Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.04.2020, Az.: 8 C 127/20
innerkapazitäre Zulassung; NC-Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 29.04.2020
- Aktenzeichen
- 8 C 127/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71978
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 12 Alt 1 GG
- § 12 HSchulZulG ND 1998
- § 8 HSchulZulG ND 1998
- § 9 HSchulZulG ND 1998
- § 123 Abs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Prüfung innerkapazitärer Eilanträge in NC-Studiengängen erfolgt nach den Grundsätzen, die bei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in beamtenrechtlichen Konkurentenstreitverfahren gelten.
Gründe
Die Antragstellerinnen und Antragteller (im Weiteren: Antragsteller) begehren im Wege der einstweiligen Anordnung ihre vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin an der Antragsgegnerin zum Sommersemester 2020 innerhalb der festgesetzten Kapazität in den Auswahlverfahren der Hochschule.
Die Zahl der bei der Antragsgegnerin im Studiengang Humanmedizin zu vergebenden Studienplätze ist vom Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur für das Sommersemester 2020 ursprünglich im 1. Fachsemester auf 185 Studienplätze (146 Voll- und 39 Teilstudienplätze) festgesetzt worden (§§ 1 Abs. 1, 2 Satz 2 und 3 Nr. 1 i.V.m. Anlage 1, Abschnitt I B, Universität Göttingen, und Abschnitt II B, Universität Göttingen, der Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2019/2020 und zum Sommersemester 2020 vom 03.07.2019, Nds. GVBl. S. 163ff). Für das 2. bis 4. Fachsemester sind in Abschnitt II.B, Universität Göttingen, unter der Spaltenüberschrift „Sommersemester 2020“ dieselben Zulassungszahlen festgesetzt worden. Durch Verordnung vom 07.11.2019 (Nds. GVBl. S. 349), welche am 22.11.2019 in Kraft trat, wurde die Zulassungszahl für das gesamte Studienjahr um 2 Teilstudienplätze, welche dem Sommersemester 2020 zugeordnet wurden, auf 372 erhöht; vom Sommersemester wurden 22 Vollstudienplätze zum Wintersemester verlagert, so dass für das Wintersemester 2019/20 insgesamt 168 Vollstudienplätze und 39 Teilstudienplätze sowie für das Sommersemester 2020 insgesamt 124 Vollstudienplätze und 41 Teilstudienplätze festgesetzt wurden.
Laut Mitteilung der Antragsgegnerin vom 24.04.2020 wurden aktuell im ersten Fachsemester der Humanmedizin auf Vollstudienplätzen 133 Studierende immatrikuliert; 7 zwischenzeitlich erfolgte Exmatrikulationen und zwei Beurlaubungen seien nicht mitzuzählen, so dass 124 Studienplätze besetzt seien. Die Antragsgegnerin hat verbindlich versichert, dass die festgesetzte Kapazität im 1. vorklinischen Fachsemester ausgeschöpft wird.
Zur Begründung ihrer Anträge tragen die Antragsteller im Wesentlichen vor:
Die Vergabe der Studienplätze innerhalb der festgesetzten Kapazität sei fehlerhaft und nicht nachvollziehbar erfolgt. Das Kriterium der Eignung sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Der Gesetzgeber habe es versäumt, die von ihm vorgegebenen Auswahlkriterien selbst ausreichend zu gewichten. Die Abiturnote werde überproportional berücksichtigt. Die Bildung von Landesquoten müsse offengelegt werden. Die Vergabe von Studienplätzen über die Ortspräferenz sei detailliert offenzulegen. Die Auswahlverfahren sowie die Bewertungen von Auswahlgesprächen und Eignungstests müssten nach den für prüfungsrechtliche Entscheidungen geltenden Grundsätzen ausgestaltet sowie nachvollziehbar und detailliert begründet werden. Die Ablehnungsbescheide der Antragsgegnerin würden diesen Anforderungen nicht genügen. Insbesondere könnten die Antragsteller nicht erkennen, wie ihre jeweiligen Einstufungen zu Stande gekommen seien. Die Anforderungen seien untereinander nicht gewichtet worden, und der fachspezifische Erwartungshorizont des Prüfungsausschusses sei unbekannt. Die Berücksichtigung einer Wartezeit für eine Übergangszeit von zwei Jahren bei der besonderen Eignungsquote sei ebenso verfassungswidrig wie die Nichtberücksichtigung der Abschlussnote von abgeschlossenen Berufsausbildungen. Die Antragsgegnerin müsse zudem im Einzelnen offenlegen, wie die Vergabe der Zulassungen erfolgt sei. Die zusätzliche Eignungsquote sei mit 10 % zu niedrig angesetzt worden.
