Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.08.1986, Az.: 1 Ss 270/86
Annahme einer Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 12.08.1986
- Aktenzeichen
- 1 Ss 270/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 20395
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1986:0812.1SS270.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Verden - 06.02.1986 - AZ: 19 Js 8024/84
Rechtsgrundlagen
- § 242 StGB
- § 243 StGB
- § 259 StGB
- § 264 Abs. 1 StPO
- § 265 StPO
- § 467 Abs. 1 StPO
Fundstellen
- MDR 1987, 75-76 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1988, 1225-1226 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Diebstahl oder Hehlerei
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten
gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 6. Februar 1986
in der Sitzung vom 12. August 1986,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ...,
Richter am Oberlandesgericht ... als beisitzende Richter,
Leitender Oberstaatsanwalt ... als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt v. G. aus N. - während der Verhandlung - als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundesbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Verfahren wird auf Kosten der Landeskasse eingestellt. Diese trägt auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gründe
Der Angeklagte war vom Strafrichter in Nienburg wegen "schweren Diebstahls" (§§ 242, 243 StGB) zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je DM 40,- verurteilt worden. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Verden verworfen mit der Mafigabe, daß der Angeklagte des "schweren Diebstahls oder der Hehlerei" schuldig sei; unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Nienburg vom 18.4.85 wurde eine Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je DM 40,- ausgesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung des materiellen und formeller Rechts.
Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen wurde in der Zeit zwischen Samstag, dem 18.2.1984, 14 Uhr und Montag, dem 20.2.1984, 7.30 Uhr aus einem fabrikneuen Pkw der Daimler-Benz-Vertretung in Nienburg, der sich auf deren Gelände befand, mittels Zerschlagens einer Scheibe ein Kassettenradio im Wert von mindestens DM 1.500,- gestohlen. Am 22.2.1984 erschien der Angeklagte mit einigen Begleitern bei der Daimler-Benz-Vertretung in Wunstorf mit diesem - nach der Fabriknummer identifizierbaren - Radio und erteilte den Auftrag, es in seinen Mercedes-Pkw einzubauen. Da jedoch alle Kabel des Radios abgekniffen und nicht - wie üblich - mit Steckern versehen waren, schöpfte man dort Verdacht, daß das Radio gestohlen sein könnte, benachrichtigte die Polizei, und diese stellte die Identität dieses Radios mit dem in Nienburg gestohlenen fest. Die Strafkammer kann nicht ausschließen, daß der - auf den Namen des Angeklagten zugelassene - Pkw, in den das Radio eingebaut werden sollte und auch eingebaut worden ist, nicht im Alleineigentum des Angeklagten steht, sondern der ganzen Familie gehört.
Die Annahme einer Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei ist nach den Feststellungen materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Strafkammer ist davon überzeugt, daß der Angeklagte das Radio entweder selbst gestohlen oder von einer Person unter Umständen entgegengenommen habe, die für ihn den mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich einer deliktischen Herkunft des Gerichts begründet hätten. Eine dritte Möglichkeit, insbesondere einen gutgläubigen Erwerb des Radios, schließt die Strafkammer aus.
Allerdings sind bei einer Verurteilung auf alternativer Tatsachengrundlage, um die es sich hier handelt, in den Urteilsgründen der wahldeutig festgestellte Sachverhalt und dessen exakte rechtliche Würdigung so eingehend darzulegen, daß die Sach- und Rechtsdarlegungen zu jeder einzelnen Tatmodalität für sich allein genügen müßten, eine Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage zu tragen (LK-Tröndle, 10. Aufl. 1985, § 1 Rdn. 118). Das heißt jedoch nicht, daß das Gericht für jede der Tatmodalitäten die Überzeugung ihres Geschehens haben müßte, da dann Alternativität gerade ausschiede Vielmehr ist im Sinne einer Testfrage zu überlegen, ob der Tatrichter, wenn er überzeugt gewesen wäre, der Angeklagte sei nicht der Hehler, dann den Diebstahl dieses Angeklagten für erwiesen angesehen hätte (BGH 12, 386, 389). Das ist aber im Urteil der Strafkammer der Fall.
