Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 01.07.2003, Az.: 2 B 214/03

betreutes Wohnen; Düsseldorfer Tabelle; Heimunterbringung; Hilfe zur Erziehung; Inobhutnahme; Kinderheim; Kostenbeitrag; Vorläufige Unterbringung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
01.07.2003
Aktenzeichen
2 B 214/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den rechtlichen Voraussetzungen und der Berechnung eines Kostenbeitrages nach §§ 91 ff. SGB VIII.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 20. Mai 2003 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19. Februar 2003 in der Fassung dessen Widerspruchsbescheides vom 09. Mai 2003 wird insoweit wiederhergestellt, als von der Antragstellerin für die Zeit vom 15. Mai 2002 bis 28. Februar 2003 ein Kostenbeitrag von mehr als 3.254,30 € erhoben wird.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 8/9 und der Antragsgegner zu 1/9.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin ist selbständige Ärztin und seit März 1992 geschieden. Sie erhielt das alleinige Sorgerecht für die drei aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder D., geboren 1984, E., geboren 1986 und F., geboren 1988. Nach der Trennung der Eltern kam es zwischen der Antragstellerin und ihrer Tochter D. zu erheblichen, auch gewalttätigen Differenzen und zu selbstverletzenden Handlungen der Tochter. Die Tochter E. der Antragstellerin versuchte in diesem Konflikt ausgleichend zu wirken, was ihr jedoch nach eigenen Angaben zunehmend misslang und bei ihr zu psychischen sowie erheblichen Beziehungsproblemen mit ihrer Mutter, der Antragstellerin, führte. Schließlich nahm auch E. selbstverletzende Handlungen vor. Wegen der Einzelheiten der familiären Situation wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Duderstadt vom 4. September 2000 - 8 F 157/02 SO - nebst Anhörungsprotokoll vom selben Tage sowie auf das Anhörungsprotokoll vom 10. Juni 2003 in der selben Sache verwiesen.

2

Am 15. Mai 2002 erschienen die Töchter der Antragstellerin beim Jugendamt des Antragsgegners und baten für E. um Inobhutnahme. Dies geschah im Städtischen Kinderheim Göttingen zunächst mit Einverständnis der Antragstellerin. Diese erklärte sich zunächst auch bereit, das für E. bezogene Kindergeld und die Unterhaltszahlungen deren Vaters an den Antragsgegner zu überweisen. E. lebte sodann in der Diagnostikgruppe des Städtischen Kinderheimes Göttingen. Wegen der Einzelheiten der Lebenssituation von E. und der Ergebnisse der Untersuchungen wird auf den Diagnosebericht des Städtischen Kinderheimes vom 25. Juli 2002 Bezug genommen.

3

Nach dem Diagnoseende, das der Antragsgegner mit dem 26. August 2002 annimmt, verblieb E. im Städtischen Kinderheim, wobei sie sich in dem zu dieser Einrichtung gehörenden sogenannten „Blauen Haus“, einer offenen Wohneinrichtung, aufhielt.

4

Am 22. August 2002 beantragte der Antragsgegner beim Amtsgericht Duderstadt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für E. auf sich, die Bestellung eines Ergänzungspflegers und die Einleitung einer Jugendhilfemaßnahme gemäß § 34 KJHG. Mit Beschluss vom 4. September 2002 wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter E. der Antragstellerin auf einen Ergänzungspfleger übertragen und das Jugendamt des Antragsgegners zum Ergänzungspfleger bestellt. Gleichzeitig wurde beim Jugendamt des Antragsgegners der Antrag auf Einleitung einer Jugendhilfemaßnahme gemäß § 34 KJHG (SGB VIII) gestellt. Dieser Beschluss ging beim Antragsgegner am 10. September 2002 ein.

5

Der Antragsgegner nimmt an, er habe E. in der Zeit vom 27. August, dem vermeintlichen Datum des Endes der Diagnosephase, und dem 9. September 2002, in Obhut genommen.

