Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.10.2011, Az.: 32 Ss 61/11

Rechtsfolgen des Herbeiführens eines unrichtigen Wahlergebnisses

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.10.2011
Aktenzeichen
32 Ss 61/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 32357
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:1019.32SS61.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 14.12.2010 - AZ: 39 Ns 70/08
AG Celle - AZ: 20a Cs 22/08

Fundstelle

  • NStZ 2012, 6

Amtlicher Leitsatz

1. Wer als Betreiber eines Alten- oder Pflegeheims anlässlich einer politischen Wahl eine zentrale Abgabe der Briefwahlstimmen von Heimbewohnern organisiert, dabei jedoch keinen Sichtschutz für die Wähler einrichtet, so dass ihnen eine unbeobachtete Kennzeichnung ihrer Stimmzettel nicht möglich ist, führt ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl nach § 107a Abs. 1 StGB herbei, wenn die so abgegebenen ungültigen Stimmen bei der späteren Auszählung berücksichtigt werden.

2. Für eine Kommunalwahl in Niedersachsen enthält § 53 Abs. 3 NKWO - wonach in Alten und in Pflegeheimen der jeweilige Betreiber Vorsorge dafür zu treffen hat, dass ein Stimmzettel bei der Briefwahl unbeobachtet gekennzeichnet werden kann - eine wesentliche Verfahrensvorschrift für die Briefwahl im Sinne des § 30a Abs. 2 S. 2 NKWG mit der Folge, dass bei einem Verstoß dagegen die Stimmabgabe ungültig ist.

3. § 53 Abs. 3 NKWO begründet für die Heimleitung eine gesetzliche Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB.

Tenor:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 9. kleinen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom 14.12.2010 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO) mit der Maßgabe, dass die Liste der angewendeten Strafvorschriften um § 13 StGB ergänzt wird.

Die Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

I. Das Amtsgericht Celle hat die Angeklagte am 29.07.2008 wegen Wahlfälschung in Tateinheit mit Verletzung des Wahlgeheimnisses zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Auf die dagegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Lüneburg - unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen - das angefochtene Urteil aufgehoben und die Angeklagte wegen Wahlfälschung mit einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 200, EUR belegt. Zudem hat es angeordnet, dass 60 Tagessätze als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt gelten.

1. Zur Person der 67jährigen, verheirateten Angeklagten hat die Kammer unter anderem festgestellt, dass sie über ein monatliches Nettoeinkommen von 6.000,EUR verfügt und nicht vorbestraft ist.

2. Zur Sache hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Vorgeschichte:

Die Angeklagte betreibt seit mehreren Jahrzehnten in W. zwei Alten und Pflegeheime mit insgesamt 150 Plätzen. Dort ist es, wenn eine politische Wahl ansteht, seit vielen Jahren Praxis, dass die Heimbewohner ihre Briefwahlunterlagen an einem bestimmten Tag in einem eigens dafür eingerichteten Raum in dem jeweiligen Heim ausfüllen können. Dabei wird ihnen von der Angeklagten und Heimmitarbeitern Hilfe geleistet.

Der Ehemann der Angeklagten war seit 1996 Mitglied des Rates der Gemeinde W. Bei der Kommunalwahl 2006 trat er erneut zur Wahl an, und zwar für den Gemeinderat in W. sowie für den Ortsrat in H. Auch einer ihrer Söhne kandidierte 2006 für diesen Ortsrat.

Im Rahmen der Vorbereitung der Kommunalwahl 2006 wies die Gemeinde W. alle lokalen Altenheimbetreiber auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines mobilen Wahlvorstands (§ 8 NKWO) hin. In diesem Fall hätten sich Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung in die Heime begeben, und dort die Stimmabgabe der Bewohner vor Ort durchgeführt. Von diesem Angebot machte die Angeklagte für die beiden von ihr betriebenen Heime jedoch keinen Gebrauch. Stattdessen wurde dort - wie bereits in den Vorjahren - in Eigenregie eine zentrale Abgabe der Briefwahlstimmen der Bewohner organisiert.

Die Vorbereitung dieser Briefwahlveranstaltung in den beiden Häusern mit den Standorten B. und K. oblag den beiden Pflegedienstleiterinnen. Eine von ihnen verteilte die eingegangenen Wahlbenachrichtigungskarten an die Bewohner. Daraufhin forderten insgesamt 62 von ihnen bei der Gemeinde ihre Briefwahlunterlagen an.

