Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 01.09.2011, Az.: 2 A 1349/10
Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Doppelgarage mit Carport, den Anbau eines Wintergartens sowie der Umnutzung einer Garage zu Büroräumen; Gebietsunverträglichkeit eine Doppelgarage mit Carport aufgrund der Festsetzung "reines Wohngebiet" in einem Bebauungsplan
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 01.09.2011
- Aktenzeichen
- 2 A 1349/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 25009
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2011:0901.2A1349.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 13 BauNVO
- § 1 Abs. 2 BauRegVO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Festsetzung "reines Wohngebiet" in einem Bebauungsplan aus dem Jahr 1962, für den die BauNVO aber noch nicht galt, ist mit Blick auf die 1962 in Kraft getretene BauNVO zu verstehen. Ein Ausschluss jeglicher nichtstörender freiberuflicher Tätigkeit, vgl.§ 13 BauNVO, ist einer solchen Festsetzung nicht zu entnehmen. Dagegen spricht schon § 1 Abs. 2 der BauRegVO. Ebensowenig ist der Festsetzung "reines Wohngebiet" zu entnehmen, dass eine Doppelgarage mit Carport an sich gebietsunverträglich ist. Schon aus der Reichsgaragenordnung geht hervor, dass Kraftsfahrzeugverkehr als wesentlicher Faktor bei der städtebaulichen Ordnung aller Siedlungstypen zu berücksichtigen war.
- 2.
Es stellt keinen sog. "Etikettenschwindel" dar, wenn die Baugenehmigungsbehörde die Umnutzung ehemaliger Garagenräume zu Büroräumen für die Tätigkeit eines Finanzdienstleisters, beschrieben als Vertrieb von Versicherungen und Finanzdienstleistungen, genehmigt, auch wenn der Begünstigte als selbständiger Handelsvertreter für einen Finanzdienstleister tätig ist, dessen Vertriebsstruktur und Prämiensystem nahelegen, dass auch Mitarbeiterschulungen zum Aufgabengebiet der für ihn tätigen Mitarbeiter gehören.
- 3.
Eine Baugenehmigung wird nicht dadurch inhaltlich unbestimmt, dass die im Bauantrag enthaltene Betriebsbeschreibung nicht mit einem Genehmigungsvermerk gestempelt ist.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Doppelgarage mit Carport, den Anbau eines Wintergartens sowie der Umnutzung einer Garage zu Büroräumen.
Das Grundstück der Klägerin, bestehend aus den Flurstücken H. und I. der Flur J., Gemarkung K., liegt nördlich des Grundstücks der Beigeladenen, bestehend aus den Flurstücken L., M., N. und O. der Flur J., Gemarkung P.. Das Grundstück der Beigeladenen hat die Anschrift Q., das der Klägerin Am R.. Beide Grundstücke liegen in der Gemeinde S.. Die Zufahrt zum Grundstück der Beigeladenen erfolgt an der südöstlichen Ecke von der nicht asphaltierten Straße T. her; die Zufahrt zum klägerischen Grundstück gestaltet sich über einen Zugangsweg, der nördlich von der Straße U. f abzweigt und östlich am Grundstück der Beigeladenen entlangführt.
Auf beiden Grundstücken befinden sich größere Einfamilienhäuser. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans der früher selbständigen Gemeinde P. Nr. V. "W." vom 5. Oktober 1962. Festgesetzt ist dort ein reines Wohngebiet mit Baugrenzen. Die Grundflächenzahl beträgt 0,2, die Zahl der Vollgeschosse 1.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2009 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung für den Anbau eines Wintergartens, den Neubau einer Doppelgarage mit Carport sowie die Umnutzung einer vorhandenen Garage zu Büroräumen. Der Wintergarten soll im südlichen Bereich des Hauses nach Westen angebaut werden. Die Doppelgarage samt Carport hat laut Antrag eine Grundfläche von 80,82 m2, der Wintergarten insgesamt eine von 31,83 m2. In den Büroräumen in der ehemaligen Garage soll laut Beschreibung im Bauantrag (Beiakte A Blatt 10) die Tätigkeit eines Finanzdienstleisters ausgeübt werden, die im Vertrieb von Versicherungen und Finanzdienstleistungen besteht. Neben dem Beigeladenen zu 1., der als selbständiger Handelsvertreter für den Finanzdienstleister X. arbeitet, sollen zwei weitere Beschäftigte dort tätig sein. Die Garage, deren Umnutzung beantragt wurde, befindet sich an der Nordseite des Einfamilienhauses der Beigeladenen. Darüber befindet sich ein ca. 57 m2 großer Dachgeschossraum, der ursprünglich als Fitnessraum genutzt werden sollte und vom Wohnhaus her zugänglich war. Mittlerweile ist dieser Zugang verschlossen worden, so dass der Dachgeschossraum über der ehemaligen Garage nur noch von dort über eine neu eingebaute Treppe erreichbar ist.
Am 14. September 2009 erteilte der Beklagte den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter konkludenter Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Grundflächenzahl sowie von der Einhaltung der dort ebenfalls festgesetzten Baugrenzen. Die Gemeinde Y. hatte zuvor ihr Einvernehmen erteilt. Die Klägerin wurde am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt.
