Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.04.2016, Az.: 5 A 301/15

Asylantrag; Untätigkeitsklage; Kosten; Erledigung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.04.2016
Aktenzeichen
5 A 301/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43228
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Asylantragsteller kann grundsätzlich binnen 6 Monaten mit einer Entscheidung über seinen Asylantrag rechnen im Sinne des § 161 Abs. 3 VwGO. Dieser Zeitraum kann sich auf bis zu 15 Monate verlängern.

Gründe

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, § 75 S. 4 Alt. 2 VwGO. Über die Kosten des Verfahrens war gem. § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden (2.), weil die Klägerin nicht gem. § 161 Abs. 3 VwGO mit ihrer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (1.).

1. Bei der Beurteilung, ob die Klägerin mit einer Bescheidung vor der Klageerhebung rechnen durfte ist zunächst die Regelung des § 75 S. 2 VwGO zu berücksichtigen, wonach die Klage - sofern nicht besondere Gründe eine kürzere Frist gebieten - nicht vor Ablauf von drei Monaten seit Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden kann.

In asylrechtlichen Streitsachen ist darüber hinaus auch Art. 31 Abs. 3 der sog. Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (VRL) zu beachten, nach dem die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass das Prüfungsverfahren hinsichtlich der Anträge auf nationalen Schutz innerhalb einer sechs-monatigen Frist nach Antragstellung, die unter bestimmten Voraussetzungen um bis zu neun Monate verlängert werden kann, zum Abschluss gebracht wird. Eine Verlängerung ist etwa gem. Art. 31 Abs. 3 UA 3 Buchst. b) VRL möglich, wenn eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gleichzeitig internationalen Schutz beantragt, so dass es in der Praxis schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist von sechs Monaten abzuschließen. Hieran knüpft auch die nationale Regelung des § 24 Abs. 4 AsylG an, nach dem das Bundesamt, wenn binnen sechs Monaten keine Entscheidung über den Asylantrag ergangen ist, dem Ausländer auf Antrag mitzuteilen hat, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. Nach Art. 31 Abs. 3 UA 4 VRL kann die um bis zu neun Monate verlängerte Frist ausnahmsweise um weitere drei Monate überschritten werden, wenn dies erforderlich ist, um eine angemessene und vollständige Prüfung zu gewähren. In jedem Fall schließen die Mitgliedsstaaten das Prüfungsverfahren aber innerhalb einer maximalen Frist von 21 Monaten nach der förmlichen Antragstellung ab, Art. 31 Abs. 5 VRL.

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgedanken (die Umsetzungsfrist hinsichtlich der Abs. 3 - 5 des Art. 31 VRL läuft noch gem. Art. 52 S. 2 VRL) und Maßstäbe kann ein Ausländer grundsätzlich mit einer Bescheidung seines Asylantrags binnen eines Zeitraums von sechs Monaten seit der förmlichen Antragstellung rechnen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gleichzeitig internationalen Schutz beantragt, so dass eine Bescheidung innerhalb der Sechs-Monats-Frist erschwert ist. In dieser besonderen Situation verlängert sich der Zeitraum, bis zu dessen Ablauf ein Asylantragsteller mit seiner Bescheidung rechnen kann, um neun auf insgesamt 15 Monate (VG Münster, 9 K 856/15.A, Rz. 13; zitiert nach Juris). Dies entspricht auch der allgemeinen Auffassung, dass eine vorübergehende Überlastung bzw. besondere Geschäftsbelastung einer Behörde ein zureichender Grund für eine Nichtbescheidung darstellen kann, sofern dies nicht auf einen strukturell bedingten Personalmangel zurückzuführen ist (VG Münster, 9 K 856/15.A, Rz. 6; zitiert nach Juris; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Oktober 2014, § 161 Rn. 42; Kopp/Schenke, VwGO, 20 Auflage, § 75 Rn. 13). Diese Zeiträume von sechs bzw. 15 Monaten gelten jedenfalls insoweit, als dem Asylantragsteller durch die Beklagte nach § 24 Abs. 4 AsylG keine andere Frist mitgeteilt worden ist.

Zwar ist nach Art. 31 Abs. 3 UA 4 VRL ausnahmsweise die Überschreitung der 15-monatigen Frist erlaubt und die Höchstfrist ist nach Art. 31 Abs. 5 VRL mit 21 Monaten bestimmt. Diese Fristen stellen jedoch ausdrücklich nicht den Regelfall dar, in denen eine Entscheidung über einen Asylantrag - auch bei einer besonderen Belastungssituation - regelmäßig zu ergehen hat, so dass sie den Zeitraum, in dem ein Ausländer mit der Bescheidung seines Asylantrags rechnen kann, grundsätzlich nicht über 15 Monate hinaus verlängern.

Um die Kostenfolge des § 161 Abs. 3 VwGO nicht eintreten zu lassen muss dem Asylantragsteller der zureichende Grund für die Nichtbescheidung aber auch bekannt gewesen sein, zumindest hätte bekannt sein müssen (BayVerfGH, Vf. 51-VI-99, Rz. 23; zitiert nach Juris; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage, § 161 Rn. 37).