Die Anträge richten sich auf die vorläufige Zulassung zum 1. Fachsemester, wobei die Antragsteller teilweise ausschließlich einen Vollstudienplatz, weitaus überwiegend einen Vollstudienplatz und hilfsweise einen Teilstudienplatz begehren.
Die Antragsgegnerin tritt den Anträgen entgegen. Sie hält ihre Ausbildungskapazität bezüglich der Voll- wie auch der Teilstudienplätze für ausgeschöpft und die erfolgte Auswahl für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der zu den Anträgen beigebrachten Unterlagen und glaubhaft gemachten Angaben, wird auf den Inhalt der jeweiligen Gerichtsakten sowie auf die Generalakten Humanmedizin Sommersemester 2020 Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen haben keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die besondere Dringlichkeit (Anordnungsgrund) einer solchen Entscheidung sowie ein Anspruch auf Zulassung zum Studium (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgebend sind hierbei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn die Antragsgegnerin hat mit den getroffenen Entscheidungen für die Vergabe der Zulassungen zum Studium in den Auswahlverfahren der Hochschule eine Auswahl getroffen, welche die nicht ausgewählten Antragsteller infolge der nicht bestehenden Möglichkeit, das Studium ihrer Wahl an der Antragsgegnerin zum aktuellen Semester zu beginnen, in ihrer Rechtsstellung aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu beeinträchtigen vermag.
Die Antragsteller haben jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Antragsteller, dass die Vergabe der Studienplätze nach den Grundsätzen ausgestaltet werden müsse, welche für prüfungsrechtliche Entscheidungen gelten. Es geht vorliegend nicht darum, ob ein bestimmtes Prüfungsergebnis, welches in einer Bewertungsstufe ausgedrückt wird, die mangels einer unmittelbaren Konkurrenzsituation nahezu beliebig oft vergeben werden könnte, in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung zustande gekommen ist. Eine prüfungsrechtliche Entscheidung betrifft nur den einzelnen Prüfungsfall und steht in keiner direkten rechtlichen Beziehung zu anderen Prüfungsentscheidungen. Die Auswahlentscheidungen über die Zulassung zu einem Studium in einem zulassungsbeschränkten (NC-)Studiengang erschöpfen sich aber nicht in einer Notenvergabe. Vielmehr bestehen erhebliche Parallelen zu den Auswahlverfahren bei der Vergabe von Ämtern und Dienstposten im öffentlichen Dienst. Denn sowohl bei der Verteilung von Studienplätzen in NC-Studiengängen als auch bei der Vergabe von Ämtern und Dienstposten ist typisch, dass die Anzahl der Bewerber diejenige der freien, aus öffentlichen Mitteln bereit gestellten Plätze übersteigt. In beiden Fällen ist eine Prognoseentscheidung durch einen Träger öffentlicher Verwaltung - im Rahmen eines bereits bestehenden oder neu zu begründenden Sonderstatusverhältnisses - zugunsten der Personen zu treffen, die sich beworben haben, bestimmte Grundvoraussetzungen nachweisen und darüber hinaus am besten geeignet erscheinen, die Aufgaben des Amtes zu erfüllen bzw. das Studium erfolgreich zu beenden. In beiden Bereichen sind Grundrechtspositionen der Bewerberinnen und Bewerber - aus Art. 33 Abs. 2 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG - unmittelbar betroffen. Beiden gemeinsam ist außerdem, dass vollzogene Auswahlentscheidungen, deren zu Grunde liegende Eignungsprognosen sich im Nachhinein als unzutreffend erweisen, nur sehr eingeschränkt wieder rückgängig gemacht werden können, und dass der Rechtsschutz gegen eine Auswahlentscheidung in aller Regel nur durch einen Eilantrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO wirksam erreicht werden kann, weil ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu einer unzumutbaren Verzögerung führen würde.
Die Kammer wendet daher auf Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Vergabe von Studienplätzen in NC-Studiengängen innerhalb der festgesetzten Kapazitäten diejenigen Überprüfungsgrundsätze entsprechend an, die für die verwaltungsgerichtliche Überprüfung in Konkurrentenstreitigkeiten um Ämter und Dienstposten gelten.