Im November 2009 erhob die Klägerin gegen die Baugenehmigung Widerspruch und beantragte gleichzeitig, die Vollziehung der Baugenehmigung auszusetzen. Da die Nutzungsänderung der ehemaligen Garage bereits durchgeführt war, beschränkte die Antragstellerin ihren Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Baugenehmigung soweit sie die Errichtung der Doppelgarage mit anschließendem Carport und den Wintergarten umfasste. Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab. Ein in dieser Sache vor dem erkennenden Verwaltungsgericht geführtes Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos, s. Beschluss vom 7. Mai 2010 (2 B 279/10). Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Juli 2010 (1 ME 102/10) zurück.
Auf ausdrücklichen Antrag der Klägerin erließ der Beklagte am 4. Oktober 2010, zugestellt am 7. Oktober 2010, einen ablehnenden Widerspruchsbescheid. Die beantragte Umnutzung der Garage zu Büroräumen verstoße nicht gegen nachbarschützende Festsetzungen des Bebauungsplans. Zwar sei richtig, dass die Baunutzungsverordnung erst im August des Jahres 1962 in Kraft getreten sei und somit auf den zuvor ausgelegten Bebauungsplan Z. nicht direkt angewendet werden könne. Allerdings sei es zu Beginn der 1960er Jahre vollständig üblich gewesen, dass freiberufliche oder ähnliche Tätigkeiten auch in reinen Wohngebieten ausgeübt worden seien. Bei einer Heranziehung der Tatbestandsmerkmale des § 13 BauNVO bestünden gegen die Zulässigkeit der beantragten Umnutzung ebenfalls keine Bedenken. Insbesondere sei diese im Vergleich zur Wohnfläche von rund 400 m2 räumlich deutlich untergeordnet. Auch bei Anwendung der Maßstäbe des § 15 BauNVO ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die beantragte Umnutzung zu einer unzumutbaren Störung der Klägerin führen werde. Die Errichtung des Wintergartens sowie der Neubau der Doppelgarage mit Carport würden ebenfalls nicht zu einer Verletzung der Klägerin in ihren Rechten führen. Den Festsetzungen im Bebauungsplan bezüglich Grundflächenzahl und Baugrenzen komme keine nachbarschützende Wirkung zu. Im Übrigen habe die durch Erteilung der Baugenehmigung konkludent ausgesprochene Befreiung den Vorschriften des Bauplanungsrechts entsprochen. Eine Abweichung von der festgesetzten Grundflächenzahl von 0,2 auf 0,25 sei in jedem Fall städtebaulich vertretbar und berühre nicht die Grundzüge der Planung. Ebensolches gelte für die Überschreitung der Baugrenzen. Gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verstoßen worden, zumal die Grenzabstandsbestimmungen des Bauordnungsrechts eingehalten würden.
Am 5. November 2010 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie bezieht sich vollumfänglich auf ihr bisheriges Vorbringen in den vorangegangenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, dass dem damaligen Satzungsgeber ohne ausdrückliche Anhaltspunkte im Bebauungsplanverfahren nicht unterstellt werden könne, dass freiberufliche oder ähnliche gewerbliche Tätigkeiten in einem reinen Wohngebiet zulässig sein sollten. Überdies werde bezweifelt, dass die Betriebsbeschreibung der Beigeladenen überhaupt Bestandteil der Baugenehmigung geworden sei, weil sie weder per Genehmigungsstempel noch durch Aufnahme einer entsprechenden Nebenbestimmung ausdrücklich in die erteilte Baugenehmigung aufgenommen worden sei. Damit sei die Baugenehmigung zu Lasten der Klägerin inhaltlich unbestimmt. Jedenfalls aber habe der Beklagte bei Erteilung der Baugenehmigung erkennen müssen, dass die Beigeladenen einen sogenannten "Etikettenschwindel" betrieben hätten. Auch als selbständiger Handelsvertreter sei der Beigeladene zu 1. voll in die Vertriebsstruktur des Finanzdienstleisters X. eingegliedert, die - gerade bei Mitarbeitern auf höherer Ebene - nicht nur den Vertrieb von Finanzdienstleistungen, sondern auch die Schulung und Akquise neuer Mitarbeiter beinhalte. Dies habe dem Beklagten aufgrund zahlreicher Presseberichte klar sein müssen. Dementsprechend nutze der Beigeladene zu 1. seine Büroräume nicht in der beantragten Weise. Vielmehr fänden ständig Schulungen für einen größeren Personenkreis, teilweise auch in den Abendstunden, statt. Dies habe der Beklagte in einem Telefonat mit einem Mitarbeiter des Beklagten am 15. Januar 2010 sogar selbst bestätigt (Aktenvermerk vom 21. Januar 2010, Beiakte D Blatt 92). Diese Schulungen fänden im Dachgeschossraum über der nunmehr umgenutzten Garage statt, der seminarmäßig mit Beamer, Flipchart und entsprechender Einrichtung ausgestattet sei (Lichtbild Beiakte D Blatt 107). Der Zugang zu diesem Raum sei nur noch per Treppe über das Büro des Beigeladenen zu 1. möglich und nicht mehr von den Wohnräumen her. Damit handele es sich aber nicht mehr um einzelne Räume, die freiberuflich genutzt würden, sondern um einen selbständigen Gebäudeteil. Auch die weit über das übliche Maß hinausgehende Anzahl an Pkw, die regelmäßig auf dem Grundstück der Beigeladenen oder im nahegelegenen Straßenraum anzutreffen seien, würde darauf schließen lassen, dass die Beigeladenen auf ihrem Grundstück ein Schulungszentrum für den Finanzdienstleister X. betrieben.
