Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 18.07.2011, Az.: 1 A 559/09
Heranziehung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens zur Mitgliedschaft in einem Wasser und Bodenverband; Frage der Anwendbarkeit des § 23 Abs. 2 WVG bei einer erheblichen Erweiterung des Verbandsgebietes; Eröffnung eines Ermessensspielraums der Aufsichtsbehörde nach § 23 Abs. 2 WVG
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 18.07.2011
- Aktenzeichen
- 1 A 559/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 22146
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2011:0718.1A559.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 23 Abs. 2 WVG
Amtlicher Leitsatz
Heranziehung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens zur Mitgliedschaft in einem Wasser- und Bodenverband- zur Frage der Anwendbarkeit des § 23 Absatz 2 WVG bei einer erheblichen Erweiterung des Verbandsgebietes (offen gelassen) - § 23 Abs. 2 VWG eröffnet der Aufsichtsbehörde einen Ermessensspielraum
Redaktioneller Leitsatz
Eine nach § 23 WVG durchzuführende Heranziehung von Personen zur Mitgliedschaft in einem Verband gegen ihren Willen steht im Ermessen der Aufsichtsbehörde.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 2. März 2009 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin, ein zugelassenes Eisenbahninfrastrukturunternehmen, wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Mitgliedschaft bei dem Beigeladenen, einem Wirtschaftswegeverband.
Sie ist Eigentümerin von 10 Flurstücken in der Gemarkung F. (Flurstück 57/63 der Flur 8, Flurstück 40/6 der Flur 9, Flurstücke 59/0, 86/0 und 87/3 der Flur 11, Flurstücke 32/0 und 33/0 der Flur 119 sowie Flurstücke 41/0, 42/0 und 78/0 der Flur 120). Es handelt sich um zum Zwecke des Bahnbetriebes planfestgestellte Flächen, nämlich um Bahngelände sowie um Wege- und Gehölzflächen mit einer Gesamtfläche von 7,0053 ha, auf denen die Klägerin Eisenbahninfrastrukturanlagen betreibt.
Der Beigeladene ist ein im Mai 2007 gegründeter Wirtschaftswegeverband, dem von der Gemeinde G. die Straßenbaulast für die Herstellung und Unterhaltung der Wirtschaftswege übertragen worden ist. Ursprünglich erstreckte sich das Verbandsgebiet des Beigeladenen auf Teile der Gemarkungen H. und I.. Im September 2007 informierte die Gemeinde G. die betroffenen Grundstückseigentümer u.a. darüber, dass eine Ausweitung des Verbandsgebiets auf Teile der Gemarkung F. beabsichtigt sei. Nachdem sich eine Mehrheit der Grundstückseigentümer der Gemarkung F. für eine Ausweitung des Verbandsgebiets ausgesprochen und der Vorstand des Beigeladenen im November 2008 eine Ausweitung des Verbandsgebietes auf die Grundstücke der Gemarkung F. befürwortet hatte, beschloss der Ausschuss des Beigeladenen am 19. November 2008, diese Eigentümer in den Verband aufzunehmen. In seiner Sitzung vom 22. April 2009 beschloss er die erste Satzung zur Änderung der Satzung vom 10. Mai 2007, durch die u.a. das Verbandsgebiet um das Gebiet der Gemarkung F. erweitert wurde. Das bisherige Gebiet von 2.245 ha (Gemarkung I. 1.013 ha, Gemarkung H. 1.232 ha) wurde dabei um 1.820 ha vergrößert. Der Beklagte genehmigte die Änderungssatzung am 20. Mai 2009, sie wurde am 4. Juni 2009 veröffentlicht (Amtsblatt für den Landkreis Cuxhaven Nr. 22).
Mit Schreiben vom 28. November 2008 wandte sich der Beklagte an die Klägerin und wies sie auf die Möglichkeit eines freiwilligen Beitritts zu dem Beigeladenen hin. Zudem informierte er sie darüber, dass eine - zwangsweise - Heranziehung zur Mitgliedschaft in Betracht komme, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Verbandsaufgaben erforderlich sei und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Klägerin teilte mit, dass es sich bei ihren Grundflächen um gewidmetes Eisenbahngelände handele, weshalb die betroffenen Grundstücke nicht dem Wegerecht unterstellt seien. Es bestehe keine rechtliche Handhabe für eine Heranziehung zur Mitgliedschaft bei dem Beigeladenen. Es ergäben sich für sie auch keine Vorteile infolge der Verbandsaufgaben, weil die Bahnanlagen ausschließlich auf und über Eisenbahngelände erreicht werden könnten. Sie werde dem Beigeladenen als beitragsfreies Mitglied nicht beitreten, ihm aber die Nutzung ihrer Flächen für den Wegeausbau zur Verfügung stellen.
