Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 02.12.2009, Az.: 1 U 74/08

Abgrenzung von Altgläubigern und Neugläubigern i.R.e. Insolvenzverfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
02.12.2009
Aktenzeichen
1 U 74/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 36737
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2009:1202.1U74.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - AZ: 6 O 115/06

Fundstelle

  • GWR 2010, 170

Redaktioneller Leitsatz

Einem Gläubiger einer in Insolvenz gefallenen GmbH steht auch dann ein Anspruch auf Ersatz des vollen in der Geschäftsbeziehung mit der späteren Insolvenzschuldnerin entstandenen Schadens zu, wenn er zwar vor Eintritt der Insolvenzreife bereits in Geschäftsbeziehungen zu der Insolvenzschuldnerin stand, insbesondere Verträge geschlossen hat, jedoch erst nach Eintritt der Insolvenzreife ungesicherte Vorleistungen erbracht hat.

In dem Rechtsstreit

H... M... B.V., vertreten durch den Geschäftsführer P.... S..., H... H... ..., ... ... ... R...,

Klägerin, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte T... W... Partnergesellschaft, ... S... ..., ... H...,

gegen

1. B... .... R... T... ..., ... E...,

Beklagter, Berufungsbeklagter und Berufungskläger,

Prozessbevollmächtigte:

a) Rechtsanwälte T... & D..., G.... ..., ... O...,

b) Rechtsanwälte S....L..., A.... ..., ... O...,

2. J... W... G..., S... ..., ... E...,

Beklagter, Berufungsbeklagter und Berufungskläger,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Dr. B... und Partner, R... ..., ... E...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 19.10.2009 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin und des Beklagten zu 1) wird das Urteil der 6. Zivilkammer - 1. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Aurich unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel sowie des Rechtsmittels des Beklagten zu 2) teilweise geändert und insgesamt neu gefasst.

Die Klage gegen den Beklagten zu 1) wird abgewiesen.

Die Klage gegen den Beklagten zu 2) ist hinsichtlich des Hauptantrages dem Grunde nach zu 100 % gerechtfertigt.

Zur Entscheidung über die Höhe des Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten zu 2) wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Klägerin trägt die dem Beklagten zu 1) in beiden Instanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten

Die Entscheidung über die übrigen Kosten des Verfahrens wird dem Landgericht übertragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten für den Beklagten zu 1) vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt wegen unbezahlt gebliebener Lieferungen an die später insolvente G... GmbH (im Folgenden: G...) deren Geschäftsführer, den Beklagten zu 2), und deren Alleingesellschafter, den Beklagten zu 1), in Anspruch.

2

Die G... beschäftigte sich mit der Entwicklung von Regal- und Fördersystemen, die auf Ideen und Patenten des Beklagten zu 2) beruhten. Diese Systeme stellten nach Auffassung aller Beteiligten eine moderne und zukunftsweisende Technik dar. Ende 2004/Anfang 2005 hatte die G... nur ihr erstes und seinerzeit einziges Projekt in der physischen Umsetzung. Hierbei handelte es sich um das Lagersystem für ein Kühlhaus in Utrecht/NL der Firma v... Die Klägerin war Vorlieferantin/Zuliefererin für das System.

3

Den Lieferungen der Klägerin lagen drei Aufträge der G... (vom 7.12. und zweimal vom 8.12.2004) zugrunde. Für jeden Auftrag waren zwei Abschlagszahlungen und eine Schlusszahlung vereinbart. Die jeweils erste Abschlagszahlung für alle drei Aufträge erbrachte die G... am 25.1.2005 (Gesamtsumme: rund 231.000 €).

4

Die Fa. v... hatte zu diesem Zeitpunkt die an die G... für den gesamten Auftrag zu erbringenden Zahlungen vollständig geleistet.

5

Zahlungen nach dem 25.1.2005, auch an andere Gläubiger, hat die G ...nicht mehr erbracht.

6

Etwa zu dieser Zeit stand die G... mit der Fa. H... Polska in Vertragsverhandlungen wegen einer in Polen zu erstellenden Regal- und Förderanlage.

7

In der Nacht vom 2. zum 3. Februar 2005 stürzte der Beklagte zu 2) von einer Kellertreppe und zog sich ein Schädeltrauma mit Gehirnblutungen zu. Er befand sich deshalb etwa drei Wochen im örtlichen Krankenhaus und unterzog sich anschließend einer dreiwöchigen stationären Reha-Maßnahme.

8

Noch am 3. Februar 2005 unterzeichnete der Beklagte zu 2) im Krankenhaus die Verträge mit der Fa. H... Polska. Diese Verträge verpflichteten die Auftraggeberin zu einer Abschlagszahlung von 40 % nach Auftragserteilung. Eine Absicherung der Abschlagszahlung war in den Verträgen nicht angesprochen.

9

Durch den Krankenhausaufenthalt des Beklagten zu 2), der nicht nur Geschäftsführer der G..., sondern auch der geistige Vater des Regalsystems war, kam es bei der G... zu erheblichen Problemen. Neben dem Zeugen E..., der bei der G... als Honorarkraft eingestellt war, kümmerte sich auch der Zeuge A... um die Geschäfte der G.... Der Zeuge war seinerzeit Angestellter in der Unternehmensberatung des Beklagten zu 1).

10

Der Geschäftsführer der Klägerin fuhr gemeinsam mit dem Zeugen S... (als Vertreter der anderen Lieferanten) am 11.2.2005 in die Geschäftsräume der G..., um sich nach dem Unfall des Beklagten zu 2)über die Zukunft des Projekts v... zu informieren. Dort trafen sie den Zeugen A... an. Später kam auch der Beklagte zu 1) hinzu. Weitere Gespräche -ebenfalls unter Beteiligung des Beklagten zu 1)- fanden am 18.2.2005 und 3.3.2005 in E... statt. Der Inhalt dieser Gespräche ist zwischen den Parteien streitig.

11

Anfang März 2005 nahm die Klägerin ihre Lieferungen an die G... auf.

12

Unter dem 11.3.2005 teilte die H... Polska mit, dass sie nur gegen Stellung einer Sicherheit zu der vereinbarten Abschlagszahlung bereit sei.

13

Schließlich kam es am 23.3.2005 zu einem weiteren Gespräch über die Zukunft des Projektes v..., dessen Finanzierung und die Bezahlung der Lieferanten. Dieses Gespräch fand in U... statt. An ihm nahmen unter anderem der Beklagte zu 1, der Geschäftsführer der Klägerin, der Bauherr und weitere Personen teil.

14

Für ihre bis zum 13.4.2005 vertragsgemäß und vollständig erbrachten Leistungen stellte die Klägerin, soweit in zweiter Instanz noch von Interesse, 735.910,88 € in Rechnung, die sie nicht mehr erhielt.

15

Mitte April 2006 hat die G... durch den Beklagte zu 2) einen Antrag auf Eröffnung eines (zur Zeit noch anhängigen) Insolvenzverfahrens gestellt (253 IN 37/06 - AG Dortmund).

16

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 1) persönlich habe ihr die Bezahlung ihrer Leistungen garantiert und sie nur dadurch zu einer weiteren Belieferung der G... veranlasst. Zum anderen sei er nach dem Unfall des Beklagten zu 2) als faktischer Geschäftsführer der G... aufgetreten. Er habe die Geschäfte in die Hand genommen, die Lieferanten zur weiteren Mitarbeit aufgefordert und ihnen versichert, dass sie ihr Geld bekämen, wenn sie nur "bei der Stange" blieben. Dabei habe er die Zahlungsunfähigkeit der G... gekannt, zumindest aber kennen müssen. Deshalb sei er verpflichtet gewesen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Hätte er dies getan, so wäre sie gewarnt gewesen und hätte ein Zurückbehaltungsrecht an ihren ab Anfang März 2005 erbrachten Leistungen geltend gemacht. Dann wäre sie nicht mit ihren in diesem Verfahren eingeklagten Forderungen ausgefallen.

