Amtsgericht Oldenburg (Oldenburg)
Urt. v. 25.04.2008, Az.: E8 C 8510/07
Ausgleich; Austausch; Beurteilung; Beweggründe; Einkaufspreis; Einzelfall; Gericht; Gesamtcharakter; Inhalt; interessengerecht; Leistung; objektiv; Parteien; Relation; sittenwidrig; Sittenwidrigkeit; Umstände; Verkaufspreis; Vertrag; Vertragsparteien; weiter; Werkvertrag; Zweck
Bibliographie
- Gericht
- AG Oldenburg (Oldenburg)
- Datum
- 25.04.2008
- Aktenzeichen
- E8 C 8510/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 54987
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LG - 07.10.2008 - AZ: 3 S 339/08
Rechtsgrundlagen
- § 138 BGB
- § 314 BGB
- § 649 BGB
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages, sofern nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Werkvertrag.
Das Geschäftsmodell der Klägerin besteht darin, Zündhölzer aufzukaufen, die Packungen mit einem Werbeaufdruck zu versehen und zu einem Vielfachen des Preises weiterzuverkaufen. Sie arbeitet dabei mit Außendienstmitarbeitern, die Inhaber kleinerer Firmen unangemeldet aufsuchen und in Verkaufsgespräche verwickeln.
Der Beklagte ist Inhaber einer kleinunternehmerischen Reinigung. Er erhielt am 8.3.2006 Besuch von einem Außendienstmitarbeiter der Klägerin und unterschrieb einen Formularvertrag, durch den er sich zum Kauf von 20.000 Streichholzpackungen über vier Jahre verpflichtete. Ein Gesamtpreis wurde nicht angegeben, lediglich der Preis von 209,- € pro 1000 Einheiten aufgeführt, weitere nicht unerhebliche Kosten ergeben sich aus dem Kleingedruckten. Auf den errechenbaren Gesamtpreis von über 5.000 € leistete der Beklagte eine Anzahlung von 100,- €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vertragsurkunde verwiesen.
Noch am selben Tag schickte der Beklagte der Klägerin ein Fax, in dem er „den Auftrag zurückzog“. Er bat um Umstellung auf eine geringere Menge; die Klägerin lehnte ein Entgegenkommen ab. Als die Klägerin dem Beklagten die Geltendmachung erheblicher Schadensersatzansprüche in Aussicht stellte, bat der Beklagte um Durchführung des Vertrages. Die Klägerin machte daraufhin die Erfüllung des Vertrages von einer - vertraglich nicht vorgesehenen - Vorleistung des Beklagten in Höhe von 2000,- € abhängig. Als der Beklagte eine Vorleistungsverpflichtung zurückwies, erhob die Klägerin Klage und verlangte von dem Beklagten gem. § 649 BGB eine Entschädigung in Höhe von 3.559,20 €. Der Beklagte erklärte im Schriftsatz vom 21.9.2006 die Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund.
In dem Verfahren E7 C 7465/06 haben die Parteien darüber gestritten, ob der Beklagte den Vertrag frei gekündigt hat. Eine auf § 649 BGB gestützte Entschädigungsklage wurde rechtskräftig abgewiesen.
Die Klägerin will den Vertrag nunmehr durchführen und begehrt Zahlung der ersten Teilrate, nachdem der Beklagte die Genehmigung des Korrekturabzuges endgültig verweigert hat.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.404,16 € nebst Zinsen p.a. daraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.5.2007 sowie Mahnkosten in Höhe von 10,00 € und vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 156,50 € zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Verfahrensakte E7 C 7465/06 wurde zu Informationszwecken beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht ein vertraglicher Anspruch gegen den Beklagten nicht zu.
Nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts ergibt sich aus den Regelungen und Gesamtumständen des zu beurteilenden Vertrages, dass er gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 Abs. 1 BGB), weil er gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Leistung und Gegenleistung stehen in einem besonders auffälligen Missverhältnis, die Leistung der Klägerin ist für den Beklagten weitgehend nutzlos, der gesamte Umfang der dem Beklagten auferlegten Pflichten wird in der Vertragsurkunde planmäßig verschleiert, der Beklagte ist in einer Haustürsituation zum unüberlegten Abschluss veranlasst worden, das Recht zur freien Kündigung ist durch die enorme Entschädigungsverpflichtung wirtschaftlich praktisch ausgeschlossen.