Danach haben Bewerberinnen und Bewerber um einen Studienplatz in einem NC-Studiengang grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf eine Zulassung, sondern nur ein aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgendes subjektiv öffentliches Recht auf sachgerechte Auswahl, also einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über die Bewerbung (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 02.09.2013 - 13 A 1429/12 -, juris, Rn. 20). Die tatsächliche Vergabe der in der Zulassungszahlenverordnung ausgewiesenen Studienplätze führt nicht zum Untergang des innerkapazitären Zulassungsanspruchs eines im Auswahlverfahren der Hochschule rechtswidrig übergangenen Bewerbers. Eine bereits rechtswidrig erfolgte Zulassung eines bisher im Auswahlverfahren der Hochschulen erfolgreichen Bewerbers wäre gegebenenfalls von der Hochschule zu korrigieren (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.03.2012 - 13 B 54/12 -, juris, Rn. 1-3 mwN.).
Die einer Zulassung zum Studium vorangehende Auswahlentscheidung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der nur in eingeschränktem Maße einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 01.12.2017 - 5 ME 204/17 -, juris, Rn. 13; Beschluss vom 12.08.2019 - 5 ME 112/19 -, S. 9ff). Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften und mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.01.2003 - 2 A 1.02 -, juris, Rn. 11 und vom 16.08. 2001 - 2 A 3.00 -, juris, Rn. 31; Nds. OVG, Beschluss vom 01.12.2017, aaO.; Beschluss vom 26.08.2003 - 5 ME 162/03 -, juris, Rn. 27; jeweils mwN.).
Nur wenn sich anhand dieses Maßstabs die Auswahlentscheidung im Einzelfall oder insgesamt als fehlerhaft erweist und es sich nicht ausschließen lässt, dass der jeweilige Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge kommt, eine Auswahl des jeweiligen Antragstellers also jedenfalls möglich erscheint (siehe dazu BVerfG, Beschluss vom 24.09.2002 - 2 BvR 857/02 -, juris, Rn. 11 ff.; BVerwG, Urteil vom 04.11. 2010 - 2 C 16.09 -, juris, Rn. 32; Nds. OVG, Beschluss vom 01.12.2017, aaO., mwN.; VG Göttingen, Beschluss vom 16.03.2018 - 3 B 35/18 -), kann der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg haben.
In Anwendung dieser Grundsätze ist für eine fehlerhafte Vergabe vorliegend nichts ersichtlich. Für ein Verkennen des zutreffenden Sachverhalts, die Missachtung allgemeingültiger Wertmaßstäbe, sachfremde Erwägungen oder Verstöße gegen Verfahrensvorschriften sind Tatsachen weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Soweit die Antragsteller den Gesetzgebern in Bund und Land Versäumnisse vorwerfen, ist schon nicht zu erkennen, wie sich aus rechts- oder verfassungswidrigen Rechtsnormen des Bundes- oder Landesgesetzgebers unmittelbar ein Rechtsanspruch eines Antragstellers auf die Zulassung zum Studium gerade bei der Antragsgegnerin – die an diese Rechtsnormen bis zur Feststellung ihrer Rechts- oder Verfassungswidrigkeit gebunden ist – ergeben könnte; ein eventueller Folgenbeseitigungsanspruch wegen legislativen Unrechts könnte sich allenfalls gegen den Verursacher selbst richten.
Ein unmittelbarer Zulassungsanspruch folgt auch nicht aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 10 des Staatsvertrags über die Hochschulzulassung vom 21.03./04.04.2019 (Nds. GVBl. S. 333 - StaatsV 2019 -). Nach Art. 10 Abs. 9 StaatsV 2019 werden aus den Quoten nach Absatz 1 nicht in Anspruch genommene Studienplätze anteilig in den übrigen Quoten vergeben. Die Vorschrift über die Vergabe nicht in Anspruch genommener Studienplätze in Art. 10 Abs. 9 StaatsV (vgl. dazu Art. 10 Abs. 4 StaatsV 2008 und Art. 13 Abs. 4 StaatsV 2006) ist aber nicht so zu verstehen, dass darunter auch Studienplätze fallen, die im zentralen Vergabeverfahren auf der Grundlage einer rechtswidrigen Zulassungsentscheidung vergeben und in der Folge auch besetzt wurden. Die angeführte Regelung soll ersichtlich dem Kapazitätserschöpfungsgebot Rechnung tragen und verhindern, dass Studienplätze ungenutzt bleiben, weil in den betreffenden Quoten keine erschöpfende Nachfrage bestanden hat oder weil Studienbewerber den ihnen zugeteilten Studienplatz nicht angenommen haben. Zu diesen Konstellationen gehört nicht der Fall der (behaupteten) rechtswidrigen Zulassungsentscheidung durch die Antragsgegnerin.