17

Auch der Beklagte zu 2) als berufener Geschäftsführer der G... sei verpflichtet gewesen, spätestens im Februar 2005 Insolvenzantrag zu stellen. Seine Erkrankung sei, wie insbesondere die Unterzeichnung der H...-Verträge am 3.2.2005 zeige, nicht so schwer gewesen, dass er nicht handlungsfähig gewesen sei.

18

Der Beklagte zu 1) hat bestritten, als faktischer Geschäftsführer tätig geworden zu sein. Er habe zwar die Beteiligten am Projekt v... zum Durchhalten und Weitermachen animiert. In der schwierigen Zeit nach dem Unfall des Beklagten zu 2) habe er sich als besorgter (Allein-)Gesellschafter für die GmbH interessiert und engagiert, sei aber nicht über seine Rolle und seine Aufgaben als Gesellschafter hinausgegangen. Die Leitung der Geschäfte und des Projekts v... habe auf Seiten der G... durchgängig weiterhin dem Beklagten zu 2) oblegen; einzelne Funktionen seien vorübergehend mit Hilfe eigener oder externer Mitarbeiter (E..., A...) ausgefüllt worden.

19

Der Beklagte zu 2) hat gemeint, ihm falle aufgrund seines Treppensturzes und der gesundheitlichen Folgebeeinträchtigungen kein Verschulden an einer eventuell verspäteten Insolvenzantragstellung zur Last.

20

Beide Beklagten sind der Meinung, dass die Klägerin als sog. Altgläubigerin zu behandeln sei und deshalb allenfalls den Ersatz des Quotenschadens fordern könne. Zudem habe sich die Klägerin Leistungen aus einer Warenkreditversicherung in unstreitig in Anspruch genommener Höhe von 160.000 € schadensmindernd anrechnen zu lassen.

21

Das Landgericht hat durch Vernehmung von Zeugen Beweis erhoben und durch Grundurteil die Klage gegen beide Beklagten zu 50 % für gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beklagte zu 2) hafte wegen der im Januar 2005 für ihn als Geschäftsführer erkennbaren Krise der G..., weil er nach von vornherein untauglichen Versuchen einer Sanierung und Fortführung der GmbH innerhalb der gesetzlich eingeräumten dreiwöchigen Prüfungsfrist des § 64 Abs. 1 GmbHG keinen Insolvenzantrag gestellt habe.

22

Neben dem eingesetzten Geschäftsführer hafte auch der Beklagte zu 1). Es sei zwar nicht bewiesen, dass er gegenüber den Lieferanten eine verbindliche persönliche Garantieerklärung abgegeben habe. Andererseits hafte er den Gläubigern/innen jedoch als faktischer Geschäftsführer, der auch den Regeln des § 64 GmbHG a.F. unterworfen sei. Der Beklagte zu 1) habe nach dem krankheitsbedingten Ausfall des ordentlichen Geschäftsführers eine Rolle übernommen, die aus der Sicht der von ihm angesprochenen Lieferanten sich als Ankündigung derÜbernahme eines wenigstens mitbestimmenden Einflusses auf die G... dargestellt habe. Er habe sich sowohl unternehmensintern als auch nach außen hin durch sein engagiertes Auftreten, die Ankündigung positiver wirtschaftlicher Entwicklungen der G..., die Aufforderungen an die Lieferanten, am Projekt v... festzuhalten, und den Hinweis, der G... werde es gelingen, zahlungsfähig zu bleiben, als maßgeblicher Leiter des Unternehmens der G... präsentiert. Zu Lasten der Klägerin ist das Landgericht von einem hälftigen Mitverschulden ausgegangen, weil sich die Klägerin bzw. ihr Geschäftsführer in der damaligen Situation nicht allein auf die Erklärungen und Versprechungen des Beklagten zu 1) hätten verlassen dürfen.

23

In rechtlicher Hinsicht hat das Landgericht die Klägerin mit Blick auf ihre nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit an die G... erbrachten Leistungen der Gruppe der "Neugläubiger" zugeordnet. Denn ihre Leistungen seien zu einem Zeitpunkt erbracht worden, als die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der G... erkennbar gewesen seien und die Leistungen hätten zurückbehalten werden können.

24

Der Höhe nach sei der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif, weil erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und der Feststellung der Insolvenzquote feststehe, in welchem Umfang die Klägerin ausfalle bzw. ihre Kreditversicherung eintrete.

25

Wegen der Einzelheiten wird nach § 540 Abs. 1 ZPO auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

26

Gegen dieses Urteil haben alle Parteien Berufung eingelegt.

27

Die Klägerin geht nach wie vor von einer Haftung des Beklagten zu 1) wegen Abgabe einer persönlichen Garantie aus.

28

Weiterhin beanstandet sie, dass das Landgericht nach der Feststellung einer Haftung beider Beklagten wegen Verschleppung des Insolvenzantrags aus § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. lediglich von einer Haftung zu 50 % wegen Mitverschuldens der Klägerin ausgegangen ist. Selbst wenn die wirtschaftliche Situation der G... der Klägerin hätte bekannt gewesen sein müssen, stünde dem die positive Kenntnis der Beklagten gegenüber; dann sei für ein Mitverschulden der Klägerin kein Raum.

29

Bei einer Haftung auf den Neugläubigerschaden hätte das Landgericht auch abschließend entscheiden müssen. Die Entscheidungsbeschränkung auf den Grund der Haftung sei nicht gerechtfertigt. Eine Insolvenzquote sei vom Neugläubigerschaden nicht abzuziehen. Der Klägerin zugeflossene Zahlungen aus einer Warenkreditversicherung in Höhe von 160.000 € (= versicherte Entschädigungssumme von 200.000 € abzgl. 20% Selbstbehalt) seien nicht anzurechnen, weil sie als Substrat privater Vermögensvorsorge allein dem Geschädigten zugute kommen sollten.

30

Die Klägerin beantragt,

31

das Grundurteil des Landgerichts Aurich vom 04.06.2008 zu ändern und die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner der Klägerin 735.910,88 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.02.2006 zu zahlen,

32

hilfsweise die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner der Klägerin 735.910,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.02.2006 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung eines erstrangigen Teilbetrages der klägerischen Insolvenzforderung in Höhe von 735.910,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz vom 21.01.2005 bis zum 11.09.2006, eingetragen unter der lfd. Nr. 36 der Insolvenztabelle in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der G... Gesellschaft für Anlagentechnik und kommerzielle Dienstleistungen mbH (Amtsgericht Dortmund - 253 IN 37/06) und

33

gleichzeitig festzustellen, dass sich die Beklagten bezüglich der Abtretung der in Ziff. 1 näher bezeichneten Insolvenzforderung in Annahmeverzug befinden;

34

weiterhin hilfsweise Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

35

Der Beklagten beantragen,

36

das Grundurteil des Landgerichts Aurich vom 04.06.2008 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen

37

Im Übrigen beantragen die Parteien,

38

das gegnerische Rechtsmittel zurückzuweisen.

39

Der Beklagte zu 1) wendet ein, das Landgericht habe seine Rolle im Bereich der G... vor dem Hintergrund der Anfang 2005 aufgetretenen finanziellen Schwierigkeiten unzutreffend interpretiert. Sein Interesse an der G... sei nur durch seine Gesellschafterstellung begründet gewesen. Zur Wahrung dieser Interessen habe er seine Erfahrung und seine Überzeugungskraft in die Verhandlungen mit den Lieferanten eingebracht. Er habe jedoch zu keinem Zeitpunkt die Geschäftsführung an sich gezogen und in diesem Bereich auch keine Entscheidungen für die G... getroffen. Im Gegenteil habe er umgehend nach dem Treppensturz des Geschäftsführers G... nach personellen Alternativen gesucht und von den Herren E... und A... Hilfestellung erhalten. Überdies habe er stets Kontakt zu dem erkrankten Geschäftsführer G... gehabt, der sich auch im Krankenhaus über die geschäftlichen Vorgänge habe informieren lassen, geschäftliche Besprechungen abgehalten und Entscheidungen für die Gesellschaft getroffen habe.

