Landgericht Bückeburg
Urt. v. 06.06.2002, Az.: 1 O 71/01

Verkehrssicherungspflicht

Bibliographie

Gericht
LG Bückeburg
Datum
06.06.2002
Aktenzeichen
1 O 71/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43588
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. 

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.400 € abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheit kann durch unwiderrufliche Bürgschaft einer inländischen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank erbracht werden.

Der Streitwert wird auf 6.860,35 € (entspricht 13.417,67 DM) festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Beklagte war in den Jahren 1997/98 beauftragt, im Ortsteil Pohle der Samtgemeinde Rodenberg u.a. die Gartenstraße zu erneuern. Bis zu einem Baustopp im Dezember 1997 hatte sie den Gehweg vollständig fertiggestellt und die Fahrbahn bis einschließlich der Tragschicht. Es fehlte auf der Fahrbahn noch die Deckschicht, die eine Höhe von 2,5 - 3 cm hat. Diese ist erst im April 1998 eingebaut worden.

2

Die Klägerin behauptet, sie habe am 21.03.1998 zwecks Teilnahme an einer Feierlichkeit das Schützenhaus in Pohle, das an der Gartenstraße gelegen ist, aufgesucht. Sie sei erst bei Dunkelheit gegen 22.00 Uhr dort angekommen, so dass sie die örtlichen Verhältnisse nur unzureichend habe beobachten können. Gegen 23.00 Uhr habe sie das Schützenhaus verlassen, um eine Bekannte abzuholen. Dazu sei sie die Gartenstraße in Richtung Maienbeeke gegangen. Als sie auf dem Rückweg die Gartenstraße etwa in Höhe des Feuerwehrhauses gekreuzt habe, sei sie umgeknickt und habe sich verletzt. Zu dem Umknicken sei es deshalb gekommen, weil zwischen der gepflasterten Gosse und dem Straßenbelag wegen des Fehlens der obersten Bitumenschicht ein deutlicher Höhenunterschied vorhanden gewesen sei, den sie nicht bemerkt habe. Irgendwelche Hinweise auf das Vorhandensein einer Baustelle mit erheblichen Unebenheiten seien nirgends vorhanden gewesen.

3

Durch das Umknicken habe sie einen doppelten Bänderriss des rechten Knöchelgelenks erlitten. Wegen dieser Verletzung sei sie vom 21.03. bis 17.05.1998 arbeitsunfähig gewesen.

4

Wegen der Arbeitsunfähigkeit habe sie einen Verdienstausfall in Höhe von insgesamt 217,99 DM erlitten. Darüber hinaus seien ihr Fahrtkosten für die Fahrten ins Krankenhaus und zu Arztbesuchen in Höhe von insgesamt 199,68 DM entstanden.

5

Im Bereich des rechten Knöchels habe sie heute noch gelegentlich Schmerzen; sie müsse darüber hinaus damit rechnen, dass es in diesem Bereich zu einer frühzeitigen Arthrosenbildung komme.

6

Die Klägerin beantragt,

7

Die Beklagte zu verurteilen, 213,55 € (entspricht 417,67 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 14.07.1998 sowie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 14.07.1998 an sie zu zahlen.

8

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Unfall vom 21.03.1998 in der Gartenstraße in Pohle noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.

9

Die Beklagte beantragt,

10

          die Klage abzuweisen.

11

Sie bestreitet den Verletzungsvorgang und die Verletzungsfolgen mit Nichtwissen. Sie ist der Ansicht, dass ihr eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht vorgeworfen werden könne. Im Übrigen behauptet die Beklagte, dass die Baustelle „mit Bohlen abgesichert“ worden sei.

12

Die Kammer hat gemäß der Beweisanordnung vom 30.05.2001 (Bl. 40 d. A) und dem Beweisbeschlusse  vom 17.01.2002 (Bl. 78 d. A) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Uwe R. und Andreas M. sowie Einholung einer amtlichen Auskunft der Samtgemeinde Rodenberg. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 17.01.2002 (Bl. 65 - 70 d. A) sowie auf die Auskunft vom 21.03.2002 (Bl. 84 d. A) Bezug genommen.

13

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, insbesondere die von der Klägerin eingereichten Lichtbilder, die unstreitig den Straßenzustand zum Zeitpunkt des behaupteten Unfalls zeigen (Bl. 51/52 d. A), verwiesen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet, da die Verletzung, die die Klägerin bei dem Überqueren der Gartenstraße am 21.03.1998 erlitten hat, jedenfalls nicht auf eine mögliche Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen ist.