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Im September 2002 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzugeben, um einen Kostenbeitrag festsetzen zu können. Mit der entsprechenden Erklärung vom 11. Oktober 2002 gab die Antragstellerin an, über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 7.940,00 DM zu verfügen.

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Ab Oktober 2002 wird das Kindergeld in Höhe von 154,- € monatlich direkt an den Antragsgegner ausgezahlt.

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Mit Schreiben vom 11. Februar 2003 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, sie sei, um weitere Eskalation zu verhindern, bereit, ab März 2003 267,- € monatlichen Unterhalt zu bezahlen.

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Nachdem die Antragstellerin in der Folge freiwillig keinerlei Zahlungen an den Antragsgegner für die Unterbringung ihrer Tochter E. geleistet hatte, dem Antragsgegner jedoch ca. 4.000,- € Kosten monatlich für diese Unterbringung entstehen, setzte er mit Bescheid vom 19. Februar 2003 einen von der Antragstellerin zu zahlenden Kostenbeitrag fest. Dieser betrug bis September 2002 monatlich 421,- € und ab Oktober 2002 unter Anrechnung des direkt ausgezahlten Kindergeldes 267,- € monatlich. Für die Zeit vom 15. Mai 2002 bis Ende Februar 2003 setzte er einen von der Antragstellerin zu zahlenden Kostenbeitrag in Höhe von 3.254,30 € und ab März 2003 laufend in Höhe von 267,- € monatlich fest.

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Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2003 zurück. Gleichzeitig legte er für die Zeit vom 27. August 2002 bis 9. September 2002 den Kostenbeitrag in Abänderung des Ausgangsbescheides auf 597,90 € (entspricht 1.299,- € pro Monat) fest und ordnete die sofortige Vollziehung aller im Bescheid vom 19. Februar 2003 festgelegten Forderungen inklusive der durch diesen Widerspruchsbescheid geänderten Zahlbeträge an. Er nahm an, der Widerspruch der Antragstellerin beziehe sich lediglich auf die bis zum 28. Februar 2003 geltend gemachten Kostenforderung, da die Antragstellerin ab März 2003 mit einer Zahlung von 267,- € monatlich einverstanden gewesen sei.

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Rechtsgrundlage der Kostenbeitragsforderung für die Zeit vom 27. August bis 9. September 2002 sei § 91 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 93 KJHG. Für die übrige Zeit ergebe sich der Anspruch aus §§ 91 Abs. 1 Nr. 4 c, 94 Abs. 1 und 2 KJHG. Er sei bei der Berechnung von den Angaben der Antragstellerin ausgegangen, die andere Unterlagen, die einen geringeren Kostenbeitrag rechtfertigen würden, nicht vorgelegt habe. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf Seite 3 des Widerspruchsbescheides verwiesen.

12

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete der Antragsgegner damit, es könne der Öffentlichkeit, aus deren Steuergeldern die etwa 4.000,- € monatlich teure Jugendhilfemaßnahme für E. finanziert werde, nicht zugemutet werden, unter Umständen mehrere Jahre bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten, bis Kostenbeiträge, die die Antragstellerin bisher nicht leiste, beim Antragsgegner eingingen. Dies gelte um so mehr, als die Antragstellerin jegliche Zahlung verweigere. Eine existenzielle Notlage der Antragstellerin sei nicht zu befürchten.

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Hiergegen hat die Antragstellerin am 20. Mai 2003 Klage erhoben und gleichzeitig um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

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Sie ist der Ansicht, die angegriffenen Bescheide litten unter Ermessensmängeln. Der Antragsgegner habe nicht berücksichtigt, dass sie durch die gegen ihren Willen erfolgte Wegnahme ihrer Tochter krank geworden sei. Diese Maßnahme des Antragsgegners habe ihr auch wirtschaftlich geschadet. Sie könne die Angabe eines Nettoeinkommens in Höhe von 7.940,- DM nicht mehr nachvollziehen. Ausweislich eines zu den Akten gereichten Schreibens ihrer Steuerberaterin vom 8. Mai 2003 werde ihr monatlicher Gewinn im Jahr 2002 voraussichtlich 2.000,- € betragen. Unter Abzug von Steuern, berufsbedingten Aufwendungen sowie der Unterhaltszahlungen an ihren Sohn F. verbliebe deshalb kein Betrag, den sie an den Antragsgegner leisten könne. Auch lägen ersparte Aufwendungen durch die Unterbringung ihrer Tochter im Kinderheim nicht vor, da diese gegen sie keinen Unterhaltsanspruch mehr habe. Dieser sei aufgrund der vorsätzlich falschen Angaben und der vorsätzlich falschen Herbeiführung der Unterbringung verwirkt.