40

Der Beklagte zu 2) hält auch eine nur hälftige Mithaftung für unangemessen, weil der Klägerin sowie den anderen am Projekt v... Beteiligten die wirtschaftlichen Probleme der G... offenbart worden seien, die Klägerin sich gleichwohl weiter beteiligt und ihre geschuldeten Vorleistungen ungesichert erbracht habe.

41

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Niederschriften vom 20.8.2009 (Bl. III/94 ff) und vom 19.10.2009 (Bl. III/147 ff).

42

II. Die Berufung des Beklagten zu 1) ist begründet und führt zur Abweisung der gegen ihn gerichteten Schadensersatzklage. Die auf eine volle Haftung des Beklagten zu 1) abzielende Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

43

Die Berufung des Beklagten zu 2) ist unbegründet. Im Verhältnis zu der Klägerin haftet der Beklagte zu 2 dem Grunde nach zu 100 %. Die auf diesen Haftungsumfang gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolgreich und führt auf den Antrag der Klägerin zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Durchführung des Betragsverfahrens.

44

1. a) Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 2) wegen verspäteter Insolvenzantragstellung ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

45

Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ergibt sich aus§ 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. Der Beklagte zu 2) hat es als Geschäftsführer der G... schuldhaft versäumt, rechtzeitig für die erkennbar zahlungsunfähig gewordene und jedenfalls ab dem 11.03.2005 insolvenzreife G.... einen Insolvenzantrag zu stellen, und hat dadurch in zurechenbarer Weise einen Grund dafür gesetzt, dass die Klägerin aufgrund des Vertrages mit der G... für das Projekt v... noch nach dem 11.03.2005 Lieferungen und sonstige Leistungen erbrachte, für die sie infolge der Insolvenz der G... keine Gegenleistungen mehr erlangt hat. Bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung hätte die Klägerin hingegen nach §§ 320, 322 BGB ihre Leistungen zurückhalten können, hätte dies - wie nach der Lebenserfahrung anzunehmen ist - auch sicher getan und dadurch den Schaden vermieden, der sich aus dem Wert der nach dem 11.3.2005 erbrachten Lieferungen und sonstigen Leistungen ergibt bei nicht zu realisierenden Vergütungsansprüchen.

46

(1) Nach § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (vgl. nunmehr § 15a InsO) haben die Geschäftsführer einer GmbH, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig wird (Entsprechendes gilt für den Fall derÜberschuldung), ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen.

47

Diese Verpflichtung hat der Beklagten zu 2) als Alleingeschäftsführer der G... schuldhaft verletzt.

48

Der Senat geht davon aus, dass die Insolvenzreife der G... wegen Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO objektiv Ende Januar 2005 eingetreten war und dass dies für einen durchschnittlich qualifizierten und sorgfältig arbeitenden Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt auch erkennbar war.

49

Denn die G... hatte unstreitig nach dem 25.01.2005 keine Verbindlichkeiten mehr gegenüber Dritten getilgt. Die Ursache dafür war, dass sie dazu mangels hinreichender Liquidität nicht in der Lage war. Dies steht nach der persönlichen Anhörung des Beklagten zu 2) und dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu diesem Punkt mit hinreichender Sicherheit zur Überzeugung des Senats fest.

50

Der Beklagte zu 2) hat in erster Instanz selbst vorgetragen, dass die "Klägerin in Kenntnis der Tatsache, dass die G... nicht über die notwendigen Mittel zur Zahlung verfügte, geliefert hat" und "die letzte Zahlung" an die Klägerin am 25. Januar erfolgte". Dass nach dem 25. Januar 2005 keine Zahlungen der G... mehr an ihre Gläubiger erfolgten, obwohl erhebliche Zahlungsansprüche der Gläubiger fällig waren und offen standen (vgl. die Aufstellung der Klägerin in der Klageschrift Bl. 8 ff), ist sogar unstreitig.

51

Die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit oder einer mindestens unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt wird weiterhin gestützt durch die Aussage des Zeugen E.... Dieser hatte - entsprechend seiner Bekundung als Zeuge - nach dem Unfall des Beklagten zu 2) die Geschäftsunterlagen gesichtet und festgestellt, dass um die Jahreswende 2004/2005 bei dem Projekt v... eine Lücke von rd. 150.000€ bestand und dieses Defizit in der Folgezeit ständig gewachsen war.

52

Der persönlich vom Senat angehörte Beklagte zu 2) vermochte sich - nach Hinweis auf seine prozessuale Darlegungslast - zu der Liquiditätsentwicklung vor seinem Unfall nicht konkret zu erinnern. Seine Darstellung, er sei lediglich von einer Zahlungsstockung ausgegangen, ist vor den zuvor dargestellten Umständen und insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach dem 25. Januar 2005 Zahlungen von der G... nicht mehr geleistet wurden, nicht recht nachvollziehbar.

53

Die Einstellung der Zahlungen Ende Januar begründete nach§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit.

54

Danach hätte unter Berücksichtigung der in § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. genannten Frist von 3 Wochen spätestens bis Ende der 3. Februarwoche eine Sanierungsmöglichkeit bzw. eine Lösung für die Liquiditätsprobleme gefunden oder Insolvenzantrag gestellt werden müssen.

55

Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass Anfang Februar 2005 und damit innerhalb der genannten Frist eine Vereinbarung mit der Fa. H... Polska geschlossen worden war und danach die G... entsprechende Vorauszahlungen in erheblicher Höhe erwarten konnte, die die Liquiditätsprobleme beseitigt hätten.

56

Die Anhörung des Beklagten zu 2) und auch die Beweisaufnahme im Übrigen haben ergeben, dass die große Hoffnung aller Beteiligten sowohl auf Seiten der G... als auch auf Seiten der Lieferanten, insbesondere auch bei der Klägerin, darin bestand, dass das von der G... als sicher erwartete Geschäft mit der Fa. H... Polska liquide Mittel von mehreren Millionen € (zwischen 3,4 und 4,7 Mio €) in die Kasse der G... bringen und dadurch das als "Liquiditätsengpass" empfundene Kapitalproblem der G... beseitigen würde.

57

Die versprochene Vorauszahlung und den Willen, dass sie das beworbene Geschäft mit der G... durchführen wollte, bestätigte die Fa. H... Polska noch in ihrem Faxschreiben vom 11.03.2005.

58

Vor diesem Hintergrund bestand nicht nur aus der subjektiven Sicht der damaligen Geschäftsführung der G... die Vorstellung, dass das Liquiditätsproblem in absehbarer Zeit beseitigt sein würde. Diese Vorstellung war auch aus der hier maßgeblichen Sicht eines informierten objektiven Dritten zunächst realistisch.

59

Daraus folgt zugleich, dass der Beklagte zu 2) seinerzeit von einem alsbaldigen Mittelzufluss ausgehen und daher auch von der sofortigen Stellung eines Insolvenzantrags absehen durfte.

60

Diese Situation änderte sich jedoch entscheidend nach Eingang des Faxschreibens der Fa. H... Polska vom 11.3.2005. In diesem Schreiben verlangte die Fa. H... Polska eine Absicherung der von ihr zu erbringenden Vorauszahlungen, die die G... aufgrund ihrer Vermögenslage nicht erbringen konnte.

