Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.12.2009, Az.: 5 W 60/09

Zulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens mit dem Ziel der Feststellung der Aufklärung des Patienten durch den Arzt

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
03.12.2009
Aktenzeichen
5 W 60/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 33399
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2009:1203.5W60.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 01.09.2009 - AZ: 3 OH 64/09

Fundstellen

  • ArztR 2010, 246
  • GesR 2010, 76-77
  • MDR 2010, 715
  • VersR 2010, 927-928

Amtlicher Leitsatz

Die Aufklärung eines Patienten durch den Arzt kann nicht Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens sein.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 1. September 2009 teilweise abgeändert.

Unter Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags im Übrigen wird der Antragstellerin für das beabsichtigte selbstständige Beweisverfahren insoweit Prozesskostenhilfe bewilligt, als sie beantragt, das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen zu folgenden Fragen einzuholen:

1. Wurden, nachdem die Antragstellerin im Jahr 2006 eine Schenkelhalsfraktur erlitten hatte, die drei aus Titan bestehenden Schrauben im Haus der Antragsgegnerin fachgerecht eingebracht?

2. Bestand am 29. Februar 2008 eine Indikation für die Entfernung der Schrauben? Hätte die Entfernung der Schrauben gegebenenfalls zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen müssen, um Komplikationen bei der Entfernung der Schrauben nach Möglichkeit auszuschließen?

3. Ist es objektiv dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis widersprechend, wenn es anlässlich der am 29. Februar 2008 im Haus der Antragsgegnerin durchgeführten Operation nicht gelang, die drei Schrauben aus dem Schenkelhals zu entfernen? Ist es insbesondere als objektiver Verstoß gegen den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis zu verstehen, dass ein Ersatzbohrer während der Operation vom 29. Februar 2008 nicht vorhanden war und deswegen - so der Inhalt des OPBerichts - die Entscheidung gefallen ist, die Schrauben knochennah abzuschneiden?

4. Gemäß dem OPBericht vom 29. Februar 2008 wurden zwei Schrauben knochennah abgeschnitten. Erfolgte dieses Abschneiden objektiv entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis?

5. Ist eine Entfernung der Schrauben beziehungsweise Schraubenreste noch möglich? Falls nein: Welche Beeinträchtigungen und Beschwerden werden aus einem Belassen der Schrauben beziehungsweise Schraubenreste vermutlich resultieren?

6. Verursachen die im Körper der Antragstellerin verbliebenen Schraubenreste seit der am 29. Februar 2008 im Haus der Antragsgegnerin durchgeführten Operation der Antragstellerin durchgängig Schmerzen im Oberschenkel rechts? Sind diese Schmerzen sowohl im Sitzen als auch im Liegen und Stehen zu verspüren? Bestehen objektive Anhaltspunkte dafür, dass zur Überdeckung der Schmerzen die Einnahme eines Schmerzmittels geboten ist?

Zur Vertretung in dem selbstständigen Beweisverfahren wird der Antragstellerin Rechtsanwalt B... in N... beigeordnet.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.

Gründe

1

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig und in der Sache teilweise begründet. In dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang hat die Antragstellerin einen Anspruch auf die begehrte Prozesskostenhilfe. Im Übrigen hat das Landgericht eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

2

1. Wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend hervorgehoben hat, ist das selbstständige Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO - die Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO sind nicht dargetan - auf Antrag eines Patienten zur Feststellung eines von ihm behaupteten Behandlungsfehlers grundsätzlich zulässig (vgl. BGH, NJW 2003, S. 1741, 1742 [BGH 21.01.2003 - VI ZB 51/02] m. w. N.).

3

a) Die gesetzliche Voraussetzung des rechtlichen Interesses, das nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen ist, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Arzthaftungsfragen begehrt, ist ein rechtliches Interesse prinzipiell gegeben. Kommt nämlich der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass kein ärztliches Fehlverhalten vorliegt, wird der Patient möglicherweise die beabsichtigte Klage nicht erheben. anderenfalls besteht die Möglichkeit, dass er vom Haftpflichtversicherer der Gegenseite klaglos gestellt wird (vgl. OLG Oldenburg, GesR 2008, S. 421, 422 m. w. N.).

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b) Das rechtliche Interesse kann dem Antragsteller nur abgesprochen werden, wenn es evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (vgl. BGH, NJW 2004, 3488). Das ist hier nicht der Fall. Nach den Schilderungen der Antragstellerin erscheint eine Haftung der Antragsgegnerin wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers oder einer unzureichenden Aufklärung wenigstens denkbar.

5

2. Allerdings lassen die gesetzlichen Vorgaben es nicht zu, alle Fragen, die für die Arzthaftung eine Rolle spielen können, im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens aufzuklären.

6

a) Gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist das selbstständige Beweisverfahren bei der Verletzung einer Person, um die es regelmäßig in Arzthaftungsverfahren geht, darauf beschränkt, den Zustand dieser Person, die hierfür maßgeblichen Gründe und die Wege zur Beseitigung des Schadens festzustellen (vgl. BGH, NJW 2003, S. 1741, 1742 [BGH 21.01.2003 - VI ZB 51/02]). Zutreffender Ansicht nach schließt das nicht aus, im selbstständigen Beweisverfahren auch der Behauptung nachzugehen, es liege ein ärztlicher Behandlungsfehler vor oder die Verletzung einer Person sei durch einen ärztlichen Behandlungsfehler verursacht worden (ausführlich dazu OLG Oldenburg, MDR 2008, S. 1059 f. m. w. N.).