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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19. Februar 2003 in der Fassung dessen Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2003 wieder herzustellen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Zur Begründung nimmt er zunächst Bezug auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus macht er geltend, die Antragstellerin habe ihre Zahlungspflicht ab März 2003 mit Schreiben vom 11. Februar 2003 anerkannt. Er habe die Situation der Antragstellerin ermessensgerecht gewürdigt, die von der Antragstellerin vorgenommene Berechnung sei nicht nachvollziehbar.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Gerichtsakte des Amtsgerichts Duderstadt zum Aktenzeichen 8 F 157/02 (FO) sowie die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

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II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist im wesentlichen unbegründet.

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Die vom Gericht bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin, einstweilen vom Vollzug der angegriffenen Verfügung verschont zu bleiben, und dem Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung geht bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Rechtmäßigkeitsprüfung im Wesentlichen zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn der angefochtene Bescheid des Antragsgegners vom 19. Februar 2003 und dessen Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2003 stellen sich ganz überwiegend als rechtmäßig dar, so dass an der sofortigen Vollziehung ein öffentliches Interesse besteht.

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Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Mai 2003 ist lediglich insoweit wieder herzustellen als mit dem Bescheid vom 19. Februar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2003 von der Antragstellerin für die Zeit vom 27. August 2002 bis 9. September 2002 ein Kostenbeitrag auf der Grundlage der §§ 91 Abs. 1 Nr. 6, 93 SGB VIII (KJHG) erhoben wurde.

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Die Kammer lässt offen, ob die gegenüber dem Ausgangsbescheid mit dem Widerspruchsbescheid vorgenommene Verböserung schon wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs. 1 SGB X rechtswidrig ist. Hierfür spricht, dass sich für die Antragstellerin nicht ohne weiteres ersehen lässt, welcher Kostenbeitrag von ihr mit diesem Widerspruchsbescheid erhoben werden soll. Hierauf kommt es indes nicht an, weil der Bescheid aus anderen Rechtsgründen insoweit voraussichtlich rechtswidrig ist.

25

Gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII werden das Kind oder der Jugendliche und dessen Eltern u.a. zu den Kosten der Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen nach § 42 SGB VIII herangezogen. Gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 SGB VIII erfolgt die Heranziehung zu den Kosten durch Erhebung eines Kostenbeitrages, dessen Höhe nach § 93 Abs. 2 SGB VIII zu ermitteln ist.

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Diese Vorschriften gelangen indes nicht zur Anwendung, denn es liegt kein Fall der Inobhutnahme nach § 91 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII vor. Gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII ist die Inobhutnahme die vorläufige Unterbringung des Kindes oder des Jugendlichen in einer Einrichtung. Nach § 42 Abs. 1 S. 3 SGB VIII ist dem Kind oder dem Jugendlichen mit der Inobhutnahme unverzüglich die Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen und gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 SGB VIII hat das Jugendamt den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten, hier die Antragstellerin, unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten. Von einer vorläufigen Unterbringung in diesem Sinne und der Einhaltung der den Schutz der Personensorgeberechtigten dienenden Bestimmungen kann hier nicht gesprochen werden. Vielmehr war es so, dass für den Antragsgegner einerseits auf der Grundlage des Diagnoseberichts des Städtischen Kinderheimes Göttingen vom 25. Juli 2002 feststand, dass die Tochter E. der Antragstellerin nicht in den Haushalt der Antragstellerin zurückkehren durfte und wollte, dass aber andererseits das während der Diagnosephase geltende Einverständnis der Antragstellerin für die Heimunterbringung ihrer Tochter mit dem Ende der Diagnosephase keinen Bestand mehr hatte. Folglich verblieb E. rein faktisch im städtischen Kinderheim, bis das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sie durch Beschluss des Amtsgerichts Duderstadt vom 4. September 2002 auf das Jugendamt des Antragsgegners übertragen und ein Antrag auf Einleitung einer Jugendhilfemaßnahme gemäß § 34 SGB VIII gestellt wurde.

