Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.10.2002, Az.: L 4 KR 26/00

Gleichstellung einer wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeldgrenze freiwillig krankenversicherten unverheirateten Frau mit einer pflichtversicherten Frau während des Bezugs von Erziehungsgeld; Beitragsfreie Führung einer aufgrund Überschreitens der Jahresarbeitsentgeldgrenze freiwillig krankenversicherten unverheirateten Frau ohne beitragspflichtigen Einnahmen während des Bezugs von Erziehungsgeld

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
30.10.2002
Aktenzeichen
L 4 KR 26/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 33510
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2002:1030.L4KR26.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 14.12.1999 - AZ: S 6 KR 107/97

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Pflicht des Staates zum Schutze der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es, eine unverheiratete Frau, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeldgrenze freiwillig krankenversichert ist und die keine beitragspflichtigen Einnahmen hat, während des Bezugs von Erziehungsgeld in beitragsrechtlicher Hinsicht einer pflichtversicherten Frau in entsprechender Lage gleichzustellen (verfassungskonforme Auslegung des § 240 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 224 Abs. 1 SGB V).

  2. 2.

    Eine unverheiratete Frau, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeldgrenze freiwillig krankenversichert ist und keine beitragspflichtigen Einnahmen hat, ist demzufolge während des Bezugs von Erziehungsgeld beitragsfrei zu führen.

In dem Rechtsstreit
...
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2002 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte -Vorsitzende-,
den Richter Wolff,
den Richter Schreck sowie
die ehrenamtlichen Richter Heise und Dr. Schein
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die beitragsfreie Mitgliedschaft in der freiwilligen Krankenversicherung während des Bezugs von Erziehungsgeld.

2

Die Klägerin ist 1966 geboren. Sie war Angestellte bei der Commerzbank AG, Filiale B., und bis 31. Dezember 1995 Pflichtmitglied der Beklagten. Im Jahre 1995 überschritt das regelmäßige Arbeitsentgelt der Klägerin die Jahresarbeitsentgeltgrenze. Die Klägerin schied daher aus der Krankenversicherungspflicht aus und setzte die Mitgliedschaft bei der Beklagten ab 1. Januar 1996 im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung in Beitragsklasse 511 fort.

3

Die Klägerin brachte am 13. März 1997 ihren Sohn Jan-Marion zur Welt. Zu dieser Zeit war sie geschieden und lebte im Haushalt ihrer Eltern. Sie bezog bis zum 8. Mai 1997 Mutterschaftsgeld. Vom 9. Mai 1997 an erhielt sie monatlich Erziehungsgeld in Höhe von 600,- DM (Bescheid des Landkreises B. vom 13. Mai 1997) sowie Kindergeld von 220,- DM. Ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen gegen ihren geschiedenen Ehegatten bestand weder für die Klägerin noch für ihren Sohn. Ihre Eltern gewährten der Klägerin Unterkunft und Verpflegung. Kleidung, Toilettenartikel und alle sonstigen Ausgaben bestritt die Klägerin aus den zuvor genannten Einkünften.

4

Mit Bescheid vom 7. Mai 1997 stufte die Beklagte die Klägerin ab 9. Mai 1997 in die für freiwillige Mitglieder günstigste Beitragsklasse 851 ihrer Satzung ein, ab 1. Januar 1998 in die entsprechende Beitragsklasse 801. Der monatliche Beitrag betrug 190,- DM. Die Klägerin erhob Widerspruch mit der Begründung, nach Auskunft anderer Krankenkassen sei sie während des Bezugs von Erziehungsgeld beitragsfrei krankenversichert. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14. Oktober 1997 zurück: Nach dem Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) seien die versicherungspflichtig Beschäftigten während des Erziehungsurlaubs beitragsfrei. Eine entsprechende Vorschrift fehle jedoch für den Personenkreis, der versicherungsfrei sei. Aus Gründen der Gleichbehandlung werde nach der Handhabung der Krankenkassen eine freiwillige Versicherung daher dann beitragsfrei weitergeführt, wenn eine Familienversicherung über den Ehegatten bestehe. Da das bei der Klägerin nicht der Fall sei, sei sie beitragspflichtig.

