Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 16.06.2009, Az.: 5 A 48/09
Abschiebezielstaat; Abschiebungshindernis; Abschiebungsverbot; Afghane; Afghanistan; Bildung; Extremgefahr; Gesundheit; Herat; innerstaatlicher bewaffneter Konflikt; Leben; Leib; Mann; Rückkehr; Rückkehrer; Rückkehrgefährdung; Sicherheitslage; subsidiärer Schutz; Versorgungslage; Zielstaat
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 16.06.2009
- Aktenzeichen
- 5 A 48/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 50654
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 7 S 3 AufenthG 2004
- § 60 Abs 7 S 2 AufenthG 2004
- § 60 Abs 7 S 1 AufenthG 2004
- Art 15c EGRL 83/2004
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Sicherheitslage in der Stadt Herat der gleichnamigen afghanischen Provinz ist
nicht derart bedrohlich, dass vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes
im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgegangen werden kann.
2. Einem jungen, gesunden und daher arbeitsfähigen, männlichen Afghanen, der über eine gute Bildung verfügt und bis zu seiner Ausreise seinen Lebensunterhalt als Händler verdient hat, drohen bei einer Rückkehr in seine Heimatstadt Herat keine extremen Gefahren, die bei verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG die Zuerkennung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes rechtfertigen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
Der am 18. Mai 1989 in Herat/Afghanistan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 7. November 2007 mit einem gefälschten Reisepass und mit Hilfe eines Schleppers auf dem Luftweg über den Iran in die Bundesrepublik Deutschland nach Hamburg ein. Am 12. November 2007 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 15. November 2007 gab er zur Begründung seines Asylgesuchs an, er habe zuletzt in der Stadt Herat gewohnt. Sein Vater sei bereits verstorben. Seine Mutter lebe zur Zeit in Kabul. Daneben habe er zwei Schwestern im Alter von 15 und 18 Jahren. Von seiner Großfamilie lebten zwei Tanten und ein Onkel in Hamburg sowie ein weiterer Onkel in den Niederlanden. Vor seiner Ausreise habe er als Händler für Naturpräparate seinen Lebensunterhalt verdient. Bereits im Jahre 2004 habe er in der Republik Österreich um die Anerkennung als Asylberechtigter nachgesucht. Er sei jedoch vor einer abschließenden Entscheidung in diesem Verfahren nach Afghanistan zurückgekehrt und habe für die Dauer von zirka sechs Monaten in Kabul gelebt. Danach sei er nach Herat zurückgekehrt, wo er bis zu seiner Ausreise im November 2007 gelebt habe.
Als Grund für seine Ausreise gibt der Kläger folgenden Sachverhalt an:
In Afghanistan hätten zwei ältere Herren um die Hand seiner Schwestern geworben. Sein Vater habe einer Heirat jedoch nicht zugestimmt. Daraufhin hätten diese Herren seine Familie bedroht. Zur Klärung der Situation sei sein Vater zu einer Reise nach Kabul aufgebrochen. Von dieser sei er jedoch nicht zurückgekehrt. Er sei wohl von den beiden Herren getötet worden. Die Familie habe sich deshalb dazu entschlossen, in Herat umzuziehen, nachdem ihr Haus dreimal überfallen worden sei. Man habe das Haus der Familie in Herat für 22.000 US-Dollar verkauft. Seine Mutter und seine Schwestern seien daraufhin nach Kabul gezogen und hätten sich dort ein Haus gekauft. Er sei in Herat verblieben. Allerdings hätten die Herren sein Geschäft in Herat gekauft und ihn - den Kläger - rausgeworfen. Er habe daraufhin Angst gehabt, dass er ebenso wie sein Vater von den Herren getötet werde. Seine Ausreise habe er mit dem Geld, das die Familie mit dem Hausverkauf erlöst habe, finanziert. Er befürchte, bei einer Rückkehr nach Afghanistan, namentlich zu seiner/n in Kabul lebenden Mutter und Schwestern, ebenfalls getötet zu werden, da die Ehre der Herren verletzt sei.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2009 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in der Person des Klägers nicht vorliegen. Das Bundesamt forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen, und drohte für den Fall des Verbleibs nach Ablauf der Ausreisefrist die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen zur Rückübernahme bereiten bzw. verpflichteten Staat an. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, der Kläger habe keine politische Verfolgung geltend gemacht. Im Übrigen sei sein Vortrag unglaubhaft, seine Handlungsweise nicht nachvollziehbar, da sie der afghanischen Tradition im Hinblick auf den Schutz und Beistand seiner Mutter und seiner Schwestern widerspreche. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Insbesondere sei die Sicherheits- und Versorgungslage im Raum Kabul nicht derart schlecht, dass jeder Rückkehrer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Hiergegen hat der Kläger am 4. März 2009 Klage erhoben, ohne diese näher zu begründen. In der mündlichen Verhandlung persönlich gehört, hat der Kläger ergänzt, er habe in Herat im Stadtzentrum gewohnt. Er stamme aus normalen finanziellen Verhältnissen. Sein früherer Laden, der einen Basar umfasste, sei zirka 20 Minuten mit dem Fahrrad von dem früheren Haus der Familie entfernt gelegen. Er habe die Strecke von Herat nach Kabul früher monatlich ein Mal zurückgelegt. Dabei habe er stets Angst gehabt. Er habe Kampfhandlungen gesehen. Seine Mutter und seine Schwestern seien zirka 8 Monate nach dem Umzug nach Kabul aus Afghanistan in den Iran verzogen. Er habe mit ihnen gelegentlichen telefonischen und schriftlichen Kontakt. Seine Mutter arbeite in einer Pistazienfabrik. Er sei dem Rat seiner Mutter gefolgt und habe deshalb Kabul verlassen.
Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen hat, beantragt er nunmehr,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Februar 2009, zugestellt am 19. Februar 2009, zu verpflichten, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und ergänzt, subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG könne dem Kläger nicht gewährt werden, weil es in seiner Heimat Herat an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt mangele.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten, die von der Kammer in der Anlage zur Terminsladung und in der Verfügung vom 14. Mai 2009 aufgelisteten sowie die in der mündlichen Verhandlung erörterten Erkenntnismittel sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, soweit der Kläger seine Klage - das Begehren auf Anerkennung als Asylberechtigter und als Flüchtling gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG betreffend - zurückgenommen hat. Im Übrigen ist sie abzuweisen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.02.2009 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Antrag des Klägers ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198) dahingehend auszulegen, dass der Kläger in erster Linie subsidiären Schutz nach Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EG vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 - sog. Qualifikationsrichtlinie) und damit die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und nur hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes liegen indes nicht vor.
Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Nach dem Vorbringen des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass diesem bei seiner Rückkehr nach Afghanistan derartige Gefahren drohen.
Gemäß § 60 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, wenn dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht. In diesen Fällen finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung. Auch für eine solche Gefährdung findet sich im Falle des Klägers kein Anhaltspunkt.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, der durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I 2007, S. 1970) neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügt wurde und der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 c) der Qualifikationsrichtlinie dient (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 23. April 2007 zu § 60 AufenthG, BT-Drs 16/5065 S. 187 zu Buchst. d), ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Gefahren nach Satz 1 oder Satz 2, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen. Die Bestimmung entspricht trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierung - nicht ausdrücklich erwähnt ist das Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" - den Vorgaben des Art. 15 c) der Qualifikationsrichtlinie (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O.).
Zur Auslegung dieser Vorschrift hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 ausgeführt:
"aa) § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG setzt - wie die umgesetzte Vorschrift des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie - einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität erreicht haben, wird danach ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Dabei sind insbesondere die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 (Sartorius II Nr. 53 ff) heranzuziehen. Die Interpretation der in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. c der Richtlinie gewählten Begriffe in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht entspricht dem Kontext der Richtlinie, wie er in den Erwägungsgründen 11 und 25 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, die auf die Bindung der Mitgliedstaaten an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen hinweisen. Auch in der Begründung zum Entwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes wird ausgeführt, dass der Begriff des "bewaffneten Konflikts" als völkerrechtlicher Begriff zu verstehen ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung a.a.O.).
Gegenstand der vier Genfer Konventionen von 1949 - GK 1949 - ist die Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde (1. Konvention - BGBl 1954 II S. 783), sowie der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See (2. Konvention - BGBl 1954 II S. 813), die Behandlung von Kriegsgefangenen (3. Konvention - BGBl 1954 II S. 838) und der Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (4. Konvention - BGBl 1954 II S. 917, ber. 1956 II S. 1586). Nahezu alle Staaten der Welt haben die Abkommen unterzeichnet, die deshalb auch als Völkergewohnheitsrecht angesehen werden können (vgl. Greenwood, in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, S. 20 f. Rn. 125). In Art. 3 der Abkommen wird in übereinstimmendem Wortlaut der innerstaatliche bewaffnete Konflikt beschrieben; zugleich werden Regelungen zur humanen Behandlung von Personen getroffen, die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, wie auch zur Pflege von Kranken und Verwundeten unter Einschluss des Einsatzes von Mitarbeitern des Internationalen Roten Kreuzes. Art. 3 GK 1949 definiert den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt nur allgemein als "bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht".