Mit Bescheid vom 2. März 2009 zog der Beklagte die Klägerin mit den genannten Flurstücken zur Mitgliedschaft bei dem Beigeladenen heran. Die betroffenen Flächen bezeichnete sie in der Anlage zu dem Bescheid sämtliche als "beitragsfrei". Zur Begründung führte sie aus:
Nach dem Wasserverbandsgesetz (WVG) könnten Personen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Verbandsaufgaben erforderlich sei, gegen ihren Willen zur Mitgliedschaft in einem bestehenden Verband herangezogen werden, wenn sie aus der Durchführung der Verbandsaufgabe einen Vorteil hätten oder zu erwarten hätten oder sie voraussichtlich Maßnahmen des Verbandes zu dulden hätten. Die Klägerin habe entweder aus der Durchführung von Verbandsaufgaben einen Vorteil bzw. habe einen solchen zu erwarten oder aber sie werde Maßnahmen des Verbandes zu dulden haben. Das ergebe sich aus ihrem Angebot, dem Beigeladenen die Nutzung der Flächen zur Durchführung seiner Aufgaben einzuräumen. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin voraussichtlich Maßnahmen des Beigeladenen, die dieser im Rahmen seiner Herstellungs- und Unterhaltungsaufgaben für die ländlichen Wege ausführe, dulden müsse. Damit seien die Voraussetzungen für eine Heranziehung gegeben. Um den Anträgen der Mehrheit der Grundstückseigentümer der Gemarkung F. entsprechen und das Verbandsgebiet des Beigeladenen um die Gemarkung F. erweitern zu können, bedürfe es der Heranziehung der Klägerin, da sie als Grundstückseigentümerin mit ihrer Fläche im Bereich der Erweiterung des Verbandsgebietes liege. Aus den genannten Gründen sehe er sich als Aufsichtsbehörde verpflichtet, zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Verbandsaufgaben die Eigentümer der im Bereich der Erweiterung liegenden Grundstücke zur Mitgliedschaft bei dem Beigeladenen heranzuziehen.
Die Klägerin hat am 02. April 2009 Klage erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage trägt sie im Wesentlichen vor:
Sie sei bereits keine als Verbandsmitglied in Betracht kommende Person. Sie sei zwar Eigentümerin von Grundstücken und Anlagen. Diese seien jedoch durch Widmung zu Eisenbahnbetriebszwecken und die eisenbahnrechtlichen Zulassungen dem Sonderregime des Eisenbahnrechts unterworfen. Infrastrukturbezogene Pflichten oblägen allein ihr. Die Gestaltungs- und Duldungswirkung der Planfeststellung und der durch Widmung bewirkte sachenrechtliche Sonderstatus der Flächen bewirkten, dass die satzungsmäßigen Verbandsaufgaben auf ihren Grundflächen nicht wahrgenommen werden könnten, solange eine Freistellung von diesen Zwecken nach § 23 AEG nicht vorgenommen worden sei. Der Beigeladene könne ihr auch keine Pflichten abnehmen oder erleichtern, weil die infrastrukturbezogenen Pflichten allein ihr, der Klägerin, oblägen. Durch die öffentlich - rechtliche Planfeststellung und Widmung des Eisenbahngeländes sei sie, die Klägerin, verpflichtet, das Betreiben der Eisenbahninfrastruktur zu dulden. Das Eisenbahninfrastrukturunternehmen seinerseits sei zum sicheren Betrieb der Eisenbahninfrastruktur verpflichtet. Sie, die Klägerin, könne ihr Eigentum an den betreffenden Grundstücken wirtschaftlich nicht ausnutzen, dieses sei durch die eisenbahnrechtliche Widmung ausgehöhlt.
