Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.06.1988, Az.: 4 A 48/84
Überleitungsanzeige; Drittschuldner; Anfechtungsklage; Sozialhilfeträger; Sozialhilfe; Anspruch; Überleitung; Erbe; Nachlaß
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.06.1988
- Aktenzeichen
- 4 A 48/84
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 12874
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1988:0608.4A48.84.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 17.01.1984 - AZ: 1 OS VG A 304/82/M
- nachfolgend
- BVerwG - 10.05.1990 - AZ: BVerwG 5 C 63.88
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer Osnabrück - vom 17. Januar 1984 wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 500,-- DM abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die im Jahre 1898 geborene Schwester des Klägers, Frau ..., wurde am 8. August 1978 in das ... in O. aufgenommen. Die Stadt O. gewährte ihr im Auftrage des Beklagten Hilfe zur Pflege durch Übernahme der durch ihre Renten nicht gedeckten Heimkosten. Am 11. Januar 1979 verstarb Frau K. Die Kosten der Sozialhilfe beliefen sich auf insgesamt 4.272,31 DM.
Nach dem Tode von Frau K. erfuhr die Stadt O., daß diese im Juli 1978 ein Sparguthaben von über 30.000,-- DM auf den Kläger übertragen hatte. Durch Bescheid vom 10. April 1980 leitete die Stadt O. einen Anspruch der Frau K. gegen den Kläger gemäß § 528 BGB auf Rückgewähr des geschenkten Sparvermögens bis zur Höhe der Kosten der Sozialhilfe auf den Beklagten über. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 23. August 1982 zurück.
Das Verwaltungsgericht hat der daraufhin erhobenen Anfechtungsklage durch Urteil vom 17. Januar 1984 stattgegeben und zur Begründung u. a. ausgeführt: Die Überleitung sei rechtswidrig und aufzuheben, da der übergeleitete Anspruch im Zeitpunkt der Überleitung offensichtlich nicht (mehr) bestanden habe. Es könne dahinstehen, ob der Rückgewähranspruch wegen Notbedarfs mit dem Tode des Schenkers erlösche oder auf seine Erben übergehe. Jedenfalls habe im April 1980 ein der Überleitung fähiger Anspruch der Frau K. offensichtlich nicht mehr bestanden. Deshalb sei die Überleitung sinnlos und rechtswidrig.
Gegen das ihm am 10. Februar 1984 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 16. Februar 1984 Berufung eingelegt. Er macht geltend: Die Frage, ob der übergeleitete Anspruch bestehe oder nicht, berühre nicht die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Diese Frage sei erst zu prüfen, wenn der übergeleitete Anspruch in einem zivilgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werde.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage zu Recht stattgegeben.
Die Anfechtungsklage ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger ein ein Rechtsschutzinteresse für die Klage gegen die Überleitungsanzeige. Zwar vertritt der Hess. VGH (Urt. v. 17. Aug. 1982, NDV 1983, 431) die Auffassung, der Drittschuldner, der nicht Unterhaltsschuldner sei und sich deshalb nicht auf die Schutzvorschrift des § 91 BSHG berufen könne, habe in der Regel kein Rechtsschutzinteresse für eine gegen die Überleitungsanzeige gerichtete Anfechtungsklage; denn er könne auch nach Eintritt der Bestandskraft der Überleitungsanzeige gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend machen, daß die übergeleitete Forderung nicht bestehe. Aber auch der Hess. VGH bejaht ein Rechtsschutzinteresse des Drittschuldners an einer Anfechtung der Überleitungsanzeige ausnahmsweise dann, wenn der Hilfeempfänger stirbt und von dem Drittschuldner (mit) beerbt wird. Denn dann rücke der Drittschuldner (mit) in die Gläubigerstellung ein, deren sich der Sozialhilfeträger aufgrund der Überleitung berühme. Eine solche Lage ist auch hier gegeben: Frau K. war Witwe und hatte keine Kinder. Sie wurde, da ihre Eltern nicht mehr lebten, nach § 1925 Abs. 1 BGB von ihren Geschwistern beerbt (außer dem Kläger gibt es jedenfalls noch zwei Schwestern, Beiakte A Bl. 8). Von einem Testament, durch das der Kläger von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen worden ist, ist nichts bekannt.