Die Angeklagte bestimmte den Briefwahltag für die Bewohner des Heims B. auf den 24.08. und für die des Heims K. auf den 28.08.2006. Für diese Tage bestellte der Ehemann der Angeklagten - in Absprache mit ihr - zudem ein mit ihnen bekanntes Ehepaar, die Eheleute H., ein. Diese sollten vor Ort anwesend sein, um den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl bezeugen zu können. Hintergrund war, dass nach einer oder mehrerer der vorangegangenen Kommunalwahlen in der Gemeinde Stimmen laut geworden waren, die eine Verquickung der Kandidatur des Ehemanns der Angeklagten mit den in ihren Heimen organisierten Briefwahlen monierten.

Tatgeschehen:

a) Am 24.08.2006 fand wie geplant die Briefwahlveranstaltung im Heim B. statt. In dem hierfür hergerichteten Raum befand sich ein Tisch, an dessen Stirnseite ein Sitzplatz für die Wähler vorbereitet war. Die Angeklagte unterließ es jedoch, Vorsorge dafür zu treffen, dass dort ein Sichtschutz für die Wähler eingerichtet wird. Ein Sichtschutz war zu keinem Zeitpunkt vorhanden.

An den Längsseiten des Tisches saßen sich die Angeklagte und eine der Pflegedienstleiterinnen gegenüber, und zwar jeweils nur etwa eine Stuhlbreite vom Platz des Wählers entfernt. In dessen Rücken in einer Zimmerecke saßen die Eheleute Hoffmann. All diese Personen waren während der gesamten Wahlveranstaltung ununterbrochen im Raum anwesend. Hinzu kam die zweite Pflegedienstleiterin, die sich zeitweise in dem Zimmer aufhielt und währenddessen ebenfalls am Tisch saß.

Unter diesen Bedingungen wurden die Wählerinnen und Wähler jeweils einzeln und nacheinander in den Raum hereingebeten oder geführt. Sie nahmen an der Stirnseite des Tisches auf dem für sie vorgesehenen Stuhl Platz. Die Angeklagte händigte ihnen ihre auf dem Tisch bereit gelegten Wahlunterlagen aus, erklärte ihnen, wie viele Kreuze auf welchem Wahlzettel gemacht werden dürfen und las ihnen zum Teil auch die dort angegebenen Namen der Parteien und Kandidaten vor. Anschließend trafen die Bewohner ihre Wahl.

Dabei war ihnen aufgrund der im Raum anwesenden Personen und mangels Sichtschutz eine unbeobachtete Kennzeichnung ihrer Stimmzettel nicht möglich. Die Angeklagte unterließ es, sowohl selbst den Raum während der Stimmabgabe der Bewohner zu verlassen, als auch dafür Sorge zu tragen, dass die anderen Anwesenden dies taten.

Unter diesen Bedingungen gaben drei der Bewohner des Heims B. ihre Stimme ab, deren Stimmabgabe der Verurteilung durch das Landgericht zugrunde liegt. Sie alle benötigten aufgrund ihrer körperlichen Verfassung keine Wahlhilfe, was die Angeklagte wusste.

Hinsichtlich zehn weiterer Heimbewohner aus dem B., die ebenfalls auf diese Weise an der Briefwahl teilnahmen, hat die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung gem. § 154a StPO beschränkt.

Dass die Angeklagte die Absicht hatte, sich auch Kenntnis davon zu verschaffen, für wen die Bewohner ihre Stimme abgaben, konnte die Kammer nicht feststellen.

b) Am 28.08.2006 fand unter im Wesentlichen gleichen Umständen die Briefwahl im Heim K. statt. Insbesondere unterließ es die Angeklagte auch dort, dafür zu sorgen, dass ein Sichtschutz für die Wähler aufgestellt wird. Und auch dort verließ weder sie den Raum, während die Bewohner ihre Stimme abgaben, noch forderte die Angeklagte hierzu die ebenfalls ununterbrochen anwesenden Eheleute Hoffmann und eine der Pflegedienstleiterinnen auf. Eine unbeobachtete Wahl war so auch bei der Veranstaltung im Heim K. nicht möglich.

Dort gaben wiederum drei Bewohner unter diesen Bedingungen ihre Stimme ab, deren Stimmabgabe ebenfalls Inhalt der Verurteilung ist.

