Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 26.02.2021, Az.: 3 W 120/20
Höhe der Vergütung des berufsmäßigen Nachlasspflegers bei sog. Teilmittellosigkeit des Nachlasses
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 26.02.2021
- Aktenzeichen
- 3 W 120/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 37539
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Aurich - 10.02.2020 - AZ: 8 VI 66/20
Rechtsgrundlagen
- § 1836 BGB
- § 1836d Nr. 1 BGB
- § 1915 Abs. 1 S. 1-2 BGB
- § 168 FamFG
- § 3 VBVG
Fundstellen
- ErbR 2021, 730
- ErbStB 2021, 319
- Rpfleger 2021, 513-514
- ZEV 2021, 436
Amtlicher Leitsatz
Reicht der Aktivnachlass nicht zur Begleichung der gesamten Vergütung des berufsmäßigen Nachlasspflegers aus (sog. "teilmittelloser Nachlass"), ist der Nachlass gemäß § 1915 Abs.1 S.1 BGB in entsprechender Anwendung des § 1836 d Nr.1 BGB als mittellos anzusehen mit der Folge, dass sich der gesamte Vergütungsanspruch gem. § 1915 Abs.1 S.2 letzter Hs. BGB ausschließlich nach § 3 VBVG berechnet.
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 375,03 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer macht Vergütung für die Führung einer Nachlasspflegschaft geltend.
Der Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 10.02.2020 gemäß § 1960 BGB zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bestellt, wobei festgestellt wurde, dass der Nachlasspfleger das Amt berufsmäßig ausübt. Mit Antrag vom 06.07.2020 (Bl. 37 f. der GA) beantragte der Beschwerdeführer für 10,15 angefallene Stunden die Festsetzung seiner Vergütung in Höhe von 255,61 € aus der Staatskasse sowie die Bewilligung einer aus dem Nachlass zu entnehmenden Schlussvergütung in Höhe von 578,61 €. Zur Begründung führte er auf, dass die freie Masse des Nachlasses nach Abzug der Gerichtskosten 578,61 € betrage. Aus der freien Masse könnten daher 4,5 Stunden zu einem Stundensatz von 110,00 € zzgl. Umsatzsteuer vergütet werden, so dass noch 5,65 Stunden verblieben, die gemäß § 3 VBVG mit einem Stundensatz von 39,- € zzgl. Umsatzsteuer aus der Staatskasse zu vergüten seien.
Das Amtsgericht Aurich setzte nach Anhörung der Bezirksrevisorin die Vergütung mit angefochtenem Beschluss vom 22.10.2020 auf aus der Staatskasse zu erstattenden 459,19 € fest (Bl. 68 f. der GA) und ließ die Beschwerde zu. Einen darüberhinausgehenden Vergütungsantrag lehnte es ab. Zur Begründung führte das Amtsgericht auf, dass der Beschwerdeführer einen Vergütungsanspruch gemäß §§ 1960, 1961, 1962, 1915 BGB, 168 FamFG, §§ 1835, 1836 Abs.1 BGB, §§ 1 Abs.2, 3 VBVG habe, wonach sich eine Vergütung in Höhe von 10,15 x 39,00 € zzgl. 16 % Umsatzsteuer, mithin 459,19 € errechne. Wegen des uneingeschränkten Verweises in § 1915 Abs.1 BGB auf die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften sei nach § 1836d Nr.1 BGB vorliegend eine Mittellosigkeit des Nachlasses anzunehmen, da die beantragte Vergütung nicht vollständig aus dem Nachlass bestritten werden könne. Das verfügbare Aktivvermögen betrage 578,61 €, die beantragte Vergütung insgesamt 834,22 €. Dies habe zur Folge, dass die gesamte Vergütung des Nachlasspflegers nur einheitlich nach den Stundensätzen des § 3 Abs.1 Nr.2 VBVG berechnet und aus der Landeskasse ausgezahlt werden könne. Da vorliegend der Nachlass für die Vergütung nach dem Stundensatz nach dem § 3 VBVG noch ausreiche, sei dieser Betrag nach Auszahlung aus der Landeskasse wieder vom Nachlasspfleger einzuziehen. Dass der leistungsfähige Nachlass sehr gering und im Übrigen der Nachlass überschuldet sei, spreche auch gegen die hoch angesetzte Vergütung von 110,- € netto pro Stunde.
Gegen diesen, ihm am 28.10.2020 zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem am 30.10.2020 beim Amtsgericht Aurich eingegangenem Schriftsatz vom 29.10.2020, mit dem er gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 22.10.2020 "Erinnerung" eingelegt hat und seinen ursprünglichen Vergütungsantrag unter Aufrechterhaltung seiner Rechtsauffassung zur Zulässigkeit eines sogenannten gesplitteten Vergütungsantrags in voller Höhe weiterverfolgt unter Berufung auf Rechtsauffassungen der Oberlandesgerichte Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf. Die vom Amtsgericht vorgenommene einheitliche Berechnungsweise führe seiner Ansicht nach dazu, dass Nachlasspflegern zumindest phasenweise angesonnen würde, ohne weitere Vergütung zu arbeiten, eine solche Berechnungsweise würde auch der verfassungsrechtlich garantierten Berufsausübungsfreiheit nicht gerecht werden.
