ZPZARdErl,NI - Zwangsprostitution-Zusammenarbeitsrunderlass

Zusammenarbeit zum Schutz von Betroffenen des auf sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels und der Zwangsprostitution

Bibliographie

Titel
Zusammenarbeit zum Schutz von Betroffenen des auf sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels und der Zwangsprostitution
Redaktionelle Abkürzung
ZPZARdErl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
21021

Gem. RdErl. d. MI, d. MS u. d. MJ v. 16. 7. 2020 - 23.2-12334/15-4 -

Vom 16. Juli 2020 (Nds. MBl. S. 728)

- VORIS 21021 -

Bezug: Gem. RdErl. d. MI u. d. MJ v. 21. 8. 2003 (Nds. MBl. S. 614)
- VORIS 21021 -

Redaktionelle InhaltsübersichtAbschnitt
Allgemeines1
Aufgaben von Polizei, Staatsanwaltschaft, Ausländer- und Leistungsbehörden, Jugendämtern, Agenturen für Arbeit und Jobcentern, Gewerbe- und Ordnungsbehörden sowie unteren Gesundheitsbehörden2
Aufgaben der Fachberatungsstellen, psychosoziale Betreuung der Betroffenen3
Aufenthaltsrechtlicher Status, soziale Sicherung4
Besprechungen, Fortbildungen5
Schlussbestimmungen6

Abschnitt 1 ZPZARdErl - Allgemeines

Bibliographie

Titel
Zusammenarbeit zum Schutz von Betroffenen des auf sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels und der Zwangsprostitution
Redaktionelle Abkürzung
ZPZARdErl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
21021

Dieser Gem. RdErl. bezieht sich auf Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution. Er hat die effektive Bekämpfung dieser besonders menschenverachtenden Delikte zum Ziel, die insbesondere auch für Gruppierungen der Organisierten Kriminalität ein gewinnbringendes illegales Betätigungsgebiet darstellen. Voraussetzung hierfür ist eine vertrauensvolle Kooperation der beteiligten Behörden untereinander sowie mit den Fachberatungsstellen für Menschenhandelsopfer. Der wirksame Schutz und die professionelle Betreuung der häufig stark traumatisierten Betroffenen sind Grundvoraussetzungen für deren psychosoziale Stabilisierung und mithin die erfolgreiche Durchführung von Strafverfahren, in denen den Zeugenaussagen der Betroffenen regelmäßig eine große Bedeutung zukommt. Betroffene des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung oder der Zwangsprostitution sind ausländische und deutsche Opfer, Zeuginnen und Zeugen, Opferzeuginnen und Opferzeugen.

1.1 Grundsätze der Zusammenarbeit

Eine erfolgreiche Kooperation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Ausländer- und Leistungsbehörden, Jugendämtern, Agenturen für Arbeit, Jobcentern und Fachberatungsstellen sowie jeweils im Rahmen der Aufgaben nach dem ProstSchG den Gewerbe- und Ordnungsbehörden und unteren Gesundheitsbehörden erfordert Wissen und Akzeptanz der unterschiedlichen Zielsetzungen der Akteurinnen und Akteure. Es bedarf einer klaren Trennung zwischen einer polizeilichen Ermittlungsarbeit, fachlicher Beratung und psychosozialer Betreuung. Die Arbeitsgebiete, Berufsrollen und Einrichtungen müssen auch gegenüber den Betroffenen transparent sein.

1.2 Zielgruppen

Für die Belange der folgenden Regelungen werden die vier folgenden Gruppen von Betroffenen unterschieden:

1.2.1
Betroffene, die unter den Voraussetzungen der mit dem Bezugserlass in Niedersachsen verbindlich eingeführten Gemeinsamen Richtlinien der Innenminister/-senatoren und der Justizministerinnen und -minister des Bundes und der Länder zum Schutz gefährdeter Zeugen (Stand: 17. 2. 2003) in den polizeilichen Zeugenschutz aufgenommen und umfassend durch die zentrale Zeugenschutzdienststelle im LKA betreut werden. Dies betrifft insbesondere Fälle der Organisierten Kriminalität oder anderer, vergleichbar schwerer Kriminalität, in denen Zeuginnen und Zeugen, die zu einer für das Strafverfahren bedeutsamen Aussage bereit und in der Lage sind, regelmäßig einer besonders hohen Gefährdung ausgesetzt sind. Bei herausragenden Gefährdungssachverhalten (insbesondere in Fällen des Operativen Opferschutzes) findet die Richtlinie des LKA "Zeugenschutz und Operativer Opferschutz" in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.

