Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.06.1988, Az.: 2 A 38/85

Unterhalts; Unterhaltsbeitrag; Einkünfte; Anrechnung; Rente; Witwengeld; Versorgungsausgleich

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.06.1988
Aktenzeichen
2 A 38/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 12873
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1988:0608.2A38.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 24.01.1985 - AZ: 6 VG A 302/84
nachfolgend
BVerwG - 11.11.1988 - AZ: BVerwG 2 B 121.88
BVerwG - 31.05.1990 - AZ: BVerwG 2 C 54.88

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 6. Kammer - vom 24. Januar 1985 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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I.

Die Klägerin war die zweite Ehefrau des am 21. April 1984 verstorbenen Bundesbahnassistenten a.D. .... Sie wendet sich mit der Klage gegen die Berechnung des ihr von der Beklagten gewährten Unterhaltsbeitrages.

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..., geboren am 3. November 1912, war nach seiner Schulentlassung - abgesehen von seiner Einberufung zur Wehrmacht während des Krieges - als Arbeiter versicherungspflichtig tätig, zuletzt bei der Bundesbahn. Am 1. März 1954 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Schrankenwärter ernannt. Eine erlittene Kriegsverletzung führte dazu, daß er dienstunfähig wurde. Er wurde deshalb am 31. Juli 1974 in den Ruhestand versetzt.

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Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - ... vom 24. Januar 1979 wurde seine 1937 geschlossene Ehe mit ..., geborene ..., geschieden und es wurden Versorgungsanwartschaften Wilhelm Bergsteins aus bestehenden Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 173,60 DM auf die erste Ehefrau übertragen sowie Versorgungsanwartschaften bei der Beklagten von monatlich 625,21 DM für die erste Ehefrau begründet. Am 21. März 1979 heiratete die Klägerin ....

4

Mit Bescheid vom 10. September 1984 setzte die Beklagte den Unterhaltsbeitrag auf 64,67 DM monatlich fest.

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Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und beanstandete die Berechnung des Unterhaltsbeitrages. Bei der Ermittlung der anderweitigen Einkünfte der Klägerin sei die Beklagte fälschlich davon ausgegangen, daß der Klägerin eine Rente von 525,30 DM pro Monat von der Bundesbahnversicherungsanstalt in Münster ausgezahlt werde. Offensichtlich sei dies die Summe der an die Klägerin und die geschiedene erste Ehefrau aufgrund des Versorgungsausgleichs gezahlten Rentenbeträge. Sie - die Klägerin - erhalte jedoch nur eine Witwenrente von 389,40 DM zuzüglich 34,27 DM als Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag. Die Beklagte habe auch unzulässig das ungekürzte Witwengeld in Ansatz gebracht, während dies unter Berücksichtigung der Überweisungen an die erste Ehefrau nur 589,87 DM betrage.

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Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 29. Oktober 1984 zurück. Nach § 22 Abs. 1 BeamtVG sei der Klägerin ein Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwengeldes zu gewähren, auf den Einkünfte der Klägerin in angemessenem Umfang anzurechnen seien. Als Witwengeld gelte der nach § 57 BeamtVG zu kürzende Betrag, da zu Lasten des verstorbenen Ehemannes ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden sei. Die Witwenrente der Klägerin sei gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG als Einkommen auf den Unterhaltsbeitrag insoweit anzurechnen, als sie zusammen mit dem Unterhaltsbeitrag die in § 55 Abs. 2 Nr. 2 BeamtVG bezeichnete Höchstgrenze übersteige. Bei der Ruhensberechnung nach § 55 BeamtVG sei die volle Rente zugrundezulegen, da nach § 55 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG Rentenminderungen aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich unberücksichtigt bleiben müßten.

7

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt: Die Berechnung des Unterhaltsbeitrages gehe von fiktiven Zahlen aus. Sie erhalte eine monatliche Witwenrente von 423,67 DM. Mit dem Unterhaltsbeitrag von 64,67 DM stünden ihr monatlich 488,34 DM zum Bestreiten ihres gesamten Lebensunterhaltes zur Verfügung, wodurch ihr Einkommen in den Bereich der Sozialhilfesätze gesunken sei. Dies entspreche nicht dem Zweck des § 22 Abs. 1 BeamtVG.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 10. September 1984 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den auszuzahlenden Unterhaltsbeitrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu berechnen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie führt aus, in die Ruhensregelung des § 55 BeamtVG sei die ungekürzte Witwenrente einzubeziehen gewesen, weil der durchgeführte Versorgungsausgleich habe unberücksichtigt bleiben müssen.

