Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 14.10.1997, Az.: 3 A 3564/95

Anspruch auf Abänderung einer dienstlichen Beurteilung; Verwaltungsgerichtliche Überprüfung dienstlicher Beurteilungen ; Nachvollziehbarkeit eines persönlichkeitsbedingten Werturteils ; Verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle bei dienstlichen Beurteilungen; Arbeitstempo und Arbeitserfolg als Bewertungsmerkmal bei einer beamtenrechtlichen Beurteilung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
14.10.1997
Aktenzeichen
3 A 3564/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 14988
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1997:1014.3A3564.95.0A

Verfahrensgegenstand

Dienstliche Beurteilung.

Prozessführer

Frau ..., Steueroberinspektorin, ...

Prozessgegner

Oberfinanzdirektion ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Dienstliche Beurteilungen können verwaltungsgerichtlich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Dabei ist zu beachten, dass der Dienstherr bei der Erstellung von Beurteilungsgrundsätzen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben kraft seiner Organisationsbefugnis Gestaltungsfreiheit hat.

  2. 2.

    Die maßgebliche Beurteilung darüber, wie die Leistungen eines Beamten einzuschätzen sind und ob und in welchem Grad der Beamte die für sein Amt und für seine Laufbahn erforderliche Eignung, Befähigung und fachliche Leistung aufweist, ist ein dem Dienstherrn von der Rechtsordnung vorbehaltener Akt wertender Erkenntnis. Dieses persönlichkeitsbedingte Werturteil kann durch Dritte nicht in vollem Umfang nachvollzogen oder gar ersetzt werden.

  3. 3.

    Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich bei dienstlichen Beurteilungen darauf zu erstrecken, ob die Verwaltung bei der dienstlichen Beurteilung gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat, ob sie anzuwendende Begriffe oder den rechtlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat.

  4. 4.

    Hinsichtlich der in einer dienstlichen Beurteilungen enthaltenen Werturteile ist nicht die Darlegung und der Beweis der zugrundeliegenden unbestimmten Fülle von Einzeltatsachen erforderlich, sondern solche Werturteile sind lediglich insoweit plausibel und nachvollziehbar zu machen, dass das Verwaltungsgericht sie im Rahmen der dargelegten Maßstäbe überprüfen kann.

  5. 5.

    Zwingende Folge einer landesweit einheitlichen Anwendung von Beurteilungsrichtlinien ist, dass sich das Durchschnittsniveau und die Anforderungen für die Vergabe aller Stufen des Gesamturteils nicht maßgeblich nach den individuellen Fähigkeiten des einzelnen Beamten richten, sondern sich an den Anforderungen des jeweiligen Amtes im statusrechtlichen Sinne orientieren.

  6. 6.

    Der Beurteilung der Leistungsmerkmale Arbeitstempo und Arbeitserfolg liegt wesentlich ein wertendes Element zugrunde, das einer Selbstbewertung durch den betroffenen Beamten vollständig entzogen und einer gerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfange zugänglich ist. Deshalb kommt es auf die Zahl der von ihm erledigten Verfahren nicht ausschlaggebend an.

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
hat durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Lichtenfeld,
die Richter am Verwaltungsgericht Dr. Rudolph und
Dr. Möller sowie
die ehrenamtlichen Richter Fahrendorff und
Herbold
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 1997
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Abänderung einer dienstlichen Beurteilung.