Die Klägerin hat vorliegend den Asylantrag am 17.03.2015 gestellt. Zu dieser Zeit und in den folgenden Monaten beantragten in Deutschland eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen bzw. Staatenlosen gleichzeitig Asyl bzw. internationalen Schutz, was zu einer außergewöhnlichen Belastung der Beklagten bzw. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge führte, mit der Folge, dass eine Bescheidung binnen sechs Monaten erheblich erschwert war und ist. Die Erstanträge haben sich nach den „Aktuellen Zahlen zu Asyl“, Stand März 2016, im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr mehr als verzweieinhalbfacht (2015: 441.899, 2014: 173.072) und gegenüber dem Jahr 2013 vervierfacht (2013: 109.580). Die Beklagte stand und steht dem enormen Anstieg der Asylverfahren im Jahr 2015 auch nicht untätig gegenüber, sondern hat darauf mit verschiedenen organisatorischen und personellen Maßnahmen (etwa Neueinstellungen, Priorisierungsentscheidungen) reagiert, so dass es auch bereits zu einer erheblichen Steigerung der Entscheidungszahlen (2014: 128.911, 2015: 282.726; „Aktuelle Zahlen zu Asyl“, Stand März 2016) gekommen ist und einer permanenten Überlastung entgegengewirkt wird. Die erhebliche Steigerung der Asylverfahren war jedenfalls bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch die Klägerin am 02.11.2015 offenkundig und hätte damit auch ihr jedenfalls bekannt sein müssen, zumal die Beklagte ihr auf ihre Fristsetzung für eine Entscheidung hin mit Schreiben vom 08.10.2015 mitgeteilt hatte, dass aufgrund der gestiegenen Asylbewerberzahlen keine verbindliche Zusage hinsichtlich einer Entscheidung getroffen werden könne.

Der Klägerin war jedoch der aufgrund der stark gestiegenen Asylantragszahlen geänderte Zeitrahmen, in dem mit einer Entscheidung gerechnet werden kann, nicht bekannt und hätte ihr auch nicht bekannt sein müssen. Auch die Beklagte hat entgegen § 24 Abs. 4 AsylG versäumt, der Klägerin diese Unsicherheit zu nehmen und ihr mitzuteilen, bis wann voraussichtlich mit einer Entscheidung zu rechnen sei oder die besondere Höchstfrist von 15 Monaten zu nennen. Die Klägerin wurde damit im Unklaren darüber gelassen, wann sie mit einer Entscheidung über ihren Asylantrag rechnen kann - was durch § 24 Abs. 4 AsylG gerade auch vermieden werden soll - und damit auch darüber, wann sie eine Untätigkeitsklage - ohne eine negative Kostenfolge wegen verfrühter Erhebung - erheben kann.

Jedenfalls im vorliegenden konkreten Fall konnte die Klägerin dennoch bei ihrer Klageerhebung bereits weniger als acht Monate nach der Stellung des Asylantrags noch nicht mit einer Bescheidung rechnen im Sinne des § 163 Abs. 3 VwGO. Zum einen durfte sie bei dem enormen Anstieg von Asylanträgen bereits nicht davon ausgehen, dass bereits nach noch nicht einmal zwei Monaten über die reguläre Bearbeitungszeit von sechs Monaten hinaus eine Entscheidung ergehen würde. Überdies wurde ihr mit Schreiben vom 08.10.2015 mitgeteilt, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal gesagt werden könne, wann eine Entscheidung voraussichtlich ergehen werde. Eine Bescheidung des Asylantrags bis zur Klageerhebung am 02.11.2015, mithin in weniger als vier Wochen, durfte jedenfalls auch daher nicht von ihr erwartet werden.

2. Da die Voraussetzungen des § 161 Abs. 3 VwGO damit nicht erfüllt sind, richtet sich die Kostenentscheidung - unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands - nach billigem Ermessen, § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO. Da ein zureichender Grund dafür gegeben war, dass die Beklagte bis zum 02.11.2015 noch nicht entschieden hatte, und dies der Klägerin jedenfalls hätte bekannt sein müssen bzw. ihr der Anstieg der Asylbewerberzahlen als Verzögerungsgrund durch die Mitteilung der Beklagten bekannt war, hatte die Beklagte der Klägerin am 02.11.2015 noch keine Veranlassung zur Erhebung der Untätigkeitsklage gegeben, so dass es unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 156 VwGO billigem Ermessen entspricht, der Klägerin, der die Beklagte mit Bescheid vom 15.03.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, die Verfahrenskosten aufzuerlegen (VG Münster, 9 K 856/15.A, Rz. 14, 16; zitiert nach Juris).

Die Klage war - entgegen der Auffassung der Beklagten unter Verweis auf VG Regensburg, RN 1 K 15.31185 - auch nicht unzulässig. Bei der Beurteilung, ob die Beklagte - unter Berücksichtigung des § 24 Abs. 4 AsylG - in angemessener Frist entschieden hat, handelt es sich bereits nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern eine Frage der Begründetheit (hierzu auch ausführlich etwa VG Hannover, 7 A 5037/15 sowie VG München, M 24 K 15.31419).