Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 19.04.2017, Az.: S 62 KR 368/15

Erstattung von Kosten einer Auslandskrankenbehandlung als Notfallbehandlung; Erteilung der Zustimmung zur Kostenübernahme für die weitere Behandlung (hier: Folgen eines Zeckenbisses)

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
19.04.2017
Aktenzeichen
S 62 KR 368/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 25484
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - 21.09.2017 - AZ: L 16 KR 284/17

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 19. April 2017 wird zurückgewiesen Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten einer Auslandskrankenbehandlung und die künftige Übernahme solcher Kosten.

Der im Jahre 1977 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet an den Folgen eines Zeckenbisses, den er im Jahre 2003 erlitten hat.

In der Zeit vom 22. Dezember 2014 bis zum 16. Januar 2015 hielt sich der Kläger in E. auf und ließ sich dort ua medizinisch behandeln. Gegenüber der Beklagten beantragte er am 27. Januar 2015 die Erstattung entstandener Kosten in Höhe von umgerechnet 858,60 Euro. Er überreichte zahlreiche Rechnungen und trug erläuternd vor, seit über 10 Jahre unter Borreliose zu leiden, die in regelmäßigen Schüben ausbreche. Die Ärzte in Deutschland hätten nichts mehr für ihn tun können. Daher habe er sich entschieden, einen Arzt in der E. aufzusuchen. Er habe dort eine Behandlung erhalten, die ihn halbwegs schmerzfrei habe werden lassen. Ihm sei dabei nicht bewusst gewesen, dass er zuvor das Einverständnis der Beklagten einholen musste.

Mit Bescheid vom 11. April 2015 lehnte die Beklagte die Erstattung der Kosten ab. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der E. dürften gemäß bilateralem Abkommen nur Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden, die wegen des Gesundheitszustandes medizinisch sofort notwendig seien. Eine Kostenübernahme der in Anspruch genommenen Leistungen sei daher nicht möglich.

Der Kläger erhob Widerspruch und trug vor, dass er bereits seit 10 Jahren in Deutschland wegen der Folgen eines Zeckenbisses behandelt worden sei, ohne dass jedoch ein Erfolg erzielt werden konnte. Die Ärzte in Deutschland hätten offensichtlich keinen Rat mehr gewusst. In seiner Ausweglosigkeit habe er sich in die E. in Behandlung begeben. Es habe sich nunmehr eine Besserung des Gesundheitszustandes eingestellt. Im Wege des Ermessens seien die entstandenen Kosten zu erstatten.

Nach weiteren Erläuterungen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2015 als unbegründet zurück. Sie führte darin im Wesentlichen aus, dass eine Notfallbehandlung nicht gegeben sei und im Übrigen auch keine vorherige Zustimmung erteilt worden sei. Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Nach seiner Ansicht bestehe ein Kostenerstattungsanspruch aus § 18 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Es seien ihm keine weiteren Behandlungen in Deutschland mehr möglich bzw zumutbar gewesen. Die Ärzte hätten die bei ihm bestehende Borreliose nicht diagnostiziert. Stattdessen hätten sie ihn auf psychiatrische Behandlungen verwiesen. Erst in der E. sei die Borreliose ärztlich festgestellt worden. Aktuell erfolge eine Behandlung mit Medikamenten. Sein Gesundheitszustand habe sich bereits merklich gebessert. Nach seiner Ansicht sei unter den vorliegenden Umständen das Ermessen nach § 18 Abs 1 SGB V auf null reduziert.

Das SG hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen.

Mit Urteil vom 19. April 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Folgen eines Zeckenbisses, insbesondere Borreliose, seien im Inland gut behandelbar. Der Kläger habe auch nur Ärzte in unmittelbarer Wohnortnähe aufgesucht. Ein Facharzt, zB in F., G. oder H. habe er nicht konsultiert. Es könne daher seinem Vorbringen nicht gefolgt werden, wonach die Ärzte in Deutschland nichts für ihn hätten tun können. Darüber hinaus habe er es versäumt, vor der Inanspruchnahme der Leistung einen Kostenübernahmeantrag bei der Beklagten zu stellen.