2

Die Klägerin wurde im August 1983 als Finanzanwärterin beim Finanzamt ... eingestellt. Im Juli 1986 bestand sie die Laufbahnprüfung für den gehobenen Dienst mit der Note "ausreichend" (7,79 Punkte) und wurde mit Wirkung vom 01.08.1986 zur Steuerinspektorin z. A. ernannt. Mit Wirkung vom 01.02.1989 erfolgte ihre Ernennung zur Steuerinspektorin, mit Wirkung vom 22.07.1990 die Verleihung der Eigenschaften einer Beamtin auf Lebenszeit. Zur Steueroberinspektorin wurde die Klägerin im Juli 1992 befördert. Nach ihrer Laufbahnprüfung war die Klägerin zunächst als Bearbeiterin für Rechtsbehelfe im Arbeitnehmerbereich des Finanzamtes Braunschweig-Wilhelmstraße tätig. Im Februar 1990 wurde sie auf eigenen Antrag an das Finanzamt ... versetzt; bei dieser Dienststelle wurde sie als Bearbeiterin für Rechtsbehelfe eingesetzt.

3

Zum 01. April 1990 wurde sie als Steuerinspektorin mit dem Gesamturteil "befriedigend" beurteilt. Ihre dienstliche Beurteilung als Steueroberinspektorin zum 01.10.1993 lautete ebenfalls auf das Gesamturteil "befriedigend". Diese vom Präsidenten der Oberfinanzdirektion (OFD) ... erstellte Beurteilung basierte auf dem Vorschlag des Vorstehers des Finanzamts ... als Dienstvorgesetztem der Klägerin nach Anhörung des zuständigen Sachgebietsleiters, der fachlicher Vorgesetzter der Klägerin im Beurteilungszeitraum war. Gegen die am 13.01.1994 eröffnete Beurteilung vom 30.12.1993 legte die Klägerin mit Schreiben vom 20.01.1994 Beschwerde ein, die die Beklagte mit Beschwerdebescheid vom 11.07.1994 zurückwies.

4

Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin im wesentlichen damit, daß sie im Beurteilungszeitraum quantitativ wie qualitativ Leistungen gezeigt habe, die über denjenigen der Inhaber vergleichbarer Dienstposten lägen. Nach ihrer Arbeitsplatzstatistik, welche eine der besten des Sachgebiets sei, habe sie in 718 Arbeitstagen 215 Klagen bearbeitet, 10 OFD-Vorlagen und 399 Stellungnahmen geschrieben sowie 903 Rechtsbehelfsverfahren abgeschlossen. Die Arbeitsleistung habe nicht nur einfache und gleichförmige Verfahren betroffen, sondern auch umfangreiche und schwierige Rechtsfragen bzw. Sachverhalte ebenso wie die selbständige Betreuung eines Klageverfahrens; die Tätigkeit sei statistisch nicht besonders dankbar gewesen. Ihr Sachgebietsleiter sei möglicherweise nicht vollständig über den Umfang ihrer Arbeiten informiert gewesen und deshalb teilweise von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Freiwillig habe sie zusätzliche Arbeit übernommen. Aus alledem folge eine überdurchschnittliche quantitative Leistung; die Einzelbewertungen in der Beurteilung gäben dies jedoch nicht wieder. Die hohen qualitativen Leistungen folgten aus der Komplexität der bearbeiteten Fälle sowie aus den Verfahrensergebnissen; teilweise seien Aufgaben eines weit höherwertigen Dienstpostens wahrgenommen worden. Eine Hebung des Gesamturteils liege nicht bereits darin, daß es nach der Beförderung beibehalten worden sei. Die Beurteilung gleiche der vorhergehenden fast wörtlich, obwohl sie auf eine andere Tätigkeit bei einem anderen Finanzamt bezogen sei. Der damalige Sachgebietsleiter habe erklärt, sie habe in der Rechtsbehelfsabteilung keine Zukunft; zweifelhaft sei deshalb, ob seine Stellungnahme vom 21.01.1994 wesentliche Grundlage der Beurteilung sein könne.