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Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 24. Januar 1985 stattgegeben. Die Klägerin habe nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwengeldes. Das Witwengeld in Höhe von 60 % des Ruhegehaltes des verstorbenen Versorgungsberechtigten sei gemäß § 57 Abs. 3 iVm Abs. 2 BeamtVG um den Hundertsatz des zu Lasten des Verstorbenen durchgeführten Versorgungsausgleichs zu kürzen. Hierauf seien die Einkünfte der Klägerin gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG anzurechnen, jedoch nur die tatsächlich gezahlte Witwenrente. Die Beklagte habe zu Unrecht die fiktive Berechnung der Rente ohne Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs zugrunde gelegt, was nicht dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 BeamtVG entspreche. § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG gehe als Spezialvorschrift § 55 BeamtVG vor. Der Unterhaltsbeitrag von 589,97 DM entspreche der Höchstgrenze nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 BeamtVG, deshalb überschreite die Witwenrente von 423,67 DM den Höchstbetrag voll und sei anzurechnen, so daß der Klägerin seit 1. August 1984 der Unterschiedsbetrag von monatlich 166,30 DM zustehe.

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Gegen dieses ihr am 12. Februar 1985 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. März 1985 Berufung eingelegt und führt aus: Streitig sei nur die Frage, ob bei der Anrechnung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG der Rentenbetrag zugrunde zu legen sei, der zu zahlen wäre, wenn die Übertragung der Rentenanwartschaften nicht erfolgt wäre. Unter den Einkünften im Sinne dieser Vorschrift könnten nicht nur die der Klägerin wirklich zufließenden Beträge gemeint sein. Sonst würde die Anrechnung der durch den Versorgungsausgleich geminderten Rente dazu führen, daß eine nachgeheiratete Witwe sich im Ergebnis besser stehe als eine andere Witwe. Der anzurechnende Betrag sei nach Nr. 55.1.7 und Nr. 10.2.7 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu ermitteln. Es sei zu berücksichtigen, daß es sich nicht um eine volle Alimentation, sondern einen Unterhaltsbeitrag handele. Der Zuschuß zur Krankenversicherung gehöre nicht zur Witwenrente.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen,

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und verteidigt das angefochtene Urteil.

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Die Parteien haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

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Ergänzend wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze und Schriftstücke Bezug genommen. Dem Senat lagen die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vor.

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II.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, daß die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung eines Unterhaltsbeitrages hat (§ 22 Abs. 1 BeamtVG). Die Beklagte zieht nicht in Zweifel, daß keine besonderen Umstände vorliegen, die eine teilweise oder volle Versagung des Unterhaltsbeitrages rechtfertigen könnten. Die Klägerin hat danach einen Anspruch auf Gewährung des Unterhaltsbeitrages in Höhe des Witwengeldes nach Maßgabe des Satz 2, nämlich der angemessenen Anrechnung von Einkünften der Klägerin (vgl. BVerwG, Urt. v. 10. 2. 1983 - Buchholz 232, § 125 BBG, Nr. 34, S. 8/10). Das Verwaltungsgericht hat richtig ausgeführt, daß die von der Beklagten durchgeführte Berechnung der Höhe des Witwengeldes unter Berücksichtigung der §§ 20 Abs. 1 Satz 1, 57 Abs. 3 iVm Abs. 2 BeamtVG korrekt erfolgt ist, woraus sich die für § 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG bedeutsame Berechnungsgröße des Witwengeldes von 589,97 DM ergibt.

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Dem Verwaltungsgericht ist ferner beizupflichten, daß anrechnungsfähig im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG nur die tatsächlichen Einkünfte der Klägerin sind und daß die Anrechnung vorrangig gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG unter einer eventuellen Begrenzung nach § 25 Abs. 4 Satz 1 iVm Abs. 1 bis 3 BeamtVG zu erfolgen hat.