Im Übrigen gehe es dem Beigeladenen offensichtlich allein um die Erweiterung seines Verbandsgebietes. Eine solche könne nicht auf der Grundlage des § 23 WVG erfolgen. Vielmehr müsse hierfür ein Errichtungsverfahren nach §§ 7ff WVG durchgeführt werden. Das zeige schon der Wortlaut des § 23 Abs. 2 WVG, der die Heranziehung von Personen zur Mitgliedschaft in einem bestehenden Verband ermögliche. Der bestehende Verband in diesem Sinne könne nur der nach § 7 WVG errichtete Verband sein. Eine Erweiterung bedürfe der Neuerrichtung nach den Vorschriften der§§ 7 ff WVG. Dies folge auch daraus, dass es nicht zu den Aufgaben des Verbandsausschusses des Beigeladenen nach § 11 seiner Satzung gehöre, über die Erweiterung des Verbandsgebietes zu entscheiden.
Sie, die Klägerin, habe aus der Durchführung der Verbandsaufgabe auch keinen Vorteil zu erwarten. Die Aufgabe des Beigeladenen bestehe ausweislich seiner Satzung in der Herstellung und Unterhaltung von ländlichen Wegen und Straßen. Etwaige neu- oder ausgebaute Wirtschaftswege seien für sie jedoch nutzlos, denn sie nutze für die Durchführung von Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie den Eisenbahnfahrbetrieb ausschließlich ihre eigenen Eisenbahninfrastrukturanlagen mit Schienenfahrzeugen. Sie könne sämtliche Grundflächen - inklusive etwaiger Gräben - über die eigenen Eisenbahninfrastrukturanlagen erreichen. Lediglich einmalig seien Baumaßnahmen über die Wirtschaftswege vorgenommen worden. Die hierdurch verursachte Beschädigung der Wirtschaftswege des Beigeladenen zeige, dass deren Wirtschaftswege für sie, die Klägerin, unbrauchbar seien.
Zwar könne die Möglichkeit, in Unglücksfällen rasch über die Wirtschaftswege Rettungskräfte an einen möglichen Eisenbahnunfallort heranzuführen, faktisch einen Vorteil darstellen. Dies sei aber kein Vorteil im Sinne des § 8 Abs. 1 WVG, denn Zweck des Beigeladenen sei nicht die Herstellung und Unterhaltung von Rettungswegen. Ansonsten wären alle Grundeigentümer im Verbandsgebiet Mitglied im Verband. Im Gegenteil bedeuteten die Wirtschaftswege des Beigeladenen für sie, die Klägerin, einen Nachteil. Sie sei nämlich verpflichtet, die Bahnübergänge zu warten und zu pflegen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche Maßnahmen des Beigeladenen voraussichtlich von ihr geduldet werden müssten. Weiterhin lasse der angefochtene Bescheid nicht erkennen, dass der Beklagte sein ihm eingeräumtes Ermessen ausgeübt habe.
Abschließend sei anzumerken, dass sie dem Beigeladenen nach wie vor genehmige, ihre Flächen zu betreten, sofern sie von etwaigen Kosten freigehalten werde, auch vor diesem Hintergrund sei eine Heranziehung nicht erforderlich. .
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 02. März 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert: Die Klägerin komme als Verbandsmitglied in Betracht, da sie Eigentümerin der im Heranziehungsbescheid genannten Flurstücke sei, die alle im betroffenen Bereich des Verbandes lägen. Die Belegenheit des Grundstücks oder der Anlage sei der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Mitgliedschaft. Dem stehe auch nicht die Widmung nach dem allgemeinen Eisenbahngesetz entgegen. Nach wie vor habe die Klägerin einen allgemeinen Pflichtenkatalog zu beachten, der deckungsgleich sei mit den im Wasserverbandsgesetz als zulässig aufgezählten Aufgaben eines Verbandes. Zivilrechtliche Ansprüche, die durch die öffentlich - rechtlichen Pflichten überlagert würden, mache er, der Beklagte, nicht geltend. Die Heranziehung der Klägerin sei zur Erfüllung der Verbandsaufgaben erforderlich, weil nur in diesem Falle das Betreten der Grundstücke und die Durchführung der entsprechenden Arbeiten möglich seien.