5

Hiergegen hat die Klägerin am 24. Oktober 1997 Klage erhoben mit dem Antrag, ihre freiwillige Mitgliedschaft in der Zeit vom 9. Mai 1997 bis zum 6. August 1998 beitragsfrei zu führen. Danach bestehe wegen Heirat eine Familienversicherung.

6

Mit Urteil vom 14. Dezember 1999 hat das Sozialgericht Braunschweig (SG) den Beitragsbescheid der Beklagten vom 7. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin in der Zeit vom 9. Mai 1997 bis 6. August 1998 beitragsfrei zu führen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Beklagte ihr Ermessen im Rahmen des § 22 Abs. 12 ihrer Satzung nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Die Klägerin sei wegen des Bezugs von Erziehungsgeld beitragsfrei zu versichern. § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V sei nicht anwendbar. Denn die Klägerin sei vor der Geburt ihres Sohnes ebenso wie andere Pflichtversicherte gegen Entgelt abhängig beschäftigt gewesen. Der Unterschied, dass sie ein Arbeitseinkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze bezogen habe, sei nicht erheblich.

7

Die Beklagte hat gegen das ihr am 10. Januar 2000 zugestellte Urteil am 3. Februar 2000 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingelegt. Sie hält die Ansicht des SG für unrichtig. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 24. November 1992 - Az.: 12 RK 73/92 - die ungleiche Behandlung von freiwillig Versicherten und Pflichtversicherten für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt. Das sei richtig. Denn es liege kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Grundgesetz (GG) vor. Zwischen den versicherungspflichtigen Frauen im Erziehungsurlaub und den versicherungsfreien Frauen im Erziehungsurlaub bestünden deutliche Unterschiede, so dass die ungleiche Behandlung beider Gruppen gerechtfertigt sei. Auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. März 2000 - Az: 1 B VR 16/96 - rechtfertige keine andere Beurteilung. Zum einen befasse sich der Beschluss mit einem anderen Streitgegenstand, nämlich der Zugangsberechtigung zur Krankenversicherung der Rentner - also mit der Gleichbehandlung von pflichtversicherten und freiwillig versicherten Arbeitnehmern im Rentenalter. Zum anderen stelle er auf völlig andere zeitliche Dimensionen ab. Während es bei Zeiten des Erziehungsurlaubs regelmäßig nur um wenige Jahre einer versicherungsfreien Beschäftigung gehe, betreffe die Krankenversicherung der Rentner in den überwiegenden Fällen ein ganzes Beschäftigungsleben. Im Übrigen handele es sich bei der Gruppe der Frauen im Erziehungsurlaub im Gegensatz zum Kreis der Rentner nicht um eine "homogene" Gruppe.

8

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 14. Dezember 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

12

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Beitragspflicht der Klägerin zur Krankenversicherung, nicht aber zur Pflegeversicherung. Denn die beigeladene Pflegekasse hat gegen das erstinstanzliche Urteil keine Berufung eingelegt.

13

Die Berufung ist zulässig.

14

Sie ist jedoch nicht begründet.

15

Die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin im streitigen Zeitraum ist beitragsfrei. Das folgt aus § 240 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 224 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

16

Nach § 240 Abs. 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch die Satzung geregelt (Satz 1). Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt (Satz 2). In § 240 Abs. 2 SGB V heißt es: Die Satzung der Krankenkasse muss mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtigen Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen ist (Satz 1). Die §§ 223 und 228 Abs. 2, 229 Abs. 2 und die §§ 238a und 243 Abs. 2 SGB V sowie § 23a Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV) gelten entsprechend (Satz 2). Gemäß § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße.

17

Demgegenüber bestimmt § 224 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass ein Mitglied für die Dauer des Bezugs von Erziehungsgeld beitragsfrei ist.

18

Die Beklagte hat die Beiträge für freiwillige Mitglieder entsprechend § 240 SGB V in ihrer Satzung geregelt. Maßgebend ist die Satzung idF vom 1. Januar 1997, 1. Juli 1997 und 1. Januar 1998.