61

Ob dieses Verlangen der Fa. H... Polska berechtigt war, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls war damit klar, dass die G... wegen der fehlenden Möglichkeit, die geforderte Absicherung erbringen zu können, auf absehbare Zeit keine entsprechenden Vorauszahlungen seitens der Fa. H... Polska zu erwarten hatte und solche Zahlungen allenfalls nach langwierigen, ggf. gerichtlichen Auseinandersetzungen erlangen konnte. Die nicht erfüllbare nachträgliche Forderung der Fa. H... Polska nach einer von der G... nicht leistbaren Finanzabsicherung der avisierten "Vorauszahlung" bedeutete ein Scheitern des gesamten "Polen-Geschäfts". Zugleich drohten wegen fehlender Alternativen zur Beschaffung liquider Mittel massive negative Auswirkungen auf das "v... Projekt". Die einzige vorhandene Chance der G..., in absehbarer Zeit die finanziellen Mittel für die Wiederaufnahme der Zahlungen zu erlangen, hatte sich damit zerschlagen.

62

Im Endergebnis war ab Eingang des Faxschreibens vom 11.03.2005 die Überlegungszeit des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. hinfällig geworden, weil es unstreitig keine Ausgleichsmöglichkeiten mehr gab. Die oben genannte 3-Wochen-Frist war nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Ende Januar/Anfang Februar 2005 auch bereits längst verstrichen.

63

Danach hätte spätestens am 12.3.2005 vom Geschäftsführer der G... Insolvenzantrag gestellt werden müssen. Dies hat der Beklagte zu 2) jedoch versäumt.

64

(2) Es ist auch von einer schuldhaften Verzögerung bzw. einem schuldhaften Unterlassen der Insolvenzantragstellung seitens des Beklagten zu 2) auszugehen.

65

Die hier für die Insolvenzantragspflicht relevanten, oben dargestellten Umstände waren objektiv erkennbar, hätten mithin auch von einem mit der gebotenen Sorgfalt handelnden Geschäftsführer erkannt werden und ihn veranlassen müssen, jedenfalls nach dem 11.3.2005 den erforderlichen Insolvenzantrag zu stellen.

66

Mit der zutreffenden Rechtsprechung des BGH ist davon auszugehen, dass bei objektiver Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit und der Insolvenzreife - wie sie hier gegeben ist - das entsprechende Verschulden des Geschäftsführer vermutet wird und es dessen Sache ist, sich entsprechend zu entlasten (vgl. BGH NJW 1994, 2149, 2150; NJW 2000, 668 [BGH 29.11.1999 - II ZR 273/98]; NJW 2001, 304 [BGH 11.09.2000 - II ZR 370/99]; ZIP 2007, 676, 677 [BGH 05.02.2007 - II ZR 234/05]; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 16. Aufl., Anh. Zu § 64, Rn. 28, 44; 17. Aufl., Anh. Zu § 64 Rn. 70, m.w.N.). Dies ist hier dem Beklagten zu 2 nicht gelungen.

67

Im Gegenteil spricht alles für ein entsprechendes Verschulden des Beklagten zu 2) zumindest in der Form fahrlässigen Handelns.

68

Dass bereits vor seinem Unfall Zahlungen seitens der G... nicht mehr geleistet worden sind und geleistet werden konnten, kann dem Beklagten zu 2) nicht entgangen sein. In der Zeit nach dem 25.1.2005, als Zahlungen nicht mehr geleistet wurden, musste ein pflichtgemäß agierender Geschäftsführer an der Stelle des Beklagten zu 2 die wirtschaftliche Situation und Entwicklung der G... aufmerksam beobachten; insbesondere musste er den Lauf der dem Geschäftsführer nach § 64 Abs.1 GmbHG a.F. zugebilligten dreiwöchigen Prüfungs- und Überlegungsfrist zur Entscheidung über die Fortsetzung der Geschäfte oder der Einleitung des Insolvenzverfahrens beachten und sein Handeln darauf ausrichten.

69

Der Zeuge E... hatte überdies den Beklagten zu 2 auf dessen eigenen Wunsch in der zweiten Woche nach dem Unfall vom 2.2.2005 über die wirtschaftliche Lage und insbesondere über das mit 150.000 € festgestellte und darüber hinaus ständig wachsende Defizit aus dem Projekt "v..." informiert.

70

Die Erwartungen zum Zustandekommen des Geschäfts mit der Fa. H... Polska und zu den avisierten Vorauszahlungen durch die polnische Vertragspartei beruhten auf eigenen Erkenntnissen des Beklagten zu 2, weil er persönlich in die Vertragsverhandlungen eingebunden war.

71

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Beklagte zu 2) wegen seines schweren Unfalls vom 2.2.2005 daran gehindert war, die notwendigen Erkenntnisse zu gewinnen und die notwendigen Entscheidungen zu treffen.

72

Die grundlegende wirtschaftliche Ausgangslage und die nach dem 25.1.2005 anzunehmende Unfähigkeit der G..., ins Gewicht fallende Zahlungen zu leisten, mussten dem Beklagte zu 2) bereits vor dem Unfall bekannt gewesen sein. Dass der Beklagte zu 2) innerhalb der 3-Wochen-Frist und jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs des Faxschreibens am 11.3.2009 wieder handlungsfähig war, dafür sprechen die Aktivitäten des Beklagten zu 2).

73

So hat der Beklagte zu 2) bereits am 03.02.2005, dem Tag nach seinem Unfall, den (allerdings fertig vorbereiteten) Generalunternehmervertrag mit der Fa. H... Polska unterzeichnet. Und bereits am 28.02.2005 meldete sich der Beklagte zu 2) schriftlich bei der Fa. H... Polska und verwies auf seine Zuständigkeit als Geschäftsführer für künftige Projekte. Dies belegt, dass der Beklagte zu 2) nach seinem eigenen Handeln, auch wenn er noch nicht wieder seine volle Leistungsfähigkeit zurück erlangt haben sollte, jedenfalls das für existentielle geschäftliche Entscheidungen notwendige Bewusstsein hatte und bereits wieder geschäftliche Aktivitäten entfalten konnte. Der Beklagte zu 2) wäre zumindest in der Lage gewesen, einen Mitarbeiter der G... oder notfalls einen externen Sachkundigen mit einer Prüfung und Beobachtung der wirtschaftlichen Situation zu beauftragen und dann auch einen entsprechenden Auftrag sowie eine Vollmacht zu erteilen, Insolvenzantrag zu stellen. Dazu wäre der Beklagte zu 2) bei eigener Verhinderung auch verpflichtet gewesen.

74

(3) Die schuldhafte Unterlassung der Insolvenzantragstellung unter Verstoß gegen § 64 Abs.1 GmbHG a.F. begründet einen deliktischen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs.2 BGB gegen den Beklagten zu 2).

75

Die Regelung über die Insolvenzantragstellung durch die Geschäftsführer in § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.stellt ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gläubiger der Gesellschaft dar (vgl. BGHZ 29, 100, 102; 138, 211, 214; Baumbach/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl., § 64 GmbHG Rn. 90). Denn die Insolvenzantragspflicht dient auch dem Schutz der Gläubiger der GmbH, die etwa davor bewahrt werden sollen, mit einer insolvenzreifen Gesellschaft noch Geschäfte zu machen, und die bei bereits bestehenden Vertragsbeziehungen zur Gesellschaft vor einer tatsächlichen (weiteren) Verschlechterung ihrer Rechtsposition gegenüber der Gesellschaft geschützt werden sollen.

76

(4) Der Schadensersatzanspruch der Klägerin geht dahin, vermögensmäßig so gestellt zu werden, wie sie bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags gestanden hätte. Dann hätte sie jedenfalls ab dem 12.3.2005 die noch ausstehenden Lieferungen nach §§ 321, 322 BGB verweigern und von der Zahlung der vereinbarten Vergütung abhängig machen können. Es ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin dann als im Geschäftsverkehr stehendes Unternehmen das allein wirtschaftlich Vernünftige getan und von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und nach Insolvenzantrag nicht weiter an die G... geleistet hätte.