Eine Präzisierung erfährt der Begriff durch das am 8. Juni 1977 abgeschlossene Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll II - ZP II). Das Zusatzprotokoll I (ZP I) vom gleichen Tag bezieht sich auf die internationalen bewaffneten Konflikte (BGBl 1990 II S. 1551), das Zusatzprotokoll II auf die nicht internationalen bewaffneten Konflikte (BGBl 1990 II S. 1637). Das Zusatzprotokoll II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts und grenzt ihn in Nr. 2 von Fällen "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter den Begriff fallen (zur Entstehungsgeschichte der Vereinbarungen vgl. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, S. 1210 - 1220). Die Vorschrift lautet:
Art. 1 Sachlicher Anwendungsbereich
1. Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.
2. Dieses Protokoll findet nicht auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen Anwendung, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten.
Danach liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nach Auffassung des Senats nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung a.a.O.). Ob die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreichen müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts findet ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie widerspricht (vgl. hierzu Urteil des für Berufungen in Asylsachen zuständigen britischen Asylum and Immigration Tribunal - AIT - vom 1. Februar 2008, KH <Article 15(c) Qualification Directive> Iraq CG <2008> UKAIT 00023, Rn. 54 <nicht rechtskräftig>). Das bedeutet jedoch nicht, dass auch ein sog. "low intensity war" die Qualität eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllt, zumal der Begriff wenig präzise erscheint (a.A. Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung - Qualifikationsrichtlinie, Stand: November 2006, § 40 Rn. 7 - 18 und ihm folgend das OVG Schleswig, Urteil vom 21. November 2007 - 2 LB 38/07 - juris; für den Ausschluss von "low level violence" aus Art. 3 GK 1949 plädiert Bothe, in: Graf Vitzhum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, S. 722 Rn. 123 m.w.N.).
Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe (vgl. etwa Entscheidung der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 2. Oktober 1995, ICTY-Appeals Chamber Prosecuter v. Tadic., Nr. IT-94-1, www.un.org/icty/tadic/appeal/decision-e/51002.htm, Rn. 70; jüngst Urteil vom 3. April 2008, ICTY-Trials Chamber Prosecutor v. Haradinaj et al., Nr. IT-04-84-T, www.un.org/icty/haradinaj/trialc/judgement/tcj080403e.pdf, Rn. 49).
Kriminelle Gewalt dürfte bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (vgl. auch das britische AIT in seinem Urteil vom 1. Februar 2008, KH <Article 15(c) Qualification Directive> Iraq CG <2008> UKAIT 00023, Rn. 95 ff., das den Gesichtspunkt allerdings im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzung der "willkürlichen Gewalt" erörtert; vgl. auch die Differenzierung der Internationalen Strafgerichtshöfe zwischen "war crime" und "purely domestic offence" etwa im Urteil der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 12. Juni 2002 - ICTY-Appeals Chamber Prosecuter v. Kunarac et al.; Nr. IT-96-23&23/1, www.un.org/icty/kunarac/appeal/judgement/index.htm, Rn. 58 f.).
bb) Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem angefochtenen Urteil zu Unrecht eine landesweite Konfliktsituation als Voraussetzung für die Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie verlangt (UA S. 19). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt demgegenüber auch dann vor, wenn die oben genannten Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebiets erfüllt sind. Das ergibt sich schon daraus, dass gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Regeln über den internen Schutz nach Art. 8 der Richtlinie gelten. Ein aus seinem Herkunftsstaat Geflohener kann aber nur auf eine landesinterne Schutzalternative verwiesen werden, wenn diese außerhalb des Gebietes eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikt liegt. Damit wird anerkannt, dass sich ein innerstaatlicher Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken muss. Auch nach Art. 1 ZP II genügt, dass die bewaffneten Gruppen Kampfhandlungen in einem "Teil des Hoheitsgebiets" durchführen.
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Nach § 60 Abs. 11 AufenthG bestimmt sich die Möglichkeit der Erlangung internen Schutzes im Fall eines geltend gemachten Abschiebungsverbots im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Nach Art. 8 Abs. 1 benötigt ein Antragsteller keinen internationalen Schutz, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine tatsächliche Gefahr besteht, dass er einen ernsthaften Schaden erleidet, und von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Weiter sind nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung zu berücksichtigen.
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Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof auch keinerlei Tatsachenfeststellungen dazu getroffen, ob und warum den Klägern ein Ausweichen in die konkret zu bestimmenden Regionen des Irak aufgrund der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände der Kläger zumutbar ist. Bei den persönlichen Umständen wäre mit zu berücksichtigen gewesen, aus welcher Herkunftsregion die Kläger stammen und ob in dem Gebiet des internen Schutzes jedenfalls ihr Existenzminimum gesichert ist (zu den weiteren Voraussetzungen des internen Schutzes nach Art. 8 der Richtlinie, vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, Rn. 3b und 4b).
...
Denn die nunmehr in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG getroffene Regelung, die Abschiebungsschutz suchende Ausländer im Fall allgemeiner Gefahren auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ausländerbehördliche Erlasse verweist, ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass sie nicht die Fälle erfasst, in denen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt sind.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 oder Satz 2 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ermächtigt die oberste Landesbehörde zur Aussetzung der Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen für die Dauer von längstens sechs Monaten. Ein Ausländer, der die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllt, hat - wie bereits unter 1. ausgeführt - nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 2 einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Es widerspräche den Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG, wenn einem Ausländer, der Anspruch auf subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie hat und nicht den Ausschlusstatbestand des Art. 24 Abs. 2 Halbs. 2 erfüllt, kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich eine Duldung wegen Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG erteilt würde. Deshalb ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie keine Sperrwirkung entfaltet. Der Verwaltungsgerichtshof durfte von der Prüfung der materiellen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG somit nicht deshalb absehen, weil nach seinen Feststellungen in Bayern ein Abschiebestopperlass zugunsten der Kläger besteht.
Von der richtlinienkonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bleibt die vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretene Rechtsauffassung unberührt, dass Ausländer bei der Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren grundsätzlich auf eine Regelung durch die oberste Landesbehörde nach § 60a AufenthG verwiesen werden dürfen und bei Fehlen einer solchen Regelung das Bundesamt nur dann zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gelangt ist, wenn dieses zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379 <381 f.>; Beschlüsse vom 23. August 2006 - BVerwG 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19, Rn. 4 und vom 27. November 2007 - BVerwG 10 B 119.07 - juris Rn. 4)."
...
a) Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass im Irak landesweit oder regional, etwa in der Herkunftsregion der Kläger, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, wird es weiter zu prüfen haben, ob dieser Konflikt eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben der Kläger als Angehörige der Zivilbevölkerung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG begründet. Die Tatbestandsvoraussetzungen der "erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben" entsprechen denen einer "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit" im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie. Hierbei ist zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person der Kläger so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Nach Auffassung des Senats kann sich auch eine allgemeine Gefahr, die von einem bewaffneten Konflikt ausgeht, individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllen. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, dürfte eine gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfrage sein, die abschließend der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften klären müsste. Insoweit wird auch auf das bereits anhängige Vorlageverfahren des Niederländischen Raad van State (C-465/07, Vorlage vom 17. Oktober 2007, ABl. C 8 vom 12. Januar 2008, S. 5) verwiesen.
Allerdings geht der Senat davon aus, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt normalerweise nicht eine solche Gefahrendichte hat, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Das ergibt sich unter anderem aus dem 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, nach dem Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Ausgeschlossen wird eine solche Betroffenheit der gesamten Bevölkerung oder einer ganzen Bevölkerungsgruppe allerdings nicht, was schon durch die im 26. Erwägungsgrund gewählten Formulierung "normalerweise" deutlich wird. Der Zusatz "normalerweise" wurde nach Angaben der Vertreterin des Bundesministeriums des Innern in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachträglich in den von Deutschland vorgeschlagenen 26. Erwägungsgrund aufgenommen, um die von Deutschland vorgeschlagene striktere Fassung abzumildern. Eine allgemeine Gefahr kann sich aber insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrerhöhenden Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung werden in diesem Zusammenhang für den Irak etwa die Zugehörigkeit zu einer der dortigen politischen Parteien sowie zur Berufsgruppe der Journalisten, Professoren, Ärzte und Künstler genannt (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 8. August 2007 - A 2 S 229/07 - NVwZ 2008, 447 <449>). Bei Soldaten ist allerdings zu berücksichtigen, dass Personen mit Kombattantenstatus nicht als Angehörige der Zivilbevölkerung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzusehen sind und deshalb nicht durch diese Vorschrift geschützt werden. Zugleich bemerkt der Senat, dass aus seiner Sicht die allgemeinen Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind - etwa eine dadurch bedingte Verschlechterung der Versorgungslage - nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden können (vgl. auch Funke-Kaiser, InfAuslR 2008, 90 <94>). Im Übrigen können für die Feststellung der Gefahrendichte ähnliche Kriterien gelten wie im Bereich des Flüchtlingsrechts für den dort maßgeblichen Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung (vgl. Urteile vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 21 bis 23 und vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 bis 25), sofern nicht Besonderheiten des subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entgegenstehen (zum Erfordernis der Gefahrendichte vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 21. März 2007 - 20 A 5164/04.A - juris Rn. 30; OVG Schleswig, Urteil vom 21. November 2007 - 2 LB 38/07 - juris Rn. 49). Die Kläger müssen allerdings stichhaltige Gründe dafür darlegen, dass sie bei einer Rückkehr in den Irak tatsächlich von einer in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie beschriebenen Gefahr betroffen wären (vgl. Art. 2 Buchst. e der Richtlinie).