7

Eine Grenze bildet jedoch das Verbot der Ausforschung. Prinzipiell ist ein selbstständiges Beweisverfahren unzulässig, wenn es allein der Ausforschung dient, um damit erst die Voraussetzungen für eine Klage zu schaffen. Deshalb muss der Antragsteller wenigstens unter Bezeichnung gewisser Anhaltspunkte die Behauptung eines ärztlichen Behandlungsfehlers aufstellen, und das selbstständige Beweisverfahren muss der Klärung dieses behaupteten Behandlungsfehlers dienen (vgl. OLG Oldenburg, aaO.).

8

b) Nach dem beschriebenen Maßstab scheiden einige der von der Antragstellerin avisierten Beweisfragen von vornherein als Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens aus:

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aa) Die erste Frage unter Ziffer 1 des Antragsentwurfs vom 9. Juli 2009 stellt keine Beziehung zu einem bestimmten Behandlungsfehler her und ist daher als Ausforschung unzulässig. Sie ist anhand der zweiten unter Ziffer 1 gestellten Frage dahin zu konkretisieren, ob bei der Antragstellerin die drei TitanSchrauben im Jahr 2006 fachgerecht eingebracht worden sind.

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bb) Unter Ziffer 3 des Antragsentwurfs wird die Frage aufgeworfen, ob die Antragstellerin vor der Operation am 29. Februar 2008 hinreichend über die möglichen Risiken und Komplikationen des Eingriffs aufgeklärt worden ist. Ebenso betreffen die beiden letzten der unter Ziffer 5 formulierten Fragen die ärztliche Aufklärung.

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Die Aufklärung kann aber selbst bei weiter Auslegung des§ 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO keiner der dort genannten Fallgruppen (Zustand einer Person, Ursache eines Personenschadens und Wege zu seiner Beseitigung) zugeordnet werden. Sie ist deshalb kein tauglicher Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens.

12

cc) Die Beantwortung der übrigen Fragen, die die Antragstellerin in ihren Schriftsätzen vom 9. Juli 2009 und 26. August 2009 in Aussicht gestellt hat, ist im Rahmen des § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich zulässig.

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3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Antragstellerin das Vorliegen und das Ausmaß der von ihr behaupteten Schmerzen nicht glaubhaft zu machen.

14

a) Zwar bestimmt § 487 Nr. 4 ZPO, dass der Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens die Glaubhaftmachung derjenigen Tatsachen enthalten muss, die die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen. Keiner Glaubhaftmachung nach § 487 Nr. 4 ZPO unterliegt jedoch der Sachvortrag des Antragstellers hinsichtlich des Hauptanspruchs, zu dessen Geltendmachung die Begutachtung dienen soll. Dasselbe gilt für Tatsachen, die durch das selbstständige Beweisverfahren erst festgestellt werden sollen (vgl. OLG Oldenburg, GesR 2008, 421, 422 m. w. N.).

15

b) Die Antragstellerin behauptet, die nach der Schraubenosteosynthese in ihrem Oberschenkelknochen verbliebenen Schrauben beziehungsweise Schraubenreste würden bei ihr seit der Operation am 29. Februar 2008 erhebliche Schmerzen verursachen. Sie seien sowohl im Sitzen als auch im Liegen zu spüren. Gelegentlich seien die Schmerzen so stark, dass sie nur durch die Einnahme eines Schmerzmittels zu ertragen seien. Wegen der Beschwerden sei sie in der Führung ihres Haushalts stark eingeschränkt. Da die Beschwerden auf eine fehlerhafte Behandlung zurückgingen, stünde ihr ein Schmerzensgeld deutlich oberhalb eines Betrages von 5.000,00 € zu.

16

Wie diese Zusammenfassung des Vorbringens der Antragstellerin verdeutlicht, sollen die geschilderten Schmerzen gerade den Hauptanspruch der Klägerin begründen. Schon deshalb kann nach den beschriebenen Grundsätzen in diesem Punkt eine Glaubhaftmachung nicht verlangt werden. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin durch das in Aussicht genommene Sachverständigengutachten die Schmerzen und ihren Zusammenhang mit den im Körper verbliebenen Schrauben beziehungsweise Schraubenresten belegen will. Deshalb scheidet eine Glaubhaftmachung auch unter dem Gesichtspunkt aus, dass Tatsachen, die durch das selbstständige Beweisverfahren festgestellt werden sollen, nicht dem § 487 Nr. 4 ZPO unterfallen.

17

4. In dem jetzigen Verfahrensstadium ist davon auszugehen, dass der Streitwert 5.000,00 €übersteigt und deshalb das Landgericht für das selbstständige Beweisverfahren zuständig ist (§ 486 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Grundsätzlich ist im selbstständigen Beweisverfahren der Hauptsachewert maßgebend (vgl. Herget, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 3, Rn. 16, Stichwort "selbstständiges Beweisverfahren"). Die Antragstellerin leidet ihrem Vortrag zufolge auf Grund eines Behandlungsfehlers seit mehr als 1½ Jahren an erheblichen Schmerzen. Zudem ist bislang nicht sicher, ob die Schrauben beziehungsweise Schraubenreste, auf die die Klägerin ihre Beschwerden zurückführt, noch beseitigt werden können und gegebenenfalls mit welchem Aufwand. Insgesamt erscheint es daher gerechtfertigt, nach dem Vorbringen der Antragstellerin vorläufig ein Schmerzensgeld von über 5.000,00 € zu veranschlagen.

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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.