5

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.1995, zugestellt am 01.06.1995, zurück. Nicht die Zahl und Art der erledigten Rechtsbehelfe sei entscheidend, sondern vielmehr das Gesamtbild, welches die Beurteilungsgruppe aus den vorliegenden Informationen und Wertungen im Rahmen des landesweiten Leistungsvergleichs bilde. Die Stellungnahme eines direkten fachlichen Vorgesetzten sei dabei eine, nicht aber die allein entscheidende Wertungsgrundlage gewesen. Die Notwendigkeit des landesweiten Vergleichs aller Beamten/-innen der jeweiligen Besoldungsgruppe resultiere aus der Fürsorgepflicht, die zu einer gleichmäßigen Anwendung der Beurteilungskriterien verpflichtet. Mit dem Gesamturteil "befriedigend" werde die Leistungssteigerung der Klägerin nach ihrer Beförderung hinreichend dokumentiert und anerkannt. Die Leistung sei nicht derart gesteigert, daß der Klägerin als einziger Beamtin im OFD-Bezirk nach der Beförderung sofort ein besseres als das Gesamturteil der letzten Beurteilung im vorherigen Amt hätte zuerkannt werden können.

6

Am 19.06.1995 hat die Klägerin Klage erhoben.

7

Zur Begründung führt sie aus, das Beurteilungssystem der Beklagten sei rechtswidrig, soweit ein landesweiter Leistungsvergleich maßgebend das Gesamturteil bestimme. Die objektive individuelle Leistung werde vernachlässigt, überdurchschnittliche Leistungen bei einer Mehrheit der Beamten/-innen einer Besoldungsgruppe würden das Durchschnittsniveau soweit anheben können, daß Leistungen, die ansonsten als "vollbefriedigend" einzustufen wären, nur noch als durchschnittlich, also mit "befriedigend" beurteilt werden könnten. Das Beurteilungssystem stelle deshalb lediglich eine relative Reihe der Arbeitsergebnisse der einzelnen Beamten dar. Eine strikte numerische Leistungsrangfolge müsse nicht aufgestellt werden; wenn es - wie vorliegend - dennoch geschehe, widerspreche dies den Beurteilungsrichtlinien. Aussagekräftige Ergebnisse könne das Beurteilungssystem nicht erbringen, weil die tatsächlichen Anforderungen an die zu vergleichenden Dienstposten nicht gleich seien. Dies werde beim Dienstposten der Klägerin daran deutlich, daß von ihm auch höherwertige Tätigkeitsbereiche umfaßt gewesen seien. Die überdurchschnittlichen qualitativen und quantitativen Leistungen der Klägerin seien in der Beurteilung unzutreffend bewertet worden. Ihre durchschnittliche tägliche Erledigungsquote liege mit 1,26 Verfahren über dem Durchschnitt, der 1,18 Verfahren betrage. Ein von ihr bearbeiteter umfangreicher Fahndungsfall sei rechtlich und tatsächlich sehr schwierig gewesen und werde normalerweise auf höherwertigen Dienstposten wahrgenommen. Hiermit seien nicht einzelne Arbeitsleistungen angesprochen, sondern es komme eine Grundtendenz zum Ausdruck.

8

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Beschwerdebescheides vom 11.07.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.05.1995 zu verpflichten, für die Klägerin eine neue Beurteilung zum 01.10.1993 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erstellen.

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Sie verteidigt die angegriffenen Bescheide und trägt ergänzend vor, die Kammer habe das Beurteilungssystem mit Urteil vom 15.02.1995 für rechtmäßig befunden. Die Beurteilungsrichtlinien dieses Systems seien vorliegend eingehalten worden. Der beanstandete landesweite Vergleich habe sich nur insoweit ausgewirkt, als durch ihn das von ihren Vorgesetzten vorgeschlagene "befriedigende" Gesamturteil bestätigt worden sei. Die Einzelbewertungen hielten sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung. Die abgegebenen Werturteile seien hinreichend erläutert worden.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die dienstliche Beurteilung der Klägerin vom 30.12.1993 zum Stichtag 01.10.1993 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubeurteilung zum 01.10.1993, weil der Beschwerdebescheid der Beklagten vom 11.07.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.05.1995 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

