Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.11.2009, Az.: 1 Ws 614/09
Widerruf der Strafaussetzung bei erneuter Bewährungsstrafe; Zeitnahe Entscheidung nach Ablauf der ersten Bewährungszeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 27.11.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ws 614/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 46942
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:1127.1WS614.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 20.10.2009 - AZ: 24 BRs 118/09
- LG Oldenburg - 20.10.2009 - AZ: 24 BRs 119/09
Rechtsgrundlage
- § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB
Amtlicher Leitsatz
Ist über den Widerruf einer Strafaussetzung zu entscheiden, weil der Verurteilte sich erneut strafbar gemacht hat und deshalb zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, so kann nach Ablauf der Bewährungszeit das Widerrufsverfahren nicht ohne Treffen einer Entscheidung in der Schwebe gehalten werden, um abzuwarten, ob der Verurteilte die in der anderen Sache auferlegten Bewährungsweisungen befolgt.
Tenor:
Auf die sofortigen Beschwerden der Verurteilten werden die Beschlüsse des Landgerichts Oldenburg - Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Vechta - vom 20. Oktober 2009, mit denen das Landgericht die der Verurteilen mit Beschlüssen der Strafvollstreckungskammer vom 08. Dezember 2005 hinsichtlich der zweiten Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Norden vom 14.10.2004 und des Amtsgerichts Holzminden vom 17.05.2004 bewilligten Strafaussetzungen zur Bewährung widerrufen hat, aufgehoben.
Die Strafen aus den Urteilen der Amtsgerichte Norden vom 14.10.2004 und Holzminden vom 17.05.2004 werden nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren und die insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen der Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Die Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Norden vom 14.10.2004 wegen veruntreuender Unterschlagung in zwei Fällen, wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in drei Fällen sowie wegen versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Bergisch-Gladbach vom 17.10.2003 und des Amtsgerichts Nordheim vom 01.12.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Außerdem wurde sie durch Urteil des Amtsgerichts Holzminden vom 17.05.2004 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg - Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Vechta - vom 08.12.2005 wurde jeweils die Vollstreckung der zweiten Hälfte der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt.
Die auf drei Jahre festgesetzte Bewährungszeit wurde in beiden Verfahren jeweils um ein halbes Jahr verlängert, weil die Verurteilte innerhalb der Bewährungszeiten durch Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen vom 02.06.2006 wegen Beförderungserschleichung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.
Die Bewährungszeit ist in beiden Verfahren im Juni 2009 abgelaufen.
Die Verurteilte ist in den Bewährungszeiten erneut straffällig geworden. Das Landgericht Hildesheim, 3. große Strafkammer, verurteilte sie am 16.03.2009 unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Peine vom 01.07.2008 wegen Sachbeschädigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Außerdem wurde ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, die Unterbringung aber ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt (14 KLs 17 Js 2988/08).
Ausweislich des Urteils des Landgerichts Hildesheim besteht bei der Verurteilten eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung von Borderlinetypus, die durch affektive Schwankungen und die Tendenz gekennzeichnet ist, Impulse auszuagieren ohne Berücksichtigung der Konsequenzen. Die Gesamtfreiheitsstrafe wurde unter Auflagen (u.a. stationäre Therapie und Arbeitsauflage) zur Bewährung ausgesetzt, weil die Verurteilte ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einer stationären Therapie erklärt hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bewährungsbeschluss vom 16.03.2009 Bezug genommen.
Im Mai 2009 beantragten die Staatsanwaltschaft Aurich und Hildesheim die Bewährungszeit im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 16.03.2009 erneut um sechs Monate bzw. um ein weiteres Jahr zu verlängern.
Mit Schreiben der Strafvollstreckungskammer vom 02.07.2009 wurde der Verurteilten mitgeteilt, dass sie aufgrund der Nachverurteilung mindestens mit einer Verlängerung der Bewährungszeit rechnen müsse, die Kammer sich aber auch den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung vorbehalte. Im Hinblick auf die Bewährungsentscheidung des Landgerichts Hildesheim und negative Berichte der Bewährungshilfe im genannten Verfahren wurde der Verurteilten zur Abwendung der Einleitung der Widerrufsverfahren Gelegenheit gegeben, diese Bewährungsauflagen zu erfüllen, insbesondere sich tatsächlich im Wohnheim S... aufzuhalten, an den dortigen Therapiemaßnahmen teilzunehmen und umgehend die Ableistung der Arbeitsstunden im Tierheim B... wieder aufzunehmen. Nachdem die Verurteilte sich im August 2009 überwiegend im Wohnheim S... aufgehalten und die Ableistung der Arbeitsstunden wieder aufgenommen hatte, brach sie die in der A... Klinik in ... begonnene stationäre Therapie bereits