Die Anfechtungsklage ist auch begründet, da die Überleitungsanzeige rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Überleitungsanzeige ist rechtswidrig, weil bei ihrem Erlaß die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht (mehr) vorlagen. Danach kann der Träger der Sozialhilfe in einem Fall wie diesem nur einen Anspruch des Hilfeempfängers (die Erweiterung auf Personen des § 28 BSHG durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 spielt hier keine Rolle) auf sich überleiten: "Hat ein Hilfeempfänger ... einen Anspruch gegen einen anderen ..., kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, daß dieser Anspruch ... auf ihn übergeht". Nach dem Tod der Hilfeempfängerin konnte der Beklagte jedenfalls nicht mehr einen Anspruch der Hilfeempfängerin ("diesen Anspruch") auf sich überleiten. Für die Überleitung eines Anspruchs des oder der Erben des Hilfeempfängers gegen einen Dritten gibt § 90 BSHG keine Rechtsgrundlage.
Diese schon aus dem Wortlaut des § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG gewonnene Auslegung wird für den Fall, in dem - wie hier - der Drittschuldner selbst Erbe oder Miterbe des Hilfeempfängers ist, bestätigt, wenn § 92 c BSHG in die Betrachtung einbezogen wird. Auch diese Vorschrift, die die Verpflichtung des Erben zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe regelt, dient - wie § 90 BSHG - dazu, den Nachrang der Sozialhilfe herzustellen. Die Ersatzpflicht des Erben ist danach in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt: Sie besteht nur für die Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und das Zweifache des Grundbetrages nach § 81 Abs. 1 BSHG übersteigen; der Erbe haftet nur mit dem Nachlaß; der Anspruch auf Kostenersatz ist nicht geltend zu machen, soweit der Wert des Nachlasses bestimmte Grenzen nicht übersteigt oder die Inanspruchnahme des Erben eine besondere Härte bedeuten würde; schließlich erlischt der Anspruch auf Kostenersatz in drei Jahren nach dem Tod des Hilfeempfängers. Dieser Schutz des Erben entfiele, wenn der Träger der Sozialhilfe einen Anspruch, den der Hilfeempfänger gegen denjenigen, der sein Erbe geworden ist, hatte, noch nach dem Tod des Hilfeempfängers - zeitlich und der Höhe nach ohne die genannten Einschränkungen - auf sich überleiten dürfte. Hätte der Gesetzgeber den Schutz des Erben in diesem Fall nicht gewollt, hätte er dies (etwa durch die Formulierung in § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG: "Hat ein Hilfeempfänger oder hatte er vor seinem Tode ... einen Anspruch gegen einen anderen ...") zum Ausdruck gebracht. Da er dies nicht getan hat, ist anzunehmen, daß nach dem Tod des Hilfeempfängers der Nachrang der Sozialhilfe gegenüber dem Erben nach § 92 c BSHG und nicht (mehr) nach § 90 BSHG herzustellen ist.
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, daß der Erbe im Falle der rechtswidrigen Hilfegewährung in dem Umfang, in dem der Erblasser nach den §§ 45, 50 SGB X zur Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen verpflichtet gewesen wäre, also ohne die Beschränkungen des § 92 c BSHG, für die Nachlaßverbindlichkeit haftet (§ 1967 BGB). Denn selbst in diesem Fall gelten zugunsten des Erben Fristen (§§ 45 Abs. 4 Satz 2, 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X); auch kann er die Erbschaft ausschlagen (§§ 1942 ff BGB) oder seine Haftung auf den Nachlaß beschränken (§§ 1975 ff BGB). Dagegen kämen dem Erben nicht einmal diese Vorschriften zugute, wenn er noch nach dem Tode des Hilfeempfängers im Wege der Überleitung nach § 90 BSHG in Anspruch genommen werden könnte und dabei seine Stellung als Erbe des Hilfeempfängers unberücksichtigt bleiben müßte.
Auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 20. Dez. 1985, NJW 1986, 1606), wonach der Rückforderungsanspruch wegen Notbedarfs nicht mit dem Tode des Schenkers erlischt, wenn der Träger der Sozialhilfe den Anspruch vorher nach § 90 BSHG auf sich übergeleitet hat, kann der Beklagte in diesem Fall nichts für sich herleiten. Denn der Anspruch der Hilfeempfängerin nach § 528 BGB ist gerade nicht vor ihrem Tode auf ihn übergeleitet worden.