77

Hätte die Klägerin von dem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, dann hätte auch der Insolvenzverwalter in dem späteren Insolvenzverfahren bei beiderseits noch nicht vollständig erfülltem Vertrag nach § 103 Abs. 1 InsO nur die noch ausstehenden Lieferungen mit Erfolg verlangen können, wenn er anstelle des Insolvenzschuldners den Vertrag ebenfalls erfüllt hätte, d.h. die entsprechende Vergütung gezahlt hätte. Ansonsten wäre die Klägerin nicht zu weiteren Leistungen verpflichtet gewesen und hätte nach Erfüllungsverweigerung des Insolvenzverwalters noch einen zur Insolvenztabelle anzumeldenden Anspruch wegen der Nichterfüllung gehabt (vgl. § 103 InsO). Die Klägerin hätte dann die nach dem 12.3.2005 erbrachten Lieferungen und Leistungen und mithin den darin liegenden Wert behalten, den sie anderweitig hätte realisieren können, während sie nunmehr die entsprechenden Lieferungen und Leistungen erbracht hat, sich damit ihr Vermögen um deren Wert vermindert hat, während sie keinen entsprechenden Vermögenszufluss in der Form der Vergütung erlangt hat.

78

In dieser Differenz zwischen der bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung anzunehmenden Vermögenslage bei der Klägerin und der nunmehr tatsächlichen Vermögenslage liegt der ersatzfähige Schaden der Klägerin.

79

(5) Diesen Schaden kann die Klägerin vom Beklagten zu 2) wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht ersetzt verlangen.

80

Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Rspr. des BGH zwischen Neugläubigern, die erst nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers in Vertragsbeziehungen zur GmbH getreten sind und ihre Forderungen gegen die GmbH erworben haben, und Altgläubigern zu unterscheiden ist, die bereits im Zeitpunkt der erforderlichen Insolvenzantragstellung die entsprechende Forderung gegen die Gesellschaft hatten. Lediglich die Neugläubiger sollen einen Anspruch auf Ersatz ihres Schadens haben, der daraus resultiert, dass sie nach eingetretener Insolvenzreife noch in Vertragsbeziehungen zum Insolvenzschuldner getreten sind. Ihr Schadensersatzanspruch geht auf das negative Interesse, d.h. sie sind so zu stellen, wie sie ohne die nach Insolvenzreife begründete Rechtsbeziehung zum Insolvenzschuldner gestanden hätten; dieser Anspruch kann von den Insolvenzgläubigern außerhalb des Insolvenzverfahrens gegen den Geschäftsführer geltend gemacht werden. Den Altgläubigern wird demgegenüber lediglich ein Anspruch auf Ersatz des Quotenschadens zugebilligt, der sich daraus ergibt, dass infolge der pflichtwidrigen Verzögerung der Insolvenzantragstellung seitens des Geschäftsführers sich die vom jeweiligen Altgläubiger zu erlangende Insolvenzquote verschlechtert hat. Dieser Quotenschaden kann nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nur als einheitlicher Gesamtgläubigerschaden gemäß § 92 InsO allein von dem Insolvenzverwalter gegenüber dem Geschäftsführer geltend gemacht werden (vgl. zu den dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen BGHZ 126, 181, 190 ff; 138, 211, 214; BGH ZIP 2007, 676, 677 [BGH 05.02.2007 - II ZR 234/05]; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, § 64 GmbHG Rn. 92 f.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek GmbHG, 17. Aufl, Anh. zu § 64 GmbHG Rn. 72 ff.).

81

Zu der hier vorliegenden Fallgestaltung, für die kennzeichnend ist, dass vor Eintritt der Insolvenzreife bereits die relevanten Verträge zwischen dem Insolvenzgläubiger und der Gesellschaft geschlossen worden sind, der Gläubiger jedoch noch nach dem Vertrag die Möglichkeit gehabt hätte, nach Insolvenzreife seine Leistung zu verweigern und damit die Entstehung des Schadens zu vermeiden, er das jedoch in Unkenntnis der Insolvenzreife und im Vertrauen auf eine spätere Vertragserfüllung des Insolvenzschuldners nicht tut, liegen bisher Entscheidungen des BGH nicht vor. Entsprechend dem Schutzzweck der Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers, wie er auch vom BGH zugrunde gelegt wird, und nach den allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen, wie sie oben angewandt worden sind, ist es konsequent und in der Sache zwingend, eine Fallgestaltung der hier vorliegenden Art wie einen Neugläubigerfall zu behandeln (ebenso OLG Celle NZG 2002, 730; zustimmend Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, Anh. zu § 64 GmbHG Rn. 72; so auch Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, § 64 GmbHG Rn. 92, allerdings mit grundsätzlichen Bedenken gegen das Konzept der Rspr.).

82

Der hier relevante Schutzzweck der Verpflichtung des Geschäftsführers zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung besteht darin, konkursreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds möglichst schnell vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder in ihren Vermögensinteressen gefährdet werden (BGHZ 126, 181, 194). Insbesondere geht es auch darum, durch die rechtzeitige Insolvenzantragstellung zu verhindern, dass von der Finanzkrise nichts ahnende Geschäftspartner im Rahmen von aufgenommenen Rechtsbeziehungen der insolvenzreifen GmbH Kredit gewähren, etwa auch in der Form einer Vorleistung, und dann in der Insolvenz ausfallen (vgl. BGHZ 128, 181, 192).

83

Dieser Schutzzweck gebietet es, dass mögliche Insolvenzgläubiger einer insolvenzreifen Gesellschaft nicht nur vor einem Vertragsschluss mit der Gesellschaft bewahrt werden, der zunächst nur zu einer Vermögensgefährdung führt, sondern vor allem auch vor einer als Vorleistung ausgeführten Warenlieferung, die in Unkenntnis der Insolvenzreife und des Leistungsverweigerungsrechts aus § 321 BGB erbracht wird und beim Insolvenzgläubiger wegen der nicht mehr zu erlangenden Gegenleistung den eigentlichen Schaden erst herbeiführt. Durch den Vertragsschluss werden zunächst nur entsprechende Vertragspflichten begründet, der Insolvenzgläubiger kann jedoch seine Leistung noch nach § 321 BGB zurückhalten und von der vereinbarten Gegenleistung abhängig machen. Diese Möglichkeit der Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts besteht insbesondere bei Insolvenzreife des anderen Teils (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 68 Aufl., § 321 BGB, Rn. 5). Der eigentliche Schaden tritt danach - wie bereits ausgeführt - bei entsprechender Vorleistung des Insolvenzgläubigers und nicht mehr zu realisierender Gegenleistung ein. Gerade dieser Schaden soll jedoch durch die rechtzeitige Insolvenzantragstellung vermieden werden.

84

Vor der Erbringung der eigenen Leistung hat der Insolvenzgläubiger aufgrund des Leistungsverweigerungsrechts noch alles in der Hand, um einen entsprechenden Vermögensschaden abzuwenden. Insoweit ist für ihn die Situation vergleichbar mit dem Stadium vor einem Vertragsschluss. In beiden Situationen kann der Geschäftsführer der insolventen GmbH ihn durch Erfüllung seiner Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung vor einem entsprechenden Schaden noch bewahren. Seine Situation unterscheidet sich hier grundlegend von der Lage eines typischen Altgläubigers, dessen Interessen bei Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft lediglich dahin gehen, dass durch rechtzeitige Insolvenzantragstellung verhindert wird, dass noch weitere Gläubiger hinzutreten, die noch vorhandene Masse alsbald einer ordnungsgemäßen Insolvenzabwicklung unterzogen und nicht weiter verwirtschaftet wird und sich damit für seine ausstehende Forderung die noch zu erwartende Insolvenzquote nicht weiter vermindert. Die Interessenlage bei der hier vorliegenden Fallgestaltung spricht danach eindeutig dafür, hier die in der Rspr. entwickelten Grundsätze für sog. Neugläubiger anzuwenden.

