Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 24.02.2021, Az.: 9 A 1488/19

Amtsverschwiegenheitspflicht; Einstellungsverfügung; Erledigung; fehlende Schlussanhörung; Folgepflicht; Kostengrundentscheidung; Missbilligung; versäumte Ausdehnungsverfügung; Verwahrungsbruch; Wohlverhaltenspflicht; Zuständigkeit der Disziplinarkammer; Disziplinarrechtliche Einstellungsverfügung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NDiszG, Verletzung der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (§ 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) und der Folgepflicht (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG), Verletzung der Wohlverhaltenspflicht (§ 34 Satz 3 BeamtStG) durch Verwirklichung eines strafrechtlichen Verwahrungsbruchs (§ 133 StGB), Ausspruch einer beamtenrechtlichen Missbilligung in einer disziplinarrechtlichen Einstellungsverfügung, Zuständigkeit der Disziplinarkammer, Erledigung der behördlichen Kostengrundentscheidung durch Klageerhebung, keine Schlussanhörung, versäumte Ausdehnungsverfügung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
24.02.2021
Aktenzeichen
9 A 1488/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 13295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2021:0224.9A1488.19.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Wird im Rahmen einer disziplinarrechtlichen Einstellungsverfügung zusätzlich eine beamtenrechtliche Missbilligung ausgesprochen, ist ausnahmsweise die Disziplinarkammer insgesamt zur Entscheidung berufen.

  2. 2.

    Schließt sich an ein behördliches Disziplinarverfahren ein gerichtliches Disziplinarverfahren an, erledigt sich die behördliche Kostengrundentscheidung aufgrund der Regelung des § 70 Satz 1 NDiszG, wonach die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens zu den Kosten zählen, über die das Gericht im Rahmen seiner Kostenentscheidung zu befinden hat, auf sonstige Weise. Eine gegen die behördliche Kostengrundentscheidung erhobene Anfechtungsklage ist deshalb unstatthaft.

  3. 3.

    Im Geltungsbereich des NDiszG ist es unzulässig, wenn die Disziplinarbehörde ein Disziplinarverfahren einstellt und einem Beamten gleichzeitig oder anschließend mit einer Missbilligung die Begehung eines Dienstvergehens zur Last legt.

  4. 4.

    Ein Anhörungsfehler i.S.d. § 21 Abs. 4 Satz 1 NDiszG ist in entsprechender Anwendung von § 46 VwVfG unbeachtlich, soweit mit der Klage die Feststellung eines Dienstvergehens angegriffen wird.

  5. 5.

    Vorwürfe, die weder zum Gegenstand der Einleitungsverfügung noch zum Gegenstand einer Ausdehnungsverfügung gemacht worden sind, sind nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens und haben daher im gerichtlichen Verfahren außer Betracht zu bleiben.

Der Kläger wendet sich gegen eine disziplinarrechtliche Einstellungsverfügung.

Der Kläger wurde am G. in H. geboren. Er ist geschieden und hat zwei Kinder, die am I. und am J. geboren sind. Disziplinar- und strafrechtlich ist der Kläger bislang nicht in Erscheinung getreten.

Am K. trat der Kläger als Kreisinspektor-Anwärter in den Dienst des Beklagten ein. Seine Dienstlaufbahn gestaltete sich danach wie folgt:

L.: Kreisinspektor z.A.,

M.: Ernennung zum Kreisinspektor unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit,

N.: Beförderung zum Kreisoberinspektor.

Von O. bis P. wurde der Kläger im Fachdienst "Q." des Beklagten eingesetzt.

Am 18. und 19. November 2016 wurde in Abteilungen dieses Fachdienstes ein Seminar u.a. zum Thema "Ordnung im Büro" durchgeführt. Die Fachdienstleiterin, Frau R., hielt hierzu am 22. November 2016 in einer internen E-Mail u.a. das Folgende fest:

"Nicht jede/r Mitarbeiter/in hat die Schulung als notwendig angesehen, z. B. auch S. nicht, dessen Büro als schlechtestes Beispiel vorangeht. Ich habe die Teilnahme aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rechtzeitig verpflichtend gemacht. S. nahm dann auch wie alle anderen teil. [...] Die Zeit des Büroaufräumens nutzten alle sehr gut, auch von. waren wir positiv überrascht. Er war mit guter Laune dabei.

Heute morgen wurde mir nun bekannt, dass. all seine unsortierten Berge von Vorgängen und Zetteln bereits in der letzten Woche rechtzeitig vor Beginn des Seminars sicher in einen Büroschrank von T. (seiner Büronachbarin) verstaut hat, damit er der Arbeit des Sortierens damit aus dem Wege geht. [...] Da. erst morgen wieder zum Dienst kommt, haben U. und ich heute alle seine versteckten Unterlagen in mein Büro geschafft. Es handelt sich um einen ca. 2m hohen Berg von völlig unsortierten Unterlagen von geschätzten letzten 10 Jahren. Zum Teil sind sogar Schubfächer der kleinen grauen Registerschränke in dem Durcheinander enthalten. (Fotos der beachtlichen Menge sind beigefügt.) Morgen werden U. und ich mit ihm sprechen. Mir ist bekannt geworden, dass er schon im Haus unterwegs war, um triumphierend mitzuteilen, wie er doch seine Vorgesetzten austrickst. [...]"

Auf die vom Beklagten als nicht abschließend bezeichnete Auflistung der betroffenen Unterlagen im Disziplinarvorgang des Beklagten wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 23. März 2017, ausgehändigt am 30. März 2017, wurde gegenüber dem Kläger aufgrund des vorgenannten Vorfalles eine Missbilligung ausgesprochen. Ferner wurde er aufgefordert, sämtliche Vorgänge und Unterlagen seines Arbeitsplatzes, einschließlich der von ihm versteckten und zwischenzeitlich sichergestellten Unterlagen, bis spätestens zum 15. Mai 2017 strukturiert abzulegen. Zu diesem Zwecke wurden ihm die sichergestellten Unterlagen am 6. April 2017 ausgehändigt.

In der Zeit vom 7. April 2017 bis zum 21. April 2017 sowie vom 26. April 2017 bis Juli 2019 war der Kläger dienstunfähig erkrankt.

Am 27. April 2017 sichteten die Abteilungsleiterin, Frau V., und die Fachdienstleiterin, Frau R., das Büro des Klägers und stellten fest, dass die unsortierte Ablage nicht mehr vorhanden war. Einige Dokumente aus der Ablage wurden in neu angelegten Ordnern vorgefunden. Zahlreiche andere Dokumente aus der Ablage waren nicht mehr vorhanden.

