Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.05.1997, Az.: 4 W 86/97

Abgabe der Auflassungserklärung; Bewilligung der Eigentumsumschreibung im Grundbuch ; Bestimmung des Streitwertes; Herabsetzung des Streitwerts auf die Restforderung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.05.1997
Aktenzeichen
4 W 86/97
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1997, 24154
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1997:0505.4W86.97.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 19.03.1997 - AZ: 9 O 4/97

Fundstellen

  • JurBüro 1998, 145-146
  • NJW-RR 1998, 141-142 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters ... sowie
der Richter ... und ...
am 5. Mai 1997
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten wird der Streitwertbeschluß der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 19. März 1997 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels geändert.

Der Streitwert wird auf 105.062 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Klägerin erwarb vom Beklagten durch notariellen "Kauf"-Vertrag ein mit einer Apotheke bebautes Teileigentum zum Preise von 525.310 DM, wobei der Beklagte zur Herstellung des Bauwerks verpflichtet war. Die Klägerin, die 10.000 DM unter Hinweis auf Mängel an den Parkplätzen zurückhält, verlangt im vorliegenden Rechtsstreit die Abgabe der Auflassungserklärung und die Bewilligung der Eigentumsumschreibung im Grundbuch und trägt ausdrücklich vor, ihr entstünden erhebliche Nachteile und Schwierigkeiten mit der Bank, weil sie nicht in der Lage sei, ihrer Verpflichtung aus dem Darlehensvertrag nachzukommen, dem Kreditinstitut die vereinbarten Grundschulden zu verschaffen. Der Beklagte macht seine Zustimmung von einer Restzahlung der Klägerin in Höhe von 22.240 DM abhängig, die er mit Sonderwünschen der Käuferin begründet.

2

Das Landgericht hat den Streitwert auf 22.240 DM festgesetzt, der Beschwerdeführer hält § 6 ZPO für anwendbar und erstrebt eine Streitwertfestsetzung, die dem Kaufpreis entspricht.

3

II.

Die gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 GKG zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg.

4

1.

Wird der Antrag auf Abgabe der Auflassungserklärung zugleich mit dem auf Herausgabe des Grundstücks verbunden, so ist für den Streitwert § 6 ZPO heranzuziehen (Senat, 4 W 23/94 vom 28.02.1994), d.h. maßgebend ist der Verkehrswert und dementsprechend mangels anderer Anhaltspunkte der Kaufpreis bzw. der Werklohn, weil auf Verträge, bei denen der Unternehmer das Bauwerk erst noch herzustellen hat, Werkvertragsrecht selbst dann anzuwenden ist, wenn die Parteien sie als Kaufvertrag bezeichnen (BGH NJW 94, 2825).

5

2.

Wird jedoch - wie im vorliegenden Fall - nur der Auflassungsanspruch geltend gemacht, so ist in Rechtsprechung und Literatur (ausführliche Übersichten bei Schneider, Streitwertkommentar, 10. Aufl., Rdn. 315 ff sowie OLG Frankfurt, NJW-RR 1996, 636) streitig, ob § 6 oder § 3 ZPO anzuwenden ist. Angesichts der ausführlichen Nachweise in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt sieht der Senat von einer erneuten Darstellung des Sach- und Streitstandes ab und weist lediglich darauf hin, daß selbst innerhalb der Senate des Oberlandesgerichts Celle unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (Nds. Rpfl. 1962, 111; MDR 1977, 672; JurBüro 1983, 1391; JurBüro 1985, 1236; Senat 4 W 23/94).

6

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat in derartigen Fällen § 3 ZPO angewandt und ausgesprochen, der Streitwert bestimme sich (nur) nach dem Wert der umstrittenen Restforderung. In diesem zuletzt erwähnten Punkt vermag der Senat der zitierten Entscheidung indessen nicht beizutreten.

7

3.

