Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.02.2021, Az.: 13 WF 11/21

Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
08.02.2021
Aktenzeichen
13 WF 11/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 37677
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - 19.01.2022 - AZ: XII ZB 276/21

Fundstellen

  • FamRB 2021, 337
  • FamRZ 2021, 1393
  • FuR 2021, 555-556
  • MDR 2021, 967-968
  • NZFam 2021, 846

Amtlicher Leitsatz

Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr 2b ZPO ist vom Einkommen ein pauschaler Freibetrag für Unterhaltsleistungen aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht abzuziehen, und zwar in Höhe des um 10 vom Hundert erhöhten Regelsatzes, der für eine Person ihres Alters vom Bund gemäß den Regelbedarfsstufen 3 bis 6 nach der Anlage zu § 28 SGB XII festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist.

Tenor:

I. Das Verfahren wird dem Senat zur Entscheidung in der nach dem Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen.

II. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Meppen vom 19. Januar 2021 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 26. Januar 2021 geändert und die Ratenzahlungsanordnung aufgehoben.

III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Das Amtsgericht hat dem Vater für ein Sorgerechtsverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und eine Ratenzahlung angeordnet. Bei der Einkommensberechnung hat es unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 13.07.2020 - 5 WF 117/20 - (FamRZ 2021, 1746 f.) beim Einkommen des Antragstellers nur einen halben Unterhaltsfreibetrag für das gemeinsame Kind abgezogen, da die Eltern das paritätische Wechselmodell ausüben.

Ob bei einem paritätischen Wechselmodell, bei dem das Kind jeweils zur Hälfte im Haushalt beider Elternteile betreut wird, zugunsten der Prozesskostenhilfe beantragenden Partei bzw. des Verfahrenskostenhilfe beantragenden Beteiligten der volle oder nur ein halber Unterhaltsfreibetrag zu berücksichtigen ist, ist streitig. Die Entscheidung ist deshalb vom Einzelrichter auf den Senat in voller Besetzung übertragen worden (§ 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ § 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4, 568 S. 2 Nr. 2 ZPO).

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 2b ZPO ist vom Einkommen ein pauschaler Freibetrag für Unterhaltsleistungen aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht abzuziehen, und zwar in Höhe des um 10 vom Hundert erhöhten Regelsatzes, der für eine Person ihres Alters vom Bund gemäß den Regelbedarfsstufen 3 bis 6 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist.

Beim paritätischen Wechselmodell wird dabei in Rechtsprechung und Literatur im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschrift eine Halbierung des gesetzlichen Freibetrags vertreten, da sich die beiden Elternteile durch die Übernahme der hälftigen Betreuung des Kindes jeweils gegenseitig entlasteten (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2020, 1746 f., Chistl, FamRZ 2016, 959). Die Gegenansicht verweist darauf, dass auch dann, wenn das Kind mit seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt lebt und beide Bar- und Betreuungsunterhaltsleistungen erbringen, jeder Elternteil nach herrschender Meinung den vollen Freibetrag von seinem Einkommen abziehen kann. Dann aber könnten Eltern, die sich die Unterhaltspflichten in getrennten Haushalten teilten, nicht schlechter gestellt werden (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2016, 253; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl., § 115 Rn 36; Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenkostenhilfe, 9. Aufl., § 6 Rn. 308; Bork in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 115 Rn. 49; Wache in: MünchKomm ZPO, 6. Aufl., § 115 Rn. 42).