In Fällen des Operativen Opferschutzes, die eine länderübergreifende polizeiliche Zusammenarbeit erforderlich machen, werden polizeiliche Maßnahmen nach bundeseinheitlichen Standards über die zuständigen Koordinierungsstellen der jeweiligen Bundesländer durchgeführt,

1.2.2
Betroffene, die zu einer im Strafverfahren erforderlichen Aussage bereit und in der Lage sind, ohne dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme in den polizeilichen Zeugenschutz oder für die Durchführung zeugenschutzähnlicher Maßnahmen in Fällen des Operativen Opferschutzes (siehe Nummer 1.2.1) erfüllt sind,

1.2.3
Betroffene, die hinsichtlich ihrer Mitwirkung im Strafverfahren noch unentschlossen sind und sich in einer Bedenk- und Stabilisierungszeit, die gemäß § 59 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG mindestens drei Monate beträgt, befinden,

1.2.4
Betroffene, die zu einer im Strafverfahren erforderlichen Aussage endgültig nicht bereit oder nicht in der Lage sind.

Außer Kraft am 1. Januar 2026 durch Nummer 6 des Runderlasses vom 16. Juli 2020 (Nds. MBl. S. 728)

Abschnitt 2 ZPZARdErl - Aufgaben von Polizei, Staatsanwaltschaft, Ausländer- und Leistungsbehörden, Jugendämtern, Agenturen für Arbeit und Jobcentern, Gewerbe- und Ordnungsbehörden sowie unteren Gesundheitsbehörden

Bibliographie

Titel
Zusammenarbeit zum Schutz von Betroffenen des auf sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels und der Zwangsprostitution
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ZPZARdErl,NI
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Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
21021

2.1
Kooperation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaften, Behörden und Fachberatungsstellen

2.1.1 Polizei, Staatsanwaltschaft, Ausländer- und Leistungsbehörden, Jugendämter, Agenturen für Arbeit und Jobcenter, Gewerbe- und Ordnungsbehörden sowie untere Gesundheitsbehörden informieren die Fachberatungsstellen umgehend in geeigneter Form über alle Fälle, in denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Personen vom Menschenhandel oder der Zwangsprostitution betroffen sind und der Unterstützung durch die Fachberatungsstellen bedürfen. Sie tauschen relevante Informationen untereinander aus, soweit dem nicht Belange des Strafverfahrens, des Opfer-, Jugend- oder Datenschutzes entgegenstehen. Der Austausch kann unter dieser Bedingung beispielsweise Informationen über durchgeführte und geplante Einsätze und Maßnahmen, Sachstände in Strafverfahren, Ermittlungs- und Verwaltungsvorgängen, die Situation einzelner Betroffener sowie Lagebilder umfassen. In geeigneten Fällen werden die Fachberatungsstellen bereits in Einsatzvorbereitungen eingebunden. Dabei ist sicherzustellen, dass die Identität der Betroffenen ohne ihr Einverständnis gegenüber den Fachberatungsstellen nicht preisgegeben wird. In jedem Fall sind die Betroffenen umgehend über die Möglichkeit der Unterstützung durch eine unabhängige Fachberatungsstelle aufzuklären. Die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren und die damit verbundene Befugnis zur Entscheidung über die Weitergabe von Informationen bleiben unberührt und sind zu beachten.

2.1.2 Die Jugendämter, Ausländer- und Leistungsbehörden, Agenturen für Arbeit und Jobcenter sowie Gewerbe- und Ordnungsbehörden und unteren Gesundheitsbehörden unterstützen die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei sowie die zum Schutz, zur Unterstützung und zur Betreuung der Betroffenen durch die Fachberatungsstellen und die Polizei getroffenen Maßnahmen im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit. Im Fall von minderjährigen Betroffenen und erzieherischem Bedarf kann es sich bei der zuständigen Leistungsbehörde i. S. der Regelungen der Nummer 2 um ein Jugendamt handeln.