Die Klägerin erlange durch die Mitgliedschaft auch einen Vorteil. Der Vorteil der heranzuziehenden Mitglieder beziehe sich nicht auf einen konkreten Vorteil, sondern eben auch auf die Abnahme und die Erleichterung einer Pflicht und die Möglichkeit, Maßnahmen des Verbandes zweckmäßig oder wirtschaftlich auszunutzen. Die Klägerin sei auf die Nutzung von Wirtschaftswegen angewiesen, z.B. um an das auf ihrem Grundstück befindliche Gehölz heranzukommen und dies nach einem Rückschnitt abzutransportieren, um die auf ihrem Grundstück etwaig vorhandenen Gräben instand zu halten oder um die ihr gehörenden Wege in einem entsprechenden Zustand zu halten. Es sei kaum vorstellbar, dass alle Arbeiten vom Gleis aus unter Nutzung der eigenen Eisenbahninfrastrukturanlagen mit Schienenfahrzeugen erledigt werden können. Schließlich müsse die Klägerin auch ein Interesse an der ordnungsgemäßen Erhaltung der umliegenden Wirtschaftswege haben, damit bei etwaigen Unfällen im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb auch adäquate Rettungsdiensteinsätze möglich seien.
Es sei unzutreffend, wenn die Klägerin vortrage, sie sei zur Unterhaltung der Schienenwege nicht auf die Wirtschaftswege des Beigeladenen angewiesen. Im Jahr 2009 habe an den Bahnübergängen der Strecke J. - K. eine Verkehrsschau stattgefunden. Danach seien der Klägerin bestimmte Unterhaltungsmaßnahmen an Bahnübergängen auferlegt worden. Auch seien an drei Wegen im Zuge von Gleisbauarbeiten der Klägerin durch die Materialtransporte der Baufirma Schäden entstanden, die eine Reparatur der Wege erforderlich gemacht habe.
Er, der Beklagte, stütze seine Heranziehung zutreffend auf § 23 WVG. Diese Vorschrift sei auch anwendbar, wenn ein Verband erweitert werde. Hier seien lediglich Teile der Gemarkung F. hinzugekommen. Es sei weder eine Neuorganisation der bereits errichteten Verbandsstruktur erfolgt, noch habe sich der Aufgabenkatalog oder der Unternehmensgegenstand verändert. Die Erweiterung des Verbandsgebietes stelle keine Neuerrichtung des Verbandes nach § 7 WVG dar.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht nach der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2010 ohne erneute mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 2. März 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Als Rechtsgrundlage für den Bescheid kommt allein § 23 Abs. 2 Wasserverbandsgesetz (vom 12.02.1991, BGBl. I, 405, in der Fassung der Änderung vom 15.5.2002 - BGBl. I, 1578) - WVG - in Betracht. Danach kann die Aufsichtsbehörde, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Verbandsaufgaben erforderlich ist, Personen, die die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, gegen ihren Willen zur Mitgliedschaft in einem bestehenden Verband heranziehen.
Ob im vorliegenden Fall die Heranziehung auf der Grundlage der genannten Vorschrift erfolgen konnte, ist zweifelhaft. Der Maßnahme liegt die Zielsetzung des Beigeladenen zu Grunde, das Verbandsgebiet in einem nicht unerheblichen Umfang zu erweitern. Für die Anwendbarkeit des§ 23 WVG auch in einem derartigen Fall spricht allerdings, dass das WVG in seiner derzeit geltenden Fassung nicht - wie früher die Wasserverbandverordnung - WVVO - zwischen einem "einfachen Fall" der Mitgliedervermehrung und einer Ausdehnung des Verbandes in nicht einfachen Fällen unterscheidet. In den sog. "einfachen Fällen" erfolgte die Verbandsvergrößerung durch die Zuweisung neuer Mitglieder durch die Aufsichtsbehörde (§ 13 WVVO), in den übrigen Fallgestaltungen war nach § 174 WVVO ein dem Gründungsverfahren entsprechendes Verfahren durchzuführen. Bei der Abgrenzung von sog. einfachen zu sog. "nicht einfachen" Fällen wurde dabei darauf abgestellt, wie weit sich die konkrete Sachlage einer Neugründung des Verbandes annäherte. Ein einfacher Fall wurde dann angenommen, wenn es sich um die Zuweisung einzelner Mitglieder handelte, ohne dass eine wesentliche Änderung oder Ergänzung des Planes notwendig war, so dass eine Satzungsänderung i.d. R. nicht erforderlich war (Rapsch, WVVO, § 13 Rn. 11-13). Aus der Aufgabe dieser in der WVVO enthaltenen Unterscheidung im WVG wird geschlossen, dass § 23 WVG auch anwendbar ist, wenn ein größerer Personenkreis betroffen ist, bzw. wenn die Heranziehung neuer Mitglieder mit einer Neugründung des Verbandes vergleichbar ist (Hasche, in Reinhardt/Hasche, WVG, § 23 Rn. 20; Rapsch, Wasserverbandsrecht S. 75). Darauf lässt auch § 25 WVG schließen, der u.a. die Pflicht zur Anhörung der künftigen Verbandsmitglieder auch in den Fällen des§ 23 Abs. 2 WVG regelt und offensichtlich davon ausgeht, dass die Anwendung des § 23 Abs. 2 WVG unabhängig ist von der Zahl der Personen, die herangezogen werden sollen. Nach § 25 Abs. 2 WVG kann die Anhörung nämlich durch die Möglichkeit der Einsicht in die Unterlagen über die Angelegenheit ersetzt werden, wenn mehr als 50 Verbandsmitglieder oder künftige Verbandsmitglieder zu hören sind.
