Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 08.09.2005, Az.: S 13 KR 29/04

Sozialversicherungspflicht durch Ausüben einer selbstständigen Tätigkeit

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
08.09.2005
Aktenzeichen
S 13 KR 29/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50322
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - 24.04.2008 - AZ: L 4 KR 301/05

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 17.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2004 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klägerin, Frau D., bei der Firma E. seit dem 01.09.99 eine selbstständige Tätigkeit ausübt. Sie unterliegt daher insbesondere nicht der Sozialversicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob Frau D. ihre Arbeit für die Firma E. im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit oder eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt oder nicht.

Die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin wandten sich mit Schreiben vom 07.07.2003 an die Beklagte mit dem Antrag, dass Nichtvorliegen von Versicherungspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung für Frau D. festzustellen sowie die zu Unrecht erstatteten Beiträge für den Zeitraum seit dem 01.09.1999 zu erstatten. Gesellschafter der Firma E. sei der Ehemann der Klägerin. Mit Rücksicht auf die familiären Beziehungen übe Frau D. ihre Tätigkeit weisungsfrei aus. Sie könne ihre Arbeitszeit frei bestimmen und ihre Beschäftigung frei gestalten. Ihren Urlaub müsse sie sich nicht genehmigen lassen, sondern bestimme diesen selbst. Für ihre Tätigkeit erhalte sie ein nicht angemessenes Arbeitsentgelt in Höhe von 2.454,- Euro brutto. Zwar habe Frau D. mit der Firma E. einen Arbeitsvertrag geschlossen. Dieser entspreche aber nicht den tatsächlichen Verhältnissen und werde in der Praxis auch nicht gelebt. Die tatsächliche Arbeitszeit betrage über 60 Stunden in der Woche. Auch nehme die Klägerin von ihrem arbeitsvertraglich zustehenden Urlaub von 36 Werktagen im Jahr unter Berücksichtigung des Wohlergehens der Firma nur wenige Tage in Anspruch. Abgesehen davon sei die Klägerin ein erhebliches unternehmerisches Risiko dadurch eingegangen, dass sie gegenüber der Sparkasse H. eine Sicherheit in Form einer Grundschuld in Höhe von 150.000,00 DM gegeben haben sowie ferner eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 287.000,- DM gegenüber der Sparkasse zur Sicherstellung der Forderungen gegen ihren Ehemann und der Firma E. übernommen habe. Beigefügt war dem Schreiben ein Feststellungsbogen zur Versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen, eine Gehaltsabrechnung für den Monat März 2003, der Arbeitsvertrag zwischen der Klägerin und der Firma E. vom 26.08.1999 sowie Nachträge zum Arbeitsvertrag und Darlehensverträge sowie unter anderem auch die Erklärungen gegenüber der Sparkasse H ... Mit Schreiben vom 08.08.2003 nahm die Beklagte eine Anhörung vor. Man könne sich den Ausführungen und Argumenten nicht anschließen. Es werde daher Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Es sei zum 01.09.1999 eine versicherungspflichtig angemeldete Beschäftigung bei der Firma E. aufgenommen worden. Hierbei handele es sich nicht um ein Beschäftigungsverhältnis unter Familienangehörigen. Arbeitgeber sei in diesem Fall die GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Ehemann sei. Die Darlehensgewährung schließe das Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht aus. Die Angaben im eingereichten Feststellungsbogen ließen unter anderem erkennen, dass ohne die Mitarbeit der Klägerin eine fremde Arbeitskraft hätte eingestellt werden müssen. Ein durchschnittliches monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 2.760,75 Euro halte man für durchaus angemessen. Vom Arbeitsentgelt werde Lohnsteuer entrichtet und das Arbeitsentgelt werde als Betriebsausgabe gebucht. Urlaubsansprüche, Kündigungsfrist und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall seien im Arbeitsvertrag geregelt. Von der BfA sei am 06.09.2002 eine Betriebsprüfung vorgenommen worden. Die BfA habe dabei keinerlei Gründe erkannt, die das Vorliegen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausschlössen. Zusammenfassend komme man deshalb zu dem Ergebnis, dass das Weiterbestehen einer Versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses von der Beklagten zu bescheiden sei. Hierzu nahmen die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 01.09.2003 Stellung. Es sei richtig, dass die Klägerin nicht an der Familien- GmbH beteiligt sei. Sie sei aber trotzdem nicht Arbeitnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Dem