Auch die Zweifel der Antragsteller an der Rechtmäßigkeit der angewandten Auswahlvorschriften teilt die Kammer nicht. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 19.12.2017 - 1 BvL 3 und 4/14 -, juris, Rn. 107ff) muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber selbst die Regeln für die Verteilung knapper Studienplätze schaffen, die dem Grundrecht auf gleiche Teilhabe an staatlichen Studienangeboten, demjenigen auf eine gleichheitsgerechte Verteilung und dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügen. Dabei hat sich die Vergabe der Studienplätze grundsätzlich an dem Kriterium der Eignung zu orientieren; andere Gemeinwohlbelange wie die Patientenversorgung und das Sozialstaatsprinzip sind zu berücksichtigen. Für die Feststellung der Eignung ist eine differenzierende Kriterienbildung geboten, wobei auch praktische und sozial-kommunikative Fähigkeiten sowie bereits in medizinischen Berufen erworbene Qualifikationen beachtet werden müssen. Die Kriterien müssen die Vielfalt der möglichen Anknüpfungspunkte zur Erfassung der Eignung abbilden. Schwächen einzelner Kriterien kann begegnet werden, indem Studienplatzkontingente für Bewerberinnen und Bewerber vorgesehen werden, die andere eignungsbezogene Kriterien erfüllen. Die Kriterien müssen in ihrer Gesamtheit Gewähr für eine hinreichende Vorhersagekraft bieten. Das Zulassungsverfahren muss chancenoffen und transparent gestaltet werden.
Die Satzungsbefugnis der Hochschulen für deren Auswahlverfahren in grundständigen Massenstudiengängen muss sich darauf beschränken, Kriterien aus einem durch formelles Gesetz festgelegten Katalog auszuwählen, der diese der Art nach bereits hinreichend bestimmt. Der Gesetzgeber darf den Hochschulen allerdings gewisse Spielräume für die Konkretisierung der gesetzlich der Art nach festgelegten Kriterien überlassen, anhand derer die Eignung von Studienbewerberinnen und -bewerbern beurteilt werden soll. Dies gilt insbesondere für die Ausgestaltungsmöglichkeiten hochschuleigener Eignungsprüfungen. Allerdings verlangt der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts gesetzliche Sicherungen, dass die Hochschulen Eignungsprüfungen in standardisierten und strukturierten Verfahren durchführen. Dabei genügt es, wenn der Gesetzgeber die Hochschulen zu einer transparenten eigenen Standardisierung und Strukturierung verpflichtet.
Die bestehende Ausgestaltung und die Unterteilung des Studienplatzvergabesystems in Vorab- und drei Hauptquoten (Art. 10 Abs. 1 StaatsV 2019) halten sich im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit (BVerfG, aaO., Rn. 123ff). Die Abiturnote ist grundsätzlich ein sachgerechtes Eignungskriterium für die Vergabe von Studienplätzen in NC-Studiengängen. Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat die verfassungsrechtlichen Anforderungen in § 8 NHZG (in der Fassung des Gesetzes vom 19.11.2019, Nds. GVBl. S. 333) vollständig umgesetzt. Hinreichende, den Gesetzesvorbehalt wahrende Regelungen des Gesetzgebers liegen damit vor. Durch § 9 NHZG wurden bestimmte Regelungsbefugnisse an den Verordnungsgeber delegiert, welche dieser durch die NHZVO (vom 12.12.2019, Nds. GVBl. S. 375) umgesetzt hat. Der Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät der Antragsgegnerin und das Dekanat der Medizinischen Fakultät haben in Form einer Eilentscheidung nach § 43 Abs. 1 Satz 5 NHG am 18./28.11. 2019 eine Ordnung über die Durchführung des Auswahlverfahrens der Hochschule (AdH und ZEQ) beschlossen. Der Vorstand der Universitätsmedizin Göttingen hat diese Ordnung, die im Amtsblatt der Universität vom 29.11.2019 veröffentlicht wurde und am 01.12.2019 in Kraft trat (§ 12 der Ordnung), am 26.11.2019 gemäß §§ 41 Abs. 1 Satz 1, 63h Abs. 2 Satz 1 NHG genehmigt. Auch diese Vorschriften begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das gilt insbesondere für die Berücksichtigung von Wartezeiten innerhalb der ZE-Quote gemäß § 6 der Ordnung, was durch § 12 NHZG und Art. 18 StaatsV 2019 für einen Übergangszeitraum von zwei Studienjahren gedeckt ist. Das BVerfG hat dazu festgelegt (aaO., Rn. 217ff), das eine - prozentual geringfügige - Wartezeitquote, berechnet ab dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung, zulässig ist, wenn sie zeitlich begrenzt ist. Dabei hängt die Angemessenheit der zeitlichen Berücksichtigungshöchstgrenze von der näheren Ausgestaltung, etwa der Verbindung mit Eignungselementen, ab. Diese Anforderungen haben § 12 NHZG, Art. 18 StaatsV 2019 erfüllt, indem die Wartezeit mit weniger als der Hälfte der erreichbaren Punktwerte neben den Eignungselementen und linear abnehmend in der Übergangszeit berücksichtigt wird.
