Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.10.2002, Az.: L 4 KR 61/01

Anspruch eines Versicherten auf Maßnahmen der heterologen Insemination wegen einer schweren, möglicherweise vererbbaren Erkrankung des Ehegatten; Ersetzung des natürlichen Zeugungsakts der Ehegatten miteinander durch eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung auf Kosten der Krankenkasse als Ziel des § 27a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V); Sachgerechte Beschränkung des Anspruches nach § 27a SGB V auf die Verwendung von Eizellen und Samenzellen der Ehegatten

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
30.10.2002
Aktenzeichen
L 4 KR 61/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41595
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 07.02.2001 - AZ: S 3 KR 133/99

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat eine Versicherte keinen Anspruch auf Maßnahmen der heterologen Insemination (so bereits LSG Niedersachsen, Urteile vom 18.8.1993 - L 4 Kr 78/93 -und 12.7.200 - L 4 KR 42/99-).

  2. 2.

    Das gilt auch für eine Versicherte, die die heterologe Insemination wegen einer schweren, möglicher Weise vererbbaren Erkrankung ihres Ehegatten durchgeführt hat.

  3. 3.

    Die Zielsetzung des § 27a SGB V liegt darin, auf Kosten der Krankenkasse den natürlichen Zeugungsakt der Ehegatten miteinander durch eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung zu ersetzen. Daher ist es sachgerecht, wenn der Anspruch nach § 27a SGB V auf die Verwendung von Ei- und Samenzellen der Ehegatten beschränkt ist.

In dem Rechtsstreit
...
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2002 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte -Vorsitzende-,
den Richter Wolff,
die Richterin Poppinga sowie
die ehrenamtlichen Richter Heise und Dr. Schein
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für eine künstliche Befruchtung durch fremde Samenzellen (heterologe Insemination).

2

Die am 12. Juli 1973 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin ist mit ... verheiratet. Ihr Ehegatte leidet unter einem Marfan-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine generalisierte Bindegewebserkrankung mit variabler Expressivität. Diese wird durch Veränderungen des Habitus, des kardiovaskulären Systems und der Augen charakterisiert (vgl. Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, S 938 f). Nach den Angaben der Klägerin sei in der Medizin nicht geklärt, ob die Krankheit in den nachfolgenden Generationen unverändert oder abgeschwächt weitergegeben werde. Die Mutter und der Bruder des Ehegatten seien an der Krankheit bereits verstorben. Das Risiko, ein gemeinsames Kind der Eheleute könnte von der Krankheit betroffen sein, sei daher zum einen groß, zum anderen wegen der Schwere der Erkrankung unabschätzbar. Vor diesem Hintergrund hätte sie sich mit ihrem Ehemann entschieden, keine gemeinsamen Kinder zu zeugen. Entsprechend begehre sie die Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung. Das Verfahren sei von der Beklagten fehlerhaft als In-Vitro-Fertilisation bezeichnet worden. Es handele sich hier um die sogenannte heterologe Insemination. Dabei werde Fremdsperma per Katheder in die Gebärmutter eingebracht.

3

Den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine heterologe Insemination vom 23. April 1999 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. April 1999 ab, da eine Kostenübernahme der heterogenen Insemination durch die Krankenkassen nur im homologen System erfolgen könne. Es dürften nur Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden. Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Bescheid vom 14. Juli 1999 zurück.

4

Die Klägerin hat am 27. Juli 1999 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Regelung des § 27a Abs. 1 Ziff 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V sei verfassungswidrig. Die Leistungsbegrenzung auf Maßnahmen im sogenannten homologen System schaffe eine unterschiedliche leistungsrechtliche Behandlung im Sinne der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung. § 27a SGB V knüpfe die Leistungen an den Familienstand, obwohl dieser innerhalb der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen normalerweise kein Kriterium sei, um danach Leistungsberechtigungen zu differenzieren. In diesem Zusammenhang sei von besonderer Bedeutung, dass das Bundessozialgericht (BSG) selbst für das Beitragsrecht eine Differenzierung nach dem Kriterium des Familienstandes ausdrücklich untersagt habe (BSGE 48, 134 [BSG 22.03.1979 - 7 RAr 98/78]). Leistungsrechtliche Differenzierungen seien nur dann zulässig, wenn sie auf sachbezogenen Gründen beruhten und sich aus der Natur der Krankenversicherung ergäben. Solche sachbezogenen Gründe seien hier nicht ersichtlich, zumal das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenkassen im Kapitel der sonstigen Hilfen sowohl bei der Empfängnisberatung als auch beim Schwangerschaftsabbruch ebenfalls keinen Unterschied auf Grund des Familienstandes des Versicherten machten. Es liege damit ein Verstoß gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG) vor. Soweit in der Gesetzesbegründung (Bundesratsdrucksache BR-BT. 65/90) darauf verwiesen werde, dass die verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zur Förderung der Ehe und Familie nach Art 6 GG eine Differenzierung erforderlich mache, könne dem nicht gefolgt werden. Die Verfassung lege der Gesetzgebung auf, die gleichen Bedingungen für leibliche und seelische Entwicklung von ehelichen und nichtehelichen Kindern zu schaffen. Entsprechend seien in der Vergangenheit verschiedene Regelungen eingeführt worden, die ehelichen und nicht-ehelichen Kindern vor dem Gesetz gleiche Bedingungen einräumen und gerade Differenzierungen nach dem Familienstand entfallen lassen sollten. Der Fall, der der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 12. Juli 2000 - L 4 KR 42/99 - zu Grunde liege, sei mit der hier gegebenen Sachlage nicht vergleichbar. Die Verwendung fremder Eizellen, dies werde in den dortigen Urteilsgründen zutreffend ausgeführt, widerspreche den inhaltlichen Regelungen des Embryonenschutzgesetzes. Die Verwendung fremder Samenzellen sei jedoch vom Embryonenschutzgesetz nicht erfasst bzw. nicht unter Strafe gestellt. Vielmehr sei das Verwenden von fremden Samenzellen im Rahmen des In-Vitro-Fertilisationsverfahrens ausdrücklich erlaubt.

5

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid (GB) vom 7. Februar 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die gesetzliche Regelung in § 27a Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB V verwiesen und im Übrigen auf die Entscheidung des LSG Niedersachsen vom 12. Juli 2000 aaO Bezug genommen.

6

Die Klägerin hat gegen den ihr am 14. Februar 2001 zugestellten GB am 13. März 2001 Berufung vor dem LSG Niedersachsen eingelegt. Sie trägt vor, sie habe inzwischen mit Fremdsamen ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Die Befruchtungsmaßnahme habe 5.525,42 Euro gekostet.

7

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 7. Februar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 26. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 5.525,42 Euro für die erfolgte Befruchtungsmaßnahme zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges Bezug genommen. Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen. Diese waren neben den Prozessakten Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

10

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143 ff SGG statthafte Berufung ist zulässig.

11

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

12

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig; der GB des SG ist nicht zu beanstanden.

13

Nach § 27a SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

  1. 1.

    die Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,

  2. 2.

    nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht in der Regel nicht mehr, wenn die Maßnahme viermal ohne Erfolg durchgeführt worden ist,

  3. 3.

    die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,

  4. 4.

    ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und

  5. 5.

    sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a erteilt worden ist.