85

Auch in ähnlich gelagerten Fällen, in denen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch keine Insolvenzlage vorlag, nach deren Eintritt jedoch die maßgebenden zur Schädigung des Gläubigers führenden Handlungen vorgenommen wurden, die bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung vermeidbar waren, geht die Tendenz der Rspr. dahin, die für die Behandlung von Neugläubigern geltenden Grundsätze heranzuziehen (vgl z.B. für den Zeitpunkt eines Darlehensrückzahlungsanspruchs OLG Saarbrücken NZG 2001, 414, 415; für die Erhöhung eines Kontokorrentkredits BGH GmbHR 2007, 482 [BGH 05.02.2007 - II ZR 234/05]). Nach Rspr. des BGH (WM 2008, 456, 457 [BGH 18.12.2007 - VI ZR 231/06]) soll es etwa im Kontokorrent für die Abgrenzung auf die tatsächliche Inanspruchnahme des Kredits und nicht auf den Abschluss der Kontokorrentabrede ankommen (vgl. ferner für den Fall von Änderungen in Dauerschuldverhältnissen durch Erhöhung des Kreditvolumens: GK-GmbH/Caspar, § 64 GmbHG Rn. 121; Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl., § 64 GmbHG Rn. 123).

86

Schließlich sprechen insbesondere auch die allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätze dafür, dem Insolvenzgläubiger, der bereits vorher in Vertragsbeziehungen zur Gesellschaft getreten ist, aber erst nach Eintritt der Insolvenzreife durch entsprechende Lieferungen vorgeleistet hat und bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung davon abgehalten worden wäre, nicht nur einen auf den Quotenschaden beschränkten Schadensersatz zuzubilligen. Der bei ihm eingetretene Vermögensschaden besteht eben nicht allein darin, dass durch Zeitverzögerung bei der Insolvenzantragstellung und Verzögerung der Insolvenzabwicklung sich für ihn eventuell eine geringere Quote für seinen Vergütungsanspruch ergibt. Der wesentliche Schaden liegt für ihn vielmehr darin, dass er infolge der verspäteten Insolvenzantragstellung noch zu Vorleistungen veranlasst worden ist und bei pflichtgemäßem Handeln des Geschäftsführers seine Vorleistung und der darin liegende Vermögensverlust ganz vermieden worden wären. Nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen ist dann aber der darin liegende, konkret zu erfassende Vermögensschaden auszugleichen.

87

Dieser Schaden wird schließlich vom Schutzzweck der (auch) dem Schutz potentieller Insolvenzgläubiger dienenden Insolvenzantragspflicht aus § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. erfasst.

88

Der von der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist nach alledem für die nach dem 11.3.2005 erbrachten Lieferungen und Leistungen dem Grunde nach gerechtfertigt. Der Anspruch ist insoweit auch nicht auf den Ersatz eines Quotenschadens beschränkt, der im vorliegenden Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden müsste.

89

b) Entgegen der Annahme des Landgerichts scheidet ein ins Gewicht fallendes, zu einer Quotierung führendes Mitverschulden der Klägerin aus.

90

Zwar kommt ein Mitverschulden bei einem Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. grundsätzlich in Betracht, etwa wenn für den Insolvenzgläubiger Umstände erkennbar waren, die einen Schaden durch Vertragsschluss mit der Insolvenzschuldnerin bzw. bei einer Erbringung der eigenen Leistung nahe legten und dafür sprachen, wegen der sich aufdrängenden Risiken vernünftigerweise zum Schutz der eigenen Vermögensinteressen davon abzusehen (vgl. BGHZ 128, 181, 200).

91

Entgegen der Annahme des Landgerichts kann hier jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Geschäftsführer der Klägerinüber die abstrakte Erkennbarkeit des Risikos der Vorleistung hinaus rechtzeitig die desolate Vermögenslage der G... und die damit verbundenen besonderen Risiken bewusst waren und er sich darüber in einer im Vergleich zum Verschulden des Beklagten zu 2) ins Gewicht fallenden erheblichen Nachlässigkeit in eigenen Angelegenheiten hinweggesetzt hat.

92

Die Beweisaufnahme vor dem Senat hat eindrucksvoll ergeben, dass die auf Seiten der G... beteiligten Personen erheblich auf die Lieferanten eingewirkt hatten, um diese "bei der Stange" zu halten. Die Einwirkungen beruhten überwiegend auf dem (legitimen) Bemühen, die Aussichten für ein Gelingen des Projekts "v..." günstig erscheinen zu lassen. Ebenso deutlich wurde, dass diese Einwirkung bei dem Geschäftsführer S... der Klägerin als der Hauptlieferantin besonders intensiv erfolgte.

93

Das schließt es zwar nicht von vornherein aus, dem Geschäftsführer der Klägerin den Vorwurf der Vernachlässigung eigener Interessen zu machen. Der Geschäftsführer der Klägerin ist ein erfahrener Kaufmann und kennt im Zweifel die typischen geschäftlichen Risiken. Es fehlt jedoch an tauglichen Anknüpfungspunkten, die einen ins Gewicht fallenden Mitverschuldensvorwurf rechtfertigen könnten. Allein das von allen Beteiligten gewünschte Festhalten an einer Beteiligung an dem Projekt v.... kann der Klägerin bzw. ihrem Geschäftsführer trotz aufgetretener Schwierigkeiten nicht zu einem haftungsrelevanten Vorwurf gemacht werden. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Geschäftsführer der Klägerin sich in irgendeinem Sachzusammenhang besonders vertrauensseelig oder leichtgläubig verhalten hätte. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, dass ursprünglich alle Beteiligten vom Erfolg des Projekts v... überzeugt waren und der Glaube daran auch noch längere Zeit nach dem Scheitern der "Polen-Verträge" vorhanden war.

94

Für den Vorwurf eines ins Gewicht fallenden Mitverschuldens des Geschäftsführers S... oder einer sonstigen Person der Klägerin gibt der Sachverhalt insgesamt keine hinreichenden Anhaltspunkte.

95

Überdies müsste ein allenfalls in Betracht kommendes Mitverschulden von geringem, eher unterdurchschnittlichem Gewicht hinter dem Verschulden des Beklagten zu 2) zurücktreten, der als damaliger Geschäftsführer ein klares und eindeutig besseres Bild von der wirtschaftlichen Situation der G... hatte als die Klägerin oder sich ein solches Bild zumindest verschaffen konnte, aber dennoch trotz eindeutiger Zahlungsunfähigkeit schuldhaft den notwendigen Insolvenzantrag hinausgeschoben hatte.

96

In diesem Zusammenhang ist überdies zu berücksichtigen, dass die Geschäftsführung der G... unter Mithilfe des Alleingesellschafters R... gerade in der kritischen Zeit nach dem Scheitern der "Polen-Verträge" Durchhalteparolen ausgegeben und damit versucht hatte, die Lieferanten trotz der Liquiditätsprobleme der G... zum Weitermachen anzuhalten. Unter diesen Umständen wäre es verfehlt und unbillig, wenn dem Beklagte zu 2), der den deutlich besseren Einblick hatte und als damaliger Geschäftsführer der G... mit um Vertrauen bei den Lieferanten geworben hatte, unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens eine Schadensquotierung gegenüber demjenigen zugute käme, der ihm damals geglaubt und vertraut hatte.

97

Der Ersatzanspruch der Klägerin ist auch nicht um die auf sie entfallende Insolvenzquote zu kürzen. Nach zutreffender Rspr. des BGH (BGHZ 171, 46 = DStR 2007, 728-731; ZIP 2009, 1220 [BGH 27.04.2009 - II ZR 253/07] Tz 21) ist statt einer solchen Kürzung des Schadensersatzanspruchs dem Geschäftsführer entsprechend § 255 BGB die Abtretung des entsprechenden Anspruchs auf die Insolvenzquote zuzugestehen. Insoweit kommt die entsprechende Abtretung Zug um Zug gegen Erfüllung des Schadensersatzanspruchs in Betracht. Diese Zug-um-Zug-Verknüpfung schließt den Erlass eines Grundurteils nicht aus, sie ist im Betragsverfahren zu berücksichtigen (vgl. BGHZ 111, 394, 400; Zöller/Vollkommer ZPO, 27.Aufl., § 304 ZPO RN 9).