Bei den Einwänden der Antragsteller, dass die Anforderungen untereinander nicht gewichtet worden seien, dass der fachspezifische Erwartungshorizont des Prüfungsausschusses unbekannt sei, und dass die Abschlussnote von abgeschlossenen Berufsausbildungen berücksichtigt werden müsse, handelt es sich zweifellos um eignungsbezogene Kriterien, die auf einer der Stufen des Regelungssystems vom Gesetz-, Verordnungs- oder Ordnungsgeber hätten berücksichtigt werden dürfen. Zwingend ist diese Einbeziehung jedoch nicht, weil der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Rahmen auch ohne sie eingehalten wird. Die Einbeziehung oder der Austausch gegen andere eignungsbezogene Kriterien liegt damit im Ausgestaltungsermessen der Vorschriftengeber und ist der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen.
Soweit die Antragsteller der Auffassung sind, die Ablehnungsbescheide der Antragsgegnerin seien unzureichend begründet, indem sie die Bewertungen von Auswahlgesprächen und Eignungstests nicht detailliert wiedergäben und nicht erkennen ließen, wie ihre jeweiligen Bewertungen zu Stande gekommen seien, greift ihr Vorbringen ebenfalls nicht durch. Die angefochtenen Bescheide weisen die Quotenrangplätze der Antragsteller und die auf die jeweilige Quote bezogenen Grenzränge aus und zeigen damit auf, wie die Eignung zum Studium jeweils prognostisch bewertet wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Bewertungen ist die Antragsgegnerin berechtigt, die abgelehnten Antragsteller – auch im Hinblick auf das Erfordernis einer individuellen Substantiierung gegen die Bewertungsergebnisse – auf das Recht zur Akteneinsicht gemäß §§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG, 29 Abs. 1 VwVfG zu verweisen. Es ist nicht die Aufgabe des Verwaltungsgerichts im kapazitätsrechtlichen Eilverfahren, von Amts wegen sämtliche Einzelergebnisse der seitens der Antragsgegnerin durchgeführten Eignungsprüfungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu untersuchen. Zwar ist im Hochschulzulassungsverfahren im Hinblick auf die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufswahlfreiheit schon im gerichtlichen Eilverfahren eine hinreichende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu gewährleisten. Eine derart intensive Überprüfung von Eignungsprüfungen kann indes nur im Falle „berechtigter Zweifel“ gefordert werden (vgl. VGH BW, Beschluss vom 24.05.2011 - 9 S 599/11 -, juris, Rn. 26ff). Deshalb obliegt es dem jeweiligen Antragsteller, nach entsprechender Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge substantiiert darzulegen, welche Ergebnisse eigener oder fremder Eignungstests aus welchen Gründen gerichtlich überprüft werden sollen, und warum sich dadurch die Ranglisten so verschieben können, dass eine Auswahl des jeweiligen Antragstellers möglich erscheint (ebenso VGH BW, aaO., Rn 28). Eine derartige Darlegung ist von keinem Antragsteller erfolgt.
Die Antragsgegnerin hat anhand anonymisierter Immatrikulationslisten dargelegt, dass sie im 1. Fachsemester des Sommersemesters 2020 im Studiengang Humanmedizin 124 Vollstudienplätze belegt hat und versichert, dass sie die festgesetzten 39 Teilstudienplätze besetzen wird. Die vorgelegte Liste bedarf jedoch einer Überprüfung nach folgenden Grundsätzen (so bereits Beschlüsse der Kammer vom 30.04.2015 - 8 C 13/15 u.a.-, S. 20ff, vom 29.10.2015 - 8 C 317/15 u.a. -, sub 2.2.6, und vom 27.04.2016 - 8 C 15/16 u.a. -, sub 2.2.6.):
Die Matrikelnummern von Studierenden, die erstmals zum Sommersemester 2020 ein Studium an der Antragsgegnerin begonnen haben, beginnen sämtlich mit einer 120, was für den 1. Aufnahmedurchgang des Jahres (20)20 steht. Alle Studierenden, deren Matrikelnummern mit einer anderen Ziffernfolge beginnen, sind also erstmals an der Antragsgegnerin in einem anderen (früheren) Semester immatrikuliert worden. Dass sie im Sommersemester 2020 trotzdem im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin geführt werden dürfen, kann verschiedene Ursachen haben; hier kommen insbesondere ein Wechsel des Studienfachs oder ein Wechsel von einem Teil- auf einen Vollstudienplatz in Betracht. Nach dem Grundanliegen des Kapazitätsrechts, eine möglichst erschöpfende Ausnutzung der vorhandenen Lehrkapazitäten zu erreichen, kann ein Studienplatz nur als besetzt gelten, wenn von ihm aus zumindest die Möglichkeit besteht, die dem fraglichen Semester zugerechnete Ausbildungskapazität tatsächlich anteilig in Anspruch zu nehmen, was nur zwischen dem ersten und dem letzten Tag des jeweiligen Semesters möglich ist. Das Nds. OVG hat (Beschluss vom 19.11.2014, aaO., S. 6ff; bestätigt durch Beschluss vom 10.03.2016 - 2 NB 173/15 -, S. 5) den maßgeblichen Zeitpunkt für das Erfordernis einer Nachbesetzung für Vollstudienplätze auf 2 Wochen nach Vorlesungsbeginn und für Teilstudienplätze auf das Ende der Erklärungsfrist über die Annahme des Studienplatzes bestimmt.
Die Begründung für diese späten Zeitpunkte ist zwar keineswegs überzeugend, weil sie infolge der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte von einem Semester zum anderen variabel sind und deshalb offensichtlich auch für den 2. Senat nicht ohne weiteres (vgl. aaO., S. 8 Mitte: „dürfte…geendet haben“) zu ermitteln waren, denn der für die Nachbesetzung von Teilstudienplätzen maßgebliche Zeitpunkt kann sich noch weit in den Folgemonat hinein verschieben, da an der Antragsgegnerin die Vergabe der Teilstudienplätze erst nach derjenigen der Vollstudienplätze erfolgt, und weil von ihm auch nach dem Vorlesungsbeginn frei gewordene Studienplätze erfasst werden, auf denen bereits Lehrveranstaltungen in Anspruch genommen worden sein können, was im Fall einer Nachbesetzung zu einer (kapazitätsrechnerischen) doppelten Inanspruchnahme führt. Trotz dieser Bedenken schließt sich die Kammer im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung grundsätzlich für das 1. Fachsemester der Fristbestimmung des Nds. OVG an.
Im Gegensatz zu den Plätzen von Studierenden, die dauerhaft aus ihrer Studienkohorte ausscheiden, müssen die Studienplätze beurlaubter Studentinnen und Studenten nicht aus der Zahl der tatsächlich vergebenen Studienplätze "herausgerechnet" werden (Nds. OVG, Beschluss vom 28.04.2010 - 2 NB 159/09 u.a. -, juris, Rn 11). Zwar sind Beurlaubte gemäß § 9 Abs. 5 der Immatrikulationsordnung der Antragsgegnerin nicht berechtigt, Lehrveranstaltungen zu besuchen, Leistungsnachweise zu erbringen oder Prüfungen abzulegen, so dass sie grundsätzlich keine Ausbildungskapazität verbrauchen. Eine Beurlaubung ist jedoch für höchstens drei Semester (§ 9 Abs. 3 Immatrikulationsordnung) möglich und verschiebt damit nur den Zeitraum, in dem die studierende Person nach dem Ende der Beurlaubung die Lehrkapazität in Anspruch nimmt. Deshalb werden nach der Rechtsprechung durch Beurlaubungen nicht die jeweiligen Studienplätze frei, sondern allenfalls Kapazitäten in einzelnen Semestern. Derartige "Semesterplätze" zu vergabefähigen Studienplätzen zusammenzurechnen, ist kapazitätsrechtlich nicht geboten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1987 - 7 C 64.85 -, NVwZ-RR 1989, 186; Bay. VGH, Beschluss vom 11.07.2006 - 7 CE 06. 10152 u. a. -, juris Rn. 37), da es nach der Systematik der Kapazitätsberechnung grundsätzlich nicht darauf ankommt, in welchem Umfang die zum Studium zugelassenen Personen von dem Lehrangebot in den einzelnen Semestern tatsächlich Gebrauch machen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 7 CE 03.10036 -). Aus dem Vorstehenden folgt auch, dass entgegen der früheren Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin ein beurlaubter Studierender nicht wiederholt demselben Fachsemester in der Studierendenstatistik zugeordnet werden kann; denn die Kapazitäten, die er infolge der Unterbrechung seines Studiums nicht ausnutzt, sind aufeinander folgenden Semestern zugeordnet und können nicht mehrfach einem Fachsemester angerechnet werden.
In Anwendung dieser Grundsätze gilt Folgendes:
Die lfd. Nrn. 44 und 92 wurden in der Liste des 1. Fachsemesters im Wintersemester 2019/20 auf den Plätzen 54 und 112 geführt und beurlaubt. Sie zählen zur Kohorte des Wintersemesters 2019/20, so dass diese beiden Studienplätze nicht belegt sind.
Die lfd. Nrn. 25, 31, 48, 53, 80, 107 und 115, die sämtlich zur „120“-Kohorte gehören, haben sich vor dem Beginn der Vorlesungen exmatrikuliert; sie sind nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen von der Antragsgegnerin nachzubesetzen und zählen nicht als besetzte Studienplätze.
Zu den lfd. Nrn. 6, 17, 37, 95, 99, 102 und 104, deren Matrikelnummern nicht mit „120“ beginnen, hat die Antragsgegnerin folgendes ausgeführt:
- Nr. 6 ist zum Sommersemester 2020 von Rechtswissenschaften zur Humanmedizin gewechselt.
- Nr. 17 ist zum Sommersemester 2020 von Mathematik zur Humanmedizin gewechselt.
- Nr. 37 wurde aus dem Studiengang Weltliteratur zum 31.03.2020 exmatrikuliert und schrieb sich zum Sommersemester 2020 im Studiengang Humanmedizin neu ein.
- Nr. 95 studiert zum Sommersemester 2020 Humanmedizin zusätzlich zu Physik.
- Nr. 99 ist zum Sommersemester 2020 von Zahnmedizin zur Humanmedizin gewechselt.
- Nr. 102 ist zum Sommersemester 2020 von Chemie zur Humanmedizin gewechselt.
- Nr. 104 ist zum Sommersemester 2020 von Zahnmedizin zur Humanmedizin gewechselt, studierte zuvor seit dem Wintersemester 2008/09 Zahnmedizin, zuletzt im Promotionsstudiengang bis zur Exmatrikulation am 10.09.2018 und wurde zum 06.03.2020 neu immatrikuliert.
Nach den vorstehenden Grundsätzen sind diese sieben Studienplätze besetzt. Abzüglich der neun nicht zu zählenden Plätze sind damit 124 Vollstudienplätze belegt. Im Übrigen ist an der Zusicherung der Antragsgegnerin, dass sie alle Plätze des 1. Fachsemesters besetzen wird, welche die Zulassungszahlen-Verordnung vorgibt, abzulesen, dass das Vergabeverfahren, insbesondere bei den Teilstudienplätzen, noch nicht abgeschlossen ist. Damit ist es bis zum erklärten Abschluss des innerkapazitären Vergabeverfahrens weiterhin allein die Aufgabe der Antragsgegnerin, Nachbesetzungen eventueller weiterer Exmatrikulationen vorzunehmen und die bestehenden Ranglisten weiter abzuarbeiten, bis sie alle verfügbaren Studienplätze besetzt hat.
Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der niedersächsischen Verwaltungsgerichte (u. a. Nds. OVG, Beschluss vom 09.05.2011 - 2 OA 78/11 -).