stehe der Umstand, dass die Firma E. Lohnsteuer und Sozialabgaben für die Klägerin abführe, nicht entgegen. Die steuerrechtliche Beurteilung sei für die Prüfung der Sozialversicherungspflicht nicht entscheidend. Wie üblich, seien anlässlich des Beginns der Tätigkeit für das eigene Unternehmen formal Arbeitsverträge formuliert worden. Eine Anpassung dieser Verträge an die gelebte Betriebsordnung sei dann nicht mehr erfolgt. Auch die BfA habe bei der Prüfung am 06.09.2002 nur die ordnungsgemäße Abführung von Sozialversicherungsabgaben überprüft, nicht aber auch eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung für die Klägerin vorgenommen. Darüber hinaus sei nochmals zu betonen, dass die Klägerin durch das gewährte Darlehen, die Bürgschaften und Sicherheiten unmittelbar bzw. mittelbar am finanziellen Risiko beteiligt sei. Mit Bescheid vom 17.09.2003 erklärte die Beklagte, dass man sich der Bewertung nicht anschließen könne. Die Klägerin sei seit dem 01.09.1999 als Arbeitnehmerin der Firma E. beschäftigt. Auch wenn der Inhaber und alleinige Gesellschafter der GmbH der Ehemann der Klägerin sei, so handele es sich rechtlich nicht um ein Beschäftigungsverhältnis unter Familienangehörigen, die Prüfung auf der Basis eines Ehegattenbeschäftigungsverhältnisses entfalle. Das ausgezahlte Arbeitsentgelt und der Arbeitsvertrag mit der GmbH ließen erkennen, dass hier seit Aufnahme der Tätigkeit ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bewusst angestrebt worden sei. Der Lohnwert der erbrachten Arbeit (Leistung des Arbeitnehmers und Gegenleistung der GmbH) stünden im angemessenen Verhältnis zueinander. Auch die Gewährung eines Darlehens der Klägerin an das Unternehmen schließe im vorliegenden Fall nicht das Vorliegen eines Sozialversicherungsbeschäftigungsverhältnisses aus. Die beschriebene Weisungsfreiheit sei nicht erkennbar. Die Klägerin sei weder am Stammkapital der GmbH beteiligt, noch sei sie Geschäftsführerin. Auch wenn sie Weisungen nicht oder nicht im vollem Umfang erhalte, schließe dies die Weisungsmacht der Gesellschaft nicht aus. Da zudem auch die BfA bei ihrer Betriebsprüfung vom 06.09.2002 keine Feststellung getroffen habe, die das Vorliegen von Sozialversicherungspflicht ausschließe, komme man abschließend zu dem Ergebnis, dass nach wie vor ein abhängiges, versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliege. Die Versicherungspflicht beziehe sich auf alle Zweige der Sozialversicherung. Während des Widerspruchsverfahrens teilte die Beigeladene zu 2) der Beklagten mit Schreiben vom 27.10.2003 mit, dass die Erteilung eines Zustimmungsbescheides nicht möglich sei, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Der von der Beklagten getroffenen Feststellung, dass eine Arbeitnehmereigenschaft bei der Klägerin vorliege, könne man sich auf Grund der ausführlichen Darstellungen der Prozessbevollmächtigten sowie der Klägerin unter Beachtung sämtlicher Unterlagen nicht anschließen. Zur Widerspruchsbegründung führten die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter anderem aus, die Klägerin habe sich mit der Gewährung des Darlehens faktisch im beträchtlichem Maße finanziell eingebunden und auch ihre eigenen finanziellen Belange mit denen des Betriebes verknüpft. Durch die finanzielle Unterstützung des Betriebes und die Gewährung eines Kredites trete sie privat in sehr beträchtlichem Umfang für die Verbindlichkeiten der Firma ihres Ehemannes, die insoweit den Charakter eines Familienbetriebes habe, finanziell ein. Durch dieses beträchtliche wirtschaftliche Engagement mit erheblichem Risiko, habe sich die Klägerin somit in ganz erheblicher Weise am Unternehmerrisiko beteiligt und damit auch ihre eigenen finanziellen Belange in nichtarbeitnehmertypischer Art mit denen des familiären Betriebs in schwerwiegender Weise verknüpft. Wenn es zu dem auch so sei, dass alleiniger Gesellschafter der GmbH der Ehemann sei, so sei doch die Klägerin seit dem 01.09.1999 als Geschäftsführerin für die Firma tätig. Ein Geschäftsführervertrag sei nicht schriftlich abgeschlossen worden. Die Geschäftsführertätigkeit sei auch nicht ins Handelsregister eingetragen worden. Gleichwohl nehme die Klägerin diese Aufgaben war. Insofern sei die Kläger als faktische Geschäftsführerin zu betrachten. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen richtet sich die am 13.02.2004 erhobene Klage. Die Klägerin wiederholt darin ihre bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgetragenen Argumente.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der Beklagten vom 07.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die vor ihr getroffene Entscheidung für rechtmäßig.

Ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage hat am 11.08.2005 stattgefunden. Die Beteiligten haben sich während dieses Termins mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts- und des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 2) verwiesen, die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 17.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14.01.2004 war aufzuheben. Die getroffene Entscheidung, wonach die Klägerin als sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmerin der Firma E. zu betrachten ist, lässt sich nicht bestätigen. Für die Auffassung der Beklagten spricht zwar, dass nach der ursprünglichen Vertragsgestaltung eindeutig ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angestrebt war. Allerdings entsprechen diese schriftlichen Erklärungen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Für diese Diskrepanz ist von Seiten der Klägerin bzw. ihres Ehemanns ihm Erörterungstermins auch eine plausible, nachvollziehbare Erläuterung abgegeben worden. Um Existenzgründer- Darlehen zu erlangen, war davon abgesehen worden, die Klägerin, die gelernte Bäckereifachverkäuferin ist, als Gesellschafterin an der GmbH zu beteiligen und damit das Risiko einzugehen, dass seitens der darlehensgewährenden Geldinstitute Zweifel an der Führung und an dem Erfolg dieser GmbH aufkommen konnten. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass offiziell nur der Ehegatte, der nach seinen Angaben gelernter "Banker" ist, in Erscheinung trat. Dass aber die betriebliche Realität mit diesen schriftlichen Vereinbarungen nicht in Übereinstimmung zu bringen ist, hat insbesondere auch der Erörterungstermin ergeben. Dabei fällt insbesondere auch der Umstand ins Gewicht, dass sich die Klägerin in ganz erheblicher Weise finanziell engagiert hat, damit die Gesellschaft überhaupt existieren kann. Bedenkt man, dass die Klägerin und ihr Ehemann seit den 80er Jahren Gütertrennung vereinbart haben, so wird deutlich, dass es letztlich fast ausschließlich die Klägerin selbst ist, die das unternehmerische Risiko für das Unternehmen trägt. Allein die selbstschuldnerische Bürgschaft beläuft sich auf fast 290.000,- DM. Berücksichtigt man schließlich auch die Erläuterungen zum tatsächlich gelebten Betriebsablauf, so lässt sich die Einschätzung als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers einschließlich eines Weisungsrechts seitens des Arbeitgebers nicht bestätigen. Es ist vielmehr die im Tenor gebotene Feststellung zutreffend, dass die Klägerin ihre Arbeit für die Firma E. im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit ausübt und demzufolge nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Die geleisteten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sind daher zu erstatten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).