Die Klägerin beantragt,
die Baugenehmigung des Beklagten vom 14. September 2009 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 4. Oktober 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertieft sein bisheriges Vorbringen. Bezüglich der Umnutzung der Garage in Büroräume sei die Frage der Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung von der Frage einer möglicherweise genehmigungswidrigen Nutzung der Garagenräume bzw. einer baurechtswidrigen Nutzung weiterer Räume zu unterscheiden. Die erteilte Baugenehmigung sei rechtmäßig. Der Beklagte habe die Betriebsbeschreibung der Beigeladenen hinreichend deutlich erkennbar zum Bestandteil der Baugenehmigung gemacht. Es sei in der obergerichtlichen sowie der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Tätigkeit eines Finanzdienstleisters nach § 13 BauNVO in einzelnen Räumen in einem reinen Wohngebiet zulässig sei. Sofern der Beigeladene zu 1. eine darüber hinausgehende Tätigkeit ausübe, halte er sich nicht im Rahmen der erteilten Baugenehmigung. Das mache diese aber nicht rechtswidrig. Im Übrigen seien die Beigeladenen mehrfach baupolizeilich überprüft worden. Dabei sei nichts Außergewöhnliches, insbesondere kein über das zu erwartende Maß hinausgehender Besucherverkehr, aufgefallen. Der Beigeladene zu 1. habe angegeben, den Dachgeschossraum über seinem Büro nur zu privaten Zwecken zu nutzen und im Übrigen keine Schulungen in seinen Büroräumen oder sonstigen Räumen durchzuführen.
Die Beigeladenen stellen keinen förmlichen Antrag.
Sie treten dem Vorbringen des Beklagten bei und nehmen Bezug auf die vorangegangenen Gerichtsentscheidungen. Der Beigeladene zu 1. beschäftige zwei Mitarbeiter und übe die freiberufliche Tätigkeit eines Handelsvertreters aus. Etwaige Vertriebsstrukturen des Finanzdienstleisters X. spielten hierbei keine Rolle. Der Dachgeschossraum über der Garage werde ausschließlich zu privaten Zwecken genutzt.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 1. September 2011 das Grundstück der Beigeladenen und die genehmigten Baumaßnahmen, soweit sie bereits umgesetzt sind, in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Es ist zu berücksichtigen, dass in einem von einem Dritten angestrengten Rechtsbehelfsverfahren eine objektive Rechtskontrolle nicht stattfindet. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist vielmehr allein die Frage, ob der das Verfahren betreibende Nachbar in eigenen subjektiven Rechten im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - verletzt ist. Eine Verletzung subjektiver Rechte liegt nur dann vor, wenn durch die streitige Baugenehmigung Rechtsnormen verletzt werden, die - zumindest auch - dem Schutz des Nachbarn dienen, die also drittschützende Wirkung haben. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt nicht gegen Rechtsnormen, die auch dem Schutz der Klägerin dienen, und verletzt die Klägerin somit nicht in eigenen Rechten.
1.
Bezüglich der Genehmigung des Wintergartenanbaus sowie der Doppelgarage mit Carport, die bisher nicht errichtet worden sind, verweist das erkennende Gericht vollumfänglich auf seine Ausführungen im Beschluss vom 7. Mai 2010 (2 B 279/10) sowie auf die Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2010 (1 ME 102/10).
Im Beschluss vom 7. Mai 2010 (2 B 279/10) hat die Kammer hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Nachbarklage der Klägerin ausgeführt:
"Die Antragstellerin kann sich gegenüber dem Vorhaben nicht mit Erfolg darauf berufen, das nach dem Bebauungsplan zulässige Maß der baulichen Nutzung werde nicht eingehalten und die Befreiung von der festgesetzten Grundflächenzahl verstoße gegen nachbarliche Belange. Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung in Bebauungsplänen sind grundsätzlich nicht nachbarschützend, d.h. der Nachbar kann sich gegenüber einem Bauvorhaben nicht auf eine Verletzung dieser Festsetzungen berufen (vgl. Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 11. Aufl., § 16, Rdnr. 58 m. umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen). Etwas anderes gilt nur, wenn die Gemeinde diesen Festsetzungen ausnahmsweise nachbarschützende Wirkung beimessen wollte und sich dieser Wille hinreichend deutlich aus dem Bebauungsplan, einschließlich Begründung, und nach den Umständen des Einzelfalles feststellen lässt. Hinweise für einen darauf gerichteten Willen des Satzungsgebers lassen sich hier nicht feststellen. Die Gesamtschau der Unterlagen ergibt vielmehr, dass die Festsetzung einer Grundflächenzahl allein dem städtebaulichen Ziel einer aufgelockerten Bebauung dienen sollte. Bezugnahmen oder Hinweise auf zu schützende Interessen der Nachbarn fehlen.
Kann sich die Antragstellerin schon nicht auf die Einhaltung der Grundflächenzahl selbst berufen, fehlt es im Falle der hier erteilten Befreiung von dieser Festsetzung gemäß § 31 BauGB ebenfalls an einer Verletzung subjektiver Rechte. Zwar kann § 19 Abs. 4 BauNVO 1962 für die Berechnung der maßgeblichen Flächengrößen nicht herangezogen werden und bestehen gegen die Anwendung der Reichsgaragenordnung (RGaO) gleichfalls Bedenken; insoweit teilt die Kammer die Auffassung des OVG Hamburg (vgl. Urteil v. 30.04.2008 - 2 Bf 133/03 - Rdnr. 35 ff; zit. nach [...]). Indes ist die zugelassene Überschreitung der Grundflächenzahl in jedem Fall so gering, dass auch unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes (vgl. zu dessen Anwendbarkeit OVG Hamburg, Urteil v. 30.04.2008 - 2 Bf 133/03 - Rdnr. 35 ff; a.a.O.) Rechtsbeeinträchtigungen der Antragstellerin nicht zu besorgen sind.
