Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.10.1986, Az.: 2 Ss (OWi) 53/86
Anwendbarkeit der Vorschriften der Arbeitszeitordnung im Arbeitskampf; Anerkennung eines Arbeitskampfes als Ausnahmefall im Sinne der Vorschriften der Arbeitszeitordnung; Überschreitung der Arbeitszeiten von arbeitswilligen Arbeitnehmern im Rahmen eines Arbeitskampfes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.10.1986
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 53/86
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1986, 16049
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1986:1008.2SS.OWI53.86.0A
Rechtsgrundlage
- § 14 AZO
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeit nach der Arbeitszeitordnung (AZO)
Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen
gegen das Urteil des Amtsgerichts ...
vom 2. Oktober 1985
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 8. Oktober 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts ... zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 11, 25 Abs. 1 Nr. 3 AZO ein Bußgeld von 150,- DM verhängt. Nach den Feststellungen veranlaßte der Betroffene während des Druckerstreiks im Juni 1984 als in der ... Verlagsdruckerei ... dafür Verantwortlicher, daß fünf namentlich aufgeführte Arbeitnehmer am 29. Juni 1984 zwischen 11 und 13,5 Stunden arbeiteten. Die Arbeitnehmer waren hierzu bereit, weil die "... Nachrichten", eine Tageszeitung, sowie die "... wirtschaft International" (...) fertiggestellt werden sollten. Der Verleger der ... hatte der Geschäftsleitung der Druckerei am 27. Juni 1984 mitgeteilt, daß er die "Zusammenarbeit" überprüfen müsse, wenn die ... nicht termingerecht fertiggestellt würde. Der Druck der ... ist für den Betrieb existenznotwendig, weil er zwei Drittel seines Gesamtumsatzes ausmacht. Die Arbeiten an der fertigzustellenden Ausgabe waren zu 85 % abgeschlossen. - Der Betroffene hat den Sachverhalt eingeräumt, jedoch gemeint, die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 14 AZO lägen vor. Demgegenüber hat das Amtsgericht ausgeführt, die Voraussetzungen des § 14 AZO seien nicht gegeben, weil kein unverhältnismäßiger oder außergewöhnlicher Schaden gedroht habe. Du der Arbeitskampf rechtlich institutionalisiert sei, müßten Produktionsausfälle und der Verlust von Aufträgen hingenommen werden. Das ergebe sich aus der Neutralitätspflicht des Staates.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der mit einen Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 OWiG auf Grund des noch aufzuzeigenden Rechtsfehles zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Sie ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie im Hinblick auf die erforderlichen ergänzenden Feststellungen zur Zurückverweisung.
1.
Die Sachrüge ist begründet. Die Begründung, mit der das Amtsgericht die Anwendbarkeit des § 14 AZO verneint hat, hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.
Den Amtsgericht ist darin zu folgen, daß die Vorschriften der Arbeitszeitordnung über die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit zu Gunsten der arbeitswilligen Arbeitnehmer grundsätzlich auch dann anzuwenden sind, wenn andere Arbeitnehmer des Betriebes streiken (VG Düsseldorf NZA 84, 407). Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt her, den die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht ebenso wie der Betroffene teilen, ergibt sich, daß in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Amtsgerichts Notfälle und außergewöhnliche Fälle im Sinne des § 14 Abs. 1 AZO sowie unverhältnismäßige Schäden im Sinne des § 14 Abs. 2 AZO nicht bereits dann vorliegen, wenn es wegen des Streikes eines Teiles der Belegschaft zu Produktionseinbußen kommt, die keine deutlich darüber hinausgehenden nachteiligen Folgen für den Betrieb nach sich ziehen. Bei diesen Produktionseinbußen handelt es sich um typische Beeinträchtigungen durch Arbeitskampfmaßnahmen. Ihre Anerkennung als Ausnahmefall im Sinne des § 14 AZO würde zur weitgehenden Unanwendbarkeit der Arbeitszeitordnung in Fällen des Streiks eines Teiles der Belegschaft führen und würde dem Streik trotz seiner Anerkennung als legitimem Mittel zur Interessendurchsetzung wesentliche Teile seiner Effektivität nehmen. Das Amtsgericht hat daher zutreffend den Produktionsausfall beim Druck der Tageszeitung, der "... Nachrichten", als nicht geeignet angesehen, eine Ausnahme im Sinne des § 14 Abs. 1 oder 2 AZO zu begründen.
