der Pumpstation zum Wohnen nicht privilegiert i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB sei und die Umwandlung des Erdgeschosses in eine weitere Wohnung die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lasse und deshalb mit den Grundsätzen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung nicht vereinbar wäre. Der Beklagte beschied daraufhin den Kläger zu 3) mit Bescheid vom 8. Mai 1989 mit entsprechender Begründung dahin, daß das Bauvorhaben nicht zulässig sei.

4

Den Widerspruch gegen diesen Bescheid wies die Bezirksregierung Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1990 zurück und wiederholte im wesentlichen ihre bisher geäußerte Rechtsansicht; soweit für den Erwerb des Grundstücks eine Teilungsgenehmigung erteilt gewesen sein sollte, könnte diese nach Ablauf von nunmehr drei Jahren eine Bindungswirkung nicht mehr entfalten (§ 21 Abs. 1 BauGB).

5

Die Kläger haben bereits am 17. Mai 1990 im Wege der Untätigkeitsklage den Klageweg beschritten. Sie haben im wesentlichen vorgetragen: Die Einrichtung der Wohnung im Erdgeschoß sei erforderlich, damit der Kläger zu 3) den zeitweise hilfsbedürftigen Eltern für Hilfsleistungen zur Verfügung stehe. Die Wohnnutzung des Obergeschosses sei von dem Beklagten bisher nicht beanstandet worden. Insoweit sei Bestandsschutz anzunehmen. Es lasse sich nicht feststellen, daß die Baugenehmigungsbehörde um das Jahr 1905 die Genehmigung für die Wohnung nur eingeschränkt, mithin geknüpft an die Nutzung der Pumpstation für den Kalischacht, erteilt habe. Die Einrichtung einer weiteren Wohnung im Erdgeschoß des Gebäudes beeinträchtige keine öffentlichen Belange. Der Außenbereich werde dadurch geringer belastet als durch die Errichtung eines weiteren Gebäudes. Den Klägern komme auch § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB zugute. Es werde ein zulässigerweise errichtetes Wohngebäude erweitert, in das lediglich eine zweite Wohnung eingefügt werde.

6

Die Kläger haben beantragt,

7

den Bescheid des Beklagten vom 8. Mai 1989 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 12. Juni 1990 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den beantragten Einbau einer zusätzlichen Wohnungseinheit in das Haus ..., ..., zu genehmigen.

8

Der Beklagte hat seinen bisherigen Standpunkt aufrechterhalten und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Die Beigeladenen haben ihre bisherige Auffassung wiederholt und keinen Antrag gestellt.

11

Das Verwaltungsgericht hat die Örtlichkeit besichtigt. Mit Urteil vom 24. April 1991 hat es die Klage abgewiesen und ausgeführt: Das Vorhaben der Kläger sei nicht privilegiert. Es beeinträchtige öffentliche Belange nach § 35 Abs. 2 BauGB. Es widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans und einer geordneten Siedlungsstruktur. Darüber hinaus sei das Entstehen eines Siedlungssplitters zu befürchten. Auch die bereits vorhandene ungenehmigte und nicht bestandsgeschützte Wohnnutzung des Obergeschosses solle nach den Erklärungen des Beklagten nicht auf Dauer geduldet werden. Damit würde erstmals eine nicht privilegierte Wohnnutzung entstehen und einer unorganischen Entwicklung der Wohnstruktur Vorschub geleistet. § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB komme den Klägern nicht zugute. Es sei ohne weiteres erkennbar gewesen, daß die Nutzung der mit der Pumpstation verbundenen Wohnung auf den Pumpenwärter habe beschränkt sein sollen. Der Bestandsschutz könne nicht über die ausgeübte Nutzung hinaus gehen. Auch das BauGB-MaßnahmenG verhelfe der Klage nicht zum Erfolg.

12

Gegen dieses ihnen am 22. Mai 1991 zugestellte Urteil haben die Kläger am 20. Juni 1991 Berufung eingelegt. Sie ergänzen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen und beantragen,

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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Klageantrag zu erkennen.