b) Bei der Prüfung, ob die Kläger eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu befürchten haben, wird der Verwaltungsgerichtshof auch zu berücksichtigen haben, dass den Klägern infolge von "willkürlicher Gewalt" Gefahr drohen muss. Dieses Erfordernis ist zwar nicht ausdrücklich in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aufgenommen worden. Die Begründung des Regierungsentwurfs verweist aber darauf, dass die Vorschrift "die Tatbestandsmerkmale des Artikels 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie" umfasst und nennt als Regelungsgehalt des umzusetzenden Art. 15 Buchst. c der Richtlinie ausdrücklich die subsidiäre Schutzgewährung "in Fällen willkürlicher Gewalt" im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 23. April 2007, a.a.O. S. 187 zu Buchst. d). Welchen Inhalt dieses Merkmal hat, sieht der Senat als eine gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfrage an, die letztlich nur vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften geklärt werden kann.
Denkbar ist, dass das Merkmal - ähnlich wie der Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts - im Licht des humanitären Völkerrechts auszulegen ist. Diese Rechtsauffassung vertreten das britische Asylum and Immigration Tribunal in seinem Urteil vom 1. Februar 2008 (KH <Article 15(c) Qualification Directive> Iraq CG <2008> UKAIT 00023, Rn. 85 bis 94) und ihm folgend die Vertreter des Bundesministeriums des Innern in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Danach soll der Begriff der willkürlichen Gewalt (englische Fassung: indiscriminate violence) nur solche Gewaltakte erfassen, die unter Verletzung der Regeln des humanitären Völkerrechts, insbesondere der Genfer Konventionen von 1949 und der zu ihrer Präzisierung vereinbarten Zusatzprotokolle von 1977 begangen werden. Das bezieht sich insbesondere auf Gewalt, die nicht zwischen zivilen und militärischen Objekten unterscheidet (englische Fassung: indiscriminate attacks <"unterschiedslose Angriffe">- vgl. Art. 51 Abs. 4 und 5 ZP I und Art. 13 ZP II). Ferner sollen Anschläge erfasst werden, die nicht auf die bekämpfte Konfliktpartei gerichtet sind, sondern die Zivilbevölkerung treffen sollen (vgl. hierzu Bothe, in: Graf Vitzthum Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, S. 689 ff. Rn. 65 f.). Der Begriff erstreckt sich ferner auf Gewaltakte, bei denen die Mittel und Methoden in unverhältnismäßiger Weise die Zivilbevölkerung treffen (z.B. chemische Waffen). Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Kläger von völkerrechtswidrigen Gewaltakten in dem hier näher beschriebenen Sinn betroffen sind, dürfte das im Rahmen der Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit zu berücksichtigende Merkmal der willkürlichen Gewalt jedenfalls erfüllt sein.
Nach anderer Ansicht soll das Merkmal der "willkürlichen Gewalt" die Anforderungen begrenzen, die an das Vorliegen einer erheblichen individuellen Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu stellen sind. Dies wird mit der fehlenden Zielgerichtetheit willkürlicher Gewaltakte begründet (französische Fassung: violence aveugle - blinde Gewalt). Würden Gewaltakte nicht gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt, könnten die Betroffenen in aller Regel keine individualisierenden Merkmale vorweisen, die sie von anderen unterscheiden (vgl. Hruschka/Lindner, NVwZ 2007, 645 <649>). In eine ähnliche Richtung zielt die weitere Ansicht, nach der das Erfordernis willkürlicher Gewalt den Anwendungsbereich des 26. Erwägungsgrundes der Richtlinie, demzufolge allgemeine Gefahren für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, begrenzen soll. Sei die Situation im Herkunftsland von willkürlichen Gewaltmustern geprägt, herrsche keine Situation lediglich allgemeiner Gewalt (vgl. Marx, a.a.O. Rn. 50)."
Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit" im Sinne von Art. 15 c) der Qualifikationsrichtlinie hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - C 465/07 -, NVwZ 2009, S. 705 ff., in der Rechtssache Elgafaji vs. Staatssecretaris van Justitie ausgeführt:
"30. Bei Berücksichtigung dieser Vorbemerkungen und der Umstände des Ausgangsverfahrens geht die Frage des vorlegenden Gerichts dahin, ob Art. 15 lit. c i.V. mit Art. 2 lit. e der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, voraussetzt, dass diese Person beweist, dass sie auf Grund von ihrer Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Bei Verneinung dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, nach welchem Kriterium es sich richtet, ob eine solche Bedrohung als gegeben anzusehen ist.
31. Um diese Fragen zu beantworten, sind die drei in Art. 15 der Richtlinie definierten Arten eines „ernsthaften Schadens“ vergleichend zu prüfen, die als Tatbestandsmerkmale erfüllt sein müssen, um den Anspruch einer Person auf subsidiären Schutz zu begründen, sofern gem. Art. 2 lit. e der Richtlinie stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in das betreffende Land „tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden … zu erleiden“.
32. Insoweit ist zu beachten, dass die Begriffe „Verhängung … der Todesstrafe“, „Vollstreckung der Todesstrafe“ sowie „Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers“ in Art. 15 lit. a und b der Richtlinie Situationen erfassen, in denen der den subsidiären Schutz Beantragende spezifisch der Gefahr ausgesetzt ist, einen Schaden ganz bestimmter Art zu erleiden.
33. Hingegen umfasst der in Art. 15 lit. c der Richtlinie definierte Schaden, da er in „einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ des Antragstellers besteht, eine Schadensgefahr allgemeinerer Art.
34. Es ist dort nämlich in einem weiteren Sinne von „eine[r] … Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ einer Zivilperson statt von bestimmten Gewalteinwirkungen die Rede. Außerdem ergibt sich diese Bedrohung aus einer allgemeinen Lage eines „internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“. Schließlich wird die in Frage stehende Gewalt, der die Bedrohung entspringt, als „willkürlich“ gekennzeichnet, was impliziert, dass sie sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann.
35. In diesem Zusammenhang ist das Adjektiv „individuell“ dahin zu verstehen, dass es sich auf schädigende Eingriffe bezieht, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solchen Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung i.S. des Art. 15 lit. c der Richtlinie ausgesetzt zu sein.
36. Dieser Auslegung, die Art. 15 lit. c der Richtlinie einen eigenen Anwendungsbereich zu sichern geeignet ist, steht nicht der Wortlaut des 26. Erwägungsgrundes der Richtlinie entgegen, wonach „Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, … für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar[stellen], die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre“.
37. Auch wenn dieser Erwägungsgrund impliziert, dass die objektive Feststellung einer Gefahr, die mit der allgemeinen Lage eines Landes im Zusammenhang steht, allein grundsätzlich nicht genügt, um den Tatbestand des Art. 15 lit. c der Richtlinie hinsichtlich einer bestimmten Person als erfüllt anzusehen, bleibt doch durch die Verwendung des Wortes „normalerweise“ der Fall einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre.
38. Der Ausnahmecharakter einer solchen Situation wird auch durch den subsidiären Charakter des in Frage stehenden Schutzes und durch die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bestätigt, da die in Art. 15 lit. a und b definierten Schäden einen klaren Individualisierungsgrad voraussetzen. Auch wenn kollektive Gesichtspunkte für die Anwendung des Art. 15 lit. c der Richtlinie eine bedeutende Rolle in dem Sinne spielen, dass die fragliche Person zusammen mit anderen Personen zu einem Kreis von potenziellen Opfern willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gehört, ändert dies nichts daran, dass diese Vorschrift systematisch im Verhältnis zu den beiden anderen Tatbeständen des Art. 15 der Richtlinie und deshalb in enger Beziehung zu dieser Individualisierung auszulegen ist.
39. Dies ist dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist.
40. Es ist hinzuzufügen, dass bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz gem. Art. 4 III der Richtlinie insbesondere zu berücksichtigen sein können
das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt sowie der tatsächliche Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr in das betroffene Land, wie es sich aus Art. 8 I der Richtlinie ergibt, und
gegebenenfalls das Vorliegen eines ernsthaften Hinweises auf eine tatsächliche Gefahr i.S. von Art. 4 IV der Richtlinie, angesichts dessen der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, geringer sein kann.
43. Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 15 lit. c i.V. mit Art. 2 lit. e der Richtlinie wie folgt auszulegen ist:
Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie auf Grund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist.
Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solchen Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein."
Dieser Rechtsprechung folgt die Kammer und wendet sie auf das vorliegende Verfahren an.
Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnismitteln, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, kann im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bereits ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt für den letzten Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Ausreise aus Afghanistan, auf den hier abzustellen ist (vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Februar 2008 - 20 A 2375/07.A -, juris), die Stadt Herat in der gleichnamigen afghanischen Provinz, nicht festgestellt werden.
Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 3. Februar 2009 (Stand: Januar 2009; Seite 12 ff.) variiert die Sicherheitslage regional und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt. Während im Süden und Osten des Landes Aktivitäten regierungsfeindlicher Kräfte gegen die Zentralregierung und die Präsenz der internationalen Gemeinschaft die primäre Sicherheitsbedrohung darstellen, beeinträchtigen im Norden und Westen die Rivalitäten lokaler Machthaber und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind, die Sicherheitssituation. Die organisierte Kriminalität hat seit 2007 landesweit stark zugenommen. Wachsende Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, das Wiedererstarken der Taliban und die steigende Kriminalität sowie die Aktivitäten illegaler Milizen und bewaffnete Konflikte zwischen Ethnien bestimmen das Bild. Sicherheitsrelevante Vorfälle mit Sprengfallen und Selbstmordanschlägen nehmen landesweit weiter zu. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage sind fast alle Landesteile betroffen. Der UNHCR hat zuletzt am 11. November 2007 eine Einschätzung über die Sicherheitslage in bestimmten Regionen im Hinblick auf die Rückkehr von Flüchtlingen abgegeben.
Während sich die Sicherheitslage im Raum Kabul im Jahre 2008 nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Lagebericht, Seite 12 f.) nicht weiter verschlechtert hat, bekämpft die Anti-Terror-Koalition die radikal-islamischen Kräfte vor allem im Süden, Südosten und Osten des Landes. Die Infiltration islamistischer Kräfte (u.a. Taliban) aus dem pakistanischen Paschtunengürtel nach Afghanistan ist ungebrochen, das Rekrutierungspotenzial in afghanischen Flüchtlingslagern auf pakistanischem Territorium scheint noch immer unerschöpflich. Vor allem im Süden, aber auch im Südosten wurde auch 2008 ein deutlicher Anstieg von Anschlägen auf Einrichtungen der Provinzregierungen und Hilfsorganisationen verzeichnet. Gleichzeitig halten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen weiter an. Dies schließt Fehden zwischen Ethnien ein, die unter anderem für die paschtunisch geprägten Gebiete des Südens typisch sind.
In den westlichen Provinzen Ghor (Westteil), Farah und Nimruz ist eine Reinfiltration von Taliban/Islamisten zu verzeichnen. Im Norden und Nordosten werden zunehmend Aktivitäten von mit Taliban sympathisierenden Gruppen sowie der Hezb-e Islami Hekmatyar (HIG) registriert. Im Nordwesten kommt es immer wieder zu interfraktionellen Kämpfen und erheblichen Spannungen. Die Hauptakteure sind hier Jamiat-e-Islami (tadschikisch), Jumbesh-e-Milli (usbekisch) und Hezb-e-Wahdat (hazaritisch).
Weiter führt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht (Seite 14) aus, dass es seit 2006 regelmäßig zu Übergriffen auf Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen bzw. zu Anschlägen auf ausländische Truppen kommt. Das Risiko von Entführungen nimmt für Mitarbeiter internationaler Organisationen weiter zu. Zwischen Juli 2007 und Anfang 2008 kam es zu fünf Entführungsfällen deutscher Staatsangehöriger. Am 15. August 2007 kamen bei einem Sprengstoffanschlag auf Fahrzeuge der deutschen Botschaft zwei Personenschutzbeamte des BKA sowie ein Angehöriger der Bundespolizei ums Leben. Der Anschlag auf das Hotel Kabul Serena am 14. Januar 2008 sowie der Anschlag auf die indische Botschaft am 7. Juli 2008 haben das Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft erheblich verstärkt. Das Vertrauen in die Fähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, Anschläge zu verhindern, hat mit dem spektakulären Anschlag auf die Militärberater im April 2008 weiter abgenommen.
Zu einer ähnlichen, differenzierenden Einschätzung der Sicherheitslage gelangt das Informationszentrum Asyl und Migration des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in seiner Information Afghanistan mit dem Titel „Zur Sicherheitslage in ausgewählten Provinzen (Kabul, Herat, Kandahar, Balkh, Parwan, Ghazni, Paktia, Nangarhar, Laghman, Kunar, Uruzgan)“ vom April 2009 (kurz: Information des Bundesamtes). Das Bundesamt geht in Übereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt davon aus, dass die Sicherheitslage regional und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt variiert, stellt gleichzeitig jedoch fest, dass sich die Sicherheitslage im Jahre 2008 insgesamt verschlechtert hat. Dies gilt nach Einschätzung des Bundesamtes insbesondere für den Süden, Südosten und Osten des Landes. Von den vom Bundesamt untersuchten Provinzen kann nach seiner Auffassung lediglich die Provinz Balkh als relativ sicher bezeichnet werden. Die Provinzen Kabul, Herat, Nangarhar und Parwan können als teilweise sicher bezeichnet werden. Als unsicher bzw. überwiegend unsicher müssten Kandahar, Ghazni, Paktia, Laghman, Kunar und Uruzgan betrachtet werden (vgl. das zusammenfassende Vorwort der Information).
Im Einzelnen führt das Bundesamt in seiner Untersuchung aus, in weiten Teilen Afghanistans fänden militärische Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Kräften einerseits sowie afghanischen und internationalen Truppen andererseits statt. Insbesondere im Süden, Südwesten, Südosten und Osten des Landes stellten Aktivitäten regierungsfeindlicher Kräfte gegen die Zentralregierung und die Präsenz der internationalen Gemeinschaft die primäre Sicherheitsbedrohung dar. Islamistische Kräfte (unter anderem Taliban) sickerten aus dem pakistanischen Paschtunengürtel weiterhin nach Afghanistan ein. Vor allem im Süden, aber auch im Südosten sei auch 2008 ein deutlicher Anstieg von Anschlägen auf Einrichtungen der Provinzregierungen und Hilfsorganisationen verzeichnet worden. Daneben könne es zu Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen kommen, was auch Stammesfehden, die unter anderem für die paschtunisch geprägten Gebiete des Südens typisch seien, einschließe. Im Norden und Westen beeinträchtigten hauptsächlich die Rivalitäten lokaler Machthaber und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt seien, die Sicherheitssituation. Im Nordwesten könne es immer wieder zu interfraktionellen Kämpfen und erheblichen Spannungen kommen. In letzter Zeit seien aber auch im Norden und Westen zunehmend Aktivitäten von Taliban bzw. mit ihnen sympathisierenden Gruppen sowie der Hizb-e-Islami registriert worden, insbesondere in den Provinzen Ghor, Farah und Nimruz, aber auch in Nuristan, Wardak, Logar und Kapisa. Im Raum Kabul gelte die Sicherheitslage zwar als fragil, aber mit Ausnahme einiger Distrikte im Vergleich zu anderen Regionen als zufriedenstellend. Sie habe sich 2008 nicht weiter verschlechtert (vgl. zum Vorstehenden: Seite 1 der Information des Bundesamtes).
Der in der Information des Bundesamtes (Seite 3) abgebildeten grafischen Darstellung der Zahlen der zivilen Opfer in den verschiedenen Regionen Afghanistans lässt sich entnehmen, dass im Jahre 2008 die weitaus meisten Opfer im Süden und Südosten zu beklagen waren. Im Westen des Landes, in dem die Heimatstadt des Klägers gelegen ist, sind insgesamt rund 200 zivile Opfer zu beklagen. Davon entfallen rund 100 Opfer auf den Monat August 2008 (vgl. die Grafik auf Seite 4 der Information des Bundesamtes). Die vom UNHCR herausgegebene Karte über die Einschätzung der Sicherheitslage in allen Distrikten im Oktober 2008 (abgebildet in der Information des Bundesamtes, Seite 7) stellt die Provinz Herat mit grüner Farbe, und damit als Provinz mit niedrigem Sicherheitsrisiko dar. Gleichwohl stuft der UNHCR in seinem Oktober-Update der Ausarbeitung „Die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf die Gewährung ergänzenden Schutzes“ mehrere Distrikte der Provinz Herat als unsicher ein. Die Stadt Herat selbst wird hingegen vom UNHCR in dieser Karte nicht rot eingefärbt, und damit als unsicher dargestellt (Information des Bundesamtes, Seite 8). Der Unterschied zwischen beiden Karten beruhe, so das Bundesamt (Seite 6 der Information), darauf, dass in der ersten Karte die Erreichbarkeit von Gebieten für Hilfsorganisationen dargestellt werde. Maßgebliche Faktoren hierfür seien politische Stabilität, kriminelle Aktivitäten, die Anwesenheit illegaler bewaffneter Gruppen, Aktionen der Aufständischen und der Sicherheitskräfte, Bedrohungen durch Umweltfaktoren, Effektivität der Kontrolle, Unterstützung für UN-Personal und Akzeptanz der Bevölkerung. Dagegen flössen in die zweite Karte (Seite 8 der Information des Bundesamtes) weitere Faktoren ein wie
- Berichte über systematische Akte der Einschüchterung, einschließlich willkürlicher Tötungen, Entführungen und andere Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit und der Freiheit durch regierungsfeindliche Elemente und lokale Kriegsherren, militärische Kommandeure und kriminelle Gruppen,
- Anschläge regierungsfeindlicher Elemente, einschließlich ausländischer Kämpfer, unter anderem durch den erhöhten und systematischen Gebrauch von Taktiken der asymetrischen Kriegsführung (unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen an Straßen, Raketenangriffe, Bomben und Selbstmordanschläge),
- Anschläge auf „weiche“ Ziele wie Schulen, Lehrpersonal, Kirchenvertreter, Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und Personal von Hilfsorganisationen,
- militärische Operationen an Orten, wo regierungsfeindliche Gruppen gemeldet wurden oder eine Präsenz aufgebaut haben,
- religiöse Konflikte und Stammeskonflikte sowie Konflikte über die Nutzung von Weideland und unzureichende Reaktionen der Zentralregierung, gegen die Gewalt vorzugehen und Zivilisten zu schützen,
- sowie illegal Landbesetzungen und Enteignungen mit eingeschränkten Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.