Der Senat vermag den Amtsgericht in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht dagegen nicht darin zu folgen, daß die von ihm als ernsthaft gewertete Ankündigung, die Geschaftsbeziehung, die den Druck der ... zum Gegenstand hat und 2/3 des Gesamtumsatzes der Druckerei ausmacht, abzubrechen, nicht geeignet ist, einen bestand im Sinne von § 14 AZO zu begründen. Dieser Fall wird vom dem Begriff des außergewöhnlichen Falles (§ 14 Abs. 1 AZO) erfaßt. Es drohte ein unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Schaden i.S. des § 14 Abs. 2 AZO, weil die ... nach den Feststellungen in höchstens 11 zusätzlichen Arbeitsstunden, verteilt auf 5 Arbeitnehmer, die zu dieser Leistung bereit waren, fertiggestellt werden konnte. Seine Einbeziehung entspricht dem Zweck der Vorschrift, nach dem der Schutz der Arbeitnehmerbelange in Ausnahmesituationen Einschränkungen erleiden muß, wenn das gemeinsame Interesse der Abwendung von erheblichen Schäden vom Betrieb es erfordert. Durch diese Auslegung wird nicht die Neutralitätspflicht des Staates im Arbeitskampf verletzt. Eine Verletzung der Neutralitätspflicht läge allenfalls dann vor, wenn durch den Staat die Effektivität des von anderen Arbeitnehmern geführten Streiks entscheidend geschwächt würde (vgl. BAG NJW 86, 210 [BAG 10.09.1985 - 1 AZR 262/84]). Davon kann bei den hier in Frage stehenden Fallgestaltungen nicht die Rede sein. Es geht nicht um die Abwendung von nachteiligen Folgen für den Betrieb, wie sie bei Streiks üblich sind. Für diesen Fall ist die, Anwendung des § 14 AZO bereits oben abgelehnt worden. Es geht vielmehr nur um die Abwendung streikbedingter Auswirkungen, die über die typischen Folgen weit hinausgehen, hier um den betriebsvernichtenden Abbruch einer Geschäftsbeziehung. Damit ist der Anwendungsbereich des § 14 AZO im Falle von Streiks bereits erheblich eingeengt. Darüber hinaus erfordert § 14 Abs. 1 AZO, daß es sich um ein plötzlich auftretendes, unvorhersehbares Ereignis, das nicht im Bereich unternehmerischer Vorhersehbarkeit liegt, handelt (BAG AP Nr. 1 zu § 14 AZO = BB 58, 558 = Betrieb 58, 575; Meisel/Hiersemann, AZO, 2. Aufl., § 14 RdNr. 4 und 10; Denecke/Neumann, AZO, 9. Aufl., § 14 RdNr. 2 f). § 14 Abs. 2 AZO enthält die wesentliche Einschränkung, daß nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Arbeitnehmern länger beschäftigt werden darf. Da es hierfür nicht auf die Größe des Betriebes ankommt (Meisel/Hiersemann a.a.O. RdNr. 15; Denecke/Neumann a.a.O. RdNr. 5), sondern auch bei großen Betrieben nur ein kleiner Personenkreis herangezogen werden kann, darf es sich insgesamt um objektiv eine geringe Zahl von Arbeitnehmern handeln. Es kann bei Prüfung der Auswirkungen des § 14 AZO auch nicht außer Betracht bleiben, daß die im Rahmen eines Streiks nach dieser Vorschrift herangezogenen Arbeitnehmer zur Streikarbeit grundsätzlich nicht verpflichtet sind, Sondern sie - wie in dem zu entscheidenden Fall - freiwillig verrichten (BAG AP § 615 BGB - Betriebsrisiko - Nr. 3; BGH NJW 78, 990 [BGH 19.01.1978 - II ZR 192/76]). Auch das verhindert übermäßige Einschränkungen der Effektivität des Streiks.
2.
Liegen damit auch die Voraussetzungen eines außergewöhnlichen Falles bzw. eines unverhältnismäßigen Schadens im Sinne des § 14 AZO vor, so kann der Senat dennoch nicht abschließend entscheiden, weil ergänzende Feststellungen des Tatrichters unerläßlich sind.
§ 14 Abs. 1 AZO setzt - wie ausgeführt - ein plötzlich auftretendes, unvorhersehbares Ereignis voraus. Hierzu fehlt es an Feststellungen, inwieweit es für den Betroffenen vorhersehbar war, daß sein Betrieb von diesem Streik betroffen werden würde.- § 14 Abs. 1 rechtfertigt nur die Arbeitszeitüberschreitung in außergewöhnlichen Fällen, soweit deren Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen waren. Es fehlt an Feststellungen, inwieweit die zur Mehrarbeit herangezogenen Arbeitnehmer nur für die Fertigstellung der ... (nicht für die der Tageszeitung) eingesetzt waren und ob nicht durch ihren ausschließlichen Einsatz für die ... oder durch den Einsatz anderer arbeitswilliger Arbeitnehmer für diesen Auftrag er ohne Mehrarbeit hätte rechtzeitig abgewickelt werden können.
Aus den genannten Gründen fehlt es bisher auch an ausreichenden Feststellungen für die Anwendung des § 14 Abs. 2 AZO. Zu möglichen Vorkehrungen des Betriebsführers enthält das Urteil keine Angaben. Die arbeitswilligen Mitarbeiter mußten zur Vermeidung von Mehrarbeit in möglichst großem Umfange ausschließlich zur Fertigstellung der ... eingesetzt werden.