19

§ 22 Abs. 1 der Satzung idF vom 1. Januar 1997 lautet: Für die Berechnung der Beiträge gelten die in folgenden Absätzen genannten Beitragssätze und die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen oder die in den Absätzen 4 und 11 genannten Mittelwerte (Satz 1). Soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, gelten als beitragspflichtige Einnahmen das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) und alle sonstigen Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung (Satz 3). § 22 Abs. 8 Nr. 6 der Satzung idF vom 1. Januar 1997 bestimmt: In den Beitragsklassen 831, 841 ff werden entsprechend ihren nachgewiesenen monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen überlebende und geschiedene Ehegatten versichert, die keine selbständige Tätigkeit ausüben. Nach § 22 Abs. 9 der Satzung idF vom 1. Januar 1997 sind für die Einstufung in die Beitragsklassen 831, 841 ff mindestens beitragspflichtige Einnahmen in Höhe eines Drittels der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV maßgebend. Der Beitragsbemessung in der Beitragsklasse 831 werden nach § 22 Abs. 11 Satz 1 der Satzung idF vom 1. Januar 1997 Einnahmen in Höhe von 1.050,-- DM monatlich zugrunde gelegt. Für die Zeit ab 1. Juli 1997 und 1. Januar 1998 gilt Entsprechendes jeweils nach § 22 der Satzung in den Fassungen vom 1. Juli 1997 und 1. Januar 1998.

20

Die Klägerin hat keine beitragspflichtigen Einnahmen. Die Leistungen an Unterkunft und Verpflegung seitens ihrer Eltern sind ebenso wenig beitragspflichtig wie das bezogene Kindergeld und das Erziehungsgeld.

21

Bei den von den Eltern der Klägerin bereitgestellten Sachbezügen an Unterkunft und Verpflegung handelt es sich um Zuwendungen, die aus elterlicher Fürsorge gewährt wurden und allein dem Überleben der Klägerin gedient haben. Es sind Naturalleistungen zur Sicherstellung des Existenzminimums der Klägerin. Sie haben eine Inanspruchnahme der Hilfe zum Lebensunterhalt nach Sozialhilferecht erübrigt. Der Senat bewertet diese Leistungen daher ebenso wie die Hilfe zum Lebensunterhalt, die beitragsfrei ist. Das Kindergeld ist eine zweckgebundene Leistung und aus diesem Grunde nicht beitragspflichtig (vgl. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: Juni 2002, § 240 SGB V Rdnr 11). Entsprechendes gilt für das Erziehungsgeld.

22

Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die Klägerin in der streitigen Zeit keine beitragspflichtigen Einnahmen hatte. Sie hat die Klägerin daher in Beitragsklasse 581 (ab 1. Januar 1998: Beitragsklasse 801) eingestuft und Beiträge nach dem Mindestsatz erhoben (§ 22 Abs. 8 Nr. 6, Abs. 9 der Satzung in der jeweils geltenden Fassung). Das ist jedoch rechtswidrig. Denn die Bestimmung des § 22 Abs. 8 Nr. 6 i.V.m. Abs. 9 der Satzung in der jeweils geltenden Fassung ist nichtig, soweit sie unverheiratete Frauen betrifft, die Erziehungsgeld beziehen, keine anderen beitragspflichtigen Einnahmen haben und die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze aus der Pflichtversicherung ausgeschieden sind und sich deshalb freiwillig krankenversichert haben. Der Entscheidung der Beklagten fehlt insoweit eine Ermächtigungsgrundlage.

23

Die Ansicht der Beklagten, Ermächtigungsgrundlage für § 22 Abs. 8 Nr. 6 i.V.m. Abs. 9 ihrer Satzung in der jeweils geltenden Fassung sei § 240 SGB V, trägt nicht. Denn eine verfassungskonforme Auslegung des § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V schließt eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 224 Abs. 1 SGB V für freiwillige Mitglieder ein, soweit Erziehungsgeld für unverheiratete Frauen betroffen ist, die sich wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze freiwillig krankenversichert haben und die über keine beitragspflichtigen Einnahmen verfügen. Nach § 224 Abs. 1 SGB V ist ein Mitglied für die Dauer des Bezuges von Erziehungsgeld jedoch beitragsfrei. Ohne diese verfassungskonforme Auslegung verstößt § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit der Pflicht des Staates zum Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG.