Gegen das am 19. Mai 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Juni 2017 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein vorangegangenes Vorbringen. Das SG verkenne, dass er über einen Zeitraum von 10 Jahren bei verschiedenen Ärzten in seiner näheren Wohnumgebung versucht habe, sich nach dem Zeckenbiss behandeln zu lassen, ohne eine Besserung zu erfahren. Zwar sei eine Borreliose bzw Neuroborreliose diagnostiziert worden, jedoch sei er bezüglich der anhaltenden Schmerzen auf psychische Faktoren verwiesen worden. Zu berücksichtigen sei, dass er sich langjährig vergeblich um eine erfolgreiche Behandlung bemüht habe. Die Behandlungskosten von 858,60 Euro seien ebenfalls zu berücksichtigen. Er mache schließlich keine weiteren Kosten, wie Flugkosten usw geltend. Es wäre zudem reine Förmelei, von ihm einen vorherigen Antrag zu verlangen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts vom 19. April 2017, Az.: S 62 KR 368/15, sowie des Bescheides vom 11. März 2015, Az.:A 033164969-31002, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2015 zu verpflichten, dem Kläger die Kosten der Auslandsbehandlung in der Türkei von Dezember 2014 bis Januar 2015, in Höhe von 858,60 Euro zu erstatten und für die weitere Behandlung die Zustimmung zur Kostenübernahme zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und schließt sich den dort genannten Gründen an. Der Kläger habe auch nicht annähernd dargelegt, nach welcher konkreten Therapie, die in Deutschland angeblich nicht möglich sein solle, er in der Türkei angeblich erfolgreich behandelt wurde. Die Erstattungsforderung sei auch schon deshalb unbegründet, da der Kläger vor der Auslandsbehandlung keine Zustimmung eingeholt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben.

Entscheidungsgründe

Gemäß §§ 124 Abs 2, 155 Abs 1, 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) konnte das Gericht durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit diesem Verfahren einverstanden erklärt haben.

Die Berufung ist form- und fristgemäß erhoben und auch im Übrigen zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 19. April 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2015 sind rechtmäßig und halten der rechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung entstandener Kosten sowie die zukünftige Übernahme von Kosten für eine Auslandsbehandlung in der Türkei.

Das Begehren ist bereits unzulässig, soweit die zukünftige Übernahme von Kosten begehrt wird. Denn ein solches Begehren ist nicht Gegenstand der Verwaltungsentscheidungen der Beklagten. Es kann daher auch nicht vom Gericht überprüft werden. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Entscheidungen allein über den klägerischen Kostenerstattungsantrag entschieden und nicht etwa über mögliche künftige Behandlungen.

Der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung ist unbegründet. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse gem. § 18 Abs. 1 S 1 SGB V die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen.

§ 18 SGB V erweitert die Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung über die Grenzen des Bundesgebiets und des Geltungsbereichs des Rechts der europäischen Gemeinschaften sowie des europäischen Wirtschaftsraums hinaus. Den Krankenversicherungsträgern wird Ermessen für die Gewährung von Kostenerstattung für Leistungen eingeräumt, die außerhalb dieses Bereichs in Anspruch genommen werden. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Leistungen im Inland und EWR- und EU-Ausland nicht erbracht werden können.(Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 18 SGB V, Rn. 11).

Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der E. wurde ein bilaterales Abkommen getroffen. Es dürfen demnach nur Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden, die wegen des Gesundheitszustandes medizinisch sofort notwendig sind, da Leib und Seele des Patienten in Gefahr sind und nicht bis zur beabsichtigten Rückkehr nach Deutschland zurückgestellt werden können (vgl Abkommen zwischen BRD und der Republik Türkei über soziale Sicherheit vom 30. April 1964, BGBl 1965 II, S 1170 idF des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 BGBl 1972 II, S 2 und des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 BGBl 1975 II, S 374 und des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 BGBl II 1986, S 1040).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen ist auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass eine Borreliosebehandlung in Deutschland nicht möglich sei. Lediglich der subjektive Erfolg einer nicht näher spezifizierten Behandlung kann keinen Anspruch auf Kostenerstattung auslösen. Dass die Ärzte in Deutschland - nach dem Vorbringen des Klägers - nichts mehr für ihn tun konnten, mag ggf. dem Umstand geschuldet, dass er bisher keinerlei Fachärzte konsultiert hat und lediglich Ärzte in unmittelbarer Wohnortnähe aufgesucht hat. In keinem Falle kann der Kläger in Deutschland als erfolglos austherapiert gelten.

Zudem lag auch keine Notfallbehandlung vor, da die Behandlung der Folgen eines 10 Jahre zurückliegenden Zeckenbisses eine geplante Behandlung darstellen und kein unvermittelt aufgetretenes Akutereignis. Schließlich ist auch keine vorherige Zustimmung der Beklagten erteilt worden. Dies ist entgegen der Ansicht des Klägers auch keine Förmelei, sondern notwendige Grundvoraussetzung der Leistungsgewährung bei einer im Inland nicht erbringbaren Behandlung. Die vorherige Antragstellung hätte der Beklagten insbesondere die gebotenen Beratungsmöglichkeiten über weiterführende Behandlungen im Inland eröffnet.

Ergänzend verweist das Gericht gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und macht sich diese zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholung zu Eigen.

Mithin kann die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§ 160 Abs 2 SGG).