Am 19. Juli 2017 erhielt der Landrat des Beklagten ein anonymes Schreiben, in dem es wie folgt hieß:

"Herr W.,

Diese Unterlagen haben wir in X. gefunden. Was für Menschen Arbeiten eig. beim Landkreis???? Wir hoffen das diese Personen in Zukumpft nie wieder bei ihnen arbeiten dürfen!!! Die Anderen Unterlagen erhalten Sie auch noch.

Der Finder".

Dem Schreiben waren Unterlagen aus dem Arbeitsbereich des Klägers beigefügt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beiakte 004 (dort: Erstes Trennblatt, Bl. 1 bis 75) Bezug genommen.

Am 4. August 2017 leitete der Beklagte nach § 18 NDiszG ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein. Aus dem anonymen Schreiben vom 19. Juli 2017 und den ihm beigefügten Unterlagen aus dem Arbeitsbereich des Klägers ergebe sich der Verdacht eines Dienstvergehens.

Mit Schreiben vom 28. August 2017, zugestellt am 1. September 2017, unterrichtete der Beklagte den Kläger von der Einleitung des Disziplinarverfahrens. Als Beamter unterliege der Kläger der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. Die mit Schreiben vom 19. Juli 2017 anonym abgegebenen Unterlagen unterlägen teilweise der Geheimhaltung, da sie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthielten, wie z.B. Aufstellung der Veränderungen in der Schülerbeförderung im Vertragsjahr 2012/2013, die Abschlagsrechnungen der Rechtsanwaltskanzlei Y. aus Z. sowie der Vertrag über die Erbringung von ÖPNV-Leistungen, über den der Kreistag in nichtöffentlicher Sitzung vom 11. Dezember 2009 (AA.) beschlossen habe. Außerdem sei in einem Schreiben der AB. vom 23. Oktober 2014 ein vertraulich zu behandelndes Passwort mitgeteilt worden. Bei den aufgefundenen Unterlagen handele es sich teilweise um diejenigen, welche der Kläger im November 2016 vor seinen Vorgesetzten versteckt und hinsichtlich derer er die Weisung erhalten habe, diese bis zum 15. Mai 2017 zu sortieren. Es bestehe der Verdacht, dass der Kläger gegenüber seinem Dienstherrn gegen die Treuepflicht verstoßen habe. Mit der Beseitigung dienstlicher Unterlagen, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthielten und gemäß § 30 VwVfG der Geheimhaltung unterlägen, habe er seinen Dienstherrn dem Risiko von Gerichtsverfahren und Amtshaftungsansprüchen ausgesetzt. Ferner habe der Kläger gegen die allgemeine Wohlverhaltenspflicht i.S.d. § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen. Die Bürger sowie die Vertragspartner des Beklagten verließen sich darauf, dass die sie betreffenden Informationen nicht in die Hände Dritter fielen. Es liege auch ein Verstoß gegen die Weisungsgebundenheit nach § 35 Satz 2 BeamtStG vor. Der Kläger habe nach dem Auffinden der unsortierten Ablage die Weisung erhalten, diese zu sortieren. Dieser Weisung sei er nicht nachgekommen, sondern habe die mit Schreiben vom 19. Juli 2017 abgegebenen Dokumente außerhalb des Kreishauses entsorgt. Zudem habe der Kläger gegen Ziffer 3.2 der Aktenordnung verstoßen. Danach seien Akten aus Gründen des Datenschutzes grundsätzlich in verschließbaren Behältnissen aufzubewahren und außerhalb der Dienstzeit unter Verschluss zu halten. Weiterhin liege ein Verstoß gegen 4.01 Abs. 3 der Allgemeinen Dienst- und Geschäftsanweisung vor, wonach alle Mitarbeiter verpflichtet seien, ihrem Dienstherrn die volle Arbeitskraft zu widmen und ihre Aufgaben nach den Gesetzen und Dienstvorschriften uneigennützig und im Bewusstsein ihrer persönlichen Verantwortung nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen. Darüber hinaus habe der Kläger gegen die Pflicht zu rechtmäßigem Handeln i.S.d. § 36 Abs. 1 BeamtStG verstoßen. Er habe gegen die Geheimhaltungspflicht nach § 30 VwVfG verstoßen und möglicherweise die Straftatbestände der §§ 133, 203, 204 und 353a ff. StGB verwirklicht. Der Kläger habe mit der Entsorgung der dienstlichen Unterlagen und dem damit verbundenen Auffinden durch einen Dritten auch gegen die Verschwiegenheitspflicht i.S.d. § 37 Abs. 1 BeamtStG verstoßen. Abschließend belehrte der Beklagte den Kläger nach § 21 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 NDiszG.

Wegen des anonymen Schreibens erstattete der Beklagte zudem mit Schreiben vom 30. August 2017 Strafanzeige gegen den Kläger.

Die Staatsanwaltschaft AC. leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts des Verwahrungsbruchs nach § 133 StGB ein (Geschäftsnummer: AD.) und bat den Beklagten darum, vorerst keine weiteren Untersuchungen im Disziplinarverfahren vorzunehmen.

Am 8. November 2017 fand im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eine Hausdurchsuchung beim Kläger statt. Hierbei wurden im Keller des Hauses weitere dienstliche Unterlagen aus dem Arbeitsbereich des Klägers aufgefunden und sichergestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Durchsuchungsbericht vom 8. November 2017 sowie auf die Beiakte 003 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15. November 2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass das Disziplinarverfahren im Hinblick auf die strafrechtlichen Ermittlungen, denen derselbe Sachverhalt zugrunde liege, gemäß § 23 NDiszG ausgesetzt und später fortgeführt werde.

Am 7. August 2018 klagte die Staatsanwaltschaft AC. den Kläger an, in der Zeit zwischen dem 6. April und 8. November 2017 im Einzelnen aufgeführte Schriftstücke, die bei der Hausdurchsuchung sichergestellt worden seien, sich in dienstlicher Verwahrung befunden hätten und ihm als Amtsträger zugänglich geworden seien, der dienstlichen Verfügung entzogen zu haben. Indem der Kläger die Schriftstücke aus den Diensträumen des Beklagten entfernt und zu Hause versteckt habe, habe er diese ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung durch den Beklagten entzogen, was er billigend in Kauf genommen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 7. August 2018 verwiesen.

