Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.12.2009, Az.: 5 U 87/09
Formularmäßiger Ausschluss der Eintrittspflicht einer Versicherung bei schweren Krankheiten für Krebserkrankungen "in situ"
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.12.2009
- Aktenzeichen
- 5 U 87/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 47259
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:1210.5U87.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 20.05.2009 - AZ: 2 O 943/07
Rechtsgrundlagen
- § 305c Abs. 1 BGB
- § 305c Abs. 2 BGB
Fundstellen
- MDR 2010, 442-443
- VersR 2010, 752-753
Amtlicher Leitsatz
Wird bei einer für den Fall einer Krebserkrankung geschlossenen 'Versicherung bei schweren Krankheiten' in den AVB eine Versicherungsleistung für Carcinoma in situ ausgeschlossen, so ist diese Regelung weder überraschend noch unklar.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.05.2009 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Aurich wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 19.800 ? festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien schlossen im Dezember 2003 einen Vertrag über eine 'Versicherung bei schweren Krankheiten', wonach u.a. im Falle eines diagnostizierten Krebsleidens eine Einmalzahlung von 19.800 € erfolgen sollte. Im Versicherungsantrag wurde auf die Geltung der 'AVB Schwere Krankheiten VVA' verwiesen, im Versicherungsschein auf § 2 Ziffer 1 dieser AVB, welcher folgenden Wortlaut hat:
Krebs
Vorliegen eines histologisch nachgewiesenen malignen Tumors, der charakterisiert ist durch eigenständiges Wachstum, infiltrative Wachstumstendenz und Metastasierungstendenz. Unter den Begriff Krebs fallen auch die Tumorformen des Blutes, der blutbildenden Organe und des Lymphsystems. Ausgeschlossen sind alle Hautkrebserkrankungen, außer malignen Melanomen. Ausgeschlossen sind weiterhin Carcinoma in situ und Tumore bei gleichzeitig bestehender HIV-Infektion.
Im März 2007 wurde in der linken Brust der Klägerin ein duktales Carcinoma in situ entdeckt und operativ entfernt. Es folgte eine antihormonelle Therapie und eine Strahlentherapie.
Das Landgericht hat die auf Leistung der Einmalzahlung von 19.800 ? gerichtete Klage abgewiesen, weil die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Ziffer 1 AVB nicht bewiesen habe. Aus den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T... ergebe sich vielmehr, dass es sich bei dem bei der Klägerin vorliegenden Carcinoma in situ zwar um einen histologisch nachgewiesenen malignen Tumor mit eigenständigem Wachstum handele. Es fehle aber an der weiter vorausgesetzten Metastasierungstendenz, weil die Basalmembran noch nicht durchbrochen gewesen sei. Zwar bestehe auch bei scheinbar intakter Basalmembran ein sehr seltenes Risiko, dass es durch eine nicht nachweisbare Mikroinvasion zu einer Metastasierung komme. Hierfür hätten sich nach Auswertung der Screening-Aufnahmen und des histologischen Befundes bei der Klägerin aber keine Anhaltspunkte gefunden. Die von der Klägerin gegen die Wirksamkeit des Ausschlusses vorgebrachten Bedenken griffen nicht durch.
Mit ihrer Berufung vertieft die Klägerin ihre Auffassung, § 2 Ziffer 1 AVB verstoße gegen § 305 c Abs. 1 BGB. Die Beschränkung der unter den Begriff 'Krebs' fallenden Erkrankungen auf Tumore mit Metastasierungstendenz sei überraschend. Darüber hinaus sei § 2 Ziffer 1 Satz 4 unklar, denn die Klausel lasse zum einen die Auslegung zu, dass Carcinoma in situ generell ausgeschlossen seien. Zum anderen könne sie jedoch auch dahin verstanden werden, dass Carcinoma in situ nur bei gleichzeitig bestehender HIV-Infektion ausgeschlossen seien. Mithin sei gemäß § 305c Abs. 2 BGB von letzterer Auslegung als der für sie günstigeren auszugehen.
II.
Die Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf eine Versicherungsleistung zu.
1. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für eine Anwendung von § 305 c Abs. 2 BGB, wonach Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen, kein Raum. Voraussetzung hierfür wäre, dass nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden Zweifel bleiben und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (BGHZ 112, 65. NJW 07, 504). Hieran fehlt es.
Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 123, 83 und ständig) sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Grundsätzlich ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen, bei Fachbegriffen außerhalb des allgemeinen Sprachgebrauchs, z.B. aus der Medizin, jedoch davon abweichend regelmäßig auf die fachwissenschaftliche Bedeutung (Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 305c Rn. 16).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt keine objektive Mehrdeutigkeit vor.
