Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 11.10.2010, Az.: S 60 R 34/09
Beschäftigter Schuldnerberater und Insolvenzberater kann bei anwaltlicher Tätigkeit von vier Stunden pro Woche nicht von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit werden; Befreiung eines abhängig beschäftigten Schuldnerberaters von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bei anwaltlicher Tätigkeit von vier Stunden pro Woche
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 11.10.2010
- Aktenzeichen
- S 60 R 34/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 38436
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2010:1011.S60R34.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 SGB VI
- § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI
- § 3 AGInsO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Klägerin ist seit dem 15.8.2008 unbefristet beim F. als Schuldner- und Insolvenzberaterin beschäftigt. Diese Beschäftigung übt sie in Vollzeit aus. Daneben hat die Klägerin eine Zulassung als Rechtsanwältin und ist als solche auch Mitglied des entsprechenden Versorgungswerkes. Die Tätigkeit als Rechtsanwältin wird nach Angaben der Klägerin nur für einen Zeitraum von etwa vier Stunden pro Woche ausgeübt.
Mit Antrag vom 4.8.2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen ihrer Tätigkeit als Schuldnerberaterin beim Caritasverband.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 22.9.2008 ab. Sie verwies darauf, dass die Befreiung nach§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI nicht personenbezogen sondern tätigkeitsbezogen erfolge. Es komme daher nicht darauf an, dass die Klägerin als Rechtsanwältin Mitglied im Versorgungswerk der Anwälte sei, sondern entscheidend für die Befreiung sei, ob die konkret ausgeübte Tätigkeit, wegen derer die Befreiung begehrt wird, die Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zur Folge habe. Das sei hingegen bei der Arbeit der Klägerin nicht der Fall, weil sie zwar rechtsberatend, nicht aber rechtsgestaltend, rechtsvermittelnd und rechtsentscheidend tätig sei.
Mit Schreiben vom 17.10.2008 legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies darauf, dass sie sehr wohl auch rechtsgestaltend, rechtsvermittelnd und rechtsentscheidend tätig werde und belegte dies mit einer Stellenbeschreibung ihres Arbeitsgebers.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2008 zurück und wiederholte im Wesentlichen die Argumente, die auch bereits dem angegriffenen Bescheid zugrunde lagen.
Am 16.1.2009 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie ist weiter der Auffassung, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit als Schuldnerberaterin von der Versicherungspflicht zu befreien sei.
Sie beantragt daher,
den Bescheid der Beklagten vom 22.9.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2008 aufzuheben und dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) für die Beschäftigung als Mitarbeiterin in der Insolvenz- und Schuldnerberatung des Caritasverbandes Wolfsburg e.V. stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Ausgangs- und den Widerspruchsbescheid.
Außer der Gerichtsakte haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten und die Sitzungsniederschrift vom 11.10.2010 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu.
Die Klägerin ist als abhängig Beschäftigte versicherungspflichtig gem. § 1 SGB VI.
Ein Befreiungstatbestand greift zugunsten der Klägerin nicht ein. Insbesondere ist sie nicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht zu befreien. Danach werden Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, von der Versicherungspflicht befreit wenn a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Die Versicherungspflicht betrifft nicht eine Beschäftigung, wegen der sie Mitglied in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist. Die Klägerin ist versicherungspflichtig aufgrund einer abhängigen Beschäftigung als Schuldner- und Insolvenzberaterin. Wegen dieser Tätigkeit besteht aber nicht die Mitgliedschaft im anwaltlichen Versorgungswerk. Diese besteht vielmehr aufgrund ihrer Anwaltszulassung und ihrer tatsächlichen Arbeit als selbständige Rechtsanwältin. Bei der Tätigkeit als abhängig beschäftigte Schuldner- und Insolvenzberaterin beim Caritasverband Wolfburg e.V. handelt es sich dagegen nicht um eine anwaltliche Tätigkeit. Nach Ansicht der Kammer kommt es dabei nicht auf die im Verfahren streitigen Gesichtspunkte Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung an, von denen die Beklagte bei der Tätigkeit der Klägerin nur den Aspekt der Rechtsberatung verwirklicht gesehen hat. Entscheidend für die Einordnung der Tätigkeit der Klägerin ist vielmehr die Tatsache, dass die Schuldnerberatung nicht nur durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt ausgeübt werden darf.