Insgesamt sei, so das Bundesamt (Seite 9 der Information), in den letzten Jahren eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Im Jahre 2008 hätten Anschläge und Kampfhandlungen ein seit dem Sturz der Taliban im Jahre 2001 bisher nicht gekanntes Ausmaß angenommen. Der US-Botschafter in Afghanistan habe bekanntgegeben, dass die Zahl der Bombenanschläge mit rund 2.000 im Jahr 2008 doppelt so hoch gewesen sei als im Jahr 2007. Insgesamt seien bis Ende Oktober 2008 6.792 sicherheitsrelevante Vorfälle gezählt worden. Hierunter fielen bewaffnete Auseinandersetzungen, Entführungen sowie Bomben- und Selbstmordanschläge. Die Angaben über die Anzahl getöteter Zivilisten in Afghanistan variierten und seien mit einiger Vorsicht zu betrachten. Nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen seien im Jahr 2008 2.118 Zivilisten bei Gewalttaten im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt getötet worden, rund 40 % mehr als im Jahre 2007. Die meisten Opfer (ca. 41 %) habe es im Süden gegeben. Von den Regierungsgegnern seien 1.160 Zivilisten (die meisten davon bei Anschlägen), von den alliierten Truppen 829 getötet worden. Die Todesursache von weiteren 130 Zivilisten sei nicht bekannt. Die Zahl der getöteten ausländischen Soldaten habe bei 290 und die der getöteten afghanischen Sicherheitskräfte bei ca. 1.000 gelegen. Nach Angaben der NATO seien rund 1.000 Zivilisten neben ca. 5.000 Aufständischen getötet worden. Der US Congressional Research Service (CRS) spreche von ca. 5.400 getöteten Afghanen, einschließlich Taliban im Jahr 2008 (Stand: November 2008). Eine neue Menschenrechtsorganisation namens Afghanistan Rights Monitor (ARM) mit Sitz in Kabul berichte, dass fast 4.000 Zivilisten im Jahr 2008 getötet worden seien, 6.800 seien verletzt und 120.000 zur Flucht gezwungen worden. Die Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gebe dagegen die Zahl der getöteten Zivilisten mit rund 1.800 an. Im Jahr 2009 habe sich diese Tendenz bisher fortgesetzt. Im Januar 2009 habe es 75 % mehr Vorfälle als im Januar 2008 gegeben (Information des Bundesamtes, Seite 9).
Ausweislich der Statistik der UNAMA (Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict, January 2009, Seite 12; wiedergegeben auf Seite 10 der Information des Bundesamtes) ist die Zahl der zivilen Opfer von 1523 im Jahre 2007 auf 2.118 im Jahre 2008 angestiegen. Von den getöteten Zivilisten seien für mehr als die Hälfte (55 %) Regierungsgegner (sog. Anti Government Elements, AGE's) verantwortlich, während im Jahre 2007 das Verhältnis noch bei 46 % (AGE's) zu 41 % (afghanische/ internationale Sicherheitskräfte, PGF) gelegen habe. Dabei seien die meisten Zivilisten bei Selbstmordanschlägen oder durch unkonventionelle Sprengvorrichtungen und bei Luftangriffen ums Leben gekommen (Information des Bundesamtes, Seite 11).
Das Bundesamt weist weiter in seinen Vorbemerkungen zur Situation in ausgewählten Provinzen (Information des Bundesamtes, Seite 13 f.) darauf hin, dass bekanntgewordene sicherheitsrelevante Ereignisse ab dem Jahre 2008 aufgezählt worden seien, hierbei jedoch zu bedenken sei, dass eine derartige Aufzählung nicht vollständig sein könne. Die aufgeführten Ereignisse hätten Erwähnung in der überregionalen Presse gefunden, in der aber nicht über jeden Fall berichtet werde. Die tatsächliche Anzahl dürfte daher um einiges größer sein. Unter Gesamtwürdigung der aktuellen Situation in Afghanistan sei davon auszugehen, dass in weiten Teilen ein innerstaatlicher Konflikt herrsche, der je nach Region unterschiedlich stark ausgeprägt sei. Die Beteiligten seien die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte auf der einen Seite und die Aufständischen, die sich je nach Region anders zusammensetzen könnten, auf der anderen Seite. Die Tatsache, dass auf der Seite der Regierungsgegner verschiedene Gruppierungen stünden, stehe dem nicht entgegen. Die gemeinsamen Eigenschaften dieser Gruppen seien die Gegnerschaft zur gegenwärtigen Regierung und das Ziel, die ausländischen Streitkräfte zu vertreiben. Ob die Taliban, die Hizb-e-Islami oder andere, einzeln, nach Absprache oder im Verbund tätig würden, sei nicht relevant. Dabei hätten sich die Regierungsgegner in den letzten Jahren auf eine für sie mehr erfolgversprechende Guerilla-Taktik verlegt. Typisch seien Sprengfallen, Bombenattentate und Selbstmordanschläge, wobei afghanische Sicherheitskräfte und unbeteiligte Zivilisten häufiger Opfer von Anschlägen würden als ausländische Soldaten, da diese meist besser geschützt seien (z.B. durch gepanzerte Fahrzeuge). Daneben führten sie aber weiterhin militärische Operationen durch, wie etwa der Hinterhalt in Sarobi (Provinz Kabul) vom August 2008 zeige. Aus der Art und Weise wie Anschläge verübt, Ziele ausgesucht und Operationen durchgeführt würden, werde deutlich, dass die Aufständischen zu koordiniertem Handeln fähig seien. Die Zusammenstellung der Ereignisse zeige eine gewisse Dauerhaftigkeit und Intensität der Auseinandersetzungen, aus der sich schließlich auch eine Destabilisierung der staatlichen Ordnung ergebe. Dauerhaftigkeit, Intensität und Destabilisierung seien lediglich je nach Region unterschiedlich stark ausgeprägt. Von den vom Bundesamt untersuchten Provinzen könne lediglich die Provinz Balkh als sicher angesehen werden. Die Provinzen Kabul, Herat, Nangarhar und Parwan könnten als teilweise sicher bezeichnet werden. Als unsicher bzw. überwiegend unsicher müssten Kandahar, Ghazni, Paktia, Laghman, Kunar und Uruzgan betrachtet werden (Seite 14 der Information des Bundesamtes).
Die Provinz Herat, aus der der Kläger stammt, liegt im Westen Afghanistans und grenzt im Norden an Turkmenistan und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in 16 Distrikte und das Gebiet der Hauptstadt Herat unterteilt. Sie umfasst 63.097 km². Das afghanische Central Statistics Office (CSO) gibt die Einwohnerzahl mit ca. 1,7 Mio. (Stand: 2006) an, wobei in der Provinzhauptstadt Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans nach Kabul und Kandahar, rund 397.500 Einwohner leben (Information des Bundesamtes, Seite 25).
Zur Sicherheitslage in der Provinz Herat führt das Bundesamt in seiner Information (Seite 29 ff.) aus, dass Herat im Gegensatz zu den südlichen und östlichen Landesteilen in den letzten Jahren als relativ ruhig gegolten habe, obwohl auch hier die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle seit 2006 angestiegen sei. Der UNHCR habe im Februar und März 2008 lediglich die Distrikte Shindand und Farsi als unsicher eingestuft, im Juni 2008 dann die gesamte Provinz mit Ausnahme der Stadt Herat. Seit Oktober 2008 gelte die gesamte Provinz, mit Ausnahme der Stadt Herat und der Distrikte Kohsan, Kushk (Rubat Sangi), Guzara und Engil (Injil) als unsicher.
Beobachter gingen davon aus, dass die zahlreichen aus dem Iran zurückgekehrten Flüchtlinge zu einer erhöhten Kriminalität wie etwa bewaffneten Raubüberfällen beigetragen hätten. Prominente Personen aus Politik und Wirtschaft würden oft entführt. Allerdings sei auch ein Ansteigen von Taliban-Aktivitäten in der Region festzustellen. Hinterhalte und Überfälle mit Handfeuerwaffen, unkonventionellen Sprengvorrichtungen und indirektem Feuer kämen immer häufiger vor. Eine der am meisten betroffenen Regionen sei das Gebiet um Aziz Abad im südlichen Distrikt Shindand, wo eine Reihe von Überfällen Aufständischer am 22. August 2008 zu einem der verlustreichsten Luftangriffe geführt habe. Primäre Ziele der Aufständischen schienen Mitarbeiter der Provinzregierung zu sein.