In dem Strafverfahren fand am 7. März 2019 eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht AE. statt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll zur Hauptverhandlung Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 7. März 2019 stellte das Amtsgericht AE. das Strafverfahren gegen den Kläger gemäß § 153a StPO zunächst vorläufig und mit Beschluss vom 19. September 2019 endgültig ein, nachdem der Kläger die ihm erteilte Auflage (Zahlung eines Geldbetrages von 1.000,00 Euro an ein Kinderhospiz) erfüllt hatte.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2019, zugestellt am 7. Oktober 2019, stellte der Beklagte das Disziplinarverfahren gegen den Kläger gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NDiszG ein und legte ihm nach § 37 Abs. 2 Satz 2 NDiszG die Kosten des Verfahrens insoweit auf, als sie wegen des festgestellten Dienstvergehens entstanden sind. Zur Begründung führte der Beklagte das Folgende aus: Im Juli 2017 seien ihm, dem Beklagten, dienstliche Unterlagen aus dem Arbeitsbereich des Klägers zugespielt worden. Daraufhin sei gegen den Kläger das vorliegende Disziplinarverfahren eingeleitet und Strafanzeige erstattet worden. Die Staatsanwaltschaft AC. habe ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verwahrungsbruchs eingeleitet. Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen sei beim Kläger eine Hausdurchsuchung erfolgt, bei der weitere dienstliche Unterlagen sichergestellt worden seien. Von einer Ausdehnungsverfügung sei aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen abgesehen worden. Wegen der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO sei das Amtsgericht AE. zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger sich der angeklagten Straftat nach § 133 Abs. 1 und 3 StGB schuldig gemacht habe; ein Freispruch sei gerade nicht erfolgt. Wegen der Einstellung des Strafverfahrens sei § 15 Abs. 2 NDiszG zu beachten. Könne eine Tat, wie hier, nach § 153a Abs. 1 Satz 5 oder Abs. 2 Satz 2 StPO nicht mehr als Vergehen verfolgt werden, so dürfe wegen desselben Sachverhalts 1. ein Verweis nicht ausgesprochen werden und 2. eine Geldbuße, eine Kürzung des Ruhegehalts oder eine Kürzung der Dienstbezüge nur ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich sei, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten. Wegen der Vielzahl und Art der entfernten Dokumente sei ein Verweis als Disziplinarmaßnahme nicht in Betracht gekommen. Denkbare Disziplinarmaßnahmen seien nur eine Geldbuße oder die Kürzung von Dienstbezügen gewesen. Da sich der Kläger, der erst seit wenigen Monaten wieder im Dienst sei, bisher pflichtgemäß verhalte, sei keine zusätzliche Pflichtenmahnung erforderlich, sodass das Disziplinarverfahren einzustellen sei. Die Kostenentscheidung ergebe sich aus § 37 Abs. 2 Satz 2 NDiszG. Abschließend führte der Beklagte auf Seite 3 der Einstellungsverfügung in Fettdruck noch das Folgende aus:

"Ich erwarte von Ihnen, dass Sie künftig Ihre beamtenrechtlichen Pflichten beachten. Darüber hinaus weise ich Sie darauf hin, dass Sie bei weiteren Pflichtverletzungen mit der Einleitung eines weiteren Disziplinarverfahrens, welches bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen kann, rechnen müssen".

Am 6. November 2019 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Zur Begründung der Klage führt der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen das Folgende aus:

Der Kläger begehre die Abänderung der Einstellungsverfügung sowohl vom Tenor als auch von der inhaltlichen Begründung und abschließenden Ermahnung her.

Zum Sachverhalt sei gegenüber den Angaben in der Einstellungsverfügung zu ergänzen, dass das Strafverfahren nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden sei. Der Kläger habe der Einstellung des Strafverfahrens lediglich aufgrund einer ungeklärten Rechtslage und einer nicht abschließend durchgeführten Beweisaufnahme unter Aufrechterhaltung seiner Erklärung zu den Tatvorwürfen vom 7. März 2019 zugestimmt. Der Beklagte verkenne, dass es gerade keinen Schuldspruch zulasten des Klägers gebe und dass die Unschuldsvermutung bei einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO fortgelte. Die Zustimmung des Angeklagten zur Verfahrenseinstellung sei auch kein Geständnis.

Der Beklagte habe auch sonst den Sachverhalt, insbesondere die den Kläger entlastenden Umstände, nicht hinreichend erforscht. Er unterstelle schlicht das Vorliegen der im Strafverfahren angeklagten Straftat nach § 133 Abs. 1 und 3 StGB. Dabei lasse er unberücksichtigt, dass der Kläger in beruflicher und privater Hinsicht völlig überfordert gewesen sei und er, der Beklagte, seine Fürsorgepflicht verletzt habe. Bereits im Jahr 2009 habe der Nds. Landesrechnungshof festgestellt, dass der Beklagte zur Bewältigung der Tätigkeiten des Klägers im Bereich der Schülerbeförderung nur ein Drittel der sonst üblichen Personalkosten aufwende. Gleichwohl sei der Kläger mit immer neuen Aufgaben außerhalb seiner Stellenbeschreibung bedacht worden. Trotzdem habe der Kläger bis zur völligen körperlichen Erschöpfung alles getan, dieser Überlastung Herr zu werden. Dafür habe er sogar Arbeit mit nach Hause genommen, was nach Aussage der Fachdienstleiterin, Frau R., in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht auch in Ordnung gewesen sei. Bei der Verfasserin des anonymen Schreibens vom 19. Juli 2017 handele es sich um Frau AF.. Diese sei sieben Jahre lang die Lebensgefährtin des Klägers gewesen. Aus der vorgelegten Erklärung von Frau AF. vom 26. Januar 2019 ergebe sich, dass diese wegen des absehbaren Endes ihrer Beziehung mit dem Kläger den Entschluss gefasst habe, den Beklagten zu informieren, dass in der Wohnung des Klägers Unterlagen eingelagert seien, die dort nicht hingehörten. Deshalb habe sie einige Unterlagen genommen und mit anonymen Schreiben an den Beklagten gesendet. Frau AF. habe in diesem Schreiben wahrheitswidrig behauptet, dass die Unterlagen im X. gefunden worden seien. Richtig sei jedoch, dass sich die Unterlagen im Hause des Klägers befunden hätten. Die Abarbeitung der übrigen Unterlagen im Heim des Klägers sei dann aus gesundheitlichen Gründen gescheitert. Der Kläger habe unter zunehmenden psychischen Problemen gelitten, weshalb er sich ab dem 24. April 2017 auch in fachpsychiatrische Behandlung begeben habe. Eine länger anhaltende vorübergehende Dienstunfähigkeit sei gefolgt. Beim Kläger sei letztlich eine depressive Episode aufgrund psychischer Probleme diagnostiziert worden. Es liege ein die Schuld des Klägers ausschließender Umstand vor. Es fehle beim Kläger auch am Vorsatz. Eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung sei nicht festzustellen.