Die Zulassung der Grenzgarage außerhalb der und des Wintergartens über die im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen hinaus verletzt subjektiv-öffentliche Rechte der Antragstellerin ebenfalls nicht. Auch die Festsetzung von Baugrenzen erfolgt grundsätzlich allein im städtebaulichen, d.h. öffentlichen, Interesse und dient nicht dem Schutze der Nachbarn. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich ein entsprechender Wille des Satzungsgebers durch Auslegung der bauplanerischen Festsetzungen unter Berücksichtigungen des Einzelfalles ermitteln lässt (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O., § 23 Rdnr. 6 m. w. Nachweisen). Dies gelingt im Falle des Bebauungsplanes, in dessen Geltungsbereich sowohl das Grundstück der Antragstellerin als auch das Grundstück der Beigeladenen liegen, nicht. Offensichtlich dienen die Baugrenzen allein der Regelung der städtebaulich gewünschten Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück.
Die Doppelgarage mit Carport und Abstellraum ist auch nicht an sich gebietsunverträglich und in dem festgesetzten "reinen Wohngebiet" deshalb unzulässig. Zutreffend dürfte sein, dass die Baunutzungsverordnung 1962 bei der Auslegung des hier anzuwendenden Bebauungsplanes keine Anwendung findet, weil der Bebauungsplan bereits vor Inkrafttreten der Verordnung am 1. August 1962 ausgelegen hatte (vgl. § 25 BauNVO 1962). Damit scheidet auch ein unmittelbarer Rückgriff auf die BauNVO 1962 aus, wenn es um die Auslegung des Begriffes "reines Wohngebiet" und die Feststellung der gebietstypischen Nutzungen geht. Die Antragstellerin hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser Begriff sowohl dem damals bereits geltenden Bundesbaugesetz als auch den als planungsrechtlichen Vorschriften des Landesrechts, d.h. der für diesen Zeitraum anzuwendenden "Bauordnung für das platte Land des Regierungsbezirks Stade" v. 7. Dezember 1934 fremd war. Andererseits wird nicht ausgeschlossen werden können, dass die zum Zeitpunkt der Aufstellung des B-Planes bereits kurz vor Inkrafttreten stehende Baunutzungsverordnung die Wahl dieses Begriffes mit beeinflusst haben dürfte. Hierauf kommt es entscheidungserheblich nicht an, denn es muss berücksichtigt werden, dass der Bebauungsplan nicht im "rechtsfreien Raum" erlassen wurde. Bereits in den entsprechenden planungsrechtlichen Regelungen der RGaO, die später inhaltlich weitgehend von der im Jahre 1962 in Kraft getretenen BauNVO übernommen wurden, kommt zum Ausdruck, dass schon seit Ende der 30-iger und erst Recht zu Beginn der 60-iger Jahre des 20. Jahrhunderts der Kraftfahrzeugverkehr längst als ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung der städtebaulichen Ordnung zu berücksichtigen war, und zwar in allen Siedlungstypen. Es kann daher ausgeschlossen werden, dass der Satzungsgeber des Jahres 1962, auch ohne eine gültige BauNVO, und wegen der fehlenden Bezugnahme auf die RGaO, allein durch die Verwendung des Begriffes "reines Wohngebiet" Beschränkungen hinsichtlich Stellplätzen und Garagen festsetzen wollte, die über das bisher rechtlich anerkannte hinausgehen sollten. Damit würde ansonsten auch die Nutzung von Kfz-Stellplätzen auf dem Grundstück der Antragstellerin in Frage gestellt. Die Kammer geht daher davon aus, dass auch in dem hier festgesetzten Baugebiet die Unterbringung von Kraftfahrzeugen auf den Bauflächen grundsätzlich zulässig sein sollte und, wie noch nach heutigem Recht die von ihm ausgehenden, gebietstypischen nachteiligen Wirkungen auf die Nachbarschaft im Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme grundsätzlich hinzunehmen sind (Beschl. der Kammer v. 2. Juni 2008 - 2 B 658/08 -; nicht veröffentlicht; VG Ansbach, Urt. v. 1. Februar 2007 - AN 9 K 06.02607 - , [...]).
Die danach vom Rücksichtnahmegebot gezogene Grenze wird durch die Doppelgarage und ihre Anordnung auf dem Grundstück der Beigeladenen nicht verletzt. Zwar muss zum Erreichen der Garage nahezu das gesamte Grundstück der Beigeladenen überquert werden, doch wird dieser Verkehr nicht entlang des Grundstücks der Antragstellerin geleitet. Auch ist die Garage so ausgerichtet, dass das Bauwerk das Grundstück der Antragstellerin gegenüber Lärm- und Abgasen sogar abschirmt. Die Zahl der zugelassenen Stellplätze ist nach den heutigen Mobilitätsmaßstäben, wonach mehr als ein Pkw je Familie eher die Regel als die Ausnahme ist, und im Hinblick auf den Stellplatzbedarf für die zugelassene gewerbliche Nutzung ebenfalls nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Wahl des Standortes. Hier verhält sich die Antragstellerin zudem widersprüchlich, wenn sie sich insoweit nun doch auf § 13 RGaO beruft.