2.2
Aufgabe der Polizei und der Staatsanwaltschaften; Voraussetzungen und Durchführung von Zeugenschutzmaßnahmen, Opferschutzmaßnahmen und anderen gefahrenabwehrenden Maßnahmen

2.2.1 Die Staatsanwaltschaft beurteilt die Erforderlichkeit der Zeugenaussage von Betroffenen und die ermittlungsführende Polizeidienststelle deren Gefährdung unter besonderer Berücksichtigung

  • der Schwere des Delikts,

  • der Bedeutung der Zeugenaussage für das Strafverfahren,

  • der Gefährlichkeit der Täterinnen oder Täter sowie deren Umfeldes,

  • angedrohter oder tatsächlicher Repressalien und

  • der persönlichen Umstände der oder des Betroffenen.

2.2.2 Die Behördenleitung des LKA entscheidet im Benehmen mit der Staatsanwaltschaft auf Antrag der ermittlungsführenden Dienststelle, auf Basis der Beurteilungen gemäß Nummer 2.2.1, über die Einstufung des Gefährdungsgrades. Des Weiteren entscheidet sie unter Berücksichtigung der Richtlinie des LKA "Zeugenschutz und Operativer Opferschutz" über die Aufnahme in den Zeugenschutz oder über die Durchführung von zeugenschutzähnlichen Maßnahmen.

2.2.3 Erforderliche polizeiliche Schutzmaßnahmen und polizeiliche Betreuungsmaßnahmen für Betroffene i. S. der Nummer 1.2.2, insbesondere im Zusammenhang mit

  • der Einrichtung oder Aufhebung von Sperrvermerken,

  • der Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status,

  • der Klärung staatlicher Alimentationsmöglichkeiten sowie

  • Terminen in der Öffentlichkeit, die der Gefährderseite bekannt sein könnten (z. B. Gerichtstermine),

trifft grundsätzlich die am Wohn- oder Unterbringungsort der oder des Betroffenen zuständige Polizeiinspektion, bzw. im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Hannover der Zentrale Kriminaldienst, nach Beratung durch die und in enger Abstimmung mit der Zeugenschutz- und Opferschutzdienststelle im LKA. Darüber hinaus können in besonderen Fällen temporäre operative Maßnahmen in Abstimmung mit der örtlichen zuständigen Dienststelle durch die Zeugen- und Opferschutzdienststelle des LKA getroffen werden. Über die Übernahme des Schutzes und der Betreuung von Betroffenen i. S. der Nummer 1.2.2, die aus anderen Bundesländern oder dem Ausland zuziehen, entscheidet die Zeugenschutzdienststelle im Einvernehmen mit der am neuen Wohnort zuständigen Polizeiinspektion und - sofern es sich um ausländische Betroffene handelt - der Ausländerbehörde. Im Einzelfall kann der Kontakt zu Betroffenen i. S. der Nummer 1.2.2 über das Ende der Gerichtsverhandlung hinaus, bei ausreisepflichtigen Betroffenen jedoch längstens bis zur Ausreise, gehalten werden. Die Schutz- und Betreuungsmaßnahmen werden grundsätzlich nicht von der ermittlungsführenden Organisationseinheit durchgeführt. Die Polizei entscheidet jeweils im Benehmen mit der Staatsanwaltschaft.

2.2.4 Die örtlich zuständigen Polizeiinspektionen oder der Zentrale Kriminaldienst der Polizeidirektion Hannover treffen in eigener Zuständigkeit im Benehmen mit der Staatsanwaltschaft erforderliche Schutzmaßnahmen für Betroffene i. S. der Nummern 1.2.3 und 1.2.4. Die Zeugenschutzdienststelle steht auch in diesen Fällen beratend zur Verfügung.

2.2.5 Polizeiliche Schutzmaßnahmen und polizeiliche Betreuungsmaßnahmen für Betroffene i. S. der Nummern 1.2.2 bis 1.2.4 sind in enger Zusammenarbeit mit den Fachberatungsstellen und Leistungsbehörden zu treffen.