Da die im März 2017 ausgesprochene Missbilligung bereits aus der Personalakte gelöscht worden sei, könnten auch die Vorwürfe der Aufbewahrung und Sortierung der unerledigten Ablage nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens sein.

Zu beanstanden sei auch, dass der Beklagte die Einstellungsverfügung mit der fettgedruckten Schlussbemerkung als eine Art Abmahnung formuliert habe.

Der Kläger beantragt,

die disziplinarrechtliche Einstellungsverfügung vom 2. Oktober 2019 aufzuheben, soweit darin ein Dienstvergehen des Klägers festgestellt wurde, dem Kläger die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 NDiszG auferlegt worden sind und soweit diese die in Fettdruck hervorgehobene Passage auf Seite 3 enthält, und den Beklagten zu verpflichten, über die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,

hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, die in Fettdruck hervorgehobene Passage auf Seite 3 der Einstellungsverfügung vom 2. Oktober 2019 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen und zu vernichten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage unter Wiederholung und Vertiefung seiner vorangegangenen Ausführungen entgegen und trägt ergänzend u.a. das Folgende vor:

Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig, da das Disziplinarverfahren eingestellt worden sei.

Jedenfalls sei die Klage unbegründet. Dem Straf- und Disziplinarverfahren habe derselbe Sachverhalt zugrunde gelegen. Aufgrund der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO sei bewiesen, dass der Kläger sich einer Straftat schuldig gemacht und dadurch gegen seine Dienstpflichten verstoßen habe. Zudem hätten sich die in der Einleitungsverfügung dargelegten Dienstpflichtverletzungen bewahrheitet. Der Kläger habe durch die private Entsorgung von Unterlagen gegen seine Treuepflicht und gegen die ausgesprochene Weisung, die unsortierte Ablage in strukturierte Akten zu überführen, verstoßen. Auch habe der Kläger gegen die Aktenordnung verstoßen. Der Grundsatz der Aktenwahrheit sei nicht mehr gewahrt gewesen. Der Kläger habe ferner gegen datenschutzrechtliche Vorgaben verstoßen. Im Unterschied zum Verhalten des Klägers würden ausgesonderte Unterlagen zur Vernichtung in den Keller des Ratshauses gebracht, wo sie in großen Aluminiumboxen verschlossen zwischengelagert würden. Ein Unternehmen hole diese Boxen dann zur sachgemäßen Vernichtung ab.

Die Behauptung des Klägers, er sei überlastet gewesen, werde bestritten. Im Gegenteil habe der Kläger in der Regel einen sehr entspannten Eindruck gemacht. Der Kläger habe im Übrigen auch zu keinem Zeitpunkt eine Überlastung angezeigt. Unzutreffend sei auch, dass Frau R. in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht ausgesagt habe, dass das Mitnehmen der aufgefundenen und anonym zugeschickten Unterlagen zur Abarbeitung von zu Hause in Ordnung gewesen sei. Richtig sei vielmehr, dass Frau R. davon gar nichts gewusst habe. Grundsätzlich sei es den Beschäftigten unbenommen, einen Antrag auf alternierende Telearbeit zu stellen und an Home-Office-Tagen dienstliche Unterlagen mit nach Hause zu nehmen. Der Kläger habe einen solchen Antrag jedoch nicht gestellt und sei daher auch nicht befugt gewesen, dienstliche Unterlagen mit nach Hause zu nehmen. Ob es zulässig sei, Unterlagen mit nach Hause zu nehmen, ohne den formellen Antrag zu stellen, könne dahinstehen. Denn in jedem Fall müsse der Beschäftigte die dienstlichen Unterlagen so transportieren und zu Hause aufbewahren, dass Dritte keinen Zugriff hätten. Dieser Verpflichtung sei der Kläger ausweislich des Schreibens vom 19. Juli 2017 offensichtlich nicht nachgekommen.

Vor diesem Hintergrund habe der Kläger auch seine (Rechtsanwalts-)Kosten selbst zu tragen.

Dass die in Fettdruck hervorgehobene Formulierung den Kläger besonders beschwere, erschließe sich nicht. Es sei dem Dienstherrn wichtig gewesen, die entsprechende Passage hervorzuheben, um den Kläger zur zukünftigen Einhaltung seiner Dienstpflichten anzuhalten.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Es haben die Personalakten des Klägers, der Disziplinarvorgang der Beklagten und die Akten in der Strafsache mit der Geschäftsnummer: AG. vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen unterliegt sie der Abweisung.

Die erkennende Disziplinarkammer ist insgesamt zur Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit berufen. Dies gilt auch im Hinblick auf die vom Kläger angegriffene Formulierung auf Seite 3 der disziplinarrechtlichen Einstellungsverfügung vom 2. Oktober 2019, in der es wie folgt heißt:

"Ich erwarte von Ihnen, dass Sie künftig Ihre beamtenrechtlichen Pflichten beachten. Darüber hinaus weise ich Sie darauf hin, dass Sie bei weiteren Pflichtverletzungen mit der Einleitung eines weiteren Disziplinarverfahrens, welches bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen kann, rechnen müssen".

Hierbei handelt es sich mangels ausdrücklicher Bezeichnung als Verweis nicht um eine der in § 6 NDiszG abschließend aufgeführten Disziplinarmaßnahmen, sondern vielmehr um eine sog. Missbilligung bzw. missbilligende Äußerung in Gestalt einer Ermahnung und Belehrung (vgl. dazu auch § 6 Satz 2 BDG). Wird das Verhalten eines Beamten beanstandet, ohne dass die Form des Verweises gewählt wird, liegt keine Disziplinarmaßnahme, sondern eine Maßnahme der Dienstaufsicht vor, die ihre Rechtsgrundlage im allgemeinen beamtenrechtlichen Über- und Unterordnungsverhältnis hat. Eine Missbilligung kann in Gestalt von Zurechtweisungen, Ermahnungen und Rügen oder aber durch tadelnde Hinweise, kritische Äußerungen, Belehrungen, Vorhalte, Warnungen, ernste Missfallensbekundungen sowie dringliche Ersuchen geschehen (vgl. Urban, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Auflage, 2017, § 6 BDG, Rn. 7). Auch wenn die umstrittene Passage, worauf der Beklagte hingewiesen hat, nicht ausdrücklich als solche bezeichnet wurde, handelt es sich deswegen auch hierbei um eine Missbilligung im beamtenrechtlichen Sinne. Zur Entscheidung über derartige Klagen sind zwar grundsätzlich nicht die Kammern für Disziplinarsachen, sondern die für die allgemeinen beamtenrechtlichen Streitverfahren zuständigen Kammern berufen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. Januar 2013 - 5 LB 227/11 -, Rn. 48 m.w.N., juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2011 - 10 K 2776/11 -, Rn. 23, juris). Hier hat allerdings deshalb etwas anderes zu gelten, weil die Missbilligung im Rahmen einer disziplinarrechtlichen Einstellungsverfügung ausgesprochen wurde (so auch Weiß, in: Weiß, GKÖD, Band II, Stand: Lfg. 4/15, M § 32 Rn. 106).