98

c) Zur genauen Höhe des danach im vorliegenden Fall der Klägerin zu ersetzenden Schadens bedarf es noch weiterer und wohl auch umfangreicher Sachaufklärung, die das Landgericht wegen der zunächst getroffenen Entscheidung durch Grundurteil noch nicht vorgenommen hat und nicht vornehmen musste. Das Landgericht wollte die weitere Klärung des Sachverhalts erst nach Abschluss des Verfahrens über das Grundurteil vornehmen.

99

Unter diesen Umständen erscheint es sachgerecht, dass der Senat die erstinstanzlich (folgerichtig) unterbliebene Sachaufklärung nicht selbst im Rahmen des Berufungsverfahrens vornimmt, sondern dies dem Landgericht überlässt und die Sache aufgrund des hilfsweise gestellten Antrags nach § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückverweist.

100

Im Rahmen des Schadensersatzes ist die Klägerin - wie bereits oben ausgeführt - vermögensmäßig so zu stellen, wie sie gestanden hätte, wenn der Beklagte zu 2 als Geschäftsführer der G... den Insolvenzantrag nicht verzögert, sondern rechtzeitig gestellt hätte.

101

Auch zur Frage der Anrechenbarkeit der Leistungen der von der Klägerin abgeschlossenen und offenbar auch erfolgreich auf Zahlung von 160.000 € in Anspruch genommenen Warenkreditversicherung könnte eine weitere Sachaufklärung zur Frage der Gestaltung des Versicherungsvertrags erforderlich werden (vgl. OLG Schleswig NJOZ 2005, 300; Kolhosser in Pröllss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 187 Rn. 6;Versicherungsrecht-Handbuch - Hermann, 2. Aufl., 2008, § 39 IV, V), was das Landgericht zu prüfen und zu entscheiden haben wird.

102

2. Die gegen den Beklagten zu 1) gerichtete Schadensersatzklage ist insgesamt unbegründet und auf seine Berufung abzuweisen.

103

a) Die Klägerin hat die Voraussetzungen eines vertraglichen Anspruchs aufgrund eines Schuldbeitritts des Beklagten zu 1) oder auf Grund einer selbständigen Garantieerklärung nicht bewiesen.

104

Sowohl ein Schuldbeitritt als auch ein Garantievertrag für fremde Schuld begründen die Haftung eines am Schuldverhältnis zunächst nicht beteiligten Dritten. Für den Nachweis eines entsprechenden Rechtsbindungswillens sind eindeutige ausdrückliche oder konkludente Erklärungen erforderlich. Wie schon in der Beweisaufnahme beim Landgericht sind Anhaltspunkte für eine solche Erklärung auch in der Beweisaufnahme vor dem Senat nicht zu Tage getreten. Eine ausdrückliche Erklärung des Beklagten zu 1) ist von keinem der Zeugen bestätigt worden. Im Gegenteil hat der von der Klägerin benannte Zeuge E... bei seiner Vernehmung vor dem Senat ausgesagt, der Beklagte zu 1) habe den Vorschlag seiner Gesprächspartner bei dem Treffen am 23.3.2005 in den Niederlanden, R... oder seine Frau sollten zur Überwindung der Finanzkrise doch eine Bürgschaft übernehmen, brüsk zurückgewiesen. Dies ist ein sehr deutliches Indiz, dass der Beklagte nicht einmal mittelbar für die Schulden der G... aufkommen wollte. Angesichts dieser eindeutigen Erklärung des Beklagten zu 1) sind an den Nachweis eines davon abweichenden, konkludent erklärten Willens zum Schuldbeitritt oder zur Garantieübernahme hohe Anforderungen zu stellen. Diese Anforderungen hat die Klägerin nicht erfüllt. Keiner der Zeugen hat auch nur ansatzweise Verhaltensweisen oder Erklärungen des Beklagten zu 1) berichtet, die aus Sicht eines redlichen Empfängers den Schluss zuließen, der Beklagte R... habe eine persönliche Haftungübernehmen wollen.

105

b) Auch eine Haftung des Beklagen zu 1) auf quasi-vertraglicher Grundlage aus den §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB scheidet aus. Eine solche Haftung wäre in Betracht zu ziehen, wenn der Beklagte R... besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hätte im Hinblick auf die Erfüllung von Lieferantenverbindlichkeiten und ihn -auch wenn er selbst nicht unmittelbar Vertragspartner war- wegen des geschaffenen besonderen Vertrauenstatbestandes nach §§ 241 Abs. 1, 311 Abs. 3 S. 2 BGB quasivertragliche Prüfungs- und Aufklärungspflichten hinsichtlich der Erfüllbarkeit der Lieferantenverbindlichkeiten trafen, die er schuldhaft verletzt hat.

106

Die Klägerin hat jedoch nicht bewiesen, dass der Beklagte R... tatsächlich einen solchen Tatbestand besonderen Vertrauens hinsichtlich der Erfüllung der Lieferantenverbindlichkeiten gesetzt hat. Der Zeuge W... hat bekundet, der Beklagte R..., der sehr bestimmend aufgetreten sei, habe erklärt, das Geld für die Lieferanten werde "irgendwie" kommen. Etwas konkreter hat der Zeuge S... bekundet, der Beklagte zu 1) habe gesagt, die Lieferanten bräuchten sich keine Sorgen zu machen, dass sie ihr Geld nicht bekämen; sie sollten die Sache nicht aufgeben, sondern dabeibleiben. In ähnliche Richtung geht die Aussage des Zeugen P..., der bekundet hat, R... habe gesagt, wer jetzt bei der Stange bleibe, werde auch später dabei sein. Schließlich hat der Zeuge B... ausgesagt, R... habe erklärt, alle Lieferanten müssten bezahlt werden, wobei sich damals die Frage gestellt habe, woher das Geld kommen sollte. Diese Aussagen reichen für den Nachweis der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens durch den Beklagten zu 1) nicht aus. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Beklagte zu 1), wie von allen Zeugen übereinstimmend geschildert, in den Gesprächen kraft seiner Persönlichkeit und Autorität sehr "präsent" und bestimmend war. Auch die Darstellung seiner guten finanziellen Verhältnisse, insbesondere durch die Einladung des Zeugen S... und des Geschäftsführers der Klägerin zu sich nach Hause in eine offenbar recht luxuriöse Wohnung, oder sein Hinweis auf die Tätigkeit als Repräsentant der Wirtschaftskammer von Zagreb führen zu keiner der Klägerin positiveren Beurteilung. Es ist nicht zu verkennen, dass der Beklagte zu 1) die Hoffnung der Lieferanten, ihr Geld zu bekommen, verstärkt und ihre Befürchtungen beschwichtigt hat. Dies geschah, wie der Zeuge S... bekundet hat, in erster Linie durch die vom Beklagten zu 1) vermittelte Zuversicht. Es lässt sich aufgrund der Beweisaufnahme jedoch nicht feststellen, dass er die Hoffnung oder gar Erwartung geweckt hat, gerade er persönlich werde dafür sorgen, dass die Lieferanten ihr Geld bekommen, und werde dies durch geeignete Maßnahmen sicherstellen. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass der Beklagte Alleingesellschafter der G... war und von daher am Erfolg der Gesellschaft interessiert sein durfte und offensichtlich auch war. Diese besondere Stellung enthebt die Klägerin nicht von der Verpflichtung, die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens durch den Beklagten zu 1) gerade in ihn und seine Person nachzuweisen.