14

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

16

Die Beigeladene zu 1) unterstützt ohne eigenen Antrag den Beklagten.

17

Die Beigeladene zu 2) schließt sich - ebenfalls ohne eigenen Antrag - den Ausführungen der Kläger an.

18

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der durch den Senat beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

19

II.

Die Berufung der Kläger ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Klage zu Recht abgewiesen.

20

Die auch von den Klägern zu 1) und 2) erhobene Klage ist nicht zulässig. Es fehlt insofern an einem Vorverfahren (§§ 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 75 VwGO). Diese Kläger haben keinen Bauantrag gestellt, der dem Beklagten zur Entscheidung vorgelegen hätte. Wie das Bauantragsverfahren, ist demgemäß auch das Widerspruchsverfahren allein von dem Kläger zu 3) betrieben worden. Allein über seinen Widerspruch hat die Bezirksregierung Hannover entschieden.

21

Ein etwaiger Bauantrag der Kläger zu 1) und 2) hätte darüber hinaus keinen Erfolg haben können. Wie dem Kläger zu 3) stand und steht auch den Klägern zu 1) und 2) kein Anspruch auf eine Baugenehmigung für die Umnutzung des Erdgeschosses der Pumpstation und die entsprechenden baulichen Maßnahmen zu. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, daß das Bauvorhaben planungsrechtlich nicht zulässig ist. Der Senat macht sich die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zu eigen und verweist auf sie gemäß § 130 b VwGO. Auch in dem Berufungsverfahren haben sich keine dem Kläger zu 3) günstigeren Umstände ergeben.

22

Die planungsrechtliche Unzulässigkeit des - eindeutig im Außenbereich von Ronnenberg belegenen - Vorhabens ergibt sich aus § 35 Abs. 2, 3 BauGB. Dabei kann offen bleiben, ob der Schaffung einer weiteren Wohnung in dem ohnehin vorhandenen Gebäude der Pumpstation ein Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans entgegengehalten werden kann. Eine landwirtschaftliche Nutzung wird auf dem mit dem Gebäude bestandenen Grundstück der Kläger zu 1) und 2) auf absehbare Zeit nicht verwirklicht werden können. Das Bauvorhaben des Klägers zu 3) führt aber in jedem Fall zu einer Verfestigung der bereits durch die Wohnnutzung der Pumpstation durch die Kläger zu 1) und 2) begründeten Splittersiedlung, die im Interesse einer geordneten Siedlungsstruktur unerwünscht ist. Damit werden öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 (letzte Alternative) BauGB beeinträchtigt.

23

Die Verfestigung einer Splittersiedlung ist allerdings noch nicht aus sich heraus siedlungsstrukturell zu mißbilligen. Hinzukommen muß nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 3. 7. 1977 - 4 C 37.75 -, BVerwGE 54, 73 = BRS 32 Nr. 75), daß etwa das hinzutretende Vorhaben mit zusätzlichen Ansprüchen an die Erschließung verbunden ist oder eine noch nicht übersehbare Vorbildwirkung dahin besitzt, daß in nicht verläßlich eingrenzbarer Weise noch weitere Bauten hinzutreten werden. Den Klägern ist einzuräumen, daß derartige Gründe hier nicht festzustellen sind. Insbesondere ist die Erschließung des Grundstücks gesichert. Eine Vorbildwirkung kann von dem Ausbau der bisher der Technik der Pumpstation vorbehaltenen Erdgeschoßräume in eine Wohnung auch nicht ausgehen. Zu beachten ist aber auch das Verhältnis zwischen dem Umfang des bereits vorhandenen Siedlungssplitters und dem hinzutretenden Vorhaben; fehlt es diesem gegenüber dem bereits Vorgefundenen an einer "deutlichen Unterordnung", so ist dieses unzulässig. Eine derartige Unterordnung kann kaum angenommen werden, wenn mit ihm lediglich die zwischen zwei vorhandenen Bauten bestehende Baulücke ausgefüllt werden soll (BVerwG, wie vor; auch Senatsurt. v. 19. 6. 1987 - 6 OVG A 132/84 -). Ist aber danach schon die Vergrößerung des Bestandes um etwa 50 % zu mißbilligen, so trifft dies um so mehr auf das Vorhaben des Klägers zu 3) zu: Zu der an sich schon unerwünschten Wohnnutzung des Obergeschosses der Pumpstation durch die Kläger zu 1) und 2) tritt eine nach Art und Umfang, insbesondere nach der Wohnfläche gleichartige Wohnnutzung durch den Kläger zu 3) hinzu. Der Wohnungsbestand in der Pumpstation wird schlicht verdoppelt. Dann liegt aber auch eine "deutliche Unterordnung" nicht mehr vor, öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB sind beeinträchtigt.