Religiös motivierte Auseinandersetzungen scheine es gegenwärtig nicht mehr zu geben. Das Auswärtige Amt berichte, dass es Anfang Februar 2006 anlässlich des schiitischen Ashura-Festes in Herat gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten gegeben habe. Bei den Ashura-Festen 2007 und 2008 sei die Lage jedoch ruhig geblieben.
Die ISAF sei in Herat durch italienische Truppen vertreten, die dort 2005 ein Provincial Reconstruction Team (PRT) und das Regionalkommando West eingerichtet hätten, zudem vier PRT's und eine vorgeschobene Nachschubbasis unter spanischem Kommando gehörten.
Neben den afghanischen Sicherheitskräften und den Truppen der Anti-Terror-Koalition seien in der Provinz Herat die Taliban aktiv. Der Kommandant Maulawi Abdul Hamid solle seine Basis im Distrikt Shindand haben, der Kommandant Ghulam Yahya Akbari im Distrikt Guzara, der allerdings vom UNHCR im Oktober 2008 noch als relativ sicher eingestuft worden sei, und Mullah Siddiq im Distrikt Shindand.
Über folgende sicherheitsrelevanten Ereignisse in Herat ab 2008 mit getöteten, verletzten oder entführten Zivilisten berichtet das Bundesamt (Seite 30 f. der Information):
24. März 2008 | Vier afghanische Polizisten und zwei Zivilisten werden bei einem Überfall auf ein Fahrzeug der Grenzpolizei getötet. |
23. Juni 2008 | Beim Angriff auf einen ISAF-Konvoi in Aziz Abad, Distrikt Shindand, werden fünf Zivilisten verletzt und 19 getötet. |
Juli 2008 | Bei einem Luftangriff auf vermutlich von Waffenschmugglern genutzte Gebäude in zwei Dörfern des Distrikts Shindand sterben nach Angaben der Einwohner 50 Zivilisten. |
31. Juli 2008 | Zwei Zivilisten werden bei der Explosion einer Fahrradbombe vor dem pakistanischen Konsulat in Herat verletzt. |
16. August 2008 | Zwei iranische Staatsangehörige werden auf dem Weg von Herat nach Islam Qala entführt. |
22. August 2008 | Bei einem Luftangriff der US-geführten Koalition auf das Dorf Aziz Abad, Distrikt Shindand, werden ca. 90 Zivilisten getötet, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Außerdem werden ca. 30 Aufständische getötet. |
12. September 2008 | Fünf Raketen schlagen in der Nähe des Flughafens Herat ein, verursachen aber keinen Schaden. |
21. September 2008 | Bei einem Angriff Aufständischer in der Nähe des Salama Damms (Distrikt Chishti Sharif) wurden 13 afghanische Polizisten und Arbeiter getötet. |
9. November 2008 | Bei einem Selbstmordanschlag auf einen spanischen ISAF-Konvoi in Aziz Abad, Distrikt Shindand, werden zwei spanische Soldaten getötet und drei weitere verletzt. Auch ein Zivilist wird verletzt. |
16. November 2008 | Zwei US-Soldaten werden bei einem Selbstmordanschlag in der Stadt Herat verletzt. |
3. Dezember 2008 | Aufständische töten zwei Stammesälteste und verletzen zwei weitere in Herat. |
26. Dezember 2008 | Unweit des Provinzflughafens von Herat werden zwei Zivilisten verletzt, als sich ein Selbstmordattentäter in der Nähe eines Militärkonvois in die Luft sprengt. |
16. März 2009 | Bei der Explosion einer Straßenbombe sterben fünf Zivilisten. |
Aufgrund dieser Daten schätzt das Bundesamt im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Lage in der Provinz Herat wie folgt ein (Seite 32 der Information):
Eine Auswertung der sicherheitsrelevanten Ereignisse des Jahres 2008 bis März 2009 ergebe, dass sich Anschläge und Überfälle gegen afghanische und internationale Sicherheitskräfte richteten und Zivilisten eher zufällig in Mitleidenschaft gezogen würden. Opfer von Entführungen würden hauptsächlich Ausländer, jedenfalls soweit in der Presse darüber berichtet werde. Die hohe Zahl von über 100 getöteten Zivilisten sei hauptsächlich auf einen Luftangriff der US-Truppen im August 2008 zurückzuführen, bei dem etwa 90 Zivilisten getötet worden seien.
Die Sicherheitslage im Distrikt Herat könne zumindest für das Gebiet der Hauptstadt Herat als zufriedenstellend betrachtet werden. Soweit ersichtlich, fänden hier weniger Anschläge als etwa in Kabul statt. In verschiedenen Distrikten (insbesondere Shindand) komme es jedoch zu militärischen Auseinandersetzungen, in deren Rahmen für Zivilisten erhöhte Gefahren bestünden. Gefahrerhöhend könne sich die Tätigkeit für die gegenwärtige Provinzregierung oder für eine ausländische Firma/ Organisation auswirken. Für diese Teile der Provinz Herat könne das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht ausgeschlossen werden. Für eine Reise nach Herat müssten unsichere Gebiete durchquert werden.
Das Bundesasylamt der Republik Österreich führt in seiner Staatendokumentation Afghanistan „Analyse der Sicherheitslage in Ghazni und Kabul“ vom 15. Dezember 2008 zur Sicherheitslage in Afghanistan zusammenfassend aus, dass diese in ganz Afghanistan weiterhin angespannt bleibe. Die Sicherheitslage sei durch eine erhebliche regionale Differenzierung gekennzeichnet, wobei es in den meisten Provinzen jedoch zu keiner nachhaltigen Stabilisierung der Lage gekommen und eine solche derzeit auch nicht absehbar sei. Die steigende Zahl der Opfer unter den nationalen als auch internationalen Militärs auf der einen Seite als auf der Zivilbevölkerung auf der anderen Seite spräche eine deutliche Sprache. Das konkrete Sicherheitsrisiko liege für die ausländischen Kampftruppen jedoch weit höher als für die jeweils lokale Zivilbevölkerung. Zwar gebe es zivile Opfer, jedoch sei die Bevölkerung im Allgemeinen nicht gezielten Angriffen durch die Taliban oder anderen bewaffneten Gruppierungen ausgesetzt; jedenfalls solange Zivilpersonen nicht ins Fadenkreuz dieser Gruppierungen gelangt seien, etwa durch Kooperation mit ausländischen Truppen. Ähnlich wie bei den internationalen Truppen komme es in den südlichen und in jüngster Zeit den östlichen Regionen Afghanistans zu höheren zivilen Opferzahlen als in West- und Nordafghanistan. Im Süden konzentrierten sich jeweils 90 % aller sicherheitsrelevanten Vorfälle. … Indirekt stellten die Sicherheitskräfte jedoch sogar einen Risikofaktor für die Zivilbevölkerung dar, da sich Angriffe der Taliban häufig ganz gezielt gegen diese richteten. Es ergebe sich hierdurch die paradoxe Situation, dass zum Nachteil die Nähe der Sicherheitskräfte gemieden werde, obwohl diese eigentlich auch für die Zivilbevölkerung Schutz bieten sollten. … Zusammengefasst gebe es derzeit folgende relevante Faktoren, die ein Sicherheitsrisiko für Zivilpersonen darstellen könnten:
- Die Gefahr, bei offenen Kampfhandlungen von Rebellen und ISAF-Truppen bzw. Soldaten der Operation „Induring Freedom“ zwischen die Fronten zu geraten,
- das Risiko, bei Bombenanschlägen der Aufständischen in der Nähe der Ziele zu sein; diese seien vor allem gegen westliche Truppen und Vertreter des afghanischen Staates gerichtet. Zivilpersonen seien hier jedenfalls in der Regel nicht direkt Zielgruppe der Anschläge.
- Bewaffnete Raubüberfälle durch Kriminelle. Im Einzelnen sind sogar Angehörige der Sicherheitskräfte die Urheber solcher Überfälle…
- Gezielte Übergriffe; dies für den Fall, dass eine Person aufgrund des tatsächlichen oder vermuteten Näheverhältnisses zu den internationalen Truppen Aufmerksamkeit erregt habe.
- Bewaffnete Konflikte zwischen afghanischen Stämmen bzw. Warlords,
- Blutrachefehden, die üblicherweise ausschließlich die Zivilbevölkerung beträfen, bzw. Angehörige von Streitkräften sowie Milizen nur im Rahmen ihrer familiären Verbindungen.
Zivilisten seien auch im Bereich der Versorgung und des Nachschubs für die ausländischen Streitkräfte tätig. Letztere hätten die Logistik größtenteils an Privatfirmen ausgelagert, die etwa Kühltransporte zur Versorgung der Truppen mit Lebensmitteln oder Treibstofflieferungen durchführten. Diese seien deutlich von anderen Transporten zu unterscheiden und beliebtes Ziel der Taliban (Analyse des BAA, Seite 16 ff.).
