Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 23.06.2009, Az.: 5 A 60/09

Asyl; Behandelbarkeit; Chile; Diabetes; Gegner, Pinochet; Widerruf, Asylanerkennung

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
23.06.2009
Aktenzeichen
5 A 60/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 44506
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2009:0623.5A60.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Ehemaligen Gegnern des Pinochet-Regimes droht bei einer Rückkehr nach Chile keine Gefahr politischer Verfolgung.

Zahlreiche Erkrankungen (hier Diabetes und sog. Schaufensterkrankheit) können heute in Chile nach europäischem Standard behandelt werden.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Asylberechtigter.

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Der Kläger ist chilenischer Staatsangehöriger. Er reiste am 19.05.1982 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom 01.08.1985 gab das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge dem Antrag des Klägers statt und erkannte diesen als Asylberechtigten mit der Begründung an, der Kläger habe glaubhaft gemacht, dass ihm aufgrund seiner früheren gewerkschaftlichen Aktivitäten unter der Regierung Salvador Allendes und aufgrund der Verfolgung von Familienangehörigen durch das Militär-Regime Pinochets mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung in Chile drohe.

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Mit Schreiben vom 29.07.2004 regte der Landkreis Emsland als zuständiger Ausländerbehörde beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Einleitung eines Widerrufsverfahrens an, da eine Aufenthaltsbeendigung des Klägers aufgrund zahlreicher, von ihm begangener Straftaten - der Bundeszentralregisterauszug vom 24.09.2007 weist für den Kläger 9 Eintragungen aus - beabsichtigt sei. Dieser Anregung kam das BAMF nach und leitete am 08.10.2007 das Widerrufsverfahren ein. Im Rahmen seiner Anhörung brachte der Kläger vor, er leide an einer starken, insulinpflichtig zu behandelnden Diabetes sowie an der sog. "Schaufensterkrankheit". Diese Erkrankungen könnten in Chile nicht adäquat behandelt werden. Er sei zudem nicht reisefähig. Zudem befürchte er bei einer Rückkehr nach Chile nach wie vor politische Verfolgung, da es trotz des Sturzes des Pinochet-Regimes noch zahlreiche Anhänger des alten Regimes gebe. Verwandte aus Chile hätten ihm Gefahren für ehemalige Regimekritiker bestätigt.

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Mit Bescheid vom 20.02.2009 widerrief das BAMF die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter vom 01.08.1985 und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung führte es aus, die Asylanerkennung des Klägers sei zu widerrufen, weil die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nicht mehr vorlägen. Personen wie der Kläger, die gegen das 1990 zu Ende gegangene Pinochet-Regime aktiv aufgetreten seien, hätten in Chile keine politische Verfolgung mehr zu befürchten. Chile sei 1990 zur Demokratie zurückgekehrt und habe damit begonnen, Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Korruption, die während des Pinochet-Regimes stattgefunden hätten, aufzuarbeiten und zu verfolgen. So seien die Witwe und 5 Kinder des am 10.12.2006 verstorbenen Pinochet in Chile wegen Korruption verhaftet worden; gegen weitere 17 Familienangehörige und Mitarbeiter Pinochets seien Haftbefehle ergangen. Die chilenische Justiz habe 98 ehemalige Mitglieder des Pinochet-Regimes unter Anklage gestellt. Es entspreche allgemeinem Demokratieverständnis, wenn das ehemalige politische Lager Pinochets - wie der Sieg bei den diesjährigen Kommunalwahlen zeige - auch gegenwärtig Anhänger finde und ein Machtwechsel bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen nicht auszuschließen sei. Aus dieser politischen Situation ergebe sich jedoch für ehemalige Gegner des Pinochet-Regimes keine Gefahr in asylrechtlich erheblicher Intensität. Bloße Anfeindungen von Pinochet-Anhängern seien nicht erheblich. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe, aus denen der Kläger die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ablehnen könne, seien nicht ersichtlich. Es bestünden aufgrund der vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen auch keine Abschiebungshindernisse. Der Kläger sei hinsichtlich seiner Diabetes optimal eingestellt, sodass bei seiner Rückkehr keine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten sei. Im Übrigen seien die Erkrankungen des Klägers in einem wohlhabenden und hoch entwickelten Land wie Chile allgemein behandelbar. Die medizinische Versorgung sei in den großen Städten Chiles mit der in Europa vergleichbar. Bei der vom Kläger geltend gemachten Reiseunfähigkeit sowie der Trennung von seiner in Deutschland lebenden Familie handele es sich um sog. inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, die nicht das Bundesamt bei seiner Widerrufsentscheidung, sondern die zuständige Ausländerbehörde bei der Aufenthaltsbeendigung ggf. zu beachten habe.