27

Die Kammer verkennt nicht, dass es für die Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu einem Kostenbeitrag nach Jugendhilferecht nicht darauf ankommt, ob die Jugendhilfe rechtmäßig gewährt worden ist, sondern nur darauf, dass die Hilfe tatsächlich gewährt worden ist (OVG Lüneburg, Urteil vom 12.06.1995 – 12 L 6009/93 -; Beschluss vom 24.11.1999 – 12 L 4460/99 -). Voraussetzung für die Anwendung dieser Rechtsprechung ist jedoch, dass die Hilfe, hier eine Inobhutnahme, tatsächlich gewährt worden ist. Dies ist nicht der Fall. Denn rein tatsächlich änderte sich an der Unterbringung von E. und deren Aufenthaltsbedingungen im Städtischen Kinderheim mit dem Ende der Diagnosephase, das zutreffend wohl auf den 27. Juli 2002 anzusetzen wäre, nichts. Erst nachträglich, und auch nur aufgrund eines internen Vermerkes vom 19. September 2002, hat der Antragsgegner den Aufenthalt von E. nach dem vom ihm angenommenen Ende der Diagnosephase am 26. August 2002 in eine am 27. August 2002 beginnende Inobhutnahme “umdeklariert“. Es erscheint der Kammer daher nicht gerechtfertigt, von der Antragstellerin einen Kostenbeitrag in Anwendung des § 91 Abs. 1 Nr. 6 und § 93 Abs. 2 SGB VIII zu fordern.

28

Im übrigen ist der Antrag der Antragstellerin jedoch unbegründet, weil sich die angegriffenen Bescheide bei der gebotenen summarischen Rechtmäßigkeitsprüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweisen.

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Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VWGO gerecht werdenden Weise begründet.

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Die Kammer lässt offen, ob die Antragstellerin mit ihrem Schreiben vom 11. Februar 2003 für die Zeit ab März 2003 dadurch auf ihre Rechte verzichtet hat, dass sie sich bereit erklärt hat, ab diesem Zeitpunkt monatlich 267,00 Euro zu bezahlen. Denn unabhängig davon besteht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Zahlungsverpflichtung der Antragstellerin auch für diese Zeit.

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Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Antragstellerin zu einem Kostenbeitrag für die Zeit vom 15. Mai 2002 bis 28. Februar 2003 in Höhe von 3.254,30 € und ab März 2003 in Höhe von 267,- € monatlich ist § 91 Abs. 1 Nr. 4 c i.V.m. § 34 Abs. 1 SGB VIII. Während dieses Zeitraumes und auch gegenwärtig leistet der Antragsgegner der Tochter E. der Antragstellerin Hilfe zur Erziehung in einer betreuten Wohnform, nämlich dem zum Städtischen Kinderheim gehörenden „Blauen Haus“, im Sinne von § 91 Abs. 1 Nr. 4 c i.V.m. § 34 SGB VIII. Nach dem Vorstehenden ist dabei rechtlich unerheblich, dass diese Unterbringung nach dem Ende der Diagnosephase bis zum Wirksamwerden des amtsgerichtlichen Beschlusses über die Bestellung eines Ergänzungspflegers gegen den Willen der Antragstellerin und damit möglicherweise rechtswidrig erfolgte. Denn maßgeblich sind, wie dargelegt, die tatsächlichen Verhältnisse. Tatsächlich war E. im Städtischen Kinderheim in der Diagnosegruppe bzw. im „Blauen Haus“ untergebracht.