15

Die Kammer ist nach dem Ergebnis der im Termin vom 17.01.2002 durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin am 23.01.2002 beim Überqueren der Gartenstraße dadurch einen Unfall erlitten hat, dass sie mit dem rechten Fuß wegen des vorhandenen Höhenunterschieds zwischen der gepflasterten Gosse und der noch nicht vollständig fertiggestellten Fahrbahn umgeknickt ist. Dies ergibt sich in erster Linie aus der in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Darstellung des Unfallgeschehens durch die Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung gemäß § 141 ZPO i. V. m. der Aussage ihres Ehemannes, des Zeugen Uwe R.. Dieser Unfall, bei dem sich die Klägerin bedauerlicherweise nicht unerhebliche Verletzungen zugezogen hat, ist jedoch nicht auf eine etwaige Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte, sondern auf Unaufmerksamkeit der Klägerin selbst zurückzuführen. Dabei ist angesichts der von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder, die unstreitig den Straßenzustand zum Zeitpunkt des Unfalls wiedergeben, zunächst davon auszugehen, dass für jedermann, auch wenn er sich erstmals in den Bereich der Gartenstraße begibt und zu diesem Zeitpunkt bereits Dunkelheit herrscht, offenkundig und gut erkennbar ist, dass im Bereich der Gartenstraße Straßenbauarbeiten durchgeführt wurden, die danach noch nicht beendet waren. Der unfertige Zustand der Gartenstraße ist nach Einschätzung der Kammer selbst im Scheinwerferlicht eines Pkw bzw. im Licht der vorhandenen Straßenlampen  bei Dunkelheit zu erkennen. Dies gilt erst recht für einen Fußgänger, der sich - wie die Klägerin - zunächst auf dem auf dem Lichtbild 1 zu sehenden linken Gehweg in Richtung Maienbeeke bewegt und sodann die Gartenstraße auf dem Rückweg von dem auf dem Lichtbild zu erkennenden rechtsseitigen Gehweg in Höhe des dortigen Kreuzes die Straße zu überqueren beabsichtigt. Gerade an der Stelle, an der die Klägerin nach eigenem Bekunden die Straße überquert hat, ist der unfertige Zustand der Straße gut zu erkennen und zudem durch die gegenüber der Unfallstelle aufgestellte Straßenlampe, die nach der amtlichen Auskunft der Samtgemeinde Rodenberg am Unfalltag die ganze Nacht über im Betrieb war, gut ausgeleuchtet. Wenn nun die Klägerin trotz des gut erkennbaren unfertigen Zustands der Straße und der ausreichenden Ausleuchtung an der Unfallstelle ihren Fuß so unglücklich vom Gehweg auf die Fahrbahn setzt, dass sie auf dem Höhenunterschied zwischen der gemauerten Gosse und der unfertigen Fahrbahn, der nach der Aussage des Zeugen M. etwa 2,5 - 3 cm betrug, umknickt, ist dies allein auf fehlende Aufmerksamkeit und nicht auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zurückzuführen. Gerade angesichts der Offenkundigkeit des unfertigen Ausbauzustands der Straße wäre es für die Klägerin geboten gewesen, die Straße nur mit erhöhter Aufmerksamkeit zu überqueren und vor allem mit dem Vorhandensein von Unebenheiten gerade zwischen der gemauerten Gosse und der unfertigen Fahrbahn zu rechnen.

16

Im Übrigen sei ergänzend darauf hingewiesen, dass selbst die Klägerin nicht konkret vorgetragen hat, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte die vorhandene Baustelle so hätte absichern können, dass ein Unfall wie der ihrige vermieden worden wäre. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass angesichts des langen witterungsbedingten Stillstands der Baustelle, wie er von dem Zeugen M. überzeugend geschildert wurde, eine Absicherung der Fahrbahn gegen Fußgänger, die beim Überqueren der Fahrbahn möglicherweise unaufmerksam sein könnten, praktisch unmöglich ist. Auch das Aufstellen von Warnschildern erscheint für diesen Zweck nicht geeignet und im Übrigen auch nicht erforderlich, zumal für jeden halbwegs aufmerksamen Besucher der Gartenstraße und der anliegenden Grundstücke auch bei schlechten Sichtverhältnissen erkennbar ist, dass dort Straßenbauarbeiten durchgeführt wurden, die noch nicht vollendet sind.

17

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 Nr. 11, 711 ZPO.