Dies ergibt sich für Niedersachsen aus dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zur Insolvenzordnung (AGInsO). Nach § 3 AGInsO ist Voraussetzung für die Anerkennung als geeignete Stelle für die Ausstellung von Bescheinigungen nach§ 305 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO), dass 1. Träger der Stelle eine juristische Person des privaten Rechts ist, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verfolgt, 2. die Person, die die Schuldnerberatung leitet, nicht unzuverlässig für die Aufgabe einer Schuldenbereinigung ist; die Person ist in der Regel unzuverlässig, wenn sie a. in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung wegen eines Verbrechens oder wegen Diebstahls, Unterschlagung, Erpressung, Betruges, Untreue, Urkundenfälschung, Hehlerei, Wuchers oder einer Insolvenz- oder Konkursstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist oder b. in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt, insbesondere, wenn über ihr Vermögen der Konkurs, das Vergleichsverfahren, die Gesamtvollstreckung oder das Insolvenzverfahren eröffnet worden oder sie in das vom Konkurs-, Gesamtvollstreckungs- oder Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht geführte Verzeichnis ( § 107 Abs. 2 der Konkursordnung, § 4 Abs. 2 der Gesamtvollstreckungsordnung, § 26 Abs. 2 der Insolvenzordnung, § 915 der Zivilprozeßordnung) eingetragen ist, 3. mindestens eine in der Schuldnerberatung tätige Person über eine Ausbildung, die zur Ausübung der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 genannten Berufe befähigt, über eine abgeschlossene Ausbildung a. in den Studiengängen Sozialwesen, Sozialarbeit oder Sozialpädagogik, b. als Bankkauffrau oder Bankkaufmann, c. in der Betriebswirtschaft, d. im gehobenen Verwaltungs- oder Justizdienst oder über eine vergleichbare Ausbildung verfügt, 4. mindestens eine Person mit ausreichender praktischer Erfahrung in der Schuldnerberatung von in der Regel drei Jahren tätig ist, 5. die erforderliche Rechtsberatung sichergestellt ist und 6. die Tätigkeit der Stelle auf Dauer angelegt ist.
Die Rechtslage in anderen Bundesländern ist entsprechend (vgl. z.B. Art. 3 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nach der Insolvenzordnung, § 3 des Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung des Landes Sachsen-Anhalt, § 4 des Gesetzes zur Ausführung der Insolvenzordnung des Landes Berlin, § 3 des Hessischen Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung, § 2 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes zur Ausführung der Insolvenzordnung vom 23. Juni 1998, § 3 des Hamburgischen Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung).
Daraus ergibt sich, dass für die Tätigkeit in einer schuldner- und insolvenzberatenden Stelle lediglich eine der dort tätigen Personen über eine Ausbildung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGInsO verfügen muss. Das bedeutet im weiteren Schluss, dass andere dort in der Schuldnerberatung tätige Personen keine besondere Qualifikation, insbesondere keine abgeschlossene juristische Ausbildung oder gar die Befähigung zum Richteramt haben müssen. Dann kann aber die als Schuldnerberater ausgeübte Tätigkeit keine solche sein, die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI die Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zur Folge hat, da diese Tätigkeit grundsätzlich auch durch Nicht-Juristen ausgeübt werden kann und darf.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Anfrage bestätigt, dass sie keine anderen Arbeiten in ihrer Tätigkeit als Schuldnerberaterin ausführt als die anderen Berater. Auf das von der Klägerin vorgebrachte Argument, sie könnte die Tätigkeit als Schuldnerberater im Rahmen ihrer Selbständigkeit als Rechtsanwältin auch über die Gebührensätze nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG abrechnen, kommt es vorliegend nicht an. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass nach § 1 Abs. 1 Satz 1 RVG die Vergütung (Gebühren und Auslagen) für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sich nach diesem Gesetz bemisst. Wenn nun die Tätigkeit als Schuldnerberater durch einen Rechtsanwalt nach dem RVG abgerechnet werden kann, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass Schuldnerberatung eine anwaltliche Tätigkeit ist und dann die Voraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt. Allerdings erbringt vorliegend die Klägerin die Schuldnerberatung gerade nicht in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin, sondern aufgrund ihrer abhängigen Beschäftigung bei der Caritas. Anknüpfungspunkt für die Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist - wie oben bereits dargelegt - die ausgeübte Tätigkeit, ohne dass es auf die personenbezogenen Umstände (wie hier die Zulassung als Rechtsanwältin) ankäme. Dies wird durch den Wortlaut der Norm deutlich, der eine Befreiung nur für die Beschäftigung vorsieht, wegen der die Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung besteht. Das ist - wie oben dargelegt - bei der Klägerin nicht der Fall.
Sonstige Befreiungstatbestände sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Berufung ist zulässig.