Die Strafkammer legt zunächst die Umstände dar, die den Verdacht begründen, daß der Angeklagte selbst als Dieb des Radios in Frage kommt. Als solche erwähnt es die Tatsache, daß der Angeklagte bereits wenige Tage (2 bis 4 Tage) nach der Entwendung des Radios in dessen Besitz angetroffen wurde, und daß der Angeklagte, der an sich Kunde des bestohlenen Autohauses in Nienburg war, das Radio, in Wunstorf einbauen ließ. Daß sich dieser Verdacht für die Strafkammer nicht zur Gewißheit verdichtet, liegt daran, daß der. Angeklagte in seiner Berufungsschrift geltend macht, er habe das Radio von seinem Vater erhalten. Es ist denkmöglich, diese Alternative ernsthaft in Betracht zu ziehen, wie es die Strafkammer getan hat, gleichfalls aber auch denkmöglich, aus den - bei einem neuwertigen Radio - abgekniffenen Kabeln den Schluß zu ziehen, daß dies ein Indiz dafür sei, daß der Angeklagte beim Empfang des Radios mindestens damit gerechnet habe, das Radio sei gestohlen; ebenso wie die Strafkammer auch für diese Alternative - revisionsrechtlich fehlerfrei - als Indiz für mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich der strafbaren Herkunft den Umstand wertet, daß der Angeklagte den Einbau des Radios nicht im Nienburger Autohaus in Auftrag gab, wo das Radio gestohlen worden und gleichzeitig der Angeklagte Kunde ist, sondern in Wunstorf (UA S. 8). Es läßt sich also den Urteilsgründen entnehmen, daß die Strafkammer den Angeklagten wegen Diebstahls verurteilt hätte, wenn nicht auch die Möglichkeit einer Hehlerei in Betracht gekommen wäre und umgekehrt.
Daß generell eine Wahlfeststellung zwischen Diebstahl - auch in einem schweren Fall - und Hehlerei möglich ist, ist in der Rechtsprechung anerkannt (BGH 1, 302; 11, 26; 15, 63). Der Senat hält ebenfalls daran fest. Gleichfalls ist nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer es für die in Betracht kommende Alternative der Hehlerei mangels Aufklärungsmöglichkeit dahingestellt sein läßt, ob der Angeklagte das Radio "direkt vom Dieb erhalten" habe, oder ob er es von seinem Vater bekommen habe, der es seinerseits vom Dieb gekauft habe (UA S. 8). In beiden Fällen läge unter der alternativ festgestellten Prämisse des bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Herkunft des Radios eine vom Angeklagten begangene Hehlerei vor. Denn die Hehlerei setzt eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Vortat voraus, die in beiden Fällen in Form eines Diebstahls gegeben wäre. Hehlerei ist so lange möglich, als eine rechtswidrige Besitzlage an der Sache besteht, und zwar auch dann, wenn der Vormann, von dem der Hehler die Sache erwirbt, sie gutgläubig in seinem Besitz hat (BGH 15, 57; Schönke/Schröder/Stree, StGB, 22. Aufl. 1986, § 259 Rdn. 13; Dreher/Tröndle, StGB, 42. Aufl. 1985, § 259 Rdn. 6). Bei einer - wie hier - gestohlenen Sache ist jedenfalls ein zwischengeschalteter gutgläubiger Eigentumserwerb ausgeschlossen. Demgemäß kann kein Rechtsfehler darin erblickt werden, wenn die Strafkammer materiellrechtlich den festgestellten Sachverhalt im Sinne einer Wahlfeststellung als Diebstahl oder Hehlerei würdigt.
Dagegen muß die Verfahrensrüge zur Aufhebung des Urteils führen. Der Angeklagte rügt, daß ihm mit der Anklageschrift lediglich die in der Zeit vom 18.2.84, 14 Uhr bis 20.2.84, 7.30 Uhr liegende Wegnahmehandlung zur Last gelegt werde. Die im Urteil alternativ als begangen angesehene Hehlerei in Form des Sich-Verschaffens der gestohlenen Sache sei jedoch nicht Gegenstand der Anklage gewesen. Das Gericht habe somit die ihm durch § 264 Abs. 1 StPO gezogenen Schranken nicht beachtet, als es ihn im Wege der Wahlfeststellung verurteilt habe, denn es habe ihn alternativ wegen einer anderen als der in der Anklage bezeichneten Tat verurteilt.