Außer Kraft am 1. Januar 2026 durch Nummer 6 des Runderlasses vom 16. Juli 2020 (Nds. MBl. S. 728)

Abschnitt 3 ZPZARdErl - Aufgaben der Fachberatungsstellen, psychosoziale Betreuung der Betroffenen

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Titel
Zusammenarbeit zum Schutz von Betroffenen des auf sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels und der Zwangsprostitution
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Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
21021

3.1 Die Fachberatungsstellen stellen die psychosoziale Betreuung der Betroffenen auch im Rahmen einer Prozessbegleitung sicher.

3.1.1 Die fachlich gebotene Betreuung erfolgt unter Beachtung der ausländer- und leistungsrechtlichen Bestimmungen in Abstimmung mit den Leistungsbehörden, z. B. durch

  • Gesprächsangebote und psychosoziale Beratung,

  • Vermittlung medizinischer Versorgung und therapeutischer Betreuung,

  • Betreuung in der Unterkunft,

  • Vermittlung von Bildungsmaßnahmen (insbesondere Sprachkurse für ausländische Betroffene) und Freizeitangeboten oder

  • Kontaktaufnahme zu Angehörigen,

soweit die Durchsetzung einer Ausreisepflicht oder andere ausländer- und leistungsrechtliche Vorgaben dem nicht entgegenstehen.

3.1.2 Die Fachberatungsstellen weisen die Betroffenen auf die Möglichkeit einer unabhängigen Beratung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt sowie deren Finanzierung hin und vermitteln eine gewünschte Rechtsberatung.

3.1.3 Die Fachberatungsstellen organisieren gemeinsam mit der zuständigen Leistungsbehörde und in Abstimmung mit der Polizei nach Maßgabe der Gefährdungsbeurteilung die Unterbringung von Betroffenen i. S. der Nummern 1.2.2 bis 1.2.4 in geeigneten Schutzwohnungen oder dezentralen Unterkünften. In Wohnungen des Zeugenschutzes kommt eine Unterbringung dieser Betroffenengruppen grundsätzlich nicht in Betracht.

3.1.4 Die Fachberatungsstellen unterstützen Betroffene i. S. der Nummern 1.2.2 bis 1.2.4 bei Behördengängen. Sie begleiten im Bedarfsfall Betroffene i. S. der Nummer 1.2.2 zu Terminen bei Polizei- und Justizbehörden, insbesondere im Zusammenhang mit zeugenschaftlichen Aussagen. Ausländische Betroffene unterstützen sie im Zusammenwirken mit der Ausländer- und Leistungsbehörde bei der Rückkehr in ihr Heimatland oder bei der Weiterwanderung in ein anderes Land und stehen für diese auch nach ihrer Ausreise als Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner zur Verfügung.

3.1.5 Die Leistungsbehörden und Fachberatungsstellen berücksichtigen bei der Betreuung die Belange des Schutzes der Betroffenen in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Polizeidienststellen. Eine Aufstellung der Fachberatungsstellen und ihrer Erreichbarkeiten wird vom MS geführt und über die Fachministerien den Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt.

3.2 Die Fachberatungsstellen nehmen an dem Informationsaustausch nach Nummer 2.1.1 teil. Sie sind befugt, im Einvernehmen mit den Betroffenen, auch gegenüber den Ausländer- und Leistungsbehörden konkrete Anhaltspunkte für ein Vorliegen von Menschenhandel oder Zwangsprostitution zu benennen.

Außer Kraft am 1. Januar 2026 durch Nummer 6 des Runderlasses vom 16. Juli 2020 (Nds. MBl. S. 728)

Abschnitt 4 ZPZARdErl - Aufenthaltsrechtlicher Status, soziale Sicherung

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Zusammenarbeit zum Schutz von Betroffenen des auf sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels und der Zwangsprostitution
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Verwaltungsvorschrift
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Niedersachsen
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21021

4.1 Die Art des Bezuges öffentlicher Leistungen für ausländische Opfer von Menschenhandel richtet sich nach ihrem aufenthaltsrechtlichen Status.

4.1.1 Ausländische Betroffene, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a AufenthG sind (Aufenthalt zum Zweck der Zeugenaussage), können bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII haben.

