Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.06.2004, Az.: 16 W 77/04
Rechtmäßigkeit einer Abschiebehaft; Vorliegen eines Haftgrundes; Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz; Anhörung des Ehegatten; Unterbleiben der Anhörung bei erheblicher Verzögerung oder unverhältnismäßige Kosten; Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen; Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde bei Verfolgung der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung; Anordnung von Zurückschiebungshaft zur Sicherung der unverzüglichen Zurückschiebung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.06.2004
- Aktenzeichen
- 16 W 77/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 35004
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0608.16W77.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover- 12.11.2003 - AZ: 43 XIV 9/04
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 3 S. 2 FEVG
- § 10 FEVG
- § 27 FGG
- § 57 AuslG
- § 61 Abs. 2 AuslG
- Art. 36 Abs. 1 b Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen
Fundstelle
- InfAuslR 2004, 350-352 (Volltext mit red. LS)
In der Abschiebehaftsache ...
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter ... und
die Richter ... und ...
am 8. Juni 2004
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Antrag des Betroffenen, ihm für das vorliegende Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.000 EUR.
Gründe
I.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 12. November 2003 ist gegen den Betroffenen Abschiebungshaft (Sicherungshaft) für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet worden. Dies war auf Antrag des Beteiligten geschehen. Der Betroffene hatte sich bereits 1998 in Abschiebehaft befunden, aber entlassen werden müssen, weil sich herausstellte, dass eine Passersatzpapierbeschaffung innerhalb von drei Monaten nicht möglich war. Als die Papiere im November 2001 schließlich ausgestellt wurden, tauchte der Betroffene unter. Ohne Kenntnis der deutschen Behörden reiste er mit seiner Familie nach Norwegen aus, von dort wurde er am 11. November 2003 nach Deutschland rücküberstellt, auf dem Flughafen Hannover festgenommen und auf Grund des vorgenannten Beschlusses des Amtsgerichts Hannover, der formal rechtskräftig geworden ist, in Abschiebungshaft genommen.
Unter dem 2. Januar 2004 stellte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen den Antrag gemäß § 10 FEVG, den Haftbeschluss vom 12. November 2003 aufzuheben. Gerügt wurde ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz, ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Satz 2 FEVG (Anhörung der Ehefrau), das Fehlen eines Haftgrundes sowie ein Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen.
Durch den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. Januar 2004 ist dieser Antrag abgelehnt worden (Bl. 48 ff. d.A.). Am 27. Januar 2004 wurde der Betroffene aus der Haft entlassen, weil ein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden soll. Am 25. März 2004 hat die Beschwerdekammer des Landgerichts Hannover die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. Januar 2004 zurückgewiesen (Bl. 76 ff. d.A.). Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, mit der er seine Rügen aufrecht erhält und hinsichtlich des Verstoßes gegen das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen auf ein aktuelles Urteil des Internationalen Gerichtshofes verweist (Bl. 98 ff. d.A.).
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, soweit der Betroffene nach seiner Haftentlassung die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung verfolgt. Sie bleibt indes in der Sache ohne Erfolg. Denn der angefochtene Beschluss ist verfahrensfehlerfrei zu Stande gekommen und verletzt auch nicht materielles Recht (§ 27 FGG).
1.
Ein Haftgrund lag vor, weil der Betroffene mit seiner Ausreise nach Norwegen mutmaßlich Ende 2001/Anfang 2002 seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist. Seine zwangsweise Rücküberstellung, wonach der Betroffene gegen seinen Willen aus Norwegen nach Deutschland rücküberstellt worden ist, stand seiner nach wie vor bestehenden Ausreisepflicht nicht entgegen. Nach der amtlichen Begründung zu § 61 AuslG (Abdruck bei Kloesel/Christ/Häusler, Deutsches Ausländerrecht, 4. Aufl., § 61) liegt in den Fällen der Rückführung oder Zurückweisung durch einen anderen Staat eine gescheiterte Ausreise vor, was zur Folge hat, dass der Aufenthalt des Ausländers durch die gescheiterte Ausreise als noch nicht beendet anzusehen ist (Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 7. Aufl., § 61, Rn. 6; ders. Ausländerrecht in Deutschland, § 41 Rn. 365, 367).