Bauordnungsrechtliche Vorschriften nach der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO), insbesondere Grenzabstandsvorschriften, werden durch das Vorhaben ebenfalls nicht verletzt. Vor diesem Hintergrund kann sich die Antragstellerin auch nicht auf eine verminderte Besonnung ihrer Terrasse berufen, weil den Anforderungen an ausreichende Belichtung und Belüftung eines Grundstücks bei Einhaltung der vorgeschriebenen Grenzabstände grundsätzlich Genüge getan ist. Angesichts der geringen Höhe des Garagengebäudes und dessen Standortes südöstlich des Wohngebäudes der Antragstellerin dürfte eine Veränderung der Lichtverhältnisse ohnehin allenfalls in den frühen Morgenstunden und nicht am späten Nachmittag und dann auch eher im Herbst und Winter zum Tragen kommen, wenn eine Nutzung der Terrasse eher nicht stattfindet. Im Übrigen ist der Teil des Grundstücks der Antragstellerin, der insoweit überhaupt nur von dem Garagengebäude betroffen sein dürfte, schon jetzt durch die Gebäude weit überragende Bäume weitgehend "verschattet" (vgl. Luftbild bei Google-Maps:). Die Beschattung einer "rückwärtigen" Terrasse, deren genaue Lage Q., Y. unbekannt ist, ist bei den anzunehmenden Sonnenständen ausgeschlossen. Sollte die Antragstellerin die Terrasse meinen, auf der auf dem genannten Luftbild im nördlichen Bereich ihres Grundstücks, westlich vom Gebäude, ein Sonnenschirm zu sehen ist, so kann dort eine Beschattung in den frühen Morgenstunden allein durch das eigene Haus der Antragstellerin verursacht werden. In den Nachmittagsstunden ist eine Beschattung durch sämtliche Baulichkeiten auf dem Grundstück der Beigeladenen ausgeschlossen."
Im Beschluss vom 29. Juli 2010 (1 ME 102/10) hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ausgeführt:
"Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nachbarschützende Rechte, auf die allein sich die Antragstellerin berufen kann, nicht verletzt sind.
Aus der Begründung zu dem Bebauungsplan aus dem Jahr 1962 ergibt sich nicht, dass die Festsetzung von Baugrenzen oder der Grundflächenzahl mindestens auch dem Schutz der jeweiligen Nachbarn dienen sollten. Dies erschließt sich im Hinblick auf die westliche Baugrenze schon daraus, dass nach Westen keine Bebauung anschließt. Angesichts der in dem Plan von 1962 erkennbaren großen Grundstücksgrößen und jeweils weit voneinander entfernt liegenden Baufenstern lässt sich dem Plan auch kein Hinweis darauf entnehmen, dass dies dem Schutz der jeweiligen Nachbarn dienen sollte. Das Grundstück der Antragstellerin und der Beigeladenen stellte danach offensichtlich ein Grundstück dar mit einem zusammenhängenden Baufenster, in das hinein mittlerweile die Gebäude der Beigeladenen und der Antragstellerin hineingebaut worden sind. Dies zeigt eher, dass für diese beiden Grundstücke ein enger Zusammenhang vom Plangeber zumindest zu Grunde gelegt war. Dass sich aus einer Überschreitung der Grundflächenzahl für die Antragstellerin eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes ergeben kann, ist weder von dieser nachvollziehbar vorgetragen noch sonst erkennbar. Zwar ist das Gebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin seinerseits relativ dicht an die Südgrenze herangerückt, jedoch gilt dies auch für die Nordgrenze des Grundstücks der Antragstellerin, die ebenfalls in Bezug auf das Gesamtgrundstück relativ nah am Gebäude verläuft. Das Gebäude der Antragstellerin scheint danach nach Westen, also mit Blick in die freie unverbaute Landschaft ausgerichtet zu sein. Eine Bebauung auf dem südlich angrenzenden Grundstück liegt der Schmalseite des Gebäudes gegenüber und ist schon von daher nicht geeignet, das Gebäude der Antragstellerin und das Grundstück in einem das Gebot der Rücksichtnahme verletzendem Maß zu "bedrängen". Ist nicht erkennbar, dass nachbarschützende Rechte verletzt werden durch die Baugenehmigung kommt es auch nicht darauf an, ob die Zulässigkeit des Bauvorhabens oberflächlich geprüft worden ist. Dies gilt etwa auch für die Ausgestaltung und die Lage der Zufahrt zu dem Garagengebäude. Nach dem Lageplan kann diese Zufahrt nur von Süden von der Straße T. aus erfolgen, da das Grundstück mit seiner Ostgrenze nicht an einen öffentlichen Weg grenzt, sondern den Lageplänen nach an einen Zugang zum Grundstück der Antragstellerin von der Straße T. aus. Alle Zufahrtsmöglichkeiten für Pkw sind deshalb vom Grundstück der Antragstellerin abgewandt und zudem durch das Garagengebäude zum Grundstück der Antragstellerin hin abgeschirmt. Dazu kommt, dass das Garagengebäude auch nur etwa bis zur Hälfte der Südfassade des Gebäudes auf dem Grundstück der Antragstellerin reicht und eine etwaige Verschattungsmöglichkeit deshalb nur Teile des Gebäudes betrifft. Sollte die Zufahrt für Stellplätze benutzt werden, würde dies ebenfalls das Grundstück der Antragstellerin nicht betreffen, weil diese Teile der Zufahrt weit abgesetzt sind. Dazu kommt, dass die letztgenannte Frage von der hier angefochtenen Baugenehmigung nicht behandelt wird. Unzumutbare Beeinträchtigungen durch das Garagengebäude selbst sind, abgesehen von der schon angesprochenen Frage der Verschattung, nicht erkennbar, weil, wie ebenfalls schon angesprochen, die Zufahrt und die Garagenöffnung vom Grundstück der Antragstellerin abgewandt nach Süden weisen.
