Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.03.1986, Az.: 9 W 1/86
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine juristische Person; Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Beschwerde; Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.03.1986
- Aktenzeichen
- 9 W 1/86
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1986, 19867
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1986:0307.9W1.86.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 3 Abs. 1 GG
- Art. 14 GG
- § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO
Fundstelle
- NJW-RR 1986, 741-742 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Beschwerde der Beklagten vom 2. Dezember 1985
gegen den Beschluß der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts H.
vom 14. November 1985 am 7. März 1986
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 3.400,- DM.
Gründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO erhält eine inländische juristische Person - bei der Beklagten handelt es sich um eine GmbH - Prozeßkostenhilfe nur dann, wenn - neben anderen Voraussetzungen, wie den Erfolgsaussichten des Rechtsstreits - die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.
I.
Die Einschränkung der Prozeßkostenhilfe für juristische Personen infolge des zusätzlichen - nicht für natürliche Personen geltenden - Merkmals der "allgemeinen Interessen" ist, wie das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß vom 03.07.1973 (BVerfGE 35, S. 348 ff. [BVerfG 03.07.1973 - 1 BvR 153/69]) entschieden hat, entgegen der Ansicht der Beklagten, die im Schrifttum insbesondere von Leipold und Birkl vertreten wird (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., Tübingen 1978, § 114 a.F. Rdnr. 85; Birkl, Prozeßkosten- u. Beratungshilfe, 2. Aufl., München 1981, § 116 Anm. 2; Willenbruch, Das Armenrecht der juristischen Person, Berlin 1970, Fn. 239 a), nicht verfassungswidrig. Die vom BVerfG zu § 114 Abs. 4 ZPO a.F. getroffene Wertung gilt bei annähernd gleicher Gesetzeslage auch für § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO, (BFHE 136, S. 62 f, 64; Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl., Köln 1984, § 116 Rdnr. 21; Baumbach/Hartmann, ZPO, 44. Aufl., München 1986, § 116 Anm. 3 c; Schneider, DB 1978, S. 287 [BGH 07.12.1977 - V BLw 4/77]). Die Einschränkung, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, trägt den besonderen Verhältnissen bei der juristischen Person Rechnung. Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe ist letztlich eine Maßnahme der Sozialhilfe. Der fürsorgliche Charakter der Prozeßkostenhilfe und ihre verfassungsrechtliche Legitimation aus dem Sozialstaatsprinzip entfallen bei der juristischen Person. Die Kapitalgesellschaft besitzt regelmäßig nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie ihre Ziele und Aufgaben aus eigener Kraft zu verfolgen in der Lage ist (vgl. BVerfGE 35, S. 348, 356) [BVerfG 03.07.1973 - 1 BvR 153/69].
Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann die Beklagte danach nicht mit Erfolg geltend machen. Zutreffend ist zwar der Hinweis, auch juristische Personen nähmen an dem Gleichheitsschutz des Art. 3 Abs. 1 GG teil (BVerfGE 19, S. 206, 215). Der Gleichheitsgrundsatz ist jedoch nicht verletzt, denn in der Verschärfung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe bei juristischen Personen liegt eine im Vergleich zu natürlichen Personen sachlich gerechtfertigte Differenzierung, die sich wiederum aus dem Fürsorgecharakter der Prozeßkostenhilfe erklärt. Der soziale Aspekt dient, wie das Bundesverfassungsgericht dargelegt hat, letztlich der Erhaltung und Sicherung der Menschenwürde und ist insoweit allein auf natürliche Personen zugeschnitten (vgl. BVerfGE 35, S. 348, 357 f.) [BVerfG 03.07.1973 - 1 BvR 153/69].
II.
Die Beklagte vertritt des weiteren die Ansicht, das Landgericht habe eine verfassungskonforme Auslegung des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO im Lichte der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG unterlassen.
1.
Sie beruft sich dabei auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, die Versagung der Prozeßkostenhilfe setze eine verfassungskonforme Anwendung des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO voraus (vgl. BVerfGE 35, S. 348, 360) [BVerfG 03.07.1973 - 1 BvR 153/69]. Dieser Gesichtspunkt hilft ihr jedoch nicht weiter.
a.
Es ist nicht ersichtlich, daß die der Beklagten versagte Prozeßkostenhilfe einen Eingriff in ihr Eigentum i.S. des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG darstellt. Zwar fällt auch die Durchsetzung subjektiver, vermögenswerter Rechte unter Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. In der Versagung von Prozeßkostenhilfe liegt jedoch grundsätzlich keine Enteignung. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet nicht das Recht auf finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zum Zweck der Prozeßführung (vgl. zur Problematik eines sog. Teilhabeanspruchs aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Maunz/Dürig, GG, Art. 14 GG Rdnr. 119 ff.). Eine Enteignung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt angenommen werden, daß die Beklagte, will sie ihre Rechte im Prozeß durchsetzen, infolge der Versagung von Prozeßkostenhilfe die Rechtsanwaltsgebühren und andere Auslagen zunächst selbst aufzuwenden hat. Die staatliche Auferlegung von Geldzahlungspflichten stellt keinen Eingriff der öffentlichen Gewalt dar. Es liegt bloß eine Vermögensbelastung vor, die als solche nicht dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG unterfällt (vgl. Maunz/Dürig a.a.O. Art. 14 GG Rdnr. 464).
b.