4.1.2 Um ausländischen Opfern von Menschenhandel die Möglichkeit zu geben, sich zu stabilisieren, sich dem Einfluss der Täterin oder des Täters bzw. der Täterinnen oder Täter zu entziehen, ggf. Kontakt zu Fachberatungsstellen aufzunehmen und eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sie sich in einem Strafverfahren für eine Zeugenaussage zur Verfügung stellen, sieht § 59 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG eine mindestens dreimonatige Ausreisefrist vor. Während dieser Erholungs- und Bedenkzeit kann die Ausreisepflicht nicht vollzogen werden.

Betroffene aus Drittstaaten erhalten eine Grenzübertrittsbescheinigung und haben Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG). Diese Leistungen umfassen in begründeten Einzelfällen auch die Gewährung sonstiger Leistungen gemäß § 6 AsylbLG, z. B. bei entsprechend begründeter, amtsärztlich attestierter Notwendigkeit die Übernahme der Kosten therapeutischer Maßnahmen im Fall von Traumatisierungen.

Soweit es sich bei den betroffenen Personen um vollziehbar ausreisepflichtige geduldete Ausländerinnen und Ausländer handelt (z. B. bestandskräftig abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit vollziehbarer Abschiebungsandrohung), ist eine bereits erteilte Duldung ggf. entsprechend zu verlängern oder - z. B. auch im Fall untergetauchter abgelehnter Asylbewerberinnen und Asylbewerber - neu zu erteilen und die Betroffenen sind über die ihnen gewährte Bedenkzeit schriftlich zu informieren. Auch diese Betroffenen haben Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG.

Handelt es sich um Bürgerinnen und Bürger der EU, die von den Leistungen des AsylbLG grundsätzlich ausgeschlossen sind, erhalten diese vor dem Hintergrund des in § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU enthaltenen Schlechterstellungsverbots auch während der Bedenkzeit Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII.

Von der Festsetzung der mindestens dreimonatigen Frist kann abgesehen, diese aufgehoben oder verkürzt werden, wenn z. B. der Aufenthalt der oder des Betroffenen die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt oder das ausländische Opfer wieder Verbindung zu den Täterinnen oder Tätern aufgenommen hat (§ 59 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).

Vor einer Entscheidung über die Festlegung, die Aufhebung oder Verkürzung der Ausreisefrist beteiligt die Ausländerbehörde die zuständige Staatsanwaltschaft oder das mit dem Strafverfahren befasste Strafgericht, sofern diese nicht bereits von Amts wegen Umstände mitgeteilt haben, die eine Verkürzung oder Aufhebung der gewährten Ausreisefrist rechtfertigen. Ist die zuständige Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt, ist die für den Aufenthaltsort zuständige Polizeibehörde zu beteiligen (§ 72 Abs. 6, § 87 Abs. 5 Nr. 1 AufenthG).

Die Ausländerbehörden unterrichten gemäß § 90 Abs. 4 AufenthG die zuständige Staatsanwaltschaft oder das befasste Strafgericht zeitnah über

  • die Erteilung oder Versagung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a AufenthG,

  • die Festsetzung, Verkürzung oder Aufhebung einer Ausreisefrist nach § 59 Abs. 7 AufenthG oder

  • den Übergang der Zuständigkeit auf eine andere Ausländerbehörde.

4.2 Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a Satz 1 AufenthG wird zum Zweck der Zeugenaussage vor Gericht erteilt, um die Verfolgung und Bestrafung der Täterinnen oder Täter zu ermöglichen. Die Gültigkeitsdauer richtet sich nach den geltenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen (§ 26 AufenthG). Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a Satz 3 AufenthG oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels kommt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen in Betracht.

4.3 Die Erteilung einer Erlaubnis zur Beschäftigung an ausländische Betroffene, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a AufenthG erteilt wurde und die während der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis einer Beschäftigung nachgehen möchten, bedarf gemäß § 31 BeschV keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.

Die Zeugenschutzdienststelle trifft und/oder veranlasst die durch die Arbeitsaufnahme erforderlichen Schutz- und Abdeckungsmaßnahmen.

Außer Kraft am 1. Januar 2026 durch Nummer 6 des Runderlasses vom 16. Juli 2020 (Nds. MBl. S. 728)