13

Rechtsgrundlage der zum Stichtag 01.10.1993 erfolgten dienstlichen Beurteilung der Klägerin ist § 21 NBG i.V.m. § 40 NLVO. Nach der letztgenannten Vorschrift sind Eignung und Leistung der Beamten in regelmäßigen Zeitabständen zu beurteilen. Im übrigen bestimmen die obersten Dienstbehörden die Einzelheiten der Beurteilungen für den ihnen nachgeordneten Dienstbereich. Maßgeblich ist danach der Erlaß des Nds. MF vom 30.10.1989 über die Abgabe dienstlicher Beurteilungen über die Beamten/Beamtinnen der niedersächsischen Steuerverwaltung (Beurteilungsrichtlinien). Mit diesen Vorschriften steht die dienstliche Beurteilung vom 30.12.1993 im Einklang.

14

Dienstliche Beurteilungen können verwaltungsgerichtlich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Dabei ist zu beachten, daß der Dienstherr bei der Erstellung von Beurteilungsgrundsätzen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben kraft seiner Organisationsbefugnis Gestaltungsfreiheit hat. Ferner ist zu beachten, daß bei der Erstellung der einzelnen Beurteilungen dem Dienstherrn bzw. dem für ihn handelnden jeweiligen Beurteiler eine Beurteilungsermächtigung eingeräumt ist. Die maßgebliche Beurteilung darüber, wie die Leistungen eines Beamten einzuschätzen sind und ob und in welchem Grad der Beamte die für sein Amt und für seine Laufbahn erforderliche Eignung, Befähigung und fachliche Leistung (vgl. § 8 Abs. 1 NBG) aufweist, ist ein dem Dienstherrn von der Rechtsordnung vorbehaltener Akt wertender Erkenntnis. Dieses persönlichkeitsbedingte Werturteil kann durch Dritte nicht in vollem Umfang nachvollzogen oder gar ersetzt werden. Auch Selbstbeurteilungen des Beamten haben insoweit keine rechtliche Erheblichkeit. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich bei dienstlichen Beurteilungen darauf zu erstrecken, ob die Verwaltung bei der dienstlichen Beurteilung gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat, ob sie anzuwendende Begriffe oder den rechtlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat. Die einer dienstlichen Beurteilung eines Beamten zugrundeliegenden Tatsachen bedürfen dabei nur insoweit einer konkreten Darlegung und gerichtlichen Feststellung, als der Dienstherr historische Einzelvorgänge aus dem gesamten Verhalten ausdrücklich in der dienstlichen Beurteilung erwähnt oder die dienstliche Beurteilung bzw. einzelne in ihr enthaltene wertende Schlußfolgerungen - nach dem Gehalt der jeweiligen Aussage oder äußerlich erkennbar - auf bestimmte Tatsachen, insbesondere auf konkrete, aus dem Gesamtverhalten des Beurteilungszeitraums herausgelöste Einzelvorkommnisse stützt. Dagegen ist hinsichtlich der in den dienstlichen Beurteilungen enthaltenen (reinen) Werturteile nicht die Darlegung und der Beweis der zugrundeliegenden unbestimmten Fülle von Einzeltatsachen (Vorkommnisse, Verhaltensweisen und Erscheinungen) erforderlich, sondern solche Werturteile sind lediglich insoweit plausibel und nachvollziehbar zu machen, daß das Verwaltungsgericht sie im Rahmen der dargelegten Maßstäbe überprüfen kann (vgl. VGH BW, Urteil vom 22.07.1996 - 4 S 2464/94 -, S. 8 m.w.N.).