Bedenken hiergegen könnten mit Rücksicht auf das Demokratieprinzip (Art. 20 GG) bestehen, an dem sich die Organisation eines Wasser - und Bodenverbands messen lassen muss. Wählt der parlamentarische Gesetzgeber - wie hier mit dem WVG - für bestimmte öffentliche Aufgaben die Organisationsform der Selbstverwaltung, so darf er keine Ausgestaltung vorschreiben, die mit dem Grundgedanken autonomer interessengerechter Selbstverwaltung einerseits und effektiver öffentlicher Aufgabenwahrnehmung andererseits unvereinbar wäre. Deshalb müssen die Regelungen über die Organisationsstruktur der Selbstverwaltungseinheiten auch ausreichende institutionelle Vorkehrungen dafür enthalten, dass die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden (BVerfG, Beschl. v. 5.12.2002 - 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 - BVerfGE 107, 59). Eine Erweiterung des Verbandsgebietes mittels Heranziehung nach § 23 Abs. 2 WVG und unter Verzicht auf die Durchführung eines Errichtungsverfahrens nach §§ 7ff WVG hat zur Folge, dass die herangezogenen Verbandsmitglieder zwangsweise Mitglied im Verband sind, ohne die Möglichkeit zu haben, vor Begründung der Mitgliedschaft auf Plan und Satzung des Verbandes Einfluss zu nehmen. In Fällen einer erheblichen Erweiterung des Verbandsgebietes, insbesondere, wenn es hierdurch zu einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Verband kommt, könnte deswegen möglicherweise mit Rücksicht auf das Demokratieprinzip eine verfassungskonforme Auslegung des § 23 WVG geboten sein. Dies entspräche auch der Intention des Gesetzgebers, der mit der Neuregelung des Wasserverbandsrechts durch das Gesetz über die Wasser - und Bodenverbände vom 12. Februar 1991 (BGBl. 1991, 405) das Wasserverbandsrecht unter Stärkung des Selbstverwaltungsrechts der Wasser - und Bodenverbände an demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse anpassen wollte (BTDrs. 11/6764 S. 20, 23), weshalb die Entscheidung über die Errichtung eines Verbandes sowie über Plan und Satzung grundsätzlich durch zumindest einen Mehrheitsbeschluss der zu beteiligenden Personen erfolgt (§§ 7, 14 WVG, s. auch BTDrs. 11/6764 S. 25).
Die Frage der Anwendbarkeit des § 23 Abs. 2 WVG in einer Fallgestaltung wie der Vorliegenden kann aber offen bleiben. Die auf der Grundlage des § 23 WVG erfolgte Heranziehung der Klägerin ist jedenfalls deswegen rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten, weil der Beklagte das ihm nach § 23 WVG zustehenden Ermessen nicht ausgeübt hat. Nach § 23 WVG kann die Aufsichtsbehörde unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen Personen gegen ihren Willen zur Mitgliedschaft heranziehen, die Heranziehung steht nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift in ihrem Ermessen (so auch OVG für das Land Nordrhein - Westfalen, Urt. v. 13. Juli 2010 - 20 A 1896/08 - vgl. Hasche in Reinhardt/Hasche, WVG, § 23 Rn. 25). Der Beklagte hat dies hier nicht erkannt. Vielmehr zeigt die Begründung des Bescheides vom 2. März 2009, dass er sich für verpflichtet gehalten hat, die Klägerin heranzuziehen. Der Bescheid enthält dabei allein Ausführungen dazu, dass die Voraussetzungen des § 23 WVG gegeben seien, er befasst sich weiter mit der Frage der Erforderlichkeit, wenn es heißt, um den Anträgen der Grundstückseigentümer in F. entsprechen und das Verbandsgebiet um die Gemarkung F. erweitern zu können, bedürfe es auch des Beitritts der Klägerin durch Heranziehung, weil die Flächen der Klägerin im Erweiterungsgebiet gelegen seien. Ermessenserwägungen, insbesondere Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Heranziehung enthält der Bescheid nicht. Es ist auch ansonsten nicht zu erkennen, dass vor der Heranziehung Ermessenserwägungen angestellt wurden.