24

Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt wäre (Bundesverfassungsgericht -BVerfG- vom 6. März 2002 - 2 BvL 17/99 - in NJW 2002, 1103). Bei den hier miteinander zu vergleichenden Gruppen handelt es sich um unverheiratete (ledige oder geschiedene) Frauen, die Erziehungsgeld und sonst keine beitragspflichtigen Einnahmen beziehen.

25

Die eine Gruppe dieser unverheirateten Frauen steht in einem Beschäftigungsverhältnis, dessen Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt. Gehen sie in Erziehungsurlaub und beziehen ausschließlich Erziehungsgeld, so bleibt ihre Mitgliedschaft zur Krankenkasse nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erhalten. Sie sind nach § 224 Abs. 1 Satz 1 SGB V beitragsfrei. Denn nach § 224 Abs. 1 ist ein Mitglied für die Dauer des Bezugs von Erziehungsgeld beitragsfrei, wobei sich die Beitragsfreiheit allerdings nur auf das Erziehungsgeld erstreckt. Die andere Gruppe betrifft unverheiratete Frauen wie die Klägerin, die ebenfalls in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, aber die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreiten, deshalb versicherungsfrei sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) und sich freiwillig krankenversichert haben. Gehen sie in den Erziehungsurlaub mit Bezug von Erziehungsgeld und haben kein beitragspflichtiges Einkommen, so sind sie nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V beitragspflichtig, weil § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V keine Verweisung auf § 224 Abs. 1 SGB V enthält. Für diese unterschiedliche Behandlung besteht kein sachlicher Grund.

26

Der Sinn und Zweck der Beitragsfreiheit des Erziehungsgeldes liegt in Art. 6 Abs. 1 GG. Danach steht die Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht nur die Gemeinschaft, in der die Eltern eine Ehe miteinander geschlossen haben. Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG ist vielmehr jede von der staatlichen Rechtsordnung anerkannte Gemeinschaft von Eltern und Kindern (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, 7. Aufl. Stand Februar 2002, Art. 6 R. 60 mwN), also auch die Gemeinschaft zwischen unverheirateter Mutter und ihrem Kind. Mit der Gewährung von Erziehungsgeld ermöglicht der Staat einem Elternteil die Betreuung seines Kleinkindes durch finanzielle Unterstützung. Das Erziehungsgeld ist demzufolge nicht auf Pflichtversicherte beschränkt. Erziehungsgeld erhalten auch Versicherte wie die Klägerin, die wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze freiwillig krankenversichert sind.

27

Der Grund für die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung von pflichtversicherten und freiwillig krankenversicherten unverheirateten Frauen während des Bezugs von Erziehungsgeld liegt somit nicht im Sinn und Zweck des Erziehungsgeldes. Anlass für die Ungleichbehandlung ist vielmehr allein der Umstand der Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Dieser Tatbestand rechtfertigt nach Auffassung des Senats die Schlechterstellung der freiwillig Versicherten nicht. Der Senat stützt seine Ansicht auf den Beschluss des BVerfGs vom 15. März 2000 -1 BvL 16/96 etc.- (in SozR 3-2500 § 5 Nr. 42).