Wie das OLG Frankfurt zunächst zutreffend hervorhebt, ist es vom Wortlaut her nicht zwingend geboten, § 6 ZPO auch dann anzuwenden, sofern die Parteien lediglich um die Auflassung streiten, denn dieser Fall ist von der Vorschrift ausdrücklich nicht erfaßt. Das OLG Frankfurt weist darüber hinaus ferner zu Recht auf die Aufgabe der Gerichte hin, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auf eine Streitwertrechtsprechung hinzuwirken, die der wirtschaftlichen Bedeutung der Auseinandersetzung der Parteien möglichst nahekommt und überhöhte Wertfestsetzungen zu vermeiden, die in keinem realistischen Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits stehen.

8

4.

Gleichwohl vermag der Senat der Auffassung des OLG Frankfurt, es komme sowohl aus Billigkeits- als auch aus verfassungsrechtlichen Gründen für den Streitwert auf die Restforderung an, nicht zu folgen.

9

a)

Wenn das Oberlandesgericht Frankfurt in diesem Zusammenhang zu Recht davon spricht, es könne nicht Aufgabe des Kostenrechts sein, den Parteien an sich zulässige zivilrechtliche Klagearten durch eine unangemessene Bewertung des Streitgegenstandes zu nehmen, so hat dieser Gedanke (nur) dann seine Berechtigung, wenn den Parteien durch mißglückte oder ungenau formulierte gesetzliche Bestimmungen ein Streitwert aufgezwungen wird, der in keinem vernünftigen Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits steht. Ein typisches Beispiel dafür ist § 48 Abs. 3 WEG a.F., demzufolge sich der für die Gebühren maßgebliche Geschäftswert in der bis Anfang 1994 geltenden Fassung nach dem Interesse sämtlicher Wohnungseigentümer richtet. Da Wohnungseigentümergemeinschaften teilweise aus 20, 50 oder mehr Eigentümern bestehen, hätte die buchstabengetreue Anwendung dieser Vorschrift zu einem nicht mehr vertretbaren Kostenrisiko jedes Wohnungseigentümers geführt, der einen Beschluß anfechten wollte, und zwar gerade auch im Hinblick auf § 47 WEG, der zur Folge hat, daß die obsiegende Partei jedenfalls in der Regel ihre eigenen Anwaltskosten übernehmen muß. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht (NJW 1992, 1673) zu Recht eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift angemahnt und ausgesprochen, es sei geboten, den Streitwert dann herabzusetzen, wenn er in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zur wirtschaftlichen Bedeutung der Sache stehe und sich als Rechtswegsperre auszuwirken drohe. Dem hat der Gesetzgeber mit der Neufassung von § 48 Abs. 3 Satz 2 WEG Rechnung getragen.

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b)

Gerade an dieser entscheidenden Voraussetzung fehlt es aber bei Streitigkeiten um die Auflassung, die durch zwei typische Fallgruppen gekennzeichnet sind. Zum einen handelt es sich um Kaufverträge über Eigentumswohnungen oder Hausgrundstücke, bei denen der Erwerber einen - relativ geringfügigen - Teilkaufpreis (beispielsweise von 10.000 DM) mit der Begründung zurückhält, ihm stehe ein Anspruch auf (kleinen) Schadensersatz oder Minderung wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft oder wegen arglistiger Täuschung (§ 463 Satz 2 BGB) zu. Zum anderen geht es - wie im vorliegenden Fall - um Werkverträge, in denen Eigentumswohnung oder Haus vom "Verkäufer" erst noch zu erstellen sind und der Erwerber ebenfalls einen Teilkaufpreis zurückhält, weil die Parteien sich über Mängel oder die Frage streiten, in welchem Umfang Sonderwünsche zu vergüten sind.