15

Die Kammer hält im Einklang mit dem Bundesverwaltungsgericht (Beschluß vom 17.03.1993 - 2 B 25.93 -, ZBR 1993, 245; Urteil vom 26.08.1993 - 2 C 37.91 -, DVBl. 1994, 112) an der vorstehend dargelegten Kontrolldichte auch im Hinblick auf die zur Kontrolle berufsbezogener Prüfungsentscheidungen ergangenen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 17.04.1991 (BVerfGE 84, 34 und 59) fest. Dies gründet sich in erster Linie darauf, daß die dienstliche Beurteilung eines Beamten ein Werturteil des Beurteilenden darüber zum Inhalt hat, ob der Beamte den im Einzelfall zu bestimmenden fachlichen und persönlichen Anforderungen des jeweiligen konkreten Amtes und der Laufbahn entspricht bzw. solche Anforderungen für ein Beförderungsamt erfüllt. Derartige Wertungen können nicht durch Dritte in vollem Umfang nachvollzogen oder gar ersetzt werden. Anderes kann nur dann gelten, wenn die dem Werturteil zugrundeliegenden Tatsachenfeststellungen zwischen den Beteiligten streitig sind, es also ausnahmsweise um die fachliche Richtigkeit oder Vertretbarkeit eines bestimmten Handelns des Beamten gehen sollte und der Beamte insoweit substantiierte Einwendungen gegen die anderslautende Auffassung seines Dienstherrn erhoben hat (vgl. BVerwG, Beschluß vom 17.03.1993, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 15.02.1995 - 3 A 3804/93 -, S. 6).

16

Unter Zugrundelegung des vorstehenden Prüfungsmaßstabes ist die Beurteilung der Klägerin zum 01.10.1993 nicht zu beanstanden. Die Beurteilung verstößt nicht gegen allgemeine Denksätze; auch liegt ihr kein unrichtiger Sachverhalt zugründe. Die unter dem Gliederungspunkt II als Grundlage der Beurteilung vom 30.12.1993 aufgeführten Einzelwertungen stehen nicht miteinander im Widerspruch. Die im Widerspruchsverfahren geäußerte Vermutung der Klägerin, ihr Sachgebietsleiter sei möglicherweise nicht vollständig über den Umfang ihrer Arbeiten informiert gewesen und könne deshalb teilweise von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sein, findet keine Bestätigung in den dienstlichen Äußerungen dieses Sachgebietsleiters vom 27.01.1994 und vom 30.12.1994 innerhalb der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

17

Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, daß bei der streitbefangenen Beurteilung der Klägerin allgemein gültige Wertmaßstäbe verletzt wären. Nicht zu beanstanden ist, daß die Beklagte aufgrund der Beurteilungsrichtlinien vom 30.10.1989 die Leistung und Befähigung der Klägerin mit denjenigen der übrigen Bediensteten der niedersächsischen Steuerverwaltung in der BesGr. A 10 (gD) verglichen (Ziffer I. 3) hat und die Beurteilung maßgeblich in der Beurteilungsgruppe (Ziffer IV. 1.2) vorbereitet worden ist, von der ausweislich Ziffer III. A der Beurteilung vom 30.12.1993 der fachvorgesetzte Sachgebietsleiter der Klägerin angehört worden ist. Die vorgesetzte Dienstbehörde hat aus ihrer Kompetenz zur Ausübung der Dienstaufsicht die Befugnis, die Einhaltung von Beurteilungsrichtlinien und eines einheitlichen Beurteilungsmaßstabes zu überwachen. Einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf es nicht. Die vorgesetzte Dienstbehörde kann sich unter anderem die Beurteilungen vorlegen lassen, Vergleiche anstellen und die Beurteilungen an die zuständigen Beurteiler zurückgeben, wenn die Überprüfung ergeben hat, daß den formalen Anforderungen nicht genügt oder der vorgesehene einheitliche Maßstab nicht angewendet worden ist (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 23.05.1995 - 5 L 3277/94 -, Nds. VBl. 1995, 231, 232). Erfahrungsgemäß besteht bei jedem Beurteilungssystem das Risiko, daß zu positive Beurteilungen eine mit den Beurteilungsrichtlinien nicht zu vereinbarende Einengung auf den oberen Bereich der Beurteilungsnoten bewirken. Die Beurteilungen können ihren Zweck, Personalentscheidungen vorzubereiten, jedoch nur dann erfüllen, wenn die vorgegebene Beurteilungsbreite ausgeschöpft wird. Wenn nicht zu beanstanden ist, daß zur Hebung des Aussagewertes von Beurteilungen und zur Koordination der Bewertungsmaßstäbe Richtwerte für die Vergabe der Beurteilungsgesamtnoten eingeführt werden können (vgl. Nds. OVG, a.a.O.), so ist auch nicht zu beanstanden, daß anstelle von Richtwerten eine Beurteilungskommission eingesetzt wird, deren vordringlichste Aufgabe es ist, für eine einheitliche Anwendung der Beurteilungsrichtlinien zu sorgen und der gehäuften Vergabe von Bestnoten entgegenzuwirken. Die Verfahrensweise ist nicht zu beanstanden, wenn - wie vorliegend der Fall - fachliche Vorgesetzte, welche die Arbeitsweise und -ergebnisse der zu beurteilenden Beamten genau einschätzen können, von dieser Beurteilungskommission angehört werden.