Der Beklagte kann sich ferner nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 1976 - VI C 4.71 - (DÖD 1977, 60 = ZBR 1977, 184) berufen. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung - ähnlich wie ein Zivilgericht, das über Grund und Höhe eines übergeleiteten zivilrechtlichen Anspruchs zu entscheiden hat - die Frage geprüft (und verneint), ob der Träger der Sozialhilfe aus übergeleitetem Recht einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe hat, wenn der Beihilfeberechtigte vor der Überleitung verstorben ist. Die Überleitungsanzeige spielte in dieser Entscheidung nur insofern eine Rolle, als das Bundesverwaltungsgericht angenommen hat, sie sei wirksam (nicht nichtig) und der Träger der Sozialhilfe sei somit aktivlegitimiert, den behaupteten Anspruch geltend zu machen. Dagegen hat der für Beihilfesachen zuständige Senat des Bundesverwaltungsgerichts (ähnlich wie ein Zivilgericht) nicht zu prüfen (gehabt), ob die bestandskräftige oder jedenfalls vollziehbare Überleitungsanzeige rechtmäßig ist.
Die rechtswidrige Überleitungsanzeige verletzt den Kläger auch in seinen Rechten. Zwar hat der Senat in dem Urteil vom 11. Februar 1987 (4 OVG A 114/86) entschieden, daß der Drittschuldner, der nicht Unterhaltsschuldner ist, kein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG ("kann") hat. Damit ist aber nicht gesagt, daß er nicht die Verletzung sonstiger gesetzlicher Vorschriften, die bei der Überleitung zu beachten sind, rügen kann. Er ist in seinen eigenen Rechten verletzt, wenn sich der Träger der Sozialhilfe aufgrund einer rechtswidrigen Überleitungsanzeige einer Gläubigerstellung berühmt, in die er, der Drittschuldner, als (Mit-)Erbe des Hilfeempfängers vor der Überleitung selbst eingerückt war. Das gilt auch dann, wenn durch diese Vereinigung (Konfusion) von Recht und Verbindlichkeit der Anspruch untergegangen sein sollte. Bei Miterben - wie hier - tritt vor der Erbauseinandersetzung eine Vereinigung allerdings nicht ein (Palandt-Keidel, BGB 44. Aufl., Überblick 2 b vor § 1942).
Der Senat räumt ein, daß das hier gewonnene Ergebnis aus der Sicht des betroffenen Sozialhilfeträgers unbefriedigend erscheinen kann, wenn er erst nach dem Tod des Hilfeempfängers - zufällig - erfährt, daß dieser, kurz bevor er Sozialhilfe beantragte, sein gesamtes Vermögen verschenkt und sich dadurch hilfebedürftig gemacht hatte; unbefriedigend mag das Ergebnis vor allem dann erscheinen, wenn der beschenkte Erbe weder nach § 92 c BSHG (z.B. wegen Dürftigkeit des Nachlasses) noch nach den §§ 45, 50 SGB X (weil die Hilfe nicht rechtswidrig gewährt worden ist) mit Aussicht auf Erfolg in Anspruch genommen werden kann. Gleichwohl rechtfertigt dies nicht eine andere Auslegung des § 90 BSHG. Der Träger der Sozialhilfe kann, um die rechtzeitige Überleitung eines Anspruchs aus § 528 BGB vorzubereiten, in dem Formular für den Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe - wie es andere Träger der Sozialhilfe nach Kenntnis des Senats tun - auch danach fragen, ob der Hilfesuchende in den letzten zehn Jahren (vgl. § 529 Abs. 1 BGB) Vermögensgegenstände verschenkt hat. Schließlich kann der Träger der Sozialhilfe gegen den Beschenkten einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch haben, wenn dieser die Schenkung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise in dem Wissen und mit dem Willen angenommen hat, dadurch den Träger der Sozialhilfe zu schädigen (§ 826 BGB).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2, 167 VwGO iVm den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat läßt die Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, da die Rechtsfrage, ob ein Anspruch des Hilfeempfängers nach dessen Tod gemäß § 90 BSHG durch schriftliche Anzeige an den Schuldner, der zugleich (Mit-)Erbe des Hilfeempfängers ist, auf den Träger der Sozialhilfe übergeleitet werden kann, grundsätzliche Bedeutung hat und bisher - soweit ersichtlich - höchstrichterlich nicht geklärt ist.
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Jacobi kann nicht unterschreiben, weil er erkrankt ist.
Zeisler
Zeisler
Klay