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Die durch das Bauvorhaben des Klägers zu 3) beeinträchtigten öffentlichen Belange sind nicht nach § 35 Abs. 4 BauGB unbeachtlich, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. In Betracht könnte allenfalls § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB kommen. Diese Vorschrift ist in der Fassung anzuwenden, die sie durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. April 1993 gefunden hat (Bekanntmachung der Neufassung vom 28. 4. 1993, BGBl 1993, 622 ff, dort § 4 Abs. 3). Nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB in der anzuwendenden Fassung ist allein unter den dort angegebenen Voraussetzungen die "Erweiterung von zulässigerweise errichteten Wohngebäuden" ermöglicht worden. Um ein "zulässigerweise errichtetes Wohngebäude" handelt es sich bei der Pumpstation der Kalischachtanlage ... aber entgegen der Auffassung der Kläger nicht.

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Der Senat geht davon aus, daß das Gebäude der Pumpstation "zulässigerweise errichtet" worden ist. Dabei kann letztlich dahinstehen, in welchem Verfahren und nach welcher Vorschrift dies geschehen ist. Verwaltungsvorgänge sind nicht mehr auffindbar. Wegen der Einbindung der Pumpstation in die betrieblichen Zwecke der Kalischachtanlage ist anzunehmen, daß die Prüfung der Zulässigkeit seinerzeit im Jahre 1905 in das die Gesamtanlage betreffende Verfahren einbezogen gewesen ist. Weniger wahrscheinlich ist hingegen, daß bei dem damaligen Landkreis Linden ein Verfahren nach § 14 des Gesetzes betr. die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksteilungen und die Gründung neuer Ansiedlungen in der Provinz Hannover vom 4. Juli 1887 (PrGS 1887, 324) anhängig gewesen ist. Nach dieser Vorschrift bedurfte einer Ansiedlungsgenehmigung, wer außerhalb einer im Zusammenhang gebauten Ortschaft ein Wohnhaus errichten oder ein vorhandenes Gebäude zum Wohnhaus einrichten wollte. Ein Wohnhaus und mithin auch ein "Wohngebäude" i.S.d. jetzigen § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB war die Pumpstation aber gerade nicht. Das Gebäude ist zur Aufnahme der Pumpenanlage errichtet worden. Die Wohnung im Obergeschoß diente allein der Beherbergung des Pumpenwärters. Dieser hatte stets zur Wartung und bei etwaigen Störungen des Betriebsablaufs der Pumpenanlage präsent zu sein. Dem allgemeinen Wohnungsmarkt stand die Wohnung nicht zur Verfügung. Es handelte sich insgesamt - wie auch bei den weiteren baulichen Anlagen der Kalischachtanlage - um ein Betriebsgebäude. Entsprechend dieser natürlichen Auffassung wird auch in den Bauvorlagen zum jetzigen Baugenehmigungsantrag dieses Gebäude weiterhin als "Pumpstation", nicht aber als zu erweiterndes oder umzubauendes Wohngebäude bezeichnet.

26

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

27

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).

28

Beschluß

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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 9.000,-- DM (i. W.: neuntausend Deutsche Mark) festgesetzt.

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Taegen

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Behrens

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v. Krosigk