II.
Das vom Beschwerdeführer eingelegte Rechtsmittel ist als Beschwerde zulässig.
Die mit Schriftsatz vom 29.10.2020 gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Aurich vom 22.10.2020 eingelegte "Erinnerung" ist als Beschwerde im Sinn von § 58 FamFG auszulegen. Zwar ist der Beschwerdewert von 600,- € vorliegend nicht erreicht, jedoch wurde eine Beschwerde durch Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 22.10.2020 ausdrücklich zugelassen. Eine Erinnerung nach § 11 Abs.2 RPflG kommt nur dann in Betracht, wenn gegen die Entscheidung nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften ein Rechtsmittel nicht eingelegt werden kann.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Die Höhe der dem Beschwerdeführer nach §§ 1915, 1836 Abs.1 S.2 BGB zustehenden Vergütung bestimmt sich im vorliegenden Fall im gesamten Umfang nach § 3 Abs.1 Nr.2 VBVG.
Eine von den Stundensätzen des § 3 Abs.1-3 VBVG abweichende, sich nach den für die Führung der Pflegschaftsgeschäfte nutzbaren Fachkenntnissen des Pflegers sowie nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Pflegschaftsgeschäfte richtende Vergütungshöhe kommt gemäß § 1915 Abs.1 Satz 2 BGB nur in Betracht, sofern der Pflegling nicht mittellos ist. Vorliegend ist der Nachlass jedoch als mittellos anzusehen.
Die Vergütungsfestsetzung für den Nachlasspfleger erfolgt nach § 168 Abs.5 FamFG entsprechend § 168 Abs.1-4 FamFG. Die Nachlasspflegschaft stellt eine besondere Form der Personenpflegschaft dar, die nicht für den Erblasser, sondern für denjenigen, welcher Erbe wird, angeordnet wird (§ 1960 Abs.2 BGB). Als Unterart der Pflegschaft finden über § 1915 Abs.1 Satz 1 BGB auf die Nachlasspflegschaft die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Gemäß § 1915 Abs.1 S.1 BGB gelten für die Nachlasspflegervergütung demnach die §§ 1835ff. BGB entsprechend. Gemäß § 1836 d Nr.1 BGB ist Mittellosigkeit des Mündels anzunehmen, wenn aus dem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen der Aufwendungsersatz oder die Vergütung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufgebracht werden kann. Der Nachlasspfleger hat eine Vergütung in Höhe von insgesamt 834,22 € beantragt, das verfügbare Aktivvermögen des Nachlasses beträgt jedoch lediglich 578,61 €, so dass nach entsprechender Anwendung des eindeutigen Wortlautes von § 1836 d Nr.1 BGB von Mittellosigkeit des Nachlasses auszugehen ist und die Vergütungsregelung nach §§ 1915 Abs.1 BGB, 1836 Abs.1 BGB, § 3 Abs.1 Nr.2 VBVG zum Tragen kommt (aktueller Stundensatz: 39,00 € zzgl. Umsatzsteuer). Auch ein sogenannter "teilmittelloser" Nachlass ist gemäß entsprechender Anwendung des § 1836 d BGB als mittellos anzusehen.
Soweit das OLG Frankfurt (Beschluss vom 29.6.1918 zum Aktenzeichen 21 W 75/18), das OLG Stuttgart (Beschluss vom 29.5.2017 zum Aktenzeichen 8 W 110/17) und das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 8.11.2019 zum Aktenzeichen 3 Wx 62/18) bei sogenanntem "teilmittellosen" Nachlass eine Abrechnung nach gespaltenem Stundensatz für zulässig erachten, überzeugt dies den Senat nicht. Das OLG Frankfurt argumentiert damit, dass § 1836 c BGB (Einzusetzende Mittel des Mündels) nach einhelliger Auffassung nicht auf die Nachlasspflegschaft zutreffe, weil den Erben kein Schonvermögen einzuräumen sei. § 1836 d (Mittellosigkeit des Mündels) stehe mit dieser Vorschrift in engem Zusammenhang, § 1836 d Nr.2 BGB, wonach Mittellosigkeit vorliege, wenn der Mündel den Aufwendungsersatz oder die Vergütung nur im Wege gerichtlicher Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen aufbringen könne, sei ebenfalls nicht auf den Erben übertragbar. Weshalb § 1836 d Nr.1 BGB deshalb nicht für den Nachlass gelten soll, erschließt sich dem Senat nicht. Eine in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellte Systematik von § 1836 d Nr.1 und Nr.2 BGB vermag der Senat nicht zu erkennen, zumal Mittellosigkeit ausweislich des Gesetzestextes des § 1836 d BGB ausdrücklich vorliegt, wenn entweder die Voraussetzungen der Nr.1 "oder" der Nr.2 vorliegen.