Die Klage ist nur zum Teil zulässig.

Soweit der Kläger die Aufhebung der Einstellungsverfügung vom 2. Oktober 2019 im Hinblick auf das darin festgestellte Dienstvergehen begehrt, kann er dieses Anliegen zulässigerweise mit der Anfechtungsklage verfolgen (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 16b DZ 12.1868 -, Rn. 5, juris). Im Hinblick auf die mit dieser Feststellung verbundenen Belastungen kann ihm trotz Einstellung des Disziplinarverfahrens auch das notwendige Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden. Der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nach § 48 Abs. 2 Satz 1 NDiszG nicht.

Zulässig ist die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage auch, soweit der Kläger die Aufhebung der Einstellungsverfügung im Hinblick auf die vorgenannte Missbilligung begehrt. Insbesondere erfüllt eine solche die Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes i.S.d. § 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 1 VwVfG und ist zur Personalakte zu nehmen, wenn sie ausdrücklich oder, wie hier aus dem Gesamtzusammenhang und den gewählten Formulierungen ("künftig Ihre beamtenrechtlichen Pflichten beachten", "bei weiteren Pflichtverletzungen") ersichtlich wird, verklausuliert den Vorwurf einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung, also eines Dienstvergehens, enthält (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. Januar 2013 - 5 LB 227/11 -, Rn. 47, juris; s. auch Urban, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Auflage, 2017, § 6 BDG, Rn. 10, der in Zweifelsfällen stets vom Vorwurf eines Dienstvergehens und damit eines Verwaltungsaktes ausgeht). Der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es auch insoweit nicht (§ 105 Abs. 1 Satz 1 NBG i.V.m. § 54 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG).

Lehnte man - entgegen der Auffassung der Kammer - die Verwaltungsaktqualität der Missbilligung ab, wäre die Klage jedenfalls mit dem Hilfsantrag als allgemeine Leistungsklage zulässig (dies daher offenlassend: VG Ansbach, Beschluss vom 04. Juli 2012 - AN 11 K 11.00891 -, Rn. 3, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2011 - 10 K 2776/11 -, Rn. 25, juris; VG Lüneburg, Urteil vom 24. November 2004 - 1 A 79/03 -, Rn. 25, juris; s. zur Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage auch: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 05. Juli 2016 - 3 ZB 14.1781 -, Rn. 18, juris).

Unzulässig ist die vom Kläger erhobene Klage hingegen, soweit dieser sich damit auch gegen die - mangels Ermessensausübung an sich rechtswidrige (vgl. zur notwendigen Ermessensausübung etwa: Bieler/Lukat/Struß, NDiszG, Stand: Januar 2010, § 37 NDiszG, Rn. 8 ff., 12 f.) - Kostengrundentscheidung des Beklagten i.S.d. § 37 Abs. 2 Satz 2 NDiszG wendet. Hat sich, wie hier, an das behördliche Disziplinarverfahren ein gerichtliches Disziplinarverfahren angeschlossen, wird die in der Disziplinarverfügung getroffene Kostengrundentscheidung gegenstandlos, denn die "Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens" gehören nach § 70 Satz 1 NDiszG zu den Kosten, über die das Gericht im Rahmen der von ihm zu treffenden Kostenentscheidung zu befinden hat. Die behördliche Kostengrundentscheidung steht, wie bei einer Bedingung, unter dem Vorbehalt, dass gegen die Disziplinarverfügung keine Klage in der Hauptsache erhoben wird. Wird eine solche Klage erhoben, tritt die Bedingung ein und die Kostengrundentscheidung erledigt sich auf sonstige Weise (vgl. zur parallelen Rechtslage im Hinblick auf die Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid sowie die Regelung des § 162 Abs. 1 VwGO: BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 2 C 29.06 -, juris; BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2006 - 7 C 14.05 -, juris; s. auch BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 - B 14 AS 50/15 R -, juris; a.A. (ohne nähere Begründung): VG Hannover, Urteil vom 14. Juli 2020 - 18 A 1173/19 - n.v. und im Zusammenhang mit einer Kostengrundentscheidung nach § 37 Abs. 2 Satz 2 BDG: VG Münster, Urteil vom 17. Juni 2014 - 20 K 2835/13.BDG -, juris und Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 19. Februar 2020 - 4 K 1153/19 -, juris).

Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, teilweise begründet.

Begründet ist die Klage, soweit der Kläger die Aufhebung der Einstellungsverfügung im Hinblick auf die darin enthaltene Missbilligung begehrt.

Es ist seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des niedersächsischen Disziplinarrechts vom 13. Oktober 2005 am 1. Januar 2006 nicht mehr zulässig, dass die Disziplinarbehörde ein Disziplinarverfahren einstellt und einem Beamten, wie hier, gleichzeitig oder anschließend mit einer schriftlichen Missbilligung die Begehung eines Dienstvergehens zur Last legt. Es ist indes auch nach der mit Wirkung vom 1. Januar 2006 erfolgten Neuordnung des niedersächsischen Disziplinarrechts nicht unzulässig, dass die jeweilige personalverwaltende Behörde außerhalb eines Disziplinarverfahrens nach allgemeinen beamtenrechtlichen Regelungen eine schriftliche Missbilligung ausspricht. Dies gilt unabhängig davon, ob mit einer außerhalb eines Disziplinarverfahrens ergehenden Missbilligung entweder in Form einer so genannten qualifizierten Missbilligung ein Dienstvergehen zur Last gelegt wird oder ob in Form einer sog. einfachen Missbilligung ein objektiv pflichtwidriges Verhalten gerügt wird, ohne dass auch ein Schuldvorwurf erhoben und damit die Begehung eines Dienstvergehens vorgeworfen wird (vgl. dazu im Einzelnen: Nds. OVG, Urteil vom 22. Januar 2013 - 5 LB 227/11 -, juris; s. dazu auch vgl. Urban, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Auflage, 2017, § 6 BDG, Rn. 16 sowie Bieler/Lukat/Struß, NDiszG, Stand: Januar 2010, § 32 NDiszG, Rn. 13).