18

Zwingende Folge einer landesweit einheitlichen Anwendung der Beurteilungsrichtlinien ist, daß sich das Durchschnittsniveau und die Anforderungen für die Vergabe aller Stufen des Gesamturteils nicht maßgeblich nach den individuellen Fähigkeiten des einzelnen Beamten richten, sondern sich an den Anforderungen des jeweiligen Amtes im statusrechtlichen Sinne (vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 3. Aufl. 1994, Rn. 42) orientieren. Dies ist entgegen der Meinung der Klägerin nicht systemwidrig, sondern folgt im Gegenteil aus dem Sinn und wesentlichen Zweck des Beurteilungswesens (vgl. Ziffer I. 1 der Beurteilungsrichtlinien). Die Beurteilungen sollen Auswahlentscheidungen i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 NBG vorbereiten, bei denen die nach Eignung, Leistung und Befähigung besten Beamten/-innen für alle zu besetzenden Ämter und Dienstposten ausgewählt werden. Bereitet also die Beklagte beispielsweise eine Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 11 vor, hat sie Leistung, Eignung und Befähigung aller Bediensteten ihres Zuständigkeitsbereichs, welche die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen besitzen, in bezug auf das konkret zu besetzende Amt zu bewerten. Diese Aufgabe kann die Beklagte nur erfüllen, wenn die Beurteilungsergebnisse vergleichbar sind, was wiederum voraussetzt, daß ein einheitlicher und gleichmäßig angewandter Beurteilungsmaßstab angelegt wird. Allein gerecht wird daher dem Zweck der Beurteilung, wenn der/die zu beurteilende Beamte/-in mit seinen bzw. ihren individuellen Kenntnissen und Fertigkeiten an den für das Amt bestehenden Anforderungen gemessen wird. Dem trägt Ziffer I. 3 der Beurteilungsrichtlinien hinreichend Rechnung; zu der von der Klägerin befürchteten Verschiebung des Durchschnittsniveaus je nach Eignung, Befähigung und Leistung einer Mehrheit von Beamten/-innen einer Besoldungsgruppe kann es bereits deshalb nicht kommen, weil nicht die Leistungen einer Mehrheit von Individuen, sondern objektive Anforderungen an ein Amt als Maßstab dienen und sich diese nicht abhängig davon ändern, ob sie im konkreten Fall mehr oder weniger vollständig erfüllt werden. Deshalb ist auch nicht ungewöhnlich, sondern entspricht der Erfahrung, daß die erste Beurteilung in einem Beförderungsamt angesichts der gestiegenen Anforderungen strenger erfolgt (Nds. OVG, Urteil vom 23.05.1995, a.a.O., S. 233); da die Klägerin trotz ihrer Beförderung im Vergleich zu vorhergehenden eine weitestgehend gleichbleibende Beurteilung zum 01.10.1993 erhalten hat, ist der Beklagten zuzustimmen, daß damit eine Leistungssteigerung der Klägerin dokumentiert worden ist.