Der UNHCR führt in seinem Bericht vom 6. Oktober 2008 über die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf die Gewährung ergänzenden Schutzes aus, subsidiärer Schutz sei für Personen zu befürworten, die aus Gegenden kommen, in denen einzelne oder mehrere der nachfolgenden Ereignisse während der letzten Monate berichtet oder beobachtet worden seien:
- Systematische Akte der Einschüchterung, einschließlich willkürlicher Tötungen, Entführungen und anderer Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit und der Freiheit, durch regierungsfeindliche Elemente und lokale Kriegsherren („Warlords“), militärische Kommandeure und kriminelle Gruppen. Nach Auffassung des UNHCR könne angesichts der sogar auf den Hauptverkehrsrouten gestiegenen Unsicherheit nicht erwartet werden, dass afghanische Staatsangehörige durch unsichere Gebiete reisen müssten, um ihren endgültigen Zielort zu erreichen;
- Anschläge regierungsfeindlicher Elemente, einschließlich ausländischer Kämpfer, unter anderem durch den erhöhten und systematischen Gebrauch von Taktiken der asymetrischen Kriegsführung (unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen an Straßen, Raketenangriffe, Bomben und Selbstmordanschläge),
- Anschläge auf „weiche“ Ziele wie Schulen, Lehrpersonal, Kirchenvertreter, Einrichtungen der Gesundheitsversorgung (Gesundheitszentren und Personal) und Personal von Hilfsorganisationen;
- militärische Operationen an Orten, wo regierungsfeindliche Gruppen („Anti-Government Elements“) gemeldet worden seien oder eine Präsenz aufgebaut hätten;
- religiöse Konflikte und Stammeskonflikte sowie Konflikte über die Nutzung von Weideland und unzureichende Reaktionen der Zentralregierung, gegen die Gewalt vorzugehen und Zivilisten zu schützen;
- illegale Landbesetzungen und Enteignungen mit eingeschränkten Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.
Die Verbreitung sowie die genaue Art der Bedrohungen seien in den verschiedenen Regionen und Provinzen unterschiedlich. Mehrere der vorstehend genannten Bedrohungen seien in den vergangenen Monaten laufend in folgenden Teilen Afghanistans beobachtet oder berichtet worden. Diese Gebiete würden daher als unsicher eingestuft:
...
Im Wesen des Landes die Provinz Herat:
Die gesamte Provinz, mit Ausnahme der Stadt Herat und der Distrikte Kohsan, Kushk (Rubat Sangi), Gutzara und Engil (Injil), werde als unsicher eingestuft.
Die Recherchen der Kammer im Internet über zivile Opfer im Zuge eines innerstaatlich bewaffneten Konfliktes in der Provinz Herat brachten hinsichtlich der Provinzhauptstadt keine weiteren Erkenntnisse. Diese Provinz betreffend berichtet die Presse über die vom Bundesamt in seiner Information aufgelisteten Vorfälle hinaus noch von einem Luftangriff der US-Streitkräfte am Montag, dem 16. Februar 2009, bei dem 13 Zivilisten ums Leben gekommen sind, sechs Frauen, zwei Kinder und fünf Männer einer in Zelten lebenden Nomadenfamilie (vgl. www.fr-online.de vom 18.02.2009 „Angriff in Herat US-General untersucht Tod ziviler Opfer“; www.dradio.de vom 22.02.2009 „US-Militär bestätigt den Tod von Zivilisten bei Luftangriff in Afghanistan“). Des Weiteren wird in den Medien von einem um den 13. April 2009 verübten Anschlag in der Provinz Herat berichtet, bei dem vier zivile Insassen eines Minibusses ums Leben kamen, als ein am Straßenrand versteckter Sprengsatz explodierte (vgl. www.kleinezeitung.at vom 13. April 2009 „Tote bei Bombenanschlägen in Afghanistan“; www.dw-world.de vom 13.04.2009 „Tote bei Bombenanschlägen in Afghanistan“).
Die Bewertung der vorstehend wiedergegebenen Erkenntnisse ergibt, dass jedenfalls für die Stadt Herat ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt schon nicht festgestellt werden kann. Zwar sind singuläre sicherheitsrelevante Vorfälle mit zivilen Opfern auch für die Stadt Herat selbst dokumentiert, Art und Ausmaß lassen jedoch einen systematischen Kampf der Taliban oder anderer AGO's gegen die Sicherheitskräfte in der Stadt Herat nicht erkennen.
Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung nicht auf die Provinzhauptstadt Herat isoliert, sondern auf die gleichnamige Provinz in Gänze abstellt und zu Gunsten des Klägers die Provinz als unsicher einstuft (vgl. UNHCR, aaO.), folgt diese Einschätzung nicht allein aufgrund des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes zwischen den afghanischen/internationalen Sicherheitskräften und den aufständischen Taliban bzw. anderen AGOs, sondern es tragen nach den vorstehend wiedergegebenen Bewertungskriterien z.B. des UNHCR eine Vielzahl von Faktoren, die für den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht relevant sind, namentlich kriminell motivierte Gewalttaten mit zivilen Opfern, zur Einstufung der Lage als unsicher bei.
Ungeachtet des Fehlens eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in der Stadt Herat bzw. der gleichnamigen Provinz tritt eigenständig hinzu, dass - einen solchen bewaffneten Konflikt einmal zu Gunsten des Klägers unterstellt - der die Auseinandersetzungen kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nicht das Ausmaß und die Intensität erreicht, der nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 17. Februar 2009, aaO.) für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erforderlich ist. Aus den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen ergeben sich keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Herat allein durch seine Anwesenheit dort tatsächlich Gefahr läuft, Opfer der Auseinandersetzung zwischen den afghanischen bzw. internationalen Sicherheitskräften und den regierungsfeindlichen Kräften zu werden. Die Zahl der für die Stadt Herat dokumentierten - verhältnismäßig wenigen - sicherheitsrelevanten Vorfälle seit Zunahme der Aktivitäten der Taliban reicht angesichts der Größe des Stadtgebietes, der Einwohnerzahl, des zeitlichen Abstandes der Aktionen, der Anlässe und Zielpersonen bzw. -objekte (auf diese Kriterien ebenfalls abstellend: OVG NRW, Urteil vom 28. Februar 2008 - 20 A 2375/07.A -, juris) jedenfalls gegenwärtig nicht aus, um ein Gefährdungsniveau anzunehmen, dass die Einstufung als erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bzw. als eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Sinne des Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie rechtfertigen würde. Insofern unterscheidet sich die Sicherheitslage in Herat erheblich von der in anderen Landesteilen, für die subsidiärer Schutz durch die Rechtsprechung gewährt wurde (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 8 A 611/08.A -, juris, für die Provinz Paktia; VG Würzburg, Urteil vom 30. März 2009 - W 6 K 08.30037 -, für die Provinz Daikundi). Die Kammer kann daher die Frage offen lassen, ab welcher Gefahrenschwelle bzw. Gefahrendichte eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie anzunehmen ist, insbesondere ob hier die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Feststellung einer Gruppenverfolgung entsprechend heranzuziehen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. August 2008 - 10 B 39/08 -, juris; ablehnend: VG Würzburg, Urteil vom 30. März 2009 - W 6 K 08.30037 -, UA S. 13).
Einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird der Kläger auch nicht dadurch ausgesetzt, dass er in seine Heimatstadt Herat von Kabul aus über den Landweg nur unter teilweiser Durchquerung unsicherer Provinzen und Distrikte gelangt. Herat selbst verfügt als drittgrößte Stadt des Landes über einen Flughafen. Selbst wenn es an einer Direktflugverbindung von Deutschland oder einem anderen Staat (z.B. den Iran) aus nach Herat fehlen sollte, etwa weil der Flughafen Herat nur von inländischen Verbindungen angeflogen wird, muss der Kläger sich darauf verweisen lassen, von Kabul aus unter Nutzung nahezu täglich angebotener inländischer Linienflüge der afghanischen Fluggesellschaft "PAMIR AIR" oder der privaten Gesellschaft "SAFI-AIR" nach Herat zu reisen.
Der hilfsweise gestellte Klageantrag ist ebenfalls abzulehnen, denn der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Hierfür hat der Kläger weder etwas vorgetragen noch ist hierfür etwas ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.
Das Land Niedersachsen hat durch Runderlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 9. Juni 2005 (Az.: 45.31-12231/3-6 AFG; Nds. MBl. 2005, S. 496) den zum 30. Juni 2005 ausgelaufenen Abschiebungsstopp nicht verlängert und Rückführungen ab dem 1. Juli 2005 für folgende Personengruppen vorgesehen:
- Personen, die wegen einer im Bundesgebiet begangenen Straftat verurteilt wurden, wobei Geldstrafen bis zu 50 Tagessätze (additiv) außer Betracht bleiben können.
- Personen, gegen die Ausweisungsgründe nach den §§ 53, 54, 55 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 und 8 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen.
- Personen, bei denen sonstige Hinweise für eine die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdende Betätigung bestehen, wenn die Sicherheitsbedenken nicht innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist von der oder dem Betroffenen ausgeräumt werden (von einem Klärungsbedarf ist insbesondere auszugehen, wenn es Anhaltspunkte für Kontakte zu extremistischen Organisationen gibt, insbesondere solche, die in den Verfassungsschutzberichten ausgeführt sind. Insoweit kann auf das Vorbringen im Asylverfahren abgestellt werden).