Eine Reduzierung des Ermessensspielraums des Beklagten in der Weise, dass allein die Heranziehung der Klägerin als rechtmäßig angesehen werden kann, ist hier nicht ersichtlich. Eine derartige Ermessensreduzierung kommt insoweit in Betracht, als ein Wasser - und Bodenverband im Regelfall zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben auf die Beiträge der Grundstückseigentümer im Verbandsgebiet angewiesen ist. Dieser Gesichtspunkt kommt hier aber offensichtlich nicht zum Tragen, weil die Heranziehung der Klägerin - wie die Anlage zu dem Bescheid vom 2. März 2009 zeigt - unter der Maßgabe der Beitragsfreiheit für alle ihre Flächen erfolgt ist. Im Rahmen der Ermessensausübung wäre im Übrigen zu prüfen, inwieweit die Grundstücke der Klägerin für den Beigeladenen zur Erfüllung der Verbandsaufgaben mit Rücksicht auf ihren Charakter als Bahnanlagen nutzbar sind. Soweit sie zu Zwecken des Eisenbahnverkehrs gewidmet sind ist dies nämlich nur nach Maßgabe des § 35 WVG möglich. Die Benutzung von Grundstücken, die öffentlichen Zwecken dienen, bedarf danach der Zustimmung der zuständigen Verwaltungsbehörde, soweit sie nicht durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine Nutzung in der Weise, wie sie der Vertreter im Termin zu mündlichen Verhandlung angesprochen hat, nämlich ohne in jedem Fall vorher um Genehmigung nachzusuchen, scheidet danach aus.
Rein vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass die Klägerin allerdings entgegen ihrer Auffassung zu dem Personenkreis der möglichen Verbandsmitglieder im Sinne des § 4 WVG gehört. Sie kann als Eigentümerin der in dem angefochtenen Bescheid genannten Grundstücke Verbandsmitglied im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 WVG sein. Die Mitgliedschaft ist verdinglicht und ist allein durch das Eigentum an einem der beteiligten Grundstücke und Anlagen bedingt (Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BTDrs. 11/6764 S. 24). Auch wenn alle ihre betroffenen Grundstücke - wie die Klägerin angibt - zu Eisenbahnbetriebszwecken planfestgestellt sind, schließt dies eine Heranziehung nicht von vorneherein aus. Zwar umfasst die Gestaltungswirkung der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung auch die Widmung der Anlagen für den öffentlichen Eisenbahnverkehr und begründet damit den öffentlich - rechtlichen Sonderstatus der betroffenen Flächen als öffentliche Sachen (zum Vorstehenden: Vallendar in Beck'scher AEG Kommentar, § 18 Rn. 35 m.w.N). Dieser Status hat jedoch keine Ausschlusswirkung in dem Sinne, dass eine Mitgliedschaft des betreffenden Grundeigentümers in einem Wasser - und Bodenverband ausscheidet. Insbesondere zeigt auch § 35 WVG, dass öffentlich - rechtlich gewidmete Flächen Teil des Gebietes eines Wasser - und Bodenverbandes und deren Eigentümer Mitglied im Verband sein können. Im Übrigen führt die Widmung für Zwecke des Eisenbahnverkehrs nicht zu einem generellen Ausschluss anderer Nutzungen außerhalb des allgemeinen Verkehrsgebrauchs. Solche sind nämlich auch dann zulässig, wenn ein besonderes Nutzungsverhältnis dazu berechtigt (§ 62 Abs. 1 der Eisenbahnbetriebsordnung - EBO -).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO; dabei entsprach es der Billigkeit, die Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil er keinen Antrag gestellt hat und sich einem Kostenrisiko selbst nicht ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.