Bei verständiger Würdigung wird der Versicherungsnehmer zunächst erkennen, dass nach der in Satz 1 der Klausel enthaltenen Definition nicht alle malignen Tumore vom Begriff 'Krebs' erfasst werden, sondern nur solche, die eine Metastasierungstendenz aufweisen, also die auch dem medizinischen Laien als besonders gefährlich geläufige Tendenz, aus dem Verband auszuwandern und sich in fremden Geweben, wie Knochen, Lunge oder Gehirn, anzusiedeln. Satz 2 stellt klar, dass auch die Tumorformen des Blutes, der blutbildenden Organe und des Lymphsystems unter den Begriff 'Krebs' fallen. Sodann folgen in den Sätzen 3 und 4 die Ausschlüsse. Nach Satz 3 sind alle Hautkrebserkrankungen außer malignen Melanomen ausgeschlossen. Nach Satz 4 sind ausgeschlossen 'weiterhin Carcinoma in situ und Tumore bei gleichzeitig bestehender HIV-Infektion'. Informiert sich der Versicherungsnehmer darüber, was sich hinter dem medizinischen Begriff Carcinoma in situ verbirgt, so wird er selbst bei oberflächlicher Recherche schnell zu der Erkenntnis kommen, dass es sich dabei um das Frühstadium eines Tumors ohne invasives Wachstum und ohne Metastasierungstendenz handelt, mithin um eine Tumorform, die nicht unter den Begriff 'Krebs' im Sinne von Satz 1 fällt.
Die von der Klägerin für denkbar gehaltene Auslegung, bei Nichtbestehen einer HIV-Infektion reiche ein Carcinoma in situ zum Nachweis einer schweren Krankheit aus, kommt bei verständiger Würdigung nicht ernsthaft in Betracht. Rein grammatikalisch betrachtet ist es zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich der Passus 'bei gleichzeitig bestehender HIV-Infektion' auf beide vorangehenden durch ein 'und' verknüpften Substantive beziehen. Bei der gebotenen objektiven Betrachtung ergibt sich aber aus dem Sinnzusammenhang zwanglos, dass sich der in Satz 4 enthaltene Ausschluss des Versicherungsschutzes 'bei gleichzeitig bestehender HIV-Infektion' nur auf in Satz 1 generell eingeschlossene Tumore bezieht, was bei Carcinoma in situ nicht der Fall ist. Deren Erwähnung in Satz 4 dient erkennbar nur der Klarstellung, um Auseinandersetzungen in diesen zahlenmäßig nicht unbedeutenden Fällen zu vermeiden.
2) Ohne Erfolg rügt die Klägerin auch, dass die beanstandete Klausel überraschend und damit nach § 305 c Abs. 1 BGB unwirksam sei. Überraschenden Charakter im Sinne dieser Vorschrift hat eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen dann, wenn sie von den Erwartungen des Versicherungsnehmers deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht, der Klausel mithin ein Überrumpelungseffekt innewohnt (BGH NJWRR 2004, 780, 781. 1397, 1398), was sich regelmäßig unter Anlegung eines generellen Maßstabs nach der Erkenntnismöglichkeit des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden richtet (BGH, NJW 1995, 2637, 2638).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Klägerin durfte nach Lage der Dinge bei Vertragsabschluss nicht darauf vertrauen, gegen Erkrankungen jeglicher Art versichert zu sein, die in der Laiensprache als 'Krebs' bezeichnet werden. Sie kann sich deshalb nicht erfolgreich darauf berufen, sie habe nicht damit rechnen müssen, dass das Kleingedruckte ihre Erkrankung mangels Metastasierungstendenz vom Versicherungsschutz ausschließt.
Wie bereits das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, können Verträge der streitgegenständlichen Art über den Ein oder Ausschluss bestimmter Krankheiten ohne die genaue Definition der jeweiligen Krankheiten überhaupt nicht sinnvoll ausgestaltet werden. Insbesondere kann für die Bestimmung des konkreten Versicherungsumfangs nicht etwa auf den allgemeinen Sprachgebrauch abgestellt werden, sondern zur sachgerechten Beurteilung ist es erforderlich, auf die jeweils maßgebliche Definition im medizinischen Sinn zurückzugreifen. Dies muss umso mehr gelten, als der medizinische Laie regelmäßig nur recht vage Vorstellungen über die jeweilig betroffenen Krankheitsbilder haben dürfte. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird daher von vornherein damit rechnen, dass sich in den AVB zunächst als primäre Leistungsbegrenzung die Definitionen der Krankheiten finden, für die das Leistungsversprechen des Versicherers grundsätzlich gelten soll. Ebenso wird er damit rechnen, dass sich als sekundäre Risikobegrenzung Ausschlüsse für bestimmte Konstellationen finden, wie es auch hier der Fall ist. Auf die Geltung der AVB 'Schwere Krankheiten VVA', die die Klägerin vor Antragstellung erhalten hat, ist bereits im Antragsformular hingewiesen worden. Im Versicherungsschein wird für die Krankheit 'Krebs' ausdrücklich auf § 2 Ziffer 1 AVB hingewiesen. Die AVB sind übersichtlich aufgebaut. Bereits in § 2 finden sich unübersehbar die Definitionen der vom Versicherungsschutz erfassten Krankheiten. Von einer überraschenden Klausel kann nach alledem keine Rede sein. Anhaltspunkte dafür, dass hier etwa der Gang der Vertragsverhandlungen eine andere Erwartungshaltung gerechtfertigt hätte, sind nicht vorgetragen.
III.
Da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordert, war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.