107

c) Auch die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten zu 1) aus culpa in contrahendo wegen eines eigenen wirtschaftlichen Interesses an dem Geschäft mit v... hat die Klägerin nicht nachgewiesen. Dieser Haftungsgrund wird von § 311 Abs 3 BGB nicht ausdrücklich erwähnt, bleibt aber neben dieser Regelung weiter anwendbar (Palandt-Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 311 RN 60). Als eigenes wirtschaftliches Interesse des Beklagten zu 1) kommt hier nur seine Stellung als Alleingesellschafter der G... in Betracht. Erforderlich ist jedoch, dass der in Anspruch Genommene gleichsam in eigener Sache tätig wird oder als wirtschaftlicher Interessenträger des Geschäfts anzusehen ist. Dies ist hier nicht festzustellen. Das allgemeine Interesse eines Gesellschafters am Erfolg "seines" Unternehmens reicht nicht aus (BGH NJW 1995, 1544, [BGH 27.03.1995 - II ZR 136/94] stRspr).

108

d) Der Beklagte zu 1) hat für den Schaden der Klägerin auch nicht als "faktischer" Geschäftsführer wegen eines verspätet gestellten Insolvenzantrages (§§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 64 Abs. 1 a.F. GmbHG) einzustehen.

109

Grundsätzlich trifft den Geschäftsführer eine Haftung für einen verspäteten Insolvenzantrag, wenn dadurch ein Lieferant davon abgehalten worden ist, von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen (s.o. S. 15).

110

In der Rechtsprechung (BGHZ 104, 44, 48; BGH ZIP 2005, 1414, 1415 [BGH 27.06.2005 - II ZR 113/03]; 2008, 364, 367 und 1026, 1027) ist anerkannt, dass eine Haftung des Geschäftsführers wegen Verletzung seiner Insolvenzantragspflicht aus§ 64 Abs. 1 a.F. GmbHG nicht zwingend voraussetzt, dass zuvor eine rechtswirksame Bestellung zum Geschäftsführer nach § 35 GmbHG erfolgt war. Die Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG und eine Haftung als Folge einer Verletzung dieser Pflicht können nach h.M. auch den nicht oder nicht wirksam bestellten, aber gleichwohl die Organfunktion mit Wissen und Wollen der Gesellschaft wahrnehmenden faktischen Geschäftsführer treffen (BGH aaO.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl, vor § 35 Rn. 11; § 43 Rn. 2; § 64 Rn. 6 jew. m.wN.).

111

Eine solche Tätigkeit des Beklagten zu 1) als faktischer Geschäftsführer hat die Klägerin nicht nachgewiesen. Entsprechende konkrete Indizien ergeben sich nicht aus den Aussagen der vom Senat vernommenen Zeugen.

112

Der Zeuge E... hat bekundet, der Beklagte zu 1) sei zu dem Gespräch am 11.2.2005 hinzugekommen und habe sich als Gesellschafter und Repräsentant der Wirtschaftskammer von Zagreb vorgestellt. Er habe den Zeugen A... als Koordinator und Schnittstelle für das Projekt v... benannt; in diesem Zusammenhang sei auch über das Defizit bei diesem Projekt gesprochen worden. Ansprechpartner sei für ihn -E...- im Alltag der Zeuge A... gewesen, der sich ggf. telefonisch mit dem Beklagten zu 1) in Verbindung gesetzt habe. Auf Nachfrage hat der Zeuge E... bekundet, soweit er in 1. Instanz ausgesagt habe, der Beklagte R... habe erklärt, der Geschäftsführer G... habe nichts mehr zu sagen, habe er dies nicht als Verbot aufgefasst. Seine erstinstanzliche Aussage, dass der Beklagte zu 1) nach dem Unfall des Beklagten G... die Entscheidungen in der G... getroffen habe, sei sein persönlicher Eindruck gewesen und habe darauf beruht, dass der Zeuge A... viel mit dem Beklagten R... telefoniert habe. Der Zeuge S... hat ausgesagt, der Beklagte sei als Gesellschafter angekündigt worden; bei ihm sei eine "klare Autorität" spürbar gewesen und er habe das Gefühl vermittelt, die Realisierung des Projekts v... sei nicht durch den Ausfall des Beklagten zu 2) gefährdet. Nach Aussage des Zeugen P... habe der Beklagte zu 1) erklärt, dass er den Geschäftsführer G... vertrete. Auf Nachfrage des Senats hat der Zeuge dann seine Aussage dahin relativiert, dass dies sein Eindruck gewesen sei, der Beklagte R... dies aber nicht ausdrücklich gesagt habe.

113

Bei einer Würdigung der Aussagen und ihrer Gesamtbetrachtung ergeben sich deutliche Hinweise, dass sich der Beklagte R... im Grenzbereich der Tätigkeit eines um das Wohl der G... besorgten Gesellschafters bewegt und Einfluss auf die Führung der Geschäfte während des unfallbedingten Ausfalls des Beklagten zu 2) genommen hat. Der Senat hat aber keine bzw nicht ausreichende konkrete Umstände, wie zum Beispiel Anweisungen an Mitarbeiter, Materialbestellungen, Kreditgespräche, Vertragsabschlüsse für die Gesellschaft, feststellen können, die zu der Überzeugung hätten führen können, dass der Beklagte R... wie ein Unternehmensleiter die Geschicke der G... maßgeblich bestimmt und gelenkt hat. Dabei ist zu beachten, dass der bestellte Geschäftsführer G... schon wenige Tage nach seinem Unfall wieder gewisse geschäftliche Aktivitäten für die G... entfaltete, wenn auch Intensität und Umfang dieser Aktivitäten streitig sind. Die für eine faktische Geschäftsführung sprechenden Umstände beruhen nur auf subjektiven, bei Nachfrage durch das Gericht auch noch relativierten Eindrücken der Zeugen. Konkrete Fakten, die einen hinreichenden Schluss auf eine faktische Geschäftsführung seitens des Beklagten R... ermöglichen, ließen sich nicht festmachen.

114

Der Senat war vor der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme zunächst der Auffassung, dass das erstinstanzliche Beweisergebnis eine Verurteilung der Beklagten noch nicht trägt, jedoch unter Berücksichtigung weiterer Indizien und bei erneuter intensiver Befragung der Zeugen sich ein anderes, der Klägerin unter Umständen günstigeres Bild ergeben könnte. In der Vernehmung vor dem Senat haben die Zeugen dann jedoch -im Gegenteil- ihre Aussagen deutlich zu Gunsten des Beklagten zu 1) abgeschwächt und sind hierbei auch auf Vorhalt ihrer erstinstanzlichen Angaben und bei sehr intensiver Befragung durch das Gericht geblieben. Gründe für diese aus Sicht des Senats sehr ungewöhnliche Inkonsistenz der Aussagen sind nicht erkennbar geworden.

115

Das Beweisergebnis lässt insgesamt jedenfalls -dies ist hier festzuhalten- einen Schluss auf eine faktische Geschäftsführung durch den Beklagten R... nicht zu.

116

e) Schließlich scheidet auch eine Haftung des Beklagten zu 1) auf deliktischer Grundlage (§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB) aus. Der Beklagte zu 1) hat zwar versucht, Bedenken der Gläubiger der G... an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft insbesondere im Hinblick einen erfolgreichen Abschluss des Projekts v... zu zerstreuen. Dass er dabei in betrügerischer Absicht bewusst falsche Tatsachen behauptet hat, war nicht festzustellen. Der Beklagte zu 1) hat insbesondere nicht getäuscht, indem er auf die erwarteten liquiden Mittel aus dem sog. "Polen-Geschäft" mit der Fa. H... Polska verwiesen hat. Denn darauf durften alle auf Seiten der G... Beteiligten zunächst vertrauen und mit einem kurzfristigen Mittelzufluss rechnen, der die finanziellen Probleme gerade auch des Projekts v... auf einen Schlag beseitigt hätte.

117

3. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) folgt aus § 91 ZPO.

118

Über die übrigen Kosten des Verfahrens ist im Betragsverfahren zu entscheiden.

119

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.