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, daß durch die Versagung der Prozeßkostenhilfe die Rechtsweggarantie des Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG verletzt werde. Diese ist, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, nur im Zusammenhang mit Enteignungsentschädigungen von Bedeutung. In Entschädigungsstreitigkeiten darf danach Prozeßkostenhilfe nicht allein mit der Begründung versagt werden, es handle sich ausschließlich um Individualansprüche (BVerfGE 35, S. 348, 360 ff.) [BVerfG 03.07.1973 - 1 BvR 153/69]. Darum geht es hier aber nicht. Im vorliegenden Fall handelt es sich um Streitigkeiten aus Kaufverträgen.
2.
Die Beklagte hat - auch unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 35, S. 348, 358) [BVerfG 03.07.1973 - 1 BvR 153/69] geforderten Auslegung und Abwägung aller denkbaren Interessen im konkreten Einzelfall - nicht hinreichend dargelegt, daß die Unterlassung der Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen i.S. des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO zuwiderlaufen würde.
a.
Der Begriff der "allgemeinen Interessen" ist als Gegensatz zu den Belangen des einzelnen zu sehen. Daraus folgt, daß die Unterlassung der Rechtsverteidigung dann allgemeinen Interessen zuwiderläuft, wenn die Entscheidung "größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen" würde (vgl. BGHZ 25, S. 183, 185) [BGH 20.09.1957 - VII ZR 62/57]. Entgegen der Ansicht der Beklagten gehört dazu nicht das - immer vorhandene Interesse der Allgemeinheit an der richtigen Entscheidung eines Prozesses (vgl. BGHZ 25, S. 183, 185 [BGH 20.09.1957 - VII ZR 62/57]; BGH NJW 1965, 585). Diesem Interesse wird hinsichtlich der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe dadurch entsprochen, daß bereits nach § 114 S. 1 ZPO zu untersuchen ist, ob die beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig ist. Unterläßt der Antragsteller bei einem negativen Ergebnis dieser Prüfung die Rechtsverfolgung, so wird dadurch nicht das Interesse der Allgemeinheit, sondern lediglich sein eigenes berührt. Das in § 116 S. 1 Ziff. 2 ZPO erwähnte "allgemeine Interesse" tritt demgegenüber zusätzlich neben jenes Erfordernis und muß insoweit eine darüber hinausgehende Bedeutung haben.
b.
Allgemeine Interessen im Sinne des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO sind dann berührt, wenn sich die unmittelbaren Wirkungen der Entscheidung nicht auf den Einzelfall beschränken, sondern das soziale Gefüge berühren (BGHZ 25, S. 183, 185) [BGH 20.09.1957 - VII ZR 62/57]. Die Rechtsprechung hat es unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte stets für erforderlich gehalten, daß außer den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen würde (vgl. BFH, NJW 1974, S. 256, BGHZ 25, S. 183 f., 184 [BGH 20.09.1957 - VII ZR 62/57]; BFHE 136, S. 62, 64). Das ist hier indessen nicht der Fall. Der Rechtsstreit betrifft ein Zahlungsbegehren der Klägerin aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über Warenlieferungen. Die Durchführung des Rechtsstreits und sein Ergebnis können insoweit Rückwirkungen lediglich auf die Parteien, nicht aber auf weitere Bevölkerungsteile haben. Auf Seiten der Beklagten sind lediglich deren Geschäftsführer und seine Ehefrau - offenbar die einzigen Gesellschafter - von der Rechtsverfolgung betroffen. Die Möglichkeit, daß die Versagung der Prozeßkostenhilfe den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Beklagten zur Folge hätte, ist im übrigen schon deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte bereits vorher ihren Betrieb - unstreitig - eingestellt hatte und die Abwicklung der Geschäfte negative soziale Auswirkungen erheblicher Art nicht befürchten läßt. Des weiteren ist nicht ersichtlich, inwieweit die Beklagte Aufgaben erfüllt, an denen im Vergleich mit anderen Unternehmen ein allgemeines Interesse besteht.
3.
Es kommt nach alledem nicht darauf an, ob die von der Beklagten beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und ob die Kosten von der Beklagten oder von ihren Gesellschaftern aufgebracht werden können.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 3.400,- DM.