Hinsichtlich dreizehn weiterer Teilnehmer der Briefwahl im K., hat die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung gem. § 154a StPO beschränkt.

c) Zu einem späteren Zeitpunkt an einem nicht mehr feststellbaren Tag, jedoch noch vor dem eigentlichen Kommunalwahltermin - dem 06.09.2006 - ließ die Angeklagte eine Bewohnerin des Heims K., die noch nicht an der Briefwahl teilgenommen hatte, in das Dienstzimmer der dortigen Pflegedienstleiterin kommen. Dort hielt sich zu diesem Zeitpunkt nur die Angeklagte auf. Sie händigte der Bewohnerin die Briefwahlunterlagen aus, woraufhin die Bewohnerin in Anwesenheit der Angeklagten ihre Stimme abgab, wozu sie ohne fremde Hilfe in der Lage war. Für das Vorhandensein eines Sichtschutzes hatte die Angeklagte auch in diesem Fall nicht gesorgt.

d) Die Wahlumschläge mit den Stimmzetteln unter anderem der sieben Wähler wurden an die Gemeindeverwaltung W. gesandt, wo sie rechtzeitig vor dem 06.09.2006 eingingen und bei der Auszählung der Stimmen berücksichtigt wurden.

Der Ehemann der Angeklagten wurde sowohl in den Rat der Gemeinde W. als auch in den Ortsrat H. gewählt. Auch der Sohn der Angeklagten, der lediglich für den Ortsrat kandidiert hatte, wurde gewählt. In allen drei Fällen überwog die Anzahl der Briefwahlstimmen, die für diese Bewerber abgegeben worden waren, denen ihrer Urnenstimmen deutlich.

3. Den Strafrahmen hat die Kammer dem § 107a Abs. 1 StGB entnommen, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vorsieht.

Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Landgericht zu Gunsten der Angeklagten bedacht, dass sie bislang unbestraft ist und derzeit von der Gemeinde W. im Rahmen einer Zivilklage auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird wegen der Kosten für eine Wiederholung der Kommunalwahl 2006. Hinzu komme, dass die Angeklagte durch die elfmonatige Berufungshauptverhandlung sowie die regelmäßige Berichterstattung hierüber in der Presse erheblichen Belastungen ausgesetzt war.

Vor dem Hintergrund der langen Verfahrensdauer hat die Kammer einen Zeitraum von neun Monaten in der Berufungsinstanz als rechtsstaatswidrig verfahrensverzögert angesehen, in der die Sache vom Gericht nicht hinreichend gefördert wurde, ohne dass die Angeklagte dies zu vertreten hatte. Als Kompensation hierfür hielt die Kammer es für angemessen, 60 Tagessätze der verhängten Geldstrafe von 240 Tagessätzen als vollstreckt anzusehen.

4. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sie begehrt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II. Die Revision hat weder mit den ausgeführten Verfahrensrügen noch mit der Sachrüge Erfolg. Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft bemerkt der Senat lediglich Folgendes:

1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Sache tragen den Schuldspruch wegen Wahlfälschung gem. § 107a Abs. 1 StGB. Danach wird bestraft, wer unbefugt ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl herbeiführt. Die Vorschrift schützt das Interesse der Allgemeinheit an ordnungsgemäßen Wahlen (Fischer, StGB, 58. Aufl., 2011, § 107a, Rdnr. 1. LKBauer/Gmel, StGB, 12. Aufl., 2007, § 107a, Rdnr. 1, MüKoMüller, StGB, 2005, § 107a, Rdnr. 1).