Unbegründet ist die Klage hingegen, soweit der Kläger die Aufhebung der Einstellungsverfügung vom 2. Oktober 2019 im Hinblick auf das darin festgestellte Dienstvergehen begehrt.

Zwar ist die Einstellungsverfügung insoweit formell rechtswidrig, als der Beklagte die nach § 21 Abs. 4 Satz 1 NDiszG vorgesehene Schlussanhörung versäumt hat. Nach dieser Vorschrift ist dem Beamten nach der Beendigung der Ermittlungen Gelegenheit zu geben, sich abschließend zu äußern. Diese Vorschrift gilt für alle das Disziplinarverfahren abschließenden Entscheidungen, zu denen auch die Einstellungsverfügung gehört (vgl. Bieler/Lukat/Struß, NDiszG, Stand: November 2020, § 21 NDiszG, Rn. 17). Das Schlussgehör ist Ausdruck des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieses kann nur ordnungsgemäß ausgeübt werden, wenn dem Beamten die für die Entscheidung erheblichen Umstände bekannt sind, wenn der Beamte also darüber informiert ist, welche Vorwürfe weshalb als erwiesen angesehen werden, was in der Regel durch eine Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen zu erfolgen hat (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 28. Januar 2014 - 20 LD 10/13 -, juris). Ein wesentliches Ergebnis der Ermittlungen ist dem Kläger nicht zugesandt worden.

Dieser Verfahrensfehler führt aber nicht zum Erfolg der Klage. Er ist nach § 4 NDiszG i.V.m. § 1 NVwVfG und § 46 VwVfG unbeachtlich. § 46 VwVfG ist auch bei Disziplinarverfahren anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 1999 - 2 C 4.99 -, juris). Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften unter anderem über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. So liegt es hier. Die angegriffene Feststellung, wonach der Kläger ein Dienstvergehen begangen hat, hätte der Beklagte auch im Falle eines gewährten Schlussgehörs treffen müssen. Sie ist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, rechtlich alternativlos gewesen.

Der Kläger hat ein Dienstvergehen i.S.d. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen. Danach begehen Beamte ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzten.

Entgegen der unzutreffenden Begründung in der Einstellungsverfügung des Beklagten kann insoweit aber nicht auf das Verhalten des Klägers abgestellt werden, welches Gegenstand des nach § 153a StPO eingestellten Strafverfahrens gewesen ist. Nicht aufrechtzuerhalten ist es daher, wenn der Beklagte dem Kläger in der Einstellungsverfügung vorhält, er habe seine Dienstpflichten dadurch verletzt, dass er sich der vor dem Amtsgericht AE. angeklagten Straftat des Verwahrungsbruchs nach § 133 Abs. 1 und 3 StGB schuldig gemacht habe. Das Strafverfahren bezog sich ausschließlich auf die dienstlichen Unterlagen, die der Kläger in den Keller seines Wohnhauses verbracht hat und die im Rahmen der polizeilichen Durchsuchung am 8. November 2017 dort beschlagnahmt worden sind (s. dazu die Anklageschrift vom 7. August 2018, Bl. 95 ff. der Beiakte 002, und auch Bl. 120 der Beiakte 002: "Angeklagt ist Verwahrungsbruch (nur) im Hinblick auf die im Wohnhaus des Angeklagten aufgefundenen Unterlagen"). Dieser Vorwurf ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens und hat daher außer Betracht zu bleiben (vgl. VG Wiesbaden, Urteil vom 17. Januar 2012 - 28 K 733/11.WI.D -, Rn. 91, juris). Er ist nicht in der Einleitungsverfügung i.S.d. § 18 NDiszG genannt. Dort ging es allein darum, dass andere, namentlich die mit (anonymen) Schreiben vom 19. Juli 2019 an den Beklagten übersandten dienstlichen Unterlagen aus dem Arbeitsbereich des Klägers in die Hände eines Dritten gelangt sind. Der Beklagte hat, wie er selbst wiederholt betont hat, das Disziplinarverfahren auch nicht gemäß § 20 NDiszG ausgedehnt. Wegen des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens, wonach der Begriff des Dienstvergehens alle disziplinarrechtlich bedeutsamen Dienstpflichtverletzungen des Beamten umfasst, führt dies angesichts der festzustellenden Dienstpflichtverletzungen des Klägers aber nicht zu einem Teilerfolg der Klage.

Das Gericht legt seiner Beurteilung den folgenden - von der Einleitungsverfügung umfassten - Vorwurf zugrunde:

Im April 2017 hat der Kläger die hier in Rede stehenden und aus der Beiakte 004 (dort: Erstes Trennblatt, Bl. 1 bis 75) ersichtlichen dienstlichen Unterlagen von seiner Dienststelle zu sich nach Hause verbracht. Seine ehemalige Lebensgefährtin, Frau AF., fand diese ausweislich ihrer Angaben in der Hauptverhandlung am 7. März 2019 vor dem Amtsgericht AE. auf dem Wohnzimmertisch im Hause des Klägers vor und nahm sie ungefähr Anfang/Mitte Mai 2017 mit. Mit (anonymen) Schreiben vom 19. Juli 2019 übersandte sie die Unterlagen an den Beklagten.

Dass der Kläger im Hinblick auf diesen Vorwurf gegen Strafvorschriften verstoßen und damit die ihm nach § 34 Satz 3 BeamtStG obliegende Wohlverhaltenspflicht oder andere Dienstpflichten verletzt hat, kann die Kammer nicht feststellen. Dass der Kläger sich insoweit strafbar gemacht hat, wurde auch vom Amtsgericht AE. nicht festgestellt. Das Strafverfahren betraf mit den im Keller des Klägers sichergestellten Unterlagen, wie bereits ausgeführt, einen anderen Tatvorwurf.