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Dies ergibt schon die Auslegung des Begriffes der "Einkünfte" in § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG. Dabei ist nicht nur auf den Wortlaut des Gesetzes, sondern auch auf den Sinn und Zweck der Vorschrift und auf die Entstehungsgeschichte abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 24. Oktober 1984 - Buchholz 232, § 22 BVG, Nr. 2, S. 5 - dazu ausgeführt:

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"Durch die Gewährung des Unterhaltsbeitrages an die nachgeheiratete Witwe soll gewährleistet sein, daß die ihr nach dem Tode des Versorgungsberechtigten für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel wirtschaftlich nicht hinter der Höhe der Versorgungsbezüge zurückbleiben, die ihr als Witwe mit Anspruch auf Witwengeld zuständen. Durch die - über die allgemeine Anrechnungsregelungen hinausgehende - Anrechnung der Einkünfte wird der Nachrang des Unterhaltsbeitrages zum Ausdruck gebracht, der selber keine alimentationsrechtliche Versorgung ist und es gestattet, daß der Dienstherr seine Pflicht durch anderweite wirtschaftliche Sicherung als erfüllt ansieht. Der Unterhaltsbeitrag hat Auffüllungsfunktion und soll dem Ausgleich von Härten dienen, die sich daraus ergeben, daß das Gesetz in derartigen Fällen eine volle Witwenversorgung versagt."

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Der Zweckbestimmung des Unterhaltsbeitrages würde es hier widersprechen, der Klägerin andere als die tatsächlich gezahlten Rentenbeträge anzurechnen. Mit Rücksicht auf den durchgeführten Versorgungsausgleich sind die anzurechnenden Rentenbeträge nicht wegen ihrer geringen Höhe ganz oder teilweise von der Anrechnung aus der Erwägung auszunehmen, daß die Anrechnung nach dem Wortlaut des Gesetzes nur in "angemessenem Umfang" erfolgen soll. Die Klägerin muß sich insoweit entgegenhalten lassen, daß sie bei ihrer Heirat wußte oder wissen mußte, daß ihr verstorbener Ehemann eine zweite Ehe schloß und daß zu seinen Lasten der Versorgungsausgleich für die erste Ehefrau durchgeführt worden war. Zu den anzurechnenden Einkünften der Klägerin zählt auch der Krankenversicherungszuschuß, da ihr dies Geld tatsächlich zufließt und die Unterhaltung einer Krankenversicherung ebenso zum Lebensunterhalt gehört, wie die Kosten für Wohnung und Nahrung.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 10. Februar 1983 (aaO, S. 9/10) zu § 125 Abs. 1 Satz 2 BBG (entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG) und der Kürzung gemäß § 128 Abs. 4 BBG (entsprechend § 25 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG) ausgeführt, daß die Kürzung gemäß § 128 BBG der dem Grunde nach bestehenden Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen vor Berechnung des individuellen Zahlbetrages durch Anwendung von allgemeinen Anrechnungs- und Ruhensvorschriften gemäß § 128 Abs. 1 BBG (§ 25 Abs. 1 BeamtVG) zu erfolgen hat. Die allgemeinen Anrechnungsregelungen (§§ 111 Abs. 3, 115 Abs. 2 BBG, vgl. § 55 BeamtVG) berührten sie nicht unmittelbar in ihrem Bestand und seien deshalb erst nach einer Kürzung gemäß § 128 BBG anwendbar. Die Vorschriften des § 128 BBG und der §§ 158 ff BBG dienten ebenfalls dazu, Doppelbelastungen der öffentlichen Hand möglichst zu vermeiden. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht auch auf Nr. 25.0.1 der Verwaltungsvorschriften (GMBl. 1980, 769) verwiesen, die den Vorrang von § 25 BeamtVG vor §§ 53 bis 56 BeamtVG festlegt. Dies spricht ebenfalls für die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, daß §§ 20 Abs. 1, 25 BeamtVG Spezialvorschriften sind, die § 55 BeamtVG vorgehen. Die Situation der Klägerin als zweite Ehefrau nach Durchführung eines Versorgungsausgleichs nach fast 42-jähriger erster Ehe ist durch Anwendung des § 57 BeamtVG zu ihren Lasten berücksichtigt und es bedarf keiner verstärkenden Belastung durch eine erneute Berücksichtigung, wie sie von der Beklagten durch die Anwendung des § 55 Abs. 1 BeamtVG erfolgt ist. Die Verhinderung einer Doppelbelastung ist durch die - hier nicht gegebene - Kürzungsmöglichkeit nach § 25 BeamtVG hinreichend gewährleistet, es bedarf daher keiner Anwendung des § 55 Abs. 1 BeamtVG bei der Anrechnung der Einkünfte der Klägerin.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO.

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Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

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Zeller

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Dr. Große

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Dehnbostel