Das trifft zu. Die Anklageschrift enthält in der Tat nur den Vorwurf des Diebstahls, begangen im oben erwähnten Zeitraum. (Bl. 15 d. Akten). Allerdings ist in der Berufungshauptverhandlung ein Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts gem. § 265 StPO gegeben worden, wonach eine Verurteilung auch wegen Hehlerei, möglicherweise alternativ mit Diebstahl, in Frage komme. Ein solcher Hinweis würde jedoch verfahrensrechtlich eine Verurteilung im Wege der Wahlfeststellung nur dann erlauben, wenn die in Frage kommenden Alternativen - der Diebstahl und die Hehlerei - noch als Bestandteil der in Anklage und Eröffnungsbeschluß bezeichneten Tat angesehen werden können (BGH MDR 1980, 948 [BGH 02.07.1980 - 3 StR 204/80]; BGH 32, 146). Der Senat hat zwar im Urteil vom 11.7.68 die Ansicht vertreten, daß eine Verurteilung im Wege der Wahlfeststellung nicht dadurch gehindert werde, daß eine der möglichen Alternativen nicht Gegenstand der Anklage sei (OLG Celle NJW 1968, 2390 [OLG Celle 11.07.1968 - 1 Ss 166/68]; ebenso der 2. Strafsenat NJW 1979, 228 [OLG Celle 19.06.1978 - 2 Ss 125/78]; BayObLG NJW 1965, 2211; OLG Düsseldorf JR 1980, 470). An dieser Ansicht hält der Senat jedoch nicht fest. Er folgt nunmehr der Auffassung des BGH, nach der eine Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage nicht zulässig ist, wenn es sich um selbständige Taten in verfahrensrechtlichem Sinne handelt und die eine dieser Taten nicht angeklagt ist (BGH 32, 146; ebenso OLG Hamm GA 1974, 84).
Im vorliegenden Fall ist die Alternative der Hehlerei nicht Gegenstand der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses gewesen. Angeklagt ist das Einschlagen der Fensterscheibe des Pkw und das dadurch ermöglichte Entwenden des Radios in der Zeit vom 18. bis 20.2.84. Eine einheitliche Tat wäre dann gegeben, wenn der so gekennzeichnete geschichtliche Vorgang nach natürlicher Auffassung auch den - möglichen - Hehlereivorgang als Bestandteil umfassen könnte. (Vgl. BGH 13, 320; 23, 141, 145; 32, 215, 216). Ein wichtiges Kriterium für das Vorliegen einer Tat im prozessualen Sinne ist der zeitliche und örtliche Zusammenhang der Ereignisse (BGH NStZ 1981, 33). Ein solcher Zusammenhang ist aber im vorliegenden Fall nicht gegeben, wenn man den wahlweise festgestellten Akt des Sich-Verschaffens des Radios mit dem in der Anklage bezeichneten Sachverhalt vergleicht. Es liegt fern, daß der Angeklagte, sofern er das Radio direkt vom Dieb oder von seinem Vater erhalten hat, es im unmittelbaren Anschluß an den Wegnahmeakt in Empfang nahm. Zumal dann, wenn erst der Diebstahl geschah, dann erst der Erwerb durch seinen Vater dazwischengeschaltet war, bis schließlich der Angeklagte selbst das Radio erhielt, kann eine von der Beschreibung der Diebstahlshandlung erfaßte einheitliche Tat nicht angenommen werden.
Das Verfahren war demgemäß durch Urteil einzustellen (BGH 4 StR 132/53 v. 28.5.53; 5 StR 109/81 v. 12.5.81, zitiert bei KK-Hürxthal, § 260 Rn. 47). Da das Prozeßhindernis durch eine entsprechende neue Anklage und Eröffnung behoben werden kann, ist dadurch die Strafklage nicht verbraucht. (KK-Hürxthal, § 260 Rdn. 16, 48). Der in BGH NJW 1955, 1240 [BGH 24.06.1955 - 1 StR 107/55] eingeschlagene Weg der Zurückverweisung, um eine neue Anklage und dann eine Verbindung der beiden Verfahren zu ermöglichen (vgl. auch BGH 18, 130, 131; 32, 146, 151; SK-Rudolphi. Anhang zu § 55 Rn. 14), ist im vorliegenden Fall nicht gangbar, da die kleine Strafkammer, an die hier zurückzuverweisen wäre, nicht erstinstanzlich tätig werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten sind von der Landeskasse deshalb zu tragen, weil das Verfahrenshindernis dem Verfahren von vornherein erkennbar entgegenstand (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1981, 138; OLG Saarbrücken MDR 1972, 442), so daß die Vorschrift des § 467 Abs. Nr. 2 StPO im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommt. Nach der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 7.6.1984 (Bl. 24 d. Akte) war schon vor der Hauptverhandlung der ersten Instanz erwogen worden, den Tatkomplex einer möglichen Hehlerei in die Anklage einzubeziehen.