Insbesondere ist für die Kammer nicht feststellbar, dass der Kläger durch das hier allein zu betrachtende Verhalten einen Verwahrungsbruch gemäß § 133 Abs. 1 und 3 StGB begangen hat. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unter anderem Schriftstücke, die ihm als Amtsträger zugänglich geworden sind, sich in dienstlicher Verwahrung befinden, der dienstlichen Verfügung entzieht. Der Kläger hat sich dahingehend eingelassen, dass er zunächst vorgehabt habe, die Unterlagen von zu Hause aus weiterzubearbeiten, insbesondere habe er diese vorsortieren wollen. Es mag zwar zutreffen, dass eine Bearbeitung der Unterlagen ohne Aktenrückhalt von zu Hause aus erschwert ist. Ausgeschlossen erscheint dies nach Auffassung der Kammer aber nicht. Untermauert wird die Einlassung des Klägers zudem von den Angaben seiner ehemaligen Lebensgefährtin, Frau AF.. Diese hat in der Hauptverhandlung am 7. März 2019 vor dem Amtsgericht AE. ausgesagt, dass der Kläger ihr gegenüber angegeben habe, dass er die Unterlagen noch durcharbeiten müsse. Die Mitnahme dienstlicher Unterlagen durch einen Amtsträger in seine Wohnung zur weiteren Bearbeitung ist jedoch kein tatbestandsmäßiges Entziehen (vgl. Heuchemer, in: BeckOk, StGB, 48. Edition, 1. November 2020, § 133 StGB, Rn. 8). Im Hinblick auf das vom Kläger als solches bezeichnete "Entwenden" der auf dem Wohnzimmertisch befindlichen Unterlagen durch seine Lebensgefährtin ohne sein Wissen und Wollen mag für den Zeitraum bis zur Rücksendung der Unterlagen an den Beklagten an ein tatbestandsmäßiges Entziehen zu denken sein. Insoweit fehlt es beim Kläger aber jedenfalls am notwendigen Vorsatz (vgl. Heuchemer, in: BeckOk, StGB, 48. Edition, 1. November 2020, § 133 StGB, Rn. 9).

Mangels Vorsatz des Klägers kann die Kammer auch keine Verstöße gegen § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 353b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB oder andere Strafvorschriften feststellen (vgl. Weidemann, in: BeckOK, StGB, 48. Edition, Stand: 1. November 2020, § 203 StGB, Rn. 48; Heuchemer, in: BeckOK, StGB, 48. Edition, Stand: 1. November 2020, § 353b StGB, Rn. 15).

Die Kammer kann auch keine Dienstpflichtverletzung des Klägers, insbesondere keinen Verstoß gegen die Folgepflicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG feststellen, soweit der Beklagte dem Kläger vorhält, er habe die betreffenden Unterlagen schon gar nicht mit nach Hause nehmen dürfen. Der Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, woraus sich ergibt, dass der Kläger hierzu ohne Vereinbarung über alternierende Telearbeit nicht berechtigt war. Unter Berücksichtigung der Angaben in dem im Disziplinarvorgang befindlichen Vermerk des Beklagten vom 21. Februar 2018, den Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 30. Juni 2020 und der Aussage der Fachdienstleiterin R. in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht AE. hat die Kammer vielmehr den Eindruck gewonnen, dass die Mitnahme dienstlicher Unterlagen nach Hause vom Dienstherrn des Klägers auch ohne eine solche Vereinbarung bisweilen (stillschweigend) geduldet wird und dass hierfür verbindliche Maßstäbe nicht bestehen.

Der Kläger hat sich allerdings insoweit dienstpflichtwidrig verhalten, als er die vorgenannten dienstlichen Unterlagen von seiner Dienststelle zu sich nach Hause verbracht und sie dort dem Zugriff seiner ehemaligen Lebensgefährtin ausgesetzt hat. Hierin liegt zum einen ein Verstoß gegen die Folgepflicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG und zum anderen ein Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit i.S.d. § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG.

Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG sind Beamte verpflichtet, dienstliche Anordnungen ihrer Vorgesetzten auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Die Folgepflicht des Beamten ist ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums und bildet eine der Grundpflichten im Beamtenverhältnis (vgl. Werres, in: BeckOK, Beamtenrecht Bund, 20. Edition, Stand: 1. Oktober 2020, § 35 BeamtStG, Rn. 3). Der Kläger hat vorliegend gegen Ziffer 3.2 der "Aktenordnung für den Landkreis AC." (AO) verstoßen. Nach Ziffer 3.2 der AO sind Akten aus Gründen des Datenschutzes grundsätzlich in verschließbaren Behältnissen aufzubewahren und außerhalb der Dienstzeit unter Verschluss zu halten. Dem hat der Kläger keine Rechnung getragen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob es sich hierbei, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, um sehr alte Unterlagen gehandelt hat, die nur noch für die Ablage relevant oder zu vernichten gewesen seien.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG haben Beamte über die ihnen bei oder bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. § 37 BeamtStG enthält eine Hauptpflicht des Beamten, die ebenfalls zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt und deren Verletzung disziplinarisch zu ahnden ist. Im Vordergrund steht der Schutz des Amtsgeheimnisses vor Kenntnisnahme unbefugter Dritter. Geschützt vor Weitergabe sind solche Tatsachen, von denen der Beamte ohne seine dienstliche Tätigkeit nicht erfahren hätte. Ist einem Beamten eine dienstliche Angelegenheit im Zusammenhang mit der Dienstausübung bekannt geworden, darf der Beamte diese nicht offenbaren. Offenbaren ist die ausdrückliche oder konkludente, gezielte oder ungezielte, gewollte oder ungewollte Mitteilung der geheimnisbelasteten Information oder die sonstige Bekanntgabe an oder Kenntnisverschaffung für einen Dritten, dem die Angelegenheit noch nicht oder nicht sicher bekannt war. Die Offenbarung einer dienstlichen Angelegenheit kann, und so liegt der Fall hier, auch dadurch erfolgen, dass diese nicht hinreichend vor der Kenntniserlangung Unbefugter geschützt wird (vgl. zum Vorstehenden: Leppek, in: BeckOK, Beamtenrecht, 20. Edition, Stand: 1. April 2020, § 37 BeamtStG, Rn. 1, 3, 6 f.; Herrmann, in: BeckOK, VwVfG, 49. Edition, Stand: 1. Oktober 2020, § 30 VwVfG, Rn. 13; Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage, 2018, § 30 VwVfG, Rn. 14). Hier ist auch nichts für eine Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht nach § 37 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG ersichtlich (vgl. zur restriktiven Interpretation der in § 37 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BeamtStG genannten Ausnahmetatbestände: Reich, in: Beamtenstatusgesetz, 3. Auflage, 2018, § 37 BeamtStG, Rn. 6). Insbesondere liegt nicht im Hinblick auf alle hier betroffenen dienstlichen Unterlagen ein Fall des § 37 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG vor, wonach die Verschwiegenheitspflicht nicht gilt, soweit Tatsachen mitgeteilt werden, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Tatsachen sind offenkundig, wenn ein verständiger und erfahrener Mensch regelmäßig ohne Weiteres davon Kenntnis haben oder sich jederzeit aus allgemein zugänglichen Quellen verschaffen kann. Keiner Geheimhaltung bedürfen Tatsachen ihrer Bedeutung nach, wenn ihr Bekanntwerden nicht geeignet ist, zu einer Verletzung schützenswerter öffentlicher oder privater Interessen der durch die bekannt gewordenen Tatsachen berührten Stellen oder Personen zu führen (vgl. Leppek, in: BeckOK, Beamtenrecht, 20. Edition, Stand: 1. April 2020, § 37 BeamtStG, Rn. 14 f.). Zumindest bei der Aufstellung der Veränderungen in der Schülerbeförderung im Vertragsjahr 2012/2013 (Bl. 5, Erstes Trennblatt, Beiakte 004), den Abschlagsrechnungen der Rechtsanwaltskanzlei Y. aus Z. (Bl. 20 ff., Erstes Trennblatt, Beiakte 004) und dem Vertrag über die Erbringung von ÖPNV-Leistungen, über den der Kreistag des Beklagten in nichtöffentlicher Sitzung vom 11. Dezember 2009 beschlossen hat (Bl. 52 ff., Erstes Trennblatt, Beiakte 004), liegt ersichtlich kein Fall des § 37 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG vor. Gegenteiliges macht auch der Kläger nicht substantiiert geltend.