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

Die gesetzliche Regelung ist eindeutig, indem sie wegen der Höhe des Freibetrags Bezug nimmt auf die jeweiligen Regelbedarfssätze nach dem SGB XII und indem zusätzlich diese nach § 115 Abs. 1 S. 5 ZPO "maßgeblichen" Beträge bei jeder Neufestsetzung und jeder Fortschreibung durch das Bundesministerium der Justiz im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben werden. Für eine planwidrige Lücke ist kein Raum. Dass Kinder regelmäßig von beiden Eltern unterhalten werden und beide Elternteile zunehmend eigene Einkünfte erwirtschaften, ist dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben, ohne dass er daraus Konsequenzen gezogen und eine quotale Aufteilung des Freibetrags angeordnet hätte (vgl. Christl, FamRZ 2016, 959; Bork in: Stein/Jonas, a.a.O. Rn. 49). Daher ist der herrschenden Meinung zu folgen, nach der bei intakter Ehe der Freibetrag von beiden Teilen beansprucht werden kann. Nichts anderes kann dann aber gelten, wenn sich die Eltern trennen und für das Wechselmodell entscheiden. Denn dadurch ändert sich nichts daran, dass beide Eltern weiterhin gemeinsam für den Unterhalt in Bar- oder Naturalleistungen und für die Betreuung aufkommen - lediglich in getrennten Wohnungen. Die Argumentation des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main, es sei zwar richtig, dass eine nur hälftige Berücksichtigung des Freibetrags zu einer Ungleichbehandlung von getrennt lebenden Eltern einerseits und erwerbstätigen Eltern in intakter Ehe andererseits führe, die Notwendigkeit einer Gleichstellung sich aber nicht aufdränge, da zwischen den im Wechselmodell betreuenden Eltern gerade kein Familienverband mehr bestehe (OLG Frankfurt/Main a.a.O., Rn. 15), überzeugt den Senat nicht. Der Anspruch auf Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe knüpft an die wirtschaftlichen Bedingungen der Beteiligten an, die sich durch die Trennung und Kindesbetreuung im Wechselmodell nicht verändert haben.

Es besteht auch keine Veranlassung für eine teleologische Reduktion. Im Prozesskostenhilferecht wird gerade kein Familieneinkommen zugrunde gelegt. Das Einkommen des anderen Ehegatten wird nur insoweit berücksichtigt, als festzustellen ist, ob der Antragsteller auch für ihn die Pauschale nach § 115 Abs. 1 Nr. 2a ZPO abziehen kann. Übersteigt das Einkommen des Ehegatten die Pauschale, bleibt es anrechnungsfrei. Ob es in diesem Fall zu einer Entlastung des Antragstellers eingesetzt wird, ist im Einzelfall ebenso wenig zu prüfen wie die Frage, ob der tatsächliche Bedarf des Angehörigen der Pauschale entspricht. Der Gesetzgeber hat sich im Prozesskostenhilferecht bewusst für praktikable Pauschalen entschieden, um das Gericht von weiteren Ermittlungen und Berechnungen freizustellen (OLG Hamm, Beschluss vom 20.02.2007 - 19 W 1/07, juris Rn. 9). Dies würde bei einer quotalen Aufteilung des Freibetrags bei einem Wechselmodell nicht erreicht. Ob in tatsächlicher Hinsicht von einem paritätischen Wechselmodell auszugehen ist, bei dem sich die Eltern die Betreuung 50 : 50 teilen, ist häufig nicht ohne Weiteres feststellbar, weil die Grenzen fließend sind. In rechtlicher Hinsicht erschiene es zweifelhaft, den Unterhaltsfreibetrag nur im Fall des paritätischen Wechselmodells aufzuteilen. Die für eine Aufteilung beim paritätischen Wechselmodell sprechenden Gründen gelten in gleicher Weise bei einer Aufteilung im Verhältnis etwa von 60 : 40 oder 70 : 30, was sich durch entsprechende Quotierung beim Freibetrag abbilden ließe. Die Ermittlung weiterer Differenzierungen würde dem Zweck der Pauschalierung allerdings vollends zuwiderlaufen.

Eine quotale Aufteilung wird schließlich auch bei dem weiteren Freibetrag für Erwerbstätige nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO nicht vorgenommen. Nach einhelliger Meinung kommt es bei dem pauschalierten Freibetrag nicht darauf an, ob der Antragsteller das Einkommen aus abhängiger oder selbständiger, aus vollschichtiger oder teilschichtiger Erwerbstätigkeit erzielt. Der Freibetrag steht in vollem Umfang auch Umschülern oder Auszubildenden zu, da es allein um dem pauschalierten Ausgleich erhöhter Aufwendungen eines aktiv im Arbeitsleben stehenden Erwerbstätigen geht (vgl. Reichling in: BeckOK ZPO (Stand 1.12.2020) § 115 Rn. 29).

Zieht man die vom Amtsgericht noch nicht berücksichtigte zweite Hälfte der Pauschale für den Unterhaltsberechtigten (170 €) von dem vom Amtsgericht zutreffend in Höhe von 95 € ermittelten einzusetzenden Einkommen ab, bleibt für die Anordnung einer Ratenzahlung kein Raum mehr.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu.