Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 20.09.2013, Az.: 11 B 5874/13

Abschiebung; Duldung; Passersatzpapier; Verzögerung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
20.09.2013
Aktenzeichen
11 B 5874/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64373
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das Aufenthaltsgesetz lässt keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 25. September 1997, 1 C 3.97).

2. Auch bei kurzfristigen Verzögerungen der Abschiebung ist in aller Regel eine Duldung zu erteilen, solange der Abschiebetermin noch nicht feststeht.

Tenor:

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. bewilligt.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Duldung befristet bis zum 30. September 2013 zu erteilen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Das nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu beurteilende Begehren des Antragstellers, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung eine Duldung zu erteilen - gültig bis zum 30. September 2013 - ist zulässig und begründet.

Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ist hier ausnahmsweise von dem Grundsatz des Verbots einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung abzuweichen, weil ohne eine Vorwegnahme dem Antragsteller effektiver Rechtsschutz nicht gewährt werden könnte. Denn eine Entscheidung in der Hauptsache würde angesichts des nahenden Gültigkeitsablaufs der begehrten Duldung zu spät kommen (Vgl. Kopp/Schenke VwGO, 18. Auflage, § 123 Rn. 14, m.w.N.). Aus eben diesen Gründen besteht auch ein Anordnungsgrund i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

Der Anordnungsanspruch, d.h. ein materielles Recht des Antragstellers von der Antragsgegnerin für den fraglichen Zeitraum geduldet zu werden, ergibt sich aus § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach ist die Abschiebung des Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Ausländer keine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist. Dies setzt u.a. allgemein voraus, dass die Ausreisepflicht des Ausländers vollziehbar ist (§ 58 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG) und dass eine dem Ausländer gesetzte Ausreisefrist abgelaufen ist (§ 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Denn erst dann darf eine Abschiebung erfolgen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), so dass denknotwendig auch erst ab diesem Zeitpunkt eine Aussetzung dieser Zwangsmaßnahme in Betracht kommt (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 27. April 2007 – 11 B 1154/07 – juris).

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. Februar 2012 wurde der Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Gemäß § 75 Satz 1 AsylVfG entfaltete die hiergegen gerichtete Klage keine aufschiebende Wirkung. Der Antragsteller war somit ab diesem Zeitpunkt vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 58 Rn. 30). Mit Ablauf der im Bescheid vom 10. Februar 2012 gesetzten 1-Wochen-Frist (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) war auch die gesetzte Ausreisefrist erfolglos verstrichen.

Eine neue Ausreisefrist hat die Antragsgegnerin entgegen ihrer Auffassung auch nicht im Bescheid vom 29. August 2013 (unter IV.) gesetzt. Denn eine Ausreisefrist ist aufgrund der hieran anknüpfenden Rechtsfolgen ausreichend klar zu formulieren (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 95). Diesen Anforderungen wird die sich ohnehin nicht im Tenor enthaltene Formulierung im Bescheid vom 29. August 2013 nicht gerecht. Denn dort heißt es im Begründungsteil des Bescheides, dass dem Antragsteller zur Vermeidung einer Abschiebung „Gelegenheit“ gegeben werde der als vollziehbar bezeichneten Ausreisepflicht bis zum 30. September 2013 nachzukommen. Andernfalls werde die Abschiebung nach diesem Termin „angekündigt“. Von einer Androhung einer Abschiebung nach Fristablauf kann hierbei nicht die Rede sein. Vielmehr wirkt dies auf den Empfänger wie ein "Gnadenakt", ein letzter Aufschub, den ihm die Behörde noch einmal gewährt. Zudem weist das Gericht darauf hin, dass die Antragsgegnerin für den Erlass einer neuen, zweiten Abschiebungsandrohung mit Ausreisefrist sachlich ohnehin nicht zuständig wäre. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt bei einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Von dieser Befugnis hat das Bundesamt im Bescheid vom 10. Februar 2012 Gebrauch gemacht. Solange dem abgelehnten Asylbewerber nicht zwischenzeitlich ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, ist die Ausländerbehörde durch die Zuständigkeitsregelung des § 34 Abs. 1 AsylVfG gehindert, erneut eine Abschiebungsandrohung zu erlassen (VGH München, Beschluss vom 26. Mai .2003 - 10 CS 03.981 -, NVwZ-Beil., 2003, 73 <74>; OVG Münster, Beschluss vom 25. Mai 2005 - 18 B 1967/04 -, InfAuslR 2005, 399; VG Ansbach, Urteil vom 16. Juni 2009 - AN 19 K 08.02203 -, juris; VG Oldenburg Urteil vom 1. Dezember 2010, - 11 A 330/10 -, V.n.b.; Marx, AsylVfG, 7. Auflage, § 34 Rn. 149 f.; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 5). Dem Antragsteller wurde nach Ablehnung seines Asylantrags kein Aufenthaltstitel erteilt, so dass der Erlass von Abschiebungsandrohungen nach wie vor allein in die Zuständigkeit des Bundesamtes fällt.

Die Abschiebung des Antragstellers ist für den beantragten Zeitraum auch aus tatsächlichen Gründen unmöglich.

Der Antragsteller kann gegenwärtig nicht abgeschoben werden, weil nach unbestrittenen Angaben der Antragsgegnerin noch ein Passersatzpapier besorgt werden muss. Hierzu müsse die Zusage des serbischen Generalkonsulats in H. über die Rückübernahme des Antragstellers abgewartet werden. Das Verfahren werde sich voraussichtlich bis Mitte Oktober 2013 hinziehen. D.h. die Abschiebung kann nicht nur nicht gegenwärtig, sondern auch schon seit Ablauf der zuletzt erteilten Duldung (am 31. August 2013) nicht durchgeführt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Duldung auch dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar möglich ist, aber nicht ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann, insbesondere der Abschiebetermin noch nicht feststeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 – 1 C 3/97 –, BVerwGE 105, 232-241). Genau dies ist hier der Fall. Die Abschiebung erscheint möglich, jedoch nicht ohne eine Verzögerung von einigen Wochen. Dabei hält es die Kammer im Hinblick auf die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung für unbeachtlich, ob die Verzögerung nur eine kurze, vorübergehende Verzögerung ist, die den administrativen Vorkehrungen geschuldet ist. Auch dann ist eine Duldung zu erteilen (a.A.: Renner Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 60a Rn. 15; Hailbronner, Ausländerrecht, § 60a Rn. 51; sowie OVG Berlin, Beschluss vom 27. März 1998 - 3 S 2.98 - EZAR 045 Nr. 8). Maßgebend ist vielmehr aus Gründen der Rechtsklarheit in aller Regel, ob der Abschiebetermin bereits konkret feststeht. Eine andere Beurteilung wäre auch nicht mit dem Wortlaut des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu vereinbaren. Von einer nicht nur vorübergehenden tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung ist dort nicht die Rede. Man nähme zudem mit dieser Ansicht in Kauf, dass Zeiten entstünden (seien sie auch nur kurz), in denen der Ausländer ohne aufenthaltsrechtlichen Status wäre. Dies widerspricht jedoch dem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsatz, dass die Systematik des Ausländergesetzes (nunmehr: Aufenthaltsgesetzes) grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt lasse (BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 – 1 C 23/99 –, BVerwGE 111, 62-68, sowie BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 – 1 C 3/97 –, BVerwGE 105, 232-241). Vielmehr gehe das Gesetz davon aus, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält (BVerwG a.a.O.). Bis zur tatsächlichen Abschiebung (der Anwendung des Zwangsmittels) ist der Ausländer daher zu dulden.

Die Kammer weist darauf hin, dass die Antragsgegnerin dieser Notwendigkeit des Erlasses einer Duldung auch nicht dadurch entgehen kann, dass sie (sofern sie sachlich zuständig ist) die dem Ausländer gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise jeweils verlängert. Hierbei könnten ggf. ganze Ketten von Ausreisefristen entstehen, was veranschaulicht, dass es sich dabei um eine unzulässige Umgehung der gesetzlichen Vorschrift des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG handeln würde.

Aus § 60a Abs. 4 AufenthG ergibt sich der Anspruch des Antragstellers auf Ausstellung einer Bescheinigung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.