- volljährige allein stehende Männer, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufhalten. Ausgenommen hiervon sind Personen, die als Minderjährige eingereist sind und hier mit ihren Eltern bzw. Elternteilen und ggf. auch Geschwistern in familiärer Gemeinschaft leben. Dies gilt nicht, wenn ein Elternteil in Afghanistan lebt.
Familienangehörige der drei erstgenannten Personengruppen, die mit der betroffenen Person in familiärer Gemeinschaft leben, sind von zwangsweisen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zunächst nicht betroffen. Zugunsten der Wahrung der familiären Einheit ist ihnen die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise gegeben.
Danach kann der Kläger grundsätzlich zurückgeführt werden, denn er befindet sich noch keine 6 Jahre im Bundesgebiet, er ist volljährig und allein stehend.
Durch die beschriebene Erlasslage ist die Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich ausgeschlossen, denn Schutz vor allgemeinen Gefahren, die dem Kläger möglicherweise bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen - z.B. die in zahlreichen Verfahren vor der Kammer eingewendete extrem schlechte Versorgungslage in Afghanistan -, kann nur im Rahmen der §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. November 2005 - 1 C 21/04 -, DVBl 2006, 511). Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerrechtliche Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die "Allgemeinheit" der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1).
Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch nicht ein, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würde (st. Rspr. des BVerwG, siehe Urteile vom 17. Oktober 1995, a.a.O., vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, jeweils zur Vorgängerregelung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG; Beschluss vom 14. November 2007 - 10 B 47.07 -, Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 55). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1996, a.a.O.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. März 1999 - 9 B 866.98 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 17).
Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind insoweit Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13. November 2002 - A 6 S 967/01 -, juris Rn. 48). Um dem Erfordernis des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutsverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in den Zielstaat in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff "alsbald" ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Zielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 14).
Hiervon kann im Falle des Klägers nicht ausgegangen werden. Zur Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen verweist die Kammer zunächst auf ihr Urteil vom 13. Juni 2006 - 5 A 59/06 -, wonach die Kammer in Übereinstimmung mit den OVG NRW (vgl. Urteil vom 5. April 2006 - 20 A 5161/04.A -, juris) eine extreme Gefährdung für junge, alleinstehende, arbeitsfähige, männliche Rückkehrer nach Afghanistan ausgeschlossen hat. An dieser Rechtsprechung ist nach wie vor festzuhalten (ebenso Hess. VGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - 8 UE 1913/06.A -, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. Februar 2008 - 20 A 2375/07.A -, juris; Beschluss vom 21. März 2007 - 20 A 5164/04.A -, juris; Sächs. OVG, Urteil vom 23. August 2006 - A 1 B 58/06 -, AuAS 2007, 5; OVG Berl.-Brdbg., Urteil vom 5. Mai 2006 - 12 B 9.05 -, juris). Soweit das OVG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 6. Mai 2008 (6 A 10749/07.OVG -, AuAS 2008, 188), gegen das das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Juni 2009 (10 B 51/08 -, juris) mittlerweile die Revision wegen Abweichung von seiner Rechtsprechung in der Sache zugelassen hat, sowie im Anschluss hieran der VGH Baden-Württemberg in seinen Urteilen vom 14. Mai 2009 (A 11 S 610/08 -, juris) und vom 9. Juni 2009 (A 11 S 611/08 -, juris) oder etwa das VG Oldenburg (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2008 - 7 A 1934/08 -, juris) festgestellt haben, dass für die Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten aber arbeitsfähigen, jungen, alleinstehenden, männlichen, afghanischen Staatsangehörigen, die in Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der derzeit katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht, folgt hieraus für das vorliegende Verfahren keine andere Einschätzung (zur Zuerkennung individuellen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für einen mit dem Kläger nicht vergleichbaren alleinstehenden männlichen Afghanen der Volksgruppe der Hazara, der bis zu seiner Einreise in Deutschland im Iran aufgewachsen ist und bei Rückkehr auf keine familiären Strukturen zurückgreifen könnte: OVG Schlesw.-Holst., Urteil vom 10. Dezember 2008 - 2 LB 23/08 -, juris; zur Zuerkennung individuellen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für einen mit dem Kläger nicht vergleichbaren alleinstehenden männlichen Afghanen, der Analphabet und ohne Schul- oder Berufsausbildung sowie ohne besondere Sprachkenntnisse ist: VG Dresden, Urteil vom 12. Mai 2009 - A 7 K 30087/07 -). Denn zum einen ist die Lage von Rückkehrern nach Kabul nicht mit der von solchen nach Herat vergleichbar. Die Lebensbedingungen der Menschen in Herat unterscheiden sich völlig von den Zuständen in der Hauptstadt Kabul. Die Stadt Herat ist in einem wesentlich besseren Zustand und nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ein Beispiel für den "gelungenen Wiederaufbau"; die Versorgungssituation ungleich besser als in Kabul (vgl. Auswärtiges Amt vom 25.07.2008: "Steinmeier in Afghanistan: Herat ein Beispiel für gelungenen Wiederaufbau", abrufbar unter www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/BM-Reisen/2008/Afghanistan; vgl. auch Jürgen Hübschen: "Afghanistan - ein Reisebericht mit ganz persönlichen sicherheitspolitischen Anmerkungen, Teil V: Herat", abrufbar unter: www.solon-line.de/reisebericht-afghanistan-teil5.html).
Selbst wenn man die Versorgungslage in Kabul und Herat für vergleichbar schlecht ansehen würde, droht jedenfalls dem Kläger keine extreme Gefahrensituation, denn seine persönliche Situation unterscheidet sich wesentlich von den Klägern, die Beteiligte der vorstehend zitierten Verfahren vor dem OVG Rheinland-Pfalz und VGH Baden-Württemberg waren. Der 20-jährige männliche Kläger ist gesund und in körperlich guter Verfassung. Er verfügt über einen hohen Bildungsstand und spricht Dari, persisch und aufgrund eines Deutschkurses, den er bereits in Afghanistan besucht hat, noch ein wenig deutsch. Er ist trotz seines jungen Alters aufgrund seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit als Händler sehr geschäftsgewandt und in der Lage, sich auch allein, d.h. ohne die Unterstützung seiner nächsten Angehörigen, in Herat zurechtzufinden. Dies hat er bereits dadurch unter Beweis gestellt, dass er nach seinem Aufenthalt als Asylbewerber in der Republik Österreich im Jahre 2004 wieder nach Afghanistan zurückgekehrt und anschließend zunächst für 6 Monate in Kabul und danach wieder in Herat gelebt und dort als Händler für Naturprodukte bzw. -präparate seinen Lebensunterhalt verdient hat. Der Kläger selbst hat angegeben, er habe zuletzt einen Laden besessen und als Besitzer desselben auf dem Basar gehandelt. Er sei bei vielen anderen Händlern bekannt gewesen. Aufgrund der Tatsache, dass sein verstorbener Vater ebenfalls Händler war, der seine Waren von Kabul bezog, ist davon auszugehen, dass der Kläger über zahlreiche Geschäftsverbindungen verfügt, die er im Falle seiner Rückkehr wieder aktivieren kann. Ob seine Behauptung im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt, die ihn bzw. seine Familie verfolgenden " beiden Herren" hätten seinen Laden gekauft und ihn später "rausgeworfen", den Tatsachen entspricht, erscheint, nachdem sich der Kläger auf Befragen in der mündlichen Verhandlung an diese Angabe nicht mehr erinnern konnte, mehr als zweifelhaft. Doch selbst wenn der Kläger bei einer Rückkehr nicht mehr mit seinem früheren Laden seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, hat er als bekannter Händler, der eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge aus "normalen finanziellen Verhältnissen" stammt, einen wesentlich leichteren Stand, sich in relativ kurzer Zeit nach seiner Rückkehr eine Existenzgrundlage wieder aufzubauen, als der Großteil anderer afghanischer Rückkehrer aus dem Ausland. Insofern kommt es auch nicht darauf an, dass die Mutter und die beiden Schwestern des Klägers nach dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung sich gegenwärtig im Iran aufhalten. Denn der Kläger hat bereits vor seiner Ausreise im November 2007 getrennt von seiner damals in Kabul wohnenden Kernfamilie in Herat gelebt. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass sich noch zahlreiche Angehörige seiner Großfamilie in Herat und der näheren Umgebung aufhalten, auf deren Hilfe und Unterstützung er traditionell zurückgreifen könnte. Zudem kann er auf die Unterstützung seiner in Deutschland bzw. in den Niederlanden lebenden Tanten und Onkel sowie die Starthilfe zum Aufbau einer eigenen Existenzgrundlage nach dem aus EU-Mitteln finanzierten und von der IOM umgesetzten RANA-Programm (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 13. Juni 2006 - 5 A 59/06 -, unter Verweis auf OVG NRW, Urteil vom 5. April 2006, a.a.O.) zurückgreifen.
Nach alledem scheidet auch die Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus, sodass die Klage insgesamt abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.