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Gegen den Widerrufsbescheid des BAMF hat der Kläger am 11.03.2009 Klage erhoben, zu deren Begründung er aus sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren sowie den Umstand verweist, dass er sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinde und seinen Unterhalt ohne in Anspruchnahme von Sozialleistungen sichere. Er sei Vater der im Jahre 1989 geborenen deutschen Staatsangehörigen F.G.H.. Der Umgang mit seiner Tochter sei ihm gesetzlich garantiert und stehe einer Aufenthaltsbeendigung entgegen. Überdies leide seine Tochter an nachhaltigen Essstörungen. Neben einer ärztlichen Rundumbetreuung benötige seine Tochter besondere familiäre Zuwendung.

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Der Kläger beantragt,

  1. den Bescheid des BAMF vom 20.02.2009 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

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Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.

9

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet, denn der Bescheid des BAMF vom 20.02.2009 über den Widerruf der Asylanerkennung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Rechtsgrundlage für den Widerruf der Asylanerkennung des Klägers ist § 73 AsylVfG in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.09.2008 (BGBl. I, S. 1798). Gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Letzteres gilt nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach § 73 Abs. 2a AsylVfG hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 dieser Vorschrift vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen. Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen. Der Ausländerbehörde ist auch mitzuteilen, welche Personen nach § 26 AsylVfG ihre Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft von dem Ausländer ableiten und ob bei ihnen die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 2b vorliegen. Ist nach der Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, steht eine spätere Entscheidung nach § 73 Abs. 1 im Ermessen, es sei denn, der Widerruf oder die Rücknahme erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen. Schließlich bestimmt § 73 Abs. 7 AsylVfG ergänzend, dass für den Fall, dass die Entscheidung über den Asylantrag vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen hat.

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Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers gegeben. Die Voraussetzungen für seine Asylanerkennung liegen nicht mehr vor, denn die politischen Verhältnisse in Chile haben sich seit dem Ende des Pinochet-Regimes grundlegend geändert. Es kann mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass dem seinerzeit vorverfolgt ausgereisten Kläger als ehemaligem Gegner dieses Militär-Regimes bei einer Rückkehr nach Chile politische Verfolgung droht. Zur Begründung nimmt die Kammer zunächst Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides des BAMF, denen sie folgt, § 77 Abs. 2 AsylVfG. Auch die von der Kammer herangezogenen und in der mündlichen Verhandlung erläuterten Erkenntnismittel (Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zur Republik Chile vom 02.06.2009, Auszug aus dem Internetportal www.schwarzaufweiss.de vom 02.06.2009, Bericht des U.S. Department of State - 2008 Human Rights Report Chile - vom 25.02.2009, Bericht von Amnesty International - Amnesty Report 2008 - zur Republik Chile aus dem Jahre 2008 sowie die diversen Presseberichte über die Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des Pinochet-Regimes nach dessen Tod aus dem Jahre 2006, vgl. nur Spiegel-Online vom 11.12.2006 "Straßenschlachten nach Pinochets Tod", www.sueddeutsche.de vom 11.12.2006 "Straßenschlachten nach PinochetsTod", Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Lateinamerika - "Vom schweren Umgang mit dem Erbe der Pinochet-Diktatur" und "Der lange Abschied von Pinochet") bestätigen den Befund, dass Chile mittlerweile eine Demokratie nach westeuropäischen Maßstäben und als solche ernsthaft um die Aufarbeitung des Unrechtsregimes unter Augusto Pinochet mit rechtsstaatlichen Mitteln bemüht ist.