Ob der Kläger auch deshalb gegen die Folgepflicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG verstoßen hat, da er entgegen der ihm am 30. März 2017 erteilten Anordnung die vorgenannten dienstlichen Unterlagen nicht bis zum 15. Mai 2017 strukturiert abgelegt hat, kann dahinstehen. Insoweit kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass der Kläger schuldhaft gehandelt hat. Der wesentliche Teil der Unterlagen, die der Kläger strukturiert ablegen sollte, wurde ihm am 6. April 2017 ausgehändigt. In der Zeit vom 7. April 2017 bis zum 21. April 2017 sowie vom 26. April 2017 bis Juli 2019 war der Kläger jedoch dienstunfähig erkrankt und damit an der fristgerechten Befolgung der ihm erteilten Anordnung entschuldigt verhindert.

Im Übrigen hat der Kläger die vorgenannten Dienstpflichtverletzungen rechtswidrig und schuldhaft begangen. Schuldhaft i.S.d. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG verletzt ein Beamter seine Pflichten, wenn er ihnen entweder vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt. Hier ist jedenfalls von einem fahrlässigen Handeln des Klägers auszugehen. Der Kläger war im Zeitpunkt der Begehung der vorgenannten Dienstpflichtverletzungen auch nicht i.S.d. § 20 StGB schuldunfähig. Nach dieser Vorschrift, die auch im Disziplinarrecht Anwendung findet, handelt ohne Schuld, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Soweit beim Kläger ausweislich des im Strafverfahren vorgelegten Attests vom 11. November 2017 durch den Facharzt für Psychiatrie, Dipl.-Med. AH., am 24. April 2017 eine schwere depressive Episode ("F32.2") bei Kontaktanlässen bezüglich des Berufslebens ("Z56") mit selbstquälerischen Grübelzwängen sowie Schlaf- und psychosomatischen Störungen diagnostiziert wurde, mag es sich zwar um eine der in § 20 StGB genannten biologischen Störungen handeln. Ein vollständiger Schuldausschluss nach § 20 StGB allein aufgrund einer solchen depressiven Erkrankung liegt allerdings fern, soweit die Erkrankung nicht auch zu Wahnvorstellungen geführt hat, welche die Unrechtseinsicht verhindern (vgl. Eschelbach, in: BeckOK, StGB, 48. Edition, Stand: 1. November 2020, § 20 StGB, Rn. 54; s. auch Koch, in: Weiß, GKÖD, Band II, Stand: Lfg. 6/15, J 234, Rn. 27 sowie OLG Koblenz, Urteil vom 07. April 2014 - 2 Ss 2/14 -, Rn. 20, juris). Für Letzteres bestehen angesichts der Diagnose "F32.2" (schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome) und auch sonst keine Anhaltspunkte. Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit i.S.v. § 21 StGB kommt zwar auch bei Depressionen ohne Wahnvorstellungen in Betracht (vgl. Eschelbach, in: BeckOK, StGB, 48. Edition, Stand: 1. November 2020, § 20 StGB, Rn. 54). Ob der Kläger wegen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB nur vermindert schuldfähig war, bedarf hier aber keiner Vertiefung. Auch ein nur vermindert schuldfähiger Beamter verletzt die ihm obliegenden Pflichten i.S.v. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG schuldhaft. Die verminderte Schuldfähigkeit erlangt keine Bedeutung auf der Ebene der Feststellung eines Dienstvergehens. Ihre maßgebende Rolle nimmt sie vielmehr im Rahmen der Maßnahmebemessung ein, um die es hier angesichts der Einstellung des Disziplinarverfahrens nicht geht (vgl. Koch, in: Weiß, GKÖD, Band II, Stand: Lfg. 6/15, J 234, Rn. 53). Im Hinblick auf die Frage der Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB ergibt sich Gegenteiliges auch nicht aus der Stellungnahme der Amtsärztin AI. vom 22. August 2017. Diese enthält schon keine konkrete Diagnose und befasst sich nur mit der - von der Schuldunfähigkeit i.S.v. § 20 StGB zu trennenden - Frage der Dienstunfähigkeit des Klägers. Im Übrigen bezieht sich auf eine Untersuchung vom 17. August 2017 und damit auf einen Zeitpunkt, der nach der Begehung der vorgenannten Dienstpflichtverletzungen liegt. Auch dem Entlassungsbericht der AJ. vom 24. April 2018, der den stationären Aufenthalt des Klägers vom AK. bis zum AL. betrifft und bezogen auf den Entlassungszeitpunkt die Diagnose mittelgradige depressive Episode ("F32.1") aufstellt, sind keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine vollständige Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt der Begehung der Dienstpflichtverletzungen infolge der psychischen Erkrankung zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 69 Abs. 1 NDiszG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 VwGO. Bei der Bestimmung der Kostenquote hat die Kammer zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass in der Einstellungsverfügung zur Begründung des Dienstvergehens im Wesentlichen auf das nicht maßgebliche Strafverfahren verwiesen wurde, und eine Aufhebung der betreffenden Feststellung trotz Vorliegens eines Anhörungsfehlers im Hinblick auf die Regelung des § 46 VwVfG ausgeschieden ist (vgl. dazu Hartung/Zimmermann-Kreher, in: BeckOK, VwGO, 56. Edition, Stand: 1. Januar 2021, § 155 VwGO, Rn. 11 f. und Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage, 2019, § 155 VwGO, Rn. 13).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 4 NDiszG i.V.m § 167 VwGO und §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 59 Abs. 2 NDiszG i.V.m. §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4, 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.