Staatsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 28.09.2023, Az.: StGH 2/23
Zurechnung von Äußerungen eines aus dem Amt ausgeschiedenen Ministers seinem Amtsnachfolger ohne besonderen Grund i.R.e. Antrags auf Organstreitverfahren
Bibliographie
- Gericht
- StGH Niedersachsen
- Datum
- 28.09.2023
- Aktenzeichen
- StGH 2/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 52854
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- DÖV 2024, 37
- NVwZ 2024, 164-165
- NordÖR 2024, 19-20
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein Antrag im Organstreitverfahren, der auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Presseäußerung abzielt, ist gegen den für die Maßnahme konkret verantwortlichen Amtswalter und nicht gegen das Amt als solches zu richten.
- 2.
Äußerungen eines aus dem Amt ausgeschiedenen Ministers sind seinem Amtsnachfolger ohne besonderen Grund nicht zuzurechnen.
- 3.
Die Parteifähigkeit eines Beteiligten im Organstreitverfahren beurteilt sich grundsätzlich nach dem Status zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verfassungsstreit anhängig gemacht worden ist
In dem Organstreitverfahren
der A
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte:
KOMNING Rechtsanwälte,
Augustinerstraße 12, 97070 Würzburg
gegen
1. Niedersächsische Landesregierung, Planckstraße 2, 30169 Hannover
2. Bundesminister der Verteidigung, Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin
3. Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Lavesallee 6, 30169 Hannover
- Antragsgegner -
wegen Presseäußerung des Innenministers zur A
hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung am 28. September 2023 unter Mitwirkung
des Präsidenten Mestwerdt
sowie der Richterinnen und Richter van Hove,
Kaiser,
Butzer,
Veen,
Huss,
Bornemann,
Otte,
Berghaus
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird verworfen.
Gründe
A.
Der Antragsteller, hat mit der Antragsschrift vom 26. Mai 2023 die Antragsgegner zu 1) bis 3) auf Feststellung in Anspruch genommen, dass der Antragsgegner zu 2) ihn in einem Interview mit der Bild am Sonntag, veröffentlicht am 11. Dezember 2022, in seinem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt habe. Der Antragsgegner zu 2) war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Interviews Niedersächsischer Minister für Inneres und Sport. Er ist am 18. Januar 2023 von diesem Amt zurückgetreten und seit dem 19. Januar 2023 Bundesminister der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland.
B.
I. Der Antrag ist unzulässig.
1. Hinsichtlich der Antragsgegnerinnen zu 1) und zu 3) bezeichnet der Antrag keine von diesen Organen ausgehende Maßnahme im Sinne von § 30 NStGHG i.V.m. § 64 Abs. 1 BVerfGG. Das Interview wurde vom Antragsgegner zu 2) gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass er für die Landesregierung oder die jetzige Ministerin für Inneres und Sport gesprochen hat, trägt der Antragsteller nicht vor. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 NV führen Ministerinnen und Minister ihren Aufgabenbereich grundsätzlich eigenverantwortlich. Aus dem im Interview an einigen Stellen verwendeten Personalpronomen "wir" ergibt sich nicht, dass der Antragsgegner zu 2) Erklärungen im Auftrag der gesamten Landesregierung oder der gegenwärtigen Ministerin für Inneres und Sport abgegeben hat. Entgegen der Auffassung des Antragstellers haben sich auch weder die Landesregierung noch die gegenwärtige Ministerin die Äußerungen nachträglich zu eigen gemacht. Bei der Antwort auf Frage 6 einer Kleinen Anfrage, die Äußerungen verletzten nicht den Grundsatz der Neutralitätspflicht, handelt es sich lediglich um eine Einschätzung der Rechtslage (vgl. LT-Drs. 19/389, verteilt am 26.1.2023).
Es ist auch kein Rechtsgrund ersichtlich, der es gestatten könnte, die Äußerungen des ehemaligen Ministers seiner Amtsnachfolgerin zuzurechnen. Soweit der Antragsteller meint, dass sowohl Art. 54 Nr. 1 NV als auch § 8 Nr. 6 NStGHG auf Streitigkeiten zwischen Organen als solchen abstellten, sodass es auf den konkreten Organwalter nicht ankommen könne, übersieht er, dass sich der Antrag nach der vom Niedersächsischen Staatsgerichtshof geteilten ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen den für die Maßnahme konkret verantwortlichen Amtswalter und nicht gegen das Amt als solches zu richten hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, juris Rn. 29; v. 15.6.2022 - 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 -, BVerfGE 162, 207 [BVerfG 25.05.2022 - 2 BvE 10/21], juris Rn. 55; v. 22.2.2023 - 2 BvE 3/19 -, NJW 2023, 831, juris Rn. 124).
2. Dem Antragsgegner zu 2) fehlt die Parteifähigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs beurteilt sich die Parteifähigkeit eines Beteiligten im Organstreit grundsätzlich nach dem Status zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verfassungsstreit anhängig gemacht worden ist (BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, juris Rn. 29; v. 15.6.2022 - 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 -, BVerfGE 162, 207 [BVerfG 25.05.2022 - 2 BvE 10/21], juris Rn. 55; v. 24.1.2023 - 2 BVE 5/18 -, NVwZ 2023, 586, juris Rn. 37; NdsStGH, Beschl. v. 8.12.2020 - StGH 1/20 -, LVerfGE 31, 353, juris Rn. 4). Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsgegner zu 2) nicht mehr im Amt.
Die im Schriftsatz vom 31. August 2023 nachgeschobenen Argumente bedingen kein anderes Ergebnis. Ob die Organstellung eines Beteiligten wie in den vom Antragsteller herangezogenen Entscheidungen nach Anhängigkeit eines Verfassungsstreits wegfällt oder - wie vorliegend - zum Zeitpunkt des Antrags nicht (mehr) vorhanden ist, ändert nichts am maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Parteifähigkeit. Ein Organstreitverfahren ist ein kontradiktorisches Verfahren. Es dient der wechselseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis und nicht der abstrakten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit von Maßnahmen eines früheren Verfassungsorgans bzw. Organteils. Mit seinem Rücktritt vom Amt des Ministers für Inneres und Sport hat der Antragsgegner zu 2) seinen Status als anderer Beteiligter im Sinne von Art. 54 Nr. 1 NV und § 8 Nr. 6 NStGHG, der durch die Verfassung oder in der Geschäftsordnung des Landtages mit eigenen Rechten ausgestattet ist, verloren.
Soweit der Antragsteller auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2014 (2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10 -, BVerfGE 136, 277, juris Rn. 60) verweist, ergibt sich daraus keine fortwirkende Parteifähigkeit des Antragsgegners zu 2). Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall der Bundesversammlung auf Grund der Besonderheiten ihrer Arbeitsweise die Parteifähigkeit dieses nur kurzzeitig bestehenden Staatsorgans (vgl. zu den Besonderheiten der Bundesversammlung Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 15. Aufl. 2021, Art. 54 Rn. 49 ff.) fortbestehen lassen, weil Rechtsschutz gegen deren Maßnahmen ansonsten praktisch nicht zu erlangen sei. Eine solche Besonderheit besteht vorliegend nicht. Regelmäßig endet die Organstellung eines Landesministers nicht unmittelbar im Anschluss an eine streitbefangene Maßnahme. Ob in dem Fall einer "letzten Rede" vor einem Rücktritt anderes gelten mag, bedarf keiner Entscheidung.
Schließlich gibt es entgegen der Auffassung des Antragstellers keinen Grund, zumindest für die Antragsfrist des § 30 NStGHG i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG das Organstreitverfahren "zu garantieren". Die Antragsfrist schafft zwischen den Verfassungsorganen Rechtssicherheit, indem sie die Zeitspanne für ein Organstreitverfahren begrenzt. Zweck der Antragsfrist ist es nicht, weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen wie vorliegend die Parteifähigkeit für diese Zeitspanne zu fingieren. Zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens war ein Organstreitverfahren gegen den Antragsgegner zu 2) deshalb nicht (mehr) möglich.
II. Der Antrag wird nach § 12 Abs. 1 NStGHG i.V.m. § 24 Satz 1 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss des Staatsgerichtshofs verworfen.
C.
Das Verfahren ist nach § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei, Auslagen der Beteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.