Ein Rechtsgeschäft ist nicht nur unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB als sittenwidrig und somit nichtig einzustufen. Die größere praktische Bedeutung kommt dem § 138 Abs. 1 BGB zu, der keine genau formulierten Voraussetzungen hinsichtlich einer unterlegenen Situation den benachteiligten Vertragspartners formuliert. Bei der Beurteilung ist der Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts zu würdigen, in die nicht nur der objektive Inhalt des Geschäfts, sondern auch Umstände, Beweggründe und Zweck der Parteien einzubeziehen sind (BGHZ 86, 88; 107, 97; NJW 1990, 704; 2001, 1127). Vorsatz der Sittenwidrigkeit ist nicht erforderlich; es genügt, wenn der übervorteilenden Partei die Umstände bekannt sind, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt.
Das Rechtsgeschäft, aus dem die Klägerin einen Anspruch herleitet, ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
1. Es liegt ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Dies ergibt sich deutlich aus der Abrechnung, die die Klägerin in der Klage des Vorverfahrens dargestellt hat: Die Klägerin berechnet dem Beklagten für ihre Leistung ein Entgelt von mehr als 5.000,- €. Als sie davon ausging, der Beklagte habe den Vertrag gekündigt, errechnete sie einen Entschädigungsanspruch gem. § 649 BGB von 3.500 €, d.h. ca. 70 % der Leistung des Beklagten stehen keinerlei Aufwendungen der Klägerin gegenüber. Die vom Beklagten angekauften Zündhölzer haben nach Angaben der Klägerin einen Wert von 640,- €. Die Klägerin verkauft sie für über 3.500 €. Damit nicht genug: Selbst die Druckvorbereitungskosten, die im Vertrag als Entgeltposition gar nicht ausgewiesen sind, sondern nur im Kleingedruckten als weitergeleitete Kosten auftreten, berechnet die Klägerin mit 149,- €, obwohl ihr selbst nur 46,- € an Kosten entstehen, also wiederum ein Übersteigen um mehr als das Dreifache.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass üblicherweise das Sittenwidrigkeitsverdikt sich aus dem Vergleich verschiedener Marktpreise ergibt. Das ist jedoch nicht rechtlich zwingend, sondern stellt nur die im Regelfall angemessene und zugleich einfachste Möglichkeit der Gegenüberstellung vergleichbarer Leistungen dar. Da aber wie ausgeführt in die Abwägung nach § 138 BGB sämtliche Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind, ist ohne weiteres auch der Einkaufspreis für die Klägerin ein zulässiges Abwägungskriterium. Dem Gericht ist bekannt, dass zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis im Einzelfall erhebliche Spannen liegen können. Nicht bekannt ist dem Gericht allerdings, dass dies im allgemeinen Spannen bis zu 500 % sind. Im übrigen ist dabei auch zu berücksichtigen, welche weiteren Leistungen neben dem reinen Austausch von Gegenständen erbracht werden (Bsp. Küchenkauf: Beratung, Ausstellung, Planung, Montage, Transport, Gewährleistung) und ob es sich um ein Produkt von allgemeiner Wertschätzung handelt, das möglicherweise nur auf einem engen Markt erhältlich ist. Nichts davon trifft auf die von der Klägerin vertriebenen Zündhölzer zu. Die von der Klägerin im Schriftsatz vom 14.04.2008 geübte Kritik am rechtlichen Hinweis des Gerichts nötigt somit nicht einmal dazu, das objektive Missverhältnis anders zu beurteilen - vorliegend kommen aber noch weitere Umstände hinzu, die das Urteil der Sittenwidrigkeit stützen.
2. Insoweit ist an erster Stelle die unübersichtliche Vertragsgestaltung zu nennen. Ein Gesamtpreis wird nicht angegeben. Dieser ergibt sich erst aus einer Multiplikation mit dem Einheitspreis, wobei es sich überdies um einen Nettopreis handelt. Weitere nicht unerhebliche Kosten werden für die Druckvorbereitung sowie zusätzlich für Verpackungs- und Maschineneinrichtungskosten berechnet, die sich erst aus dem Kleingedruckten ergeben. Beziffert werden hier lediglich die Druckvorbereitungskosten; unbeziffert bleiben dagegen Änderungs- und Bearbeitungskosten der Druckunterlagen und Maschineneinrichtungen (was immer damit gemeint sein mag) sowie Verpackungs- und Versandspesen. Insgesamt sind für den Auftragnehmer die auf ihn zukommenden Gesamtkosten nicht erkennbar. Der Beklagte hätte den Vertrag wohl kaum geschlossen, wenn er Kenntnis von den entstehenden Gesamtkosten gehabt hätte.