19

Ohne Erfolg bleiben auch die Einwände der Klägerin gegen die Beurteilung ihrer Arbeitsquantität und -qualität. Bei der Bewertung der Leistungsmerkmale Arbeitstempo und Arbeitserfolg sind Quantität und Qualität der Arbeitsleistung stets auch ins Verhältnis zu setzen mit der Art der zu erbringenden Arbeit, der Schwierigkeit der Fälle u. ä.; auch dies fällt jedoch wiederum in die Beurteilungsermächtigung der Vorgesetzten. Dementsprechend kommt für die Beurteilung des Leistungsmerkmals "Arbeitstempo" Erledigungsstatistiken keine ausschlaggebende Bedeutung in dem Sinne zu, daß derjenige Beamte, der statistisch mehr Fälle als andere Beamte erledigt hat, insoweit auch besser zu beurteilen sei. Dies würde voraussetzen, daß alle erledigten Fälle vom Umfang, Arbeitsaufwand und auch der vom Verhalten des Beamten unabhängigen Verfahrensdauer im wesentlichen identisch wären. Davon kann nicht ausgegangen werden; auch die Klägerin behauptet nicht, daß eine derartige Vergleichbarkeit zwischen der von ihr geleisteten Arbeit und derjenigen anderer Bediensteter bestehen würde. Damit liegt der Beurteilung der Leistungsmerkmale Arbeitstempo und Arbeitserfolg auch und ganz wesentlich ein wertendes Element zugrunde, das einer Selbstbewertung durch die Klägerin vollständig entzogen und einer gerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfange zugänglich ist. Deshalb kommt es auf die Zahl erledigter Verfahren nicht ausschlaggebend an (vgl. VGH BW, Urteil vom 22.07.1996 - 4 S 2464/94 -, S. 9).

20

Die Leistungsbewertung der Klägerin gründet sich auch weder in der dienstlichen Beurteilung zum 01.10.1993 noch in den die Änderung der Beurteilung ablehnenden Bescheiden auf konkrete, aus dem Gesamtverhalten im Beurteilungszeitraum herausgelöste Einzelvorkommnisse. Dies hat zur Folge, daß die Kammer von der Beklagten nicht fordern kann, daß sie zur Rechtfertigung ihrer dienstlichen Beurteilungen bestimmte Tatsachen in diesem Streitfall darlegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.1980 - 2 C 8.78 -, ZBR 1981, 195, 196). Den letztlich den Werturteilen in ihrem Ursprung zugrundeliegenden Tatsachenkomplex haben die Verwaltungsgerichte nicht zu ermitteln. Dieser ist in der zusammenfassenden und wertenden Beobachtung des oder der Beurteilenden verschmolzen und die einzelnen Tatsachen sind als solche nicht mehr in ihrer Gesamtheit feststellbar. Infolgedessen kommt auch eine Beweiserhebung nicht in Betracht (vgl. VGH BW, Urteil vom 22.07.1996, a.a.O., S.,9 f.). Soweit die Klägerin anführt, bei ihrer Arbeitsqualität und -quantität seien nicht einzelne Arbeitsleistungen angesprochen, sondern eine Grundtendenz, ändert dies nichts an der Gültigkeit der vorstehenden Ausführungen. Denn auch die angebliche Grundtendenz beruht auf einer von derjenigen der Beurteilenden abweichenden Wertung von Einzelergebnissen durch die Klägerin.

21

Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

22

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Lichtenfeld
Dr. Rudolph
Dr. Möller