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Abweichend von § 93 Abs. 2 – 4 SGB VIII gelten im Fall der Hilfe zur Erziehung nach § 91 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII für die Heranziehung der Eltern oder Elternteile § 94 Abs. 2 – 4 SGB VIII. Gemäß § 94 Abs. 2 S. 1 SGB VIII sind die Eltern oder Elternteile in der Regel in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen zu den Kosten heranzuziehen, wenn die Eltern oder Elternteile vor Beginn der Hilfe mit dem Kind oder dem Jugendlichen, wie hier, zusammengelebt haben.

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Es handelt sich, wie sich auch aus § 91 Abs. 1 SGB VIII ergibt, um eine bindende Vorschrift, so dass dem Antragsgegner bei der Heranziehung eine Ermessensbetätigung nicht zugestanden ist. Soweit die Antragstellerin daher Ermessensfehler rügt, ist dies rechtlich unbeachtlich.

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In Anwendung des § 94 Abs. 2 SGB VIII hat der Antragsgegner den von der Antragstellerin zu leistenden Kostenbeitrag zutreffend ermittelt.

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Für die ersparten Aufwendungen nach § 94 Abs. 2 S. 1 SGB VIII sollen nach Satz 2 dieser Bestimmung nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge festgelegt werden. Die Kammer folgt der Rechtsprechung des OVG Lüneburg, wonach es rechtlich unbedenklich ist, die ersparten Aufwendungen auf der Grundlage der Düsseldorfer Tabelle zu ermitteln (Urteil vom 26.05.1999 – 4 L 4442/98 -, FEVS 51, 136; Urteil vom 07.03.2000 – 4 L 3100/99 -).

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Der Antragsgegner hat zutreffend bis einschließlich September 2002 einen von der Antragstellerin zu leistenden Kostenbeitrag in Höhe von 421,- € und danach in Höhe von 267,- € ermittelt.

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Dem hält die Antragstellerin zunächst zu Unrecht entgegen, ihre Tochter E. habe gegen sie keinerlei Unterhaltsansprüche mehr, weil diese verwirkt seien. Die dieser Annahme zugrundeliegende Argumentation der Antragstellerin erscheint – um es vorsichtig auszudrücken – kühn. Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Duderstadt vom 4. September 2002 und den aktenkundigen Anhörungsprotokollen mit Aussagen sowohl der Antragstellerin als auch ihrer Tochter E. vom 4. September 2002 und 10. Juni 2003 hat das Gericht keinerlei Veranlassung, ein unterhaltsverwirkendes Verhalten E. anzunehmen. Der antragstellerischen Argumentation fehlt insoweit jeder Realitätsbezug.

38

Bei der Berechnung des Kostenbeitrages ist der Antragsgegner von dem von der Antragstellerin am 11. Oktober 2002 angegebenen Nettoeinkommen abzüglich der von der Antragstellerin angegebenen Versicherungsleistungen ausgegangen. Dem folgt die Kammer nach summarischer Prüfung. Die Antragstellerin hat ein geringeres Einkommen nicht glaubhaft gemacht.

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Die Bescheinigung ihrer Steuerberaterin vom 8. Mai 2003, nach der der monatliche Gewinn der Antragstellerin im Jahr 2002 voraussichtlich ca. 2.000,- € betragen werde, ist nicht aussagekräftig. Die Antragstellerin selbst hat im Oktober 2002 knapp 8.000,- DM als Nettoeinkommen angegeben. Die Kammer vermag nicht anzunehmen, dass diese Angabe, deren Zweck der Antragstellerin durch das Aufforderungsschreiben des Antragsgegners vom 19. September 2002 bekannt war, zu hoch gegriffen gewesen ist. Es ist nicht nachvollziehbar und deshalb nicht glaubhaft, dass die Antragstellerin entgegen ihrer eigenen Angabe tatsächlich lediglich über ein ? so hohes Nettoeinkommen verfügt hat. Für ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.000,- € ist die Antragstellerin jeglichen Nachweis oder Beleg schuldig geblieben. In entsprechender Anwendung von § 4 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 76 des BSHG ist der von der Antragstellerin angegebene Nettoeinkommensbetrag auf den Zeitraum der Unterbringung der Tochter der Antragstellerin hochzurechnen. Dies hat der Antragsgegner zutreffend getan und ist unter Abzug der geleisteten Versicherungszahlungen zu einem monatlichen Nettoeinkommen von 6.336,- DM gekommen.