Dass die Klägerin bei dieser Gestaltung des Vertragsformulars vorsätzlich und in der Absicht handelte, die Gesamtkosten zu verschleiern, liegt auf der Hand. Ein Platzhalter zur Angabe des Gesamtvertragspreises hätte auf dem DIN A4-Format durchaus noch Platz gehabt. Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird also einerseits dadurch getragen, dass die Klägerin es ihrem Vertragspartner bewusst erschwert, seine Belastung zu errechnen; andererseits noch zusätzlich dadurch, dass die privatautonome Verpflichtung des Vertragspartners nicht in dem Maße von einer eigenverantwortlichen Entscheidung getragen wird wie es im Rechtsverkehr der guten Ordnung entspricht.
3. Daran anschließend ist die Haustürsituation zu würdigen. Zwar hat der Beklagte nicht als Verbraucher gehandelt, so dass die entsprechenden Vorschriften nicht unmittelbar auf ihn Anwendung finden. Wiederum findet bei § 138 BGB aber eine Gesamtwürdigung statt. Im Rahmen dessen kann die Wertung des § 312 BGB durchaus zum Tragen kommen, in ähnlicher Weise wird auch bei AGBs unter Unternehmern die Wertung der §§ 308, 309 BGB bei der Auslegung des § 307 BGB zur Geltung gebracht, obwohl sie unmittelbar gerade nicht anwendbar sind (vgl. Palandt/Heinrichs, § 307 Rn. 41). Die Berücksichtigung dieses Umstandes lässt sich umso mehr rechtfertigen, als der Beklagte ein eher kleines Unternehmen führt, bei dem ein Wareneinkauf im großen Umfang nicht stattfindet. Die größere Gefährdung der eigenständigen Entschlussfreiheit, die der Gesetzgeber mit den Haustürwiderrufsvorschriften bekämpfen will, trägt das ihrige zur Gesamtwertung des Vertrages bei. Die Klägerin hat die Haustürsituation bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt, indem sie dem Beklagten die Möglichkeit genommen hat, Vergleichsangebote einzuholen und damit auf das objektiv bestehende Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aufmerksam zu werden.
4. Das Außerordentliche der Preis- und Vertragsgestaltung wird nicht zuletzt darin deutlich, dass dadurch die Funktionsweise einer Norm wie § 649 BGB, die anerkanntermaßen im Wirtschaftsleben einen interessengerechten Ausgleich zwischen den Vertragspartnern schaffen soll, vollständig außer Kraft gesetzt wird. Für einen Besteller, der trotz freier Kündigung 70 % der Auftragssumme zu zahlen hat, ist die Kündigung wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll, so dass er zur Vertragsdurchführung gezwungen wird.
5. Weiterhin ist zu bewerten, dass die Leistung der Klägerin für den Beklagten letztlich ohne großes Interesse ist. Dies kann das Gericht als gerichtsbekannt verwerten, da es eine Alltagserfahrung ist, dass allerorten Schüsseln mit Zündhölzern mit Werbeaufdruck stehen, die mitunter aufgegriffen werden und zumeist längere Zeit unbenutzt im Haushalt verbringen, bis sie wiederum entsorgt werden. Ein Werbeeffekt ist damit kaum verbunden, zumal im Handel Großpackungen für Preise unter 0,30 € zu erwerben sind, die den Bedarf eines Vier-Personen-Haushalts mindestens auf Monate hinaus decken.
6. Letztlich fällt der Klägerin auch ihr nachvertragliches Verhalten zur Last. Der Beklagte hat sofort nach Abschluss des Vertrages seinen Irrtum erkannt und - in gehöriger Anerkennung auch der Interessen der Klägerin - um Anpassung des Vertrages gebeten. Die Klägerin hat sich dem jedoch verschlossen und dem Beklagten deutlich gemacht, dass er an seiner einmal geleisteten Unterschrift festgehalten werde. An diesem Verhalten wird deutlich, dass die Klägerin nicht ein Minimum dessen aufbringt, was im Geschäftsverkehr unter dem Topos „Treu und Glauben“ als Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragspartners erwartet werden darf. Auch in der weiteren rechtlichen Auseinandersetzung hat sich die Klägerin einer einvernehmlichen Lösung des Konfliktes verweigert und trotz erteilter Hinweise auf der einseitigen Durchsetzung ihrer Interessen bestanden.
Diese Rechtsauffassung des Gerichts ist auch nicht wegen des Vorprozesses ausgeschlossen. Rechtskräftig ist lediglich entschieden, dass der Klägerin ein Ersatzanspruch nicht zusteht, dem steht weder ausdrücklich noch inzident entgegen, dass der Vertrag als solcher nichtig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.