In entsprechender Anwendung von § 57 AuslG kommt zur Sicherung der unverzüglichen Zurückschiebung die Anordnung von Zurückschiebungshaft in Betracht (§ 61 Abs. 2 AuslG).
Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht zutreffend einen Haftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 5 AuslG angenommen. Es bestand nämlich der begründete Verdacht, dass der Betroffene sich seiner Zurückschiebung/Abschiebung nach Aserbaidschan entziehen werde. Denn der Betroffene war vor seiner Ausreise nach Norwegen zunächst in Deutschland untergetaucht und hat dann im weiteren auch in Norwegen und Schweden versucht, sich durch Untertauchen der Rückführung nach Deutschland zu entziehen, wie sich daraus ergibt, dass die im April 2002 und im Februar 2003 jeweils vorgesehene Rückführung scheiterte. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des landgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen.
2.
Auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Satz 2 FEVG, der zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft geführt hätte, liegt im Ergebnis nicht vor. Zwar kann die Anhörung des Ehegatten nach § 5 Abs. 3 Satz 2 FEVG grundsätzlich nur dann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist. Insoweit könnte es an ausreichenden Feststellungen des Landgerichts dazu fehlen, dass eine Anhörung tatsächlich nicht ohne erhebliche Verzögerung möglich gewesen wäre. Denn es hätte, auch ohne förmliche Ladung auf dem Postwege, der Versuch gemacht werden können, durch die Vermittlung der beteiligten Ausländerbehörde die Ehefrau formlos zu laden bzw. zu dem Anhörungstermin zu sistieren. Jedoch kann hier gleichwohl die Anordnung der Abschiebungshaft im Ergebnis nicht als rechtswidrig eingestuft werden. Denn unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles war die Anhörung der Ehefrau ausnahmsweise entbehrlich.
Bei der Anhörung des Betroffenen wie auch des Ehegatten vor der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft geht es darum, dass das Gericht so umfassend wie möglich alle tatsächlichen Verhältnisse und Voraussetzungen feststellen soll, um auf dieser Grundlage das Vorliegen eines Haftgrundes beurteilen zu können. In diesem Zusammenhang kann auch den Angaben eines Ehegatten erhebliches Gewicht beikommen. Dementsprechend hat das Bayrische Oberste Landesgericht in seinem Beschluss vom 24. Juli 2000, betreffend einen Fall, bei dem die Anhörung der Ehefrau unterblieben war, auszugsweise Folgendes ausgeführt (InfAuslR 2001, 174):
"Dagegen hält die Beschwerdeentscheidung der rechtlichen Nachprüfung nicht Stand (...), soweit sie § 57 Abs. 2 Satz 3 AuslG betrifft.
a)
Nach dieser Bestimmung bietet die Verwirklichung des Haftgrundes des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG keine Grundlage für die Anordnung der Abschiebungshaft mehr, wenn der Ausländer die auf Grund seiner illegalen Einreise bestehende Vermutung, er werde sich der Abschiebung entziehen, glaubhaft widerlegt (...). Besonderes Gewicht kann insoweit insbesondere sozialen Bindungen des Betroffenen zukommen (...).b)
Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, der Betroffene sei zwar verheiratet und Vater eines gemeinschaftlichen Kleinkindes. Auch habe die Ehefrau außerhalb des Anhörungstermins vor dem Beschwerdegericht bei diesem vorgesprochen und um Freilassung des Betroffenen gebeten. Gleichwohl bestünden an der Ernsthaftigkeit der Familienbindungen des Betroffenen durchgreifende Zweifel. Im Verfahren über den Erlass der Ausreiseverfügung habe sich nämlich ergeben, dass der Betroffene bereits seit Mai 1999 von Frau und Kind getrennt gelebt habe. Zwar soll das Zusammenleben der Ehegatten seit dem 20. Januar 2000 wieder aufgenommen worden sein. Nach dem zeitlichen Zusammenhang dränge sich jedoch auf, dass dies unter dem Einfluss des anhängigen Verfahrens erfolgt sei. Eine hinreichend zuverlässige familiäre Bindung, die einem Untertauchen des Betroffenen entgegenstünde, könne hieraus nicht entnommen werden.c)
Diese Würdigung entbehrt einer zureichenden Grundlage, da die Kammer es entgegen § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG unterlassen hat, die Ehefrau des Betroffenen zu hören (...). Von der Anhörung durfte das Landgericht nicht ausnahmsweise absehen. Eine erhebliche Verzögerung des Beschwerdeverfahrens war durch die Anhörung nicht zu besorgen (§ 5 Abs. 3 Satz 3 FreihEntzG). Ferner konnte nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Anhörung zur Aufklärung des Sachverhalts nicht beitragen werde. Lassen die bisher bekannten Umstände - wie hier - eine zuverlässige Beurteilung von Art und Intensität der familiären Bindungen des Betroffenen nicht zu, muss das Gericht die relevanten Umstände mit dem Ehepartner erörtern und sich von diesem auch einen persönlichen Eindruck verschaffen."
