Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.04.1986, Az.: 3 Ws 176/86

Erfüllen des Tatbestandes der Rechtsbeugung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
17.04.1986
Aktenzeichen
3 Ws 176/86
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1986, 20392
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1986:0417.3WS176.86.0A

Fundstellen

  • NJW 1987, 337 (amtl. Leitsatz)
  • NStZ 1986, 513

Verfahrensgegenstand

Verdacht der Rechtsbeugung

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
hat auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung
gegenüber dem Bescheid des Generalstaatsanwalts in Celle vom 3. März 1986
nach dessen Anhörung am 17. April 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers verworfen.

Gründe

1

Der Antragsteller ist alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter-Geschäftsführer der ... Familiengesellschaft bR, welche als stille Gesellschafterin neben weiteren etwa 240 Privatanlegern an der ... Electronic GmbH & Co. KG beteiligt ist. Diese hatte gegen mehrere Feststellungsbescheide des Finanzamts ... Einsprüche eingelegt, welche der Beschuldigte als Sachgebietsleiter des Finanzamts ... als unbegründet zurückgewiesen hat. Der Antragsteller ist der Ansicht, der Beschuldigte habe sich der Rechtsbeugung (§ 336 StGB) schuldig gemacht, weil er in mehreren Punkten den Sachverhalt völlig unzutreffend gewürdigt und ihm bekannte Tatsachen bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen habe.

2

Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.

3

Das dem Beschuldigten vom Antragsteller vorgeworfene Verhalten erfüllt nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung. Der Beschuldigte war nicht mit der "Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache" befaßt. Zwar hat das Reichsgericht dies für die Steuerveranlagung bejaht (RGSt 71, 315). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof jedoch zu Recht aufgegeben (BGHSt 24, 326), weil es sich bei der Steuerveranlagung nicht um die Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache im Sinne von § 336 StGB handele, auch wenn die Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sei. Daß sich eine Verwaltungsmaßnahme wie etwa die Steuerveranlagung in der richtigen Anwendung des geltenden Rechts erschöpfe, dürfe nicht dazu führen, die Strafvorschrift gegen Rechtsbeugung auf dieses ganze Gebiet ausufern zu lassen. Außerdem entscheide ein Beamter gerade derjenigen Behörde, zu deren Aufgaben der Zugriff gegen den Steuerpflichtigen gehöre, über Bestehen und Höhe der Ansprüche nicht "wie ein Richter". Das aber sei eine weitere Voraussetzung für den Täter einer Rechtsbeugung. Im übrigen gehe "wie ein Richter" nur jemand vor, der in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren, regelmäßig einem "Prozeß", entscheide. Auch daran fehle es bei der Steuerveranlagung.

4

Diese Grundsätze sind in der Rechtsprechung einhellig auf Zustimmung gestoßen (vgl. OLG Hamm NJW 1979, 2114 [OLG Hamm 09.02.1979 - 4 Ws 12/79]; OLG Köln OLGSt S. 14 zu § 348 StGB; OLG Bremen NStZ 1986, 120).

5

Dagegen ist die Literatur geteilter Meinung (vgl. dazu Spendel in LK, § 336 Rdnr. 23 m.w.N.).

6

Zwar betrifft die Entscheidung des Bundesgerichtshofs einen Sachbearbeiter des Finanzamts im Veranlagungsverfahren. Der Senat ist jedoch der Ansicht, daß diese Grundsätze ebenso auf das Einspruchsverfahren zutreffen. Auch der Finanzbeamte, der über einen Einspruch entscheidet, entscheidet nicht "wie ein Richter". Nach § 367 Abs. 1 AO gehört er derselben Behörde an, die den Steuerbescheid erlassen hat. Er hat die Sache in vollem Umfang neu zu prüfen (§ 367 Abs. 2 AO). Bei dem Einspruchsverfahren handelt es sich um die "Wiederholung" des ursprünglichen Verwaltungsverfahrens, ein "verlängertes Veranlagungsverfahren", welches nicht zuletzt der Selbstkontrolle der Finanzbehörde dient (Kühn-Kutter, Abgabenordnung, 13. Aufl., § 367 Anm. 2). Auch dieser Beamte hat damit im Auftrage einer Partei (der Finanzverwaltung) deren Interessen gegen den Steuerschuldner wahrzunehmen (BGH a.a.O.), selbst wenn er dabei - wie bereits der Sachbearbeiter - gehalten ist, von Amts wegen auch die dem Steuerpflichtigen günstigen Umstände zu berücksichtigen. Daß das Veranlagungsverfahren in der seit 1977 geltenden Abgabenordnung ausführlicher geregelt ist, vermag an dieser Beurteilung im Ergebnis nichts zu ändern. Wenn schon das Einspruchsverfahren vor derselben Finanzbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, Rechtssache im Sinne von § 336 StGB wäre, müßten noch weit eher diejenigen Einspruchs- und Widerspruchsverfahren, in denen die Aufsichtsbehörden über die Rechtsbehelfe zu entscheiden haben, "Rechtssachen" sein. Das aber würde zu einer solchen Ausweitung des Delikts der Rechtsbeugung führen, wie sie der Bundesgerichtshof zu Recht abgelehnt hat. Der Einstufung dieses Delikts als Verbrechen ist zu entnehmen, daß der Täter in eine besondere Verantwortung gegenüber der Rechtsordnung gestellt sein muß, wie sie etwa ein Richter trägt (OLG Ramm a.a.O.).

7

Die Voraussetzungen des § 336 StGB sind erst recht nicht gegeben, wenn man mit Bemmann (JZ 1972, 599 [BGH 14.03.1972 - 5 StR 589/71]), der dem Bundesgerichtshof im Ergebnis folgt, das entscheidende Abgrenzungskriterium darin sieht, ob der Täter (auch) einen Verwaltungszweck verfolgt oder ob es ihm ausschließlich um Verwirklichung des Rechts geht. Nach dieser Auffassung wird nur derjenige "wie ein Richter" tätig, der nichts weiter als die Verwirklichung des Rechts verfolgt. Dieses ist das einzige Ziel der Rechtsprechungstätigkeit. Und nur derjenige trägt die besondere Verantwortung gegenüber dem Recht, die es als begründet erscheinen läßt, daß ihm eine so hohe Strafe angedroht ist. Zu diesen Personen gehören z.B. auch der Staatsanwalt, soweit er das Ermittlungsverfahren leitet und der Beamte, der einen Bußgeldbescheid erläßt. Sowohl Strafverfahren als auch Ordnungswidrigkeitsverfahren dienen vor allem der Verwirklichung des Rechts.

8

Demgegenüber handelt es sich bei der Steuerfestsetzung nicht um eine Tätigkeit, deren einziges Ziel die Verwirklichung des Rechts ist. Der Erlaß des Steuerbescheides und auch dessen Überprüfung im Einspruchsverfahren sind ein Akt der Steuererhebung und dienen damit der Beschaffung der Mittel für die Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs. Allerdings hat sich der Finanzbeamte dabei an das Recht zu halten, ohne daß dieses jedoch seine vordringlichste Aufgabe ist.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 177, 174 StPO.

10

Gegen diese Entscheidung ist eine Beschwerde nicht gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).