Die Errichtung des Wintergartens im südlichen Gebäudebereich wirkt sich auf das Grundstück der Antragstellerin ebenfalls nicht aus, weil dieser hinter den bereits vorhandenen Gebäudeteilen zurücktritt und deshalb vom Grundstück der Antragstellerin aus kaum wahrgenommen werden dürfte. "
Die Kammer sieht auch nach der Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten keine Veranlassung, von dieser Einschätzung der Sach- und Rechtslage abzuweichen.
2.
Bezüglich der Umnutzung der ehemaligen Garagenräume in Büroräume verletzt die Baugenehmigung die Klägerin ebenfalls nicht in ihren Rechten. Der Anspruch auf Gebietserhaltung ist nicht verletzt.
Der Anspruch auf Gebietserhaltung folgt aus dem durch Bauleitplanung begründeten, nachbarlichen Austauschverhältnis. Grundsätzlich obliegt es der Gemeinde als Inhaberin der Planungshoheit zu entscheiden, ob und welchen Festsetzungen eines Bebauungsplanes Nachbarschutz zukommt. Bei Festsetzungen der Baugebiete gilt dieser Grundsatz hingegen nicht. Zu den Aufgaben des Bauplanungsrechts gehört es, die einzelnen Grundstücke einer auch im Verhältnis untereinander verträglichen Nutzung zuzuführen. Indem es in dieser Weise auf einen Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte zielt, bestimmt es zugleich den Inhalt des Grundeigentums. Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz beruht demgemäß auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden (BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 - 4 C 28/91 -, BVerwGE 94, 151). Dieser letztlich im Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz verankerte Drittschutz von bauplanerischen Festsetzungen, der das durch Planung entstandene Austauschverhältnis zwischen Grundstücken bzw. deren Eigentümern schützt, kann auch für Bebauungspläne aus dem Jahr 1962 angenommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat sogar anerkannt, dass Festsetzungen von nach Bundesbaugesetz übergeleiteten Plänen auf reichsrechtlicher Rechtsgrundlage, namentlich der Verordnung über die Regelung der Bebauung vom 15. Februar 1936 (BauRegVO, RGBl. I, S. 104), nach heutigem grundrechtlich geprägten Verständnis als drittschützend zu verstehen sind, auch wenn dies dem historischen Verständnis eindeutig widerspricht (BVerwG, Urteil vom 23.08.1996 - 4 C 13/94 -, BVerwGE 101, 364).
Die vom Beklagten erteilte Genehmigung der Umnutzung von Garagenräumen in Büroräume für einen selbständigen Handelsvertreter und zwei Mitarbeiter verstößt nicht gegen den Anspruch der Grundeigentümer eines Plangebiets auf Erhaltung des Gebietscharakters. Der im Bebauungsplan Z. getroffenen Festsetzung eines reinen Wohngebiets kann nicht entnommen werden, dass damit jegliche freiberufliche oder gewerbliche Nutzung innerhalb des Plangebiets ausgeschlossen werden sollte.
Der Inhalt der getroffenen Festsetzung kann nicht direkt anhand der §§ 3, 13 Baunutzungsverordnung (BauNVO) bestimmt werden. Denn diese gilt für den maßgeblichen Bebauungsplan Z. nicht. Die am 1. August 1962 in Kraft getretene BauNVO gilt nur für solche Bebauungspläne, die auch ab diesem Zeitpunkt ausgelegen haben,§ 25 BauNVO 1962 (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand April 2009, Vorb BauNVO, Rn 4). Mit der Auslegung des Bebauungsplans Z. wurde bereits am 25. Juni 1962 begonnen (Beiakte A Blatt 32). Es sprechen jedoch gewichtige Indizien dafür, dass die gewählte Festsetzung "reines Wohngebiet" mit Blick auf die kurze Zeit nach der Auslegung des Bebauungsplans in Kraft getretene Baunutzungsverordnung getroffen wurde. Die Unterscheidung zwischen reinem und allgemeinen Wohngebiet, vgl. § 1 Abs. 2 und §§ 3, 4 BauNVO, war vor Erlass der BauNVO 1962 den meisten bisherigen Bauordnungen nicht bekannt (Fickert, Bauvorhaben, Taschenkommentar, 1. Aufl. 1962, Ziffer 1 der Erläuterung zu § 3 BaunutzungsVO). Weder in der Bauordnung für das platte Land des Regierungsbezirks Stade vom 7. Dezember 1934 noch in der seit dem 1. März 1936 zusätzlich gegolten habenden Reichsverordnung über die Regelung der Bebauung vom 15. Februar 1936 (BauRegVO, RGBl. I, S. 104), welche Fragen des heutigen Bauplanungsrechts auf Reichsebene zusätzlich zu den Bauordnungen regelte, finden sich Hinweise auf den Regelungsgehalt der gewählten Festsetzung "reines Wohngebiet". Auch die Bauordnung für die Städte und stadtähnlichen Ortschaften des Regierungsbezirks Stade vom 26. November 1956 (ABl. der Regierung Stade, S. 85), die allerdings nicht für die damalige Gemeinde K. galt, kennt in § 7 Abs. 2 nur die Festsetzung "Wohngebiet" ohne weitere Zusätze. § 1 Abs. 2 BauRegVO besagt, dass für das einzelne Baugebiet vorzuschreiben ist, welche Arten von Anlagen in ihm errichtet oder nicht errichtet werden dürfen. Weiterhin ist dort geregelt, dass in Kleinsiedlungsgebieten, Wohngebieten und Geschäftsgebieten Anlagen, die beim Betriebe erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Bewohner oder die Allgemeinheit zur Folge haben können, nicht zugelassen werden dürfen. Der zweite Halbsatz des § 1 Abs. 2 BauRegVO ist so zu verstehen, dass in Wohngebieten solche Anlagen nicht zugelassen werden dürfen, deren Betrieb erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Bewohner mit sich bringt. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass nichtstörende Gewerbebetriebe bzw. Betriebsstätten freier Berufe auch in Wohngebieten grundsätzlich zulässig sind. Dass allein durch den Zusatz "reines" Wohngebiet im Bebauungsplan Z. dieser Grundsatz aufgehoben werden sollte, erscheint fernliegend. Plausibel ist dagegen, dass diese Festsetzung mit Blick auf den Sprachgebrauch der neuen BauNVO getroffen wurde und damit die besondere Bedeutung der Wohnruhe im Plangebiet zum Ausdruck gebracht werden sollte. Nicht hingegen kann dieser Festsetzung ein Totalausschluss jeglicher gewerblicher Tätigkeit entnommen werden.
Gemessen an diesen Maßstäben steht die genehmigte Umnutzung in Einklang mit der Festsetzung "reines Wohngebiet" des Bebauungsplans Z.. Der Beklagte hat die Umnutzung der bisherigen Garagenräume in Büroräume für die im Bauantrag vom 22. Juni 2009 beschriebene Nutzung zum Vertrieb von Versicherungen und Finanzdienstleistungen mit insgesamt zwei Mitarbeitern genehmigt (Beiakte A, Blatt 10-13). Die Tätigkeit eines Handelsvertreters für Finanzdienstleistungen in gegenüber der Wohnnutzung flächenmäßig eindeutig untergeordneten Räumlichkeiten ist als nichtstörende freiberufliche oder freiberufsähnliche Nutzung grundsätzlich zulässig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.02.1990 - 4 B 172/89 -, [...]). Die Vermittlung von Finanzdienstleistungen und Versicherungen sowie die damit einhergehende Beratungstätigkeit kann regelmäßig ohne erhebliche Nachteile für die Wohnruhe ausgeübt werden. Die genehmigte Nutzung unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Nachbarschaft nicht von einer Rechtsanwaltskanzlei oder Arztpraxis vergleichbarer Größe. Schwerpunktmäßig dürfte die Vermittlung und Beratung ohnehin schriftlich, telefonisch oder per Email erfolgen, so dass durchgehender Kundenverkehr nicht zu erwarten ist. Gerade in diesem Berufszweig ist es üblich, Kundenbesuche abzustatten. Für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit kommt es überdies nicht darauf an, ob es sich bei der Tätigkeit eines Handelsvertreters für Versicherungen und Finanzdienstleistungen um einen freien Beruf im Sinne des Steuerrechts handelt. Maßgeblich ist angesichts des Schutzzwecks der bauplanerischen Festsetzung die von einer freiberuflichen oder betrieblichen Nutzung ausgehende Störung der Wohnruhe.
Es schadet nicht, dass der Bauantrag der Beigeladenen vom 22. Juni 2009 lediglich mit dem grünen Stempel "AKTE" und nicht zusätzlich mit einem Genehmigungsvermerk versehen worden ist. Der Genehmigungsvermerk ist allein für die sogenannten Bauvorlagen erforderlich (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 75 Rn. 16). § 71 Niedersächsische Bauordnung (NBauO) unterscheidet ausdrücklich zwischen dem Antrag auf Baugenehmigung (Bauantrag), § 71 Abs. 1, und den für die Beurteilung der Baumaßnahmen und die Bearbeitung erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen), § 71 Abs. 2. Bauvorlagen i. S. dieser Vorschrift sind insbesondere Bauzeichnungen. Diese müssen zwecks eindeutiger Bestimmbarkeit des Regelungsgehalts einer Baugenehmigung mit einem Genehmigungsvermerk versehen sein (vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.12.1996 - 10 A 4248/92 -, [...]). Nicht hingegen ist es erforderlich, den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung, in welchem der Gegenstand der begehrten Baugenehmigung beschrieben wird, mit einem Genehmigungsvermerk zu versehen (vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 29.08.1995 - 1 L 3462/94 -, [...]). Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Klägervertreterin vorgelegten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Januar 1997 (Az.: 4 B 240/96), der nur über die Frage entscheidet, "ob es mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20, 28 Abs. 1 Satz 1 GG und mit § 37 Abs. 1 VwVfG RP vereinbar ist, wenn bei der Auslegung einer Baugenehmigung nur die mit einem Prüfvermerk versehenen Zeichnungen herangezogen werden und weitere Zeichnungen, die keinen Prüfvermerk enthalten, unberücksichtigt bleiben". Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bejaht. Um Planzeichnungen geht es im vorliegenden Verfahren aber nicht, sondern um die im Zusammenhang mit dem Bauantrag gemachte Betriebsbeschreibung.
Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, dass ein Fall eines sogenannten "Etikettenschwindels" vorliegt. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Wege der Baunachbarklage kann grundsätzlich nur die beantragte und entsprechend erteilte Baugenehmigung sein. Denn der Bauherr bestimmt mit seinem Baugesuch und den beigefügten Bauvorlagen den Prüfungsumfang und Genehmigungsgegenstand, auf den allein sich die Baugenehmigung beziehen kann. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist in Fällen, in denen bereits den Bauvorlagen zu entnehmen ist, dass die angegebene Nutzung in Wahrheit gar nicht beabsichtigt ist, sondern lediglich deklariert wird, um das Vorhaben genehmigungsfähig erscheinen zu lassen, ausnahmsweise ein Durchgriff auf das wirklich Gewollte geboten, weil die Bauaufsichtsbehörde sich nicht zu Lasten betroffener Nachbarn auf den formalen Standpunkt stellen darf, sie habe lediglich eine nach dem Gesetz zulässige Nutzung antragsgemäß genehmigt (Nds. OVG, Urteil vom 26.04.1993 - 6 L 169/90 -, [...] m.w.N.). Nach einer neueren Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein dürfen an einen "Etikettenschwindel" keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt bereits, wenn der Bauantrag Unklarheiten dergestalt enthält, dass in den Bauvorlagen Nutzungsmöglichkeiten offen gelassen werden, die der im Bauantrag gewählten ausdrücklichen Bezeichnung des Vorhabens zuwiderlaufen (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.07.2008 - 1 MB 11/08 -, [...]).
Eine nach der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Annahme eines "Etikettenschwindels" aus den Antragsunterlagen erkennbare Diskrepanz zwischen beantragtem und tatsächlich gewolltem Vorhaben liegt hier jedoch bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht vor. Die Klägerin macht geltend, dass der Beigeladene zu 1. einen über den ehemaligen Garagenräumen befindlichen Dachgeschossraum als Schulungszentrum für den Finanzdienstleister X. nutzt. Auf diese Räumlichkeiten bezog sich der Bauantrag jedoch ausdrücklich nicht. Es finden sich nicht einmal Bauvorlagen, die diesen Dachgeschossraum in irgendeiner Weise überhaupt zeichnerisch ausweisen. Auch die von den Beigeladenen offenbar nachträglich eingebaute Treppe sowie die nachträglich vorgenommene bauliche Abriegelung des Dachgeschossraumes von den übrigen Wohnräumen waren nicht aus den Bauantragsunterlagen erkennbar. Es finden sich auch keine Hinweise darauf, dass die erteilte Baugenehmigung bezüglich einer Nutzung des Dachgeschossraumes zu beruflichen Zwecken Unklarheiten irgendwelcher Art enthält. Dieser Raum war schlicht nicht Gegenstand der Baugenehmigung. Ebenso war es nicht Gegenstand der Baugenehmigung und auch nicht für den Beklagten erkennbar, dass Schulungen in den umgenutzten Büroräumen stattfinden sollten. Selbst unter Berücksichtigung des Prämien- und Vertriebssystems beim Finanzdienstleister X., das nicht nur den Vertrieb von Produkten umfasst, sondern in hohem Maße auf die Akquise und Schulung weiterer Mitarbeiter angelegt ist, lässt sich nicht darauf schließen, dass eine Betriebsbeschreibung "Vertrieb von Versicherungen und Finanzdienstleistungen" regelmäßige Schulungen im größeren Umfange beinhaltet. Vielmehr ist der Bauantrag durch die Beigeladenen hinreichend eindeutig gestellt worden und die Baugenehmigung somit auch ausschließlich für eine Nutzung in den angegebenen Räumlichkeiten (ehemalige Garage) zum angegebenen Betriebs- bzw. Nutzungszweck (Vertrieb von Versicherungen und Finanzdienstleistungen) erteilt worden.
Die freiberufliche Nutzung weiterer Räumlichkeiten sowie die freiberufliche Nutzung der ehemaligen Garagenräume zu anderen Zwecken wären formell rechtswidrig und könnten somit mit Hilfe einer baupolizeilichen Verfügung untersagt werden. Die Ortsbesichtigung hat ergeben, dass Anhaltspunkte für eine solche Nutzung bestehen. Insbesondere die bauliche Abriegelung des Dachgeschossraumes von den übrigen Wohnräumen und seine Verbindung mittels der Wendeltreppe mit den Büroräumen lassen zumindest besorgen, dass der Dachgeschossraum eine Nutzungseinheit mit den genehmigten Büroräumen bilden soll. Auch die beim Ortstermin vorgefundene Einrichtung des Dachgeschossraumes als Schulungszimmer mit Tischreihen und Leinwand lässt nicht darauf schließen, dass dieser Raum zu rein privaten Zwecken genutzt werden soll. Allerdings macht dieser Befund die Baugenehmigung, die allein Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, nicht rechtswidrig.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, im Nachbarschaftsstreit die außergerichtlichen Kosten des notwendig Beigeladenen im Falle eines Unterliegens des Klägers für erstattungsfähig zu erklären.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.