Im vorliegenden Fall konnte es dagegen, anders als in dem zitierten, vom Bayerischen Obersten Landesgericht entschiedenen Fall, auf einen solchen persönlichen Eindruck von der Ehefrau sowie auf die Feststellung familiärer Bindungen oder sonstiger relevanter Umstände nicht ankommen. Denn die Familie des Betroffenen, also seine Ehefrau und seine Kinder, waren zusammen mit dem Betroffenen aus Norwegen rücküberestellt worden und die ganze Familie sollte nach Aserbaidschan abgeschoben werden. Dies entsprach dem übereinstimmenden Willen des Betroffenen und seiner Ehefrau. Von daher gab es keine Feststellungen mehr zu treffen, die für die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft hätten relevant sein können.
Lediglich ergänzend, wenn auch allein nicht ausreichend, ist hinzuzufügen, dass die Ehefrau des Betroffenen dessen Festnahme auf dem Flughafen selbst miterlebt und von den Behörden über den weiteren Verlauf des Verfahrens informiert worden war und auch nach ihren eigenen Angaben bzw. denen des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen keine relevanten Angaben hätte machen können oder wollen. Zwar soll es das Anliegen der Ehefrau gewesen sein, ihrem Ehemann, dem Betroffenen, eine Taufe in Freiheit zu ermöglichen. Die Familie sei in Norwegen nämlich der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas beigetreten. Bei diesem Anliegen handelt es sich jedoch nicht um relevante Umstände für die Haftanordnung.
3.
Die Abschiebungshaft war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 vorliegen würde. Insoweit nimmt der Senat auf seine bisherige, der Entscheidung des 2. Zivilsenats des OLG Schleswig vom 17. Januar 2004 (2 W 112/03) folgende Rechtsprechung Bezug.
Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes vom 31. März 2004 in der Sache Mexiko gegen USA führt insoweit nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Denn vorliegend geht es nicht um die Wahrung der Rechte in einem Strafverfahren, sondern die Durchsetzung einer Ausreiseverpflichtung. Hinzu kommt, dass die betroffene Person im Regelfall den Kontakt oder die Zusammenarbeit mit seinen Heimatbehörden gerade ablehnt, weil er sich in seiner Heimat von den dortigen Behörden verfolgt sieht. Schließlich werden die Konsularbehörden im Rahmen des Abschiebungsverfahrens von den deutschen Behörden ohnehin einbezogen, weil deren Mitwirkung und Zustimmung erforderlich ist.
4.
Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz ist aus den zutreffenden Gründen auf S. 3 des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts nicht ersichtlich. Auch ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz 1iegt nicht vor, weil weitere Ermittlungsansätze nicht erkennbar sind.
III.
Nach § 14 FGG i.V.m. § 114 ZPO war die nachgesuchte Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu versagen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, §§ 14, 15 FEVG, § 13 a FGG.
Streitwertbeschluss:
Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.000 EUR.