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Auch das Militär stellt sich spätestens seit der Inhaftierung Pinochets im Oktober 1998 in Großbritannien und seiner im Jahre 2000 erfolgten Auslieferung nach Chile dem von den demokratischen Regierungen seit 1990 beschrittenen Weg der Aufarbeitung der Militärdiktatur nicht mehr entgegen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Lateinamerika - "Vom schweren Umgang mit dem Erbe der Pinochet-Diktatur"). Pinochets Einfluss auf das Militär war spätestens im Juli 2004 gebrochen, nachdem entdeckt worden war, dass er illegal Millionenbeträge auf Konten in den USA transferiert und damit Steuerhinterziehung begangen hatte. Nicht nur seine Anhänger in der Bevölkerung und den rechten Parteien sagten sich nun von ihm los. Auch die Streitkräfte gingen auf Distanz zu ihrem langjährigen Idol. Ende 2004 bekannte sich der neue Oberbefehlshaber des Heeres, General Juan Emilio Cheyre, öffentlich zur Demokratie und verurteilte die Menschenrechtsverletzungen der Diktatur (Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Lateinamerika - "Der lange Abschied von Pinochet"). Chile achtet heute die Menschenrechte und schränkt die freie Meinungsäußerung - sei es gegenüber Befürwortern oder Gegnern des Pinochet-Regimes - nicht ein. Soweit vereinzelt, namentlich unmittelbar nach dem Tod des Diktators, nicht nur von friedlichen, sondern auch mit gewalttätigen Ausschreitungen einhergehenden Demonstrationen und Auseinandersetzungen beider Lager berichtet wird, kann den vorliegenden Erkenntnismitteln eindeutig entnommen werden, dass das Einschreiten von Polizei und Sicherheitskräften nicht den Pinochet-Gegnern als solchen galt, sondern der Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung durch Eindämmung der gewalttätigen Ausschreitungen diente und keinesfalls politisch motiviert war. Diese großen Demonstrationen belegen indes, dass heute jeder Gegner des Pinochet-Regimes seine politische Gesinnung offen zu Tage tragen und er bei - ggf. vereinzelt noch vorkommenden - Anfeindungen durch Pinochet-Anhänger wirksamen Schutz durch den chilenischen Staat und seine Behörden erlangen kann, der solche Übergriffe nicht duldet und ggf. mit rechtsstaatlichen Mitteln ahndet. Bei dieser Sachlage besteht für die vom Kläger geäußerte Befürchtung, dass es trotz des Sturzes des Pinochet-Regimes noch politische Verfolgung von Pinochet-Gegnern durch die zahlreichen Anhänger des alten Regimes gebe, keine Veranlassung.

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Da die Voraussetzungen des Widerrufs nach § 73 Abs. 1 AsylVfG vorliegen - Gründe für ein Absehen vom Widerruf gem. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG sind weder vorgetragen noch ersichtlich -, ist der Widerruf der Asylanerkennung zwingend. Raum für eine Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG ist nach der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. Urteil vom 25.11.2008 - 10 C 53/07 -, NVwZ 2009, 328 [BVerwG 25.11.2008 - BVerwG 10 C 53.07]) erst, wenn zuvor bereits in dem nach § 73 Abs. 2a und 7 AsylVfG vorgeschriebenen Prüfverfahren die Widerrufsvoraussetzungen sachlich geprüft und verneint wurden. Das ist hier nicht der Fall.

15

Das BAMF hat weiter zutreffend festgestellt, dass in Bezug auf den Kläger keine - insbesondere gesundheitsbedingten - Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen. Zur Begründung nimmt die Kammer zunächst Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides des BAMF, denen sie folgt, § 77 Abs. 2 AsylVfG. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen in Chile adäquat behandelt werden können. So ergibt sich aus den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes vom 02.06.2009 zu Chile, dass die medizinische Versorgung zumindest in den großen Städten direkt mit Europa zu vergleichen ist. Chile verfügt über durchweg gute Krankenhäuser, Ärzte und Apotheken (www.schwarzaufweiss.de). Jedenfalls ist für eine alsbaldige wesentliche oder sogar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers bei einer Rückkehr nach Chile nichts ersichtlich. Soweit er mangelnde Reisefähigkeit einwendet, muss er sich darauf verweisen lassen, eine ärztlich festgestellte Reiseunfähigkeit ggf. in einem an den Widerruf der Asylanerkennung anschließenden ausländerrechtlichen Verfahren des Widerrufs seiner Niederlassungserlaubnis gem. § 52 AufenthG geltend zu machen, denn die dauerhafte Reiseunfähigkeit stellt kein zielstaatsbezogenes, sondern ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis dar, welches bei der Entscheidung über den Widerruf des Aufenthaltstitels ebenso wie seine soziale und wirtschaftliche Integration in die hiesigen Verhältnisse zu berücksichtigen ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

18

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.