a) Zu Recht stellt die Kammer darauf ab, dass der Tatbestand erfüllt ist, wenn unter der Form einer gesetzmäßig vollzogenen Wahl die Wahlausübung tatsächlich in ungesetzlicher Weise stattgefunden hat und das dadurch herbeigeführte Stimmverhältnis ein anderes geworden ist, als es beim ordnungsgemäßem Vollzug der Wahl gewesen wäre (RGSt 20, 420. Fischer, aaO., Rdnr. 2. SKRudolphi, StGB, 8. Aufl., 2007, § 107a, Rdnr. 3. MüKoMüller, aaO., Rdnr. 14). Jeder unerlaubte Eingriff, der das Stimmenverhältnis ändert, genügt (LKBauer/Gmel, aaO., Rdnr. 4. Schönke/SchröderEser, StGB, 28. Aufl., 2010, § 107a, Rdnr. 5. MüKoMüller, aaO., Rdnr. 14). Dabei kommt es weder darauf an, ob durch den Eingriff das Gesamtergebnis der Wahl geändert wurde noch ob ein betroffener Wahlberechtigter bei ordnungsgemäßer Durchführung der Wahl in gleicher Weise gestimmt hätte, denn das Wahlergebnis ist bereits unrichtig im Sinne des § 107a Abs. 1 StGB, wenn im Rahmen der Auszählung auch nur eine ungültige Stimme als gültig gewertet und mitgezählt wird (OLG Zweibrücken, NStZ 1986, 554 [OLG Zweibrücken 06.05.1986 - 2 Ss 67/86]. BGH, NJW 1981, 588 [BGH 29.10.1980 - 2 StR 207/80]). Dies folgt aus der Zielsetzung des § 107a StGB, wonach im Vordergrund der Schutz des Interesses der Allgemeinheit an ordnungsgemäßen Wahlen steht (OLG Zweibrücken, aaO.).

Ungültig ist die Stimmabgabe bei einer Briefwahl im Bundesland Niedersachsen, wenn wesentliche Verfahrensvorschriften für die Briefwahl nicht eingehalten worden sind (§ 30a Abs. 2 S. 2 NKWG). Das Verfahren für Kommunalwahlen regelt in Niedersachsen die NKWO. § 53 NKWO sieht besondere Vorschriften für die Briefwahl vor. Danach kennzeichnet, wer durch Briefwahl wählt, seinen Stimmzettel unbeobachtet (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 NKWO). In Alten und in Pflegeheimen hat die jeweilige Einrichtung Vorsorge zu treffen, dass der Stimmzettel unbeobachtet gekennzeichnet werden kann (§ 53 Abs. 3 NKWO).

Dabei handelt es sich um eine wesentliche Verfahrensvorschriften im Sinne des § 30a Abs. 2 S. 2 NKWG. Dies folgt aus der hohen Bedeutung des Grundsatzes der geheimen Wahl, der Verfassungsrang hat, und zwar sowohl auf Bundesebene (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) als auch im Landesrecht (Art. 8 Abs. 1 VerfND). Dementsprechend sieht auch § 4 Abs. 1 NKWG vor, dass die Wahl geheim ist. Der Grundsatz der geheimen Wahl bedeutet, dass jeder Wähler seine Stimme abgeben kann, ohne Dritten die Möglichkeit der Beobachtung zu bieten (Neumann, Die Niedersächsische Verfassung, 3. Aufl., 2000, Art. 8, Rdnr. 9). Das Prinzip der Geheimhaltung von Wahlen bietet den wichtigsten institutionellen Schutz der Freiheit der Wahl (BVerfGE 123, 39. Leibholz/Rinck, GG, 56. EGL, 2011, Art. 38, Rdnr. 455. Trute in von Münch, GG, 5. Aufl., 2001, Art. 38, Rdnr. 65). Es soll den Wähler vor jeglichem sozialen Druck schützen (Achterberg/Schulte in Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl., 2010, Art. 38, Rdnr. 151). Das Wahlverfahren und der Akt der Stimmabgabe sind daher so auszugestalten, dass die Wahlentscheidung niemandem anders als dem Wähler aus eigener Anschauung kenntlich wird. Bei der Wahlhandlung selbst darf der Wähler nicht nur geheim wählen, sondern es muss geheim gewählt werden. Auf die Wahrung des Wahlgeheimnisses kann also bei der Stimmabgabe selbst nicht verzichtet werden, denn sie liegt nicht nur im Individualinteresse, sondern auch im staatlichen Interesse einer unbeeinflussten und unbeeinflussbaren Wahlentscheidung. Wegen der besonderen Bedeutung des Wahlgeheimnisses ist der Staat nicht nur verpflichtet, die Geheimheit der Wahl zu ermöglichen, sondern darüber hinaus auch verpflichtet, sie zu gewährleisten (Trute in von Münch, aaO., Rdnr. 66, 69 und 70. Klein in Maunz/Düring, GG, 60. EGL, 2010, Rdnr. 110). Dazu gehört auch das Erfordernis einer Mindestschutzvorrichtung bei der Stimmabgabe in Gestalt einer sichtschützenden Wahlzelle (Trute in von Münch, aaO., Rdnr. 70).