28

In diesem Beschluss hat das BVerfG den Ausschluss von freiwillig krankenversicherten Mitgliedern aus der Krankenversicherung der Rentner durch § 5 Abs. 1 Nr. 11 Halbsatz 1 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Entscheidendes Gewicht kam dabei der Trennung der Pflichtversicherten und der freiwillig Versicherten durch die Jahresarbeitsentgeltgrenze zu und der Frage nach dem Schutzbedürfnis der Versicherten, die die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreiten. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass der Beschluss des BVerfGs ausdrücklich nur die Krankenversicherung der Rentner betrifft, bei der es in der Regel um lange Zugehörigkeiten zur gesetzlichen Krankenversicherung geht. Beim Bezug von Erziehungsgeld geht es - darin ist der Beklagten zuzustimmen - regelmäßig nicht um lange Mitgliedschaften in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das liegt in der Natur der Sache. Denn gerade die jungen Versicherten bekommen Kinder und erhalten Erziehungsgeld. Gleichwohl begründet die grundsätzliche Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung für die Versicherten, die nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitentgeltgrenze nicht mehr pflichtversichert sind, einen besonderen Vertrauensschutz aus Art. 6 Abs. 1 GG, wenn sie wegen der Erziehung ihres Kindes Erziehungsurlaub genommen haben und Erziehungsgeld beziehen. Diese freiwillig Versicherten sind, wenn sie keine beitragspflichtigen Einnahmen haben, während des Bezugs von Erziehungsgeld in gleicher Weise schutzbedürftig wie eine Pflichtversicherte in der entsprechenden Situation. An der grundsätzlichen Schutzbedürftigkeit, die nach Art. 6 Abs. 1 GG in der besonderen Verantwortung des Staates steht, ändert das Überschreiten der Jahresarbeitsverdienstgrenze nichts. Die Klägerin war bis Ende 1995 versicherungspflichtig. Sie gehört daher vom Grundsatz her zum Kreis der Pflichtversicherten. Sie ist nur deshalb aus der Pflichtversicherung ausgeschieden, weil sie wegen einer Beförderung oder aus anderen Gründen höheres Arbeitsentgelt erhielt. Das führte zwar zur Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze und zur Versicherungsfreiheit. Hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit als erziehende Mutter jedoch steht sie einer pflichtversicherten Mutter in jeder Beziehung gleich. Der Senat vermag daher keinen sachlichen Grund zu erkennen, der eine Differenzierung bei der Beitragspflicht rechtfertigen würde.

29

§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V ist in der Auslegung, die ihr die Beklagte gibt, daher verfassungswidrig. Die Vorschrift kann jedoch verfassungskonform ausgelegt werden, so dass eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG ausscheidet.

30

§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V enthält eine planwidrige, unbeabsichtigte Lücke. Der Gesetzgeber hat ganz offensichtlich den vorliegenden Sachverhalt übersehen, in dem eine unverheiratete Frau mit Erziehungsgeld, aber ohne beitragspflichtige Einnahmen, nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht mehr zum Kreis der Pflichtversicherten gehört. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 240 Abs. 2 SGB V ergibt, dass die Verweisung in Satz 2 der Vorschrift auch die entsprechende Anwendung des § 224 Abs. 1 SGB V einschließt, soweit Erziehungsgeld betroffen ist.

31

Dem steht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Insbesondere kann die Beklagte ihre gegenteilige Ansicht nicht auf die Urteile vom 24. November 1992 -12 KR 8/92- und vom 26. März 1998 -B 12 KR 45/96 R- (in SozR 3-2500 § 224 Nr. 2 und § 224 Nr. 7) stützen. Denn beide Entscheidungen betreffen andere Sachverhalte als der vorliegende Rechtsstreit. In beiden vom BSG entschiedenen Fällen ging es um eine verheiratete Klägerin, bei der die beklagte Krankenkasse der Beitragsbemessung einen Teil des Bruttogehaltes des Ehemannes zu Grunde legte. Im vorliegenden Fall aber ist die Beitragspflicht einer unverheirateten Klägerin im Streit, die keinerlei beitragspflichtige Einnahmen hat und aufgrund des Bezugs von Erziehungsgeld in gleichem Maße schutzbedürftig ist wie eine Versicherungspflichtige Beschäftigte mit Bezug von Erziehungsgeld.

32

Da § 240 SGB V die Beklagte nicht zum Erlass einer Bestimmung ermächtigt, wie sie § 22 Abs. 9 der Satzung in der jeweils geltenden Fassung für Fälle der vorliegenden Art trifft, ist der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtswidrig und aufzuheben.

33

Die Klägerin ist nach § 240 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 224 Abs. 1 SGB V beitragsfrei zu führen.

34

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

36

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).