§ 1836 d BGB soll den Vormund davor bewahren, seinen Aufwendungsersatz oder seinen Vergütungsanspruch mit im einzelnen ungewissen Erfolgsaussichten teilweise gegen den Betroffenen und teilweise gegen die Staatskasse geltend machen zu müssen. Diese Zielsetzung spricht für eine entsprechende Anwendung des § 1836 d BGB auch für den Nachlasspfleger, der dadurch vor gespaltenen Vergütungsfestsetzungsanträgen bewahrt wird. Zwar fällt die Vergütung insoweit geringer aus, dies stellt indes unter Berücksichtigung des Zweckes der Nachlasspflegschaft keine ungerechtfertigte Benachteiligung des Nachlasspflegers dar. Zweck der Nachlasspflegschaft ist es, dem Erben den Nachlass in seinem Zustand zum Zeitpunkt des Eintrittes des Erbfalls zu erhalten. Ist der Nachlass erschöpft, besteht kein Bedürfnis zur Weiterführung der Pflegschaft. Eine Vergütungsfestsetzung auf Basis eines "teilmittellosen" Nachlasses schützte den Nachlasspfleger folglich dort, wo er gerade nicht schützenswert ist, nämlich, dass der Nachlasspfleger bei zweckwidriger Weiterführung der Nachlasspflegschaft über die Erschöpfung des Aktivnachlasses hinaus nicht mit Vergütungseinbußen rechnen müsste. Der Nachlasspfleger hat laufend zu kontrollieren, ob der Aktivnachlass noch ausreicht, um die Fortsetzung der Nachlasspflegschaft zu rechtfertigen. Sobald erkennbar wird, dass der Aktivnachlass eine Fortführung der Nachlasspflegschaft ihrem Zweck nach nicht rechtfertigt, kann die Nachlasspflegschaft beendet werden und der Nachlasspfleger die vollständige Vergütungsfestsetzung gegen den noch nicht mittellosen Nachlass beantragen. Insofern trifft auch nicht die Begründung des Oberlandesgerichts Stuttgart und des Beschwerdeführers zu, dass den Nachlasspflegern zumindest phasenweise angesonnen würde, ohne (weitere) Vergütung zu arbeiten und die vom Amtsgericht vorgenommene Berechnungsweise würde der verfassungsrechtlich garantierten Berufsausübungsfreiheit nicht gerecht werden.
Auch das Argument des Oberlandesgerichts Frankfurt, die Staatskasse würde bei entsprechender Anwendung des § 1836 d BGB stärker belastet werden, da dann die Gesamtvergütung von der Staatskasse geschuldet wäre, greift nicht durch. Denn mit Leistung der Staatskasse geht der Anspruch des Nachlasspflegers gegen den Nachlass gem. §§ 1915 Abs.1, 1836 e BGB auf die Staatskasse über (vgl. auch Fröschle in MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 1836e, Rn.5). Dadurch wird eine zunächst höhere Belastung der Staatskasse in der Regel soweit gesenkt, dass es insgesamt zu einer geringeren Belastung der Staatskasse kommt, da die übergegangene Forderung regelmäßig niedriger ist als die Summe der gespaltenen Vergütungsfestsetzung.
Reicht der Aktivnachlass zur Begleichung der gesamten Vergütung des berufsmäßigen Nachlasspflegers nicht aus (sog. "teilmittelloser" Nachlass), ist der Nachlass daher gem. § 1915 Abs.1 S.1 BGB in entsprechender Anwendung des § 1836d Nr.1 BGB als mittellos anzusehen, so dass sich der gesamte Vergütungsanspruch gemäß § 1915 Abs.1 S.2 BGB ausschließlich nach § 3 VBVG berechnet (so auch OLG Celle, Beschluss vom 20.3.2020 zum Aktenzeichen 6 W 142/19 und OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.10.2020 zum Aktenzeichen 3 W 24/20).
Die Pflicht, die Gerichtsgebühren des erfolglosen Beschwerdeverfahrens zu tragen, folgt aus dem Gesetz (§ 25 Abs.1, 22 Abs.1 GNotKG).
Die Entscheidung zum Gegenstandswert beruht auf § 61 GNotKG.
Im Hinblick auf die abweichenden Rechtsauffassungen der oben genannten Oberlandesgerichte zur Frage der Anwendbarkeit von § 1836 d Nr. 1 BGB auf Fälle der Nachlasspflegschaft lässt der Senat die Rechtsbeschwerde gem. § 70 Abs.2 Satz 1 Nr.2 FamFG zu.