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Zugunsten der Antragstellerin hat der Antragsgegner diesen Betrag, der eine Einstufung in die Stufe 10 der Düsseldorfer Tabelle (Stand: 01.07.2001, NJW 2001, 1915) rechtfertigen würde, um knapp 500,- DM, umgerechnet 240,- €, verringert. Hierfür bestand im Grunde keine Veranlassung, da ein Abzug für berufsbedingte Aufwendungen von pauschal 5 % des Nettoeinkommens, wie ihn Anmerkung 3 der Düsseldorfer Tabelle vorsieht, hier nicht gerechtfertigt erscheint. Denn dieser Abzug ist nur bei entsprechenden Anhaltspunkten zu machen. Sämtliche berufsbedingte Aufwendungen der Antragstellerin gehen bei der Gewinnermittlung nach § 18 EStG jedoch schon in die Ermittlung des Nettoeinkommens (Gewinn) ein.

41

Der Kindesunterhalt für ein 12 – 17 Jahre altes Kind beträgt nach der Düsseldorfer Tabelle in der Einkommensstufe 9 840,- DM, umgerechnet 431,- €. Die Einstufung in die Einkommensstufe 9 ist auch in Anbetracht der Tatsache gerechtfertigt, dass die Antragstellerin drei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig ist, und beachtet die Begrenzung durch den Bedarfskontrollbetrag nach Anmerkung 6 der Düsseldorfer Tabelle. Die Unterhaltsansprüche der Kinder der Antragstellerin betragen in der Einkommensstufe 9 insgesamt 2.650,- DM (E. und F. jeweils 840,- DM sowie D. 970,- DM). Das der Antragstellerin zur Verfügung stehende Nettoeinkommen beträgt unter Abzug des Bedarfskontrollbetrages in Höhe von 2.540,- DM 3.479,- DM und übersteigt somit die Unterhaltsansprüche der Kinder der Antragstellerin.

42

Von dem so zutreffend ermittelten Tabellenbetrag in Höhe von 431,- € hat der Antragsgegner wiederum zugunsten der Antragstellerin einen Freibetrag in Höhe von 20 % zur Kontaktpflege abgezogen. Ein solcher Freibetrag erscheint hier rechtlich nicht zwingend, weil es ausweislich der Akten des Familiengerichts während der gesamten Zeit der Unterbringung so gut wie keine Kontakte zwischen der Antragstellerin und ihrer Tochter gegeben hat. Dennoch folgt die Kammer dieser, zugunsten der Antragstellerin gehenden Berechnung des Antragsgegners im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Zutreffend hat der Antragsgegner der sich hiernach ergebenden Zwischensumme von 344,80 € die Hälfte des Kindergeldes für H. (77,00 Euro) hinzugerechnet (Anmerkung 10 der Düsseldorfer Tabelle), so dass sich ein gerundeter monatlicher Kostenbeitrag in Höhe von 421,00 € ergibt.

43

Ein Grund, von der Heranziehung nach § 93 Abs. 6 SGB VIII ganz oder teilweise abzusehen, liegt erkennbar nicht vor.

44

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO. Die Antragstellerin obsiegt lediglich in Höhe des anteiligen Differenzbetrages zwischen 421,- € (Berechnung nach § 94 Abs. 1, 2 SGB VIII) zu 1.299,- € (Berechnung nach § 93 SGB VIII). Dies ergibt für den Zeitraum vom 27. August bis 09. September 2002 einen Betrag von 404,15 € (193,74 € im Verhältnis zu 597,90 €), was bezogen auf die in der Fassung des Widerspruchsbescheides geltend gemachte Gesamtforderung von 3.658,45 einem Anteil von 1/9 entspricht.