11

Wenn, wie im vorliegenden Fall, bei einem Kaufpreis von mehr als 500.000 DM Differenzen in einer Größenordnung von 20.000 DM auftreten, so würden vernünftige und ihre Interessen im Auge behaltende Parteien entweder diese 20.000 DM hinterlegen oder in Erwägung ziehen, die 20.000 DM an die Gegenseite auszahlen Zug um Zug gegen Aushändigung einer Bürgschaft, die die Zinsen und die Prozeßkosten für zwei Instanzen einschließt, und zwar deshalb, weil die Kosten einer Bürgschaft in der Regel bei nur etwa 1 % der Bürgschaftssumme liegen. Sofern sich die Parteien jedoch, wie in zahlreichen Fällen und auch in diesem Rechtsstreit, dazu entschließen, die andere Seite mit der Verweigerung der Auflassungserklärung unter Druck zu setzen, dann ist es entgegen der Auffassung des OLG Frankfurt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, den Streitwert auf die Restforderung herabzusetzen, weil den Parteien andere und preiswertere Möglichkeiten der Auseinandersetzung zur Verfügung stehen.

12

5.

Der Senat vermag sich der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt, maßgebend für den Streitwert sei die restliche Forderung, aber insbesondere deshalb nicht anzuschließen, weil damit in Wirklichkeit (nur) auf das Interesse des Beklagten abgestellt wird, die streitige Restforderung zu erhalten.

13

a)

Zwar verweist das OLG Frankfurt völlig zu Recht auf die einhellige Auffassung, wonach sich der Streitwert gemäß § 3 ZPO nach dem Interesse des Klägers richtet. Es scheint aber anzunehmen, auch das Interesse des Klägers beschränke sich nur darauf, den streitigen Betrag nicht zahlen zu müssen. Das ist aber nicht der Fall.

14

b)

Eine Auseinandersetzung durch zwei Instanzen über die Frage einer arglistigen Täuschung oder die Existenz von Mängeln erstreckt sich bei einer mehrstufigen Beweisaufnahme nicht selten über Jahre. Wird dem Kläger die Auflassung verweigert, so kann er das Grundstück weder verkaufen noch als Kreditunterlage benutzen und auch nicht in anderer Weise verwerten. Das wird besonders deutlich bei einem Gewerbegrundstück, wenn sich herausstellt, daß die geschäftliche Entwicklung nicht entsprechend den Erwartungen des Käufers verläuft. In derartigen Fällen kann die aus der Verweigerung der Auflassung folgende Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, das Objekt zu veräußern oder einen Teilhaber zu suchen, schwerwiegende wirtschaftliche Konsequenzen haben. So wie sich der Streitwert einer Klage auf Untersagung von Geräuschimmissionen (§ 906 ZPO) danach richtet, welche tatsächliche Beeinträchtigungen (Dauer, Häufigkeit, nächtliche Störung, Gesundheitsbeschädigung) der Kläger vorträgt, so sollte auch kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß der Streitwert einer Auseinandersetzung um die Auflassung auf einen Bruchteil des Verkehrswertes festzusetzen ist, und zwar nach Maßgabe derjenigen Nachteile, die dem Kläger nach seinem Vortrag über die verweigerte Zahlung hinaus drohen.

15

c)

Überlegenswert wäre dementsprechend nur die Frage, ob es bei der streitigen Restforderung dann bleiben soll, wenn der Kläger ausnahmsweise überhaupt keine weiteren Nachteile vorträgt. Dem Senat erscheint es jedoch selbst in derartigen Fällen angemessen, den Wert auf 10 % des Kaufpreises festzusetzen, weil schon der Umstand, daß jemand bei einem Streit durch zwei Instanzen längere Zeit lang nicht über sein "Eigentum" wird verfügen können, einen nicht unerheblichen Nachteil darstellt, der nicht zutreffend bewertet ist, wenn man ihn lediglich nach Maßgabe der streitigen Restforderung festsetzt.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 105.062 DM festgesetzt.

Da die Klägerin im vorliegenden Fall einen Sachverhalt vorträgt, der die Bank möglicherweise berechtigen würde, eine Kündigung der Kredite auszusprechen, rechtfertigt sich die Festsetzung des Streitwerts auf jedenfalls 20 % des Kaufpreises.