Dem trägt die Vorschrift des § 53 Abs. 3 NKWO unter Berücksichtigung der besonderen Umstände in Alten und Pflegeheimen Rechnung. Diese Regelung begründet eine gesetzliche Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB für die Leitung eines solchen Heimes, also im konkreten Fall die Angeklagte als verantwortliche Betreiberin und Leiterin der beiden Altenheime.

Ihre Strafbarkeit liegt darin begründet, dass sie es unterlassen hat, Vorsorge für das Vorhandensein eines Sichtschutzes in dem Wahlraum zu treffen oder alternativ - wenn ein solcher schon fehlte - Sorge dafür zu tragen, dass die Anwesenden und auch sie selbst während der Stimmabgabe der Bewohner den Raum verlassen. Ob die Wähler mit den vorgefundenen Umständen einverstanden waren und dies mit ihrer Stimmabgabe in Anwesenheit der Angeklagten und der anderen ?Wahlbeobachter? konkludent erklärt haben, kann dahinstehen. Denn der Wähler kann auf das Prinzip der geheimen Abgabe seiner Stimme nicht verzichten.

Auf diesem Verstoß gegen § 53 Abs. 3 NKWO und der daraus folgende Ungültigkeit der entsprechenden Stimmabgaben nach § 30a Abs. 2 S. 2 NKWG beruht das unrichtige Wahlergebnis.

b) Die Entscheidung des hiesigen 1. Strafsenats vom 08.09.1959 (Nds. RPfl. 1961, 134) in einem ähnlich gelagerten Fall steht der Auffassung des Senats nicht entgegen. Dort ging es um eine - freigesprochene - Angeklagte, die als ehrenamtliche Helferin in einem Altenheim tätig war und anlässlich der Bundestagswahl 1957 Heimbewohnern bei der Briefwahl ?zur Hand ging? und ihnen bei der Stimmabgabe zusah. Der maßgebliche Unterscheid zu der hier verfahrensgegenständlichen Fallkonstellation liegt zum einen darin, dass die Angeklagte dort als Privatperson und nicht - wie hier - als verantwortliche Heimleiterin gehandelt hat. Zudem enthielten die dort anzuwendenden Bundeswahlvorschriften seinerzeit kein an Dritte, also an NichtWahlorgane, gerichtetes Gebot des Inhalts, dass dem Briefwähler in Heimen Gelegenheit zu unbeobachteter Stimmabgabe zu gewähren ist. Im Ansatz allerdings hat der 1. Strafsenat bereits damals darauf abgestellt, dass im Falle des Vorhandenseins einer solchen Vorschrift eine Strafbarkeit wegen eines Wahldelikts nach § 107 ff. StGB aus Rechtsgründen in Betracht gekommen wäre.

c) Die Vorschrift des § 107a StGB und seine Anwendung im konkreten Fall begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Bestimmtheit des Straftatbestands des § 107a StGB wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass seine Anwendung die Beurteilung von wahlrechtlichen Vorfragen erfordert, die nicht im Strafgesetzbuch, sondern in den Vorschriften des niedersächsischen Kommunalwahlrechts geregelt sind. Zudem durfte der Bund im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht den Tatbestand der Wahlfälschung auch für Volkswahlen in den Kommunen unter Strafe stellen und damit eine Ahndung von Verstößen gegen das Landesrecht vorschreiben (BVerfG, NVwZ 1993, 55).

2. Auf der Nichterörterung des § 13 Abs. 2 StPO im Rahmen der Strafzumessung beruht das angefochtene Urteil nicht. Die Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von neun Monaten durch Anrechnung von 60 der verhängten 120 Tagessätze ist überaus großzügig bemessen. Angesichts dessen sowie im Hinblick darauf, dass das gefundene Strafmaß noch im unteren und jedenfalls nicht im mittleren oder gar im oberen Bereich des Strafrahmens des § 107a Abs. 1 StGB (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren) liegt, kann der Senat ausschließen, dass bei Erörterung von § 13 Abs. 2 StPO insgesamt auf eine mildere Geldstrafe erkannt worden wäre. Da der Senat zudem ausschließen kann, dass sich die Angeklagte anders als geschehen hiergegen hätte verteidigen können, bedufte es auch keines Hinweises gem. § 265a StPO.

Danach war lediglich die Liste der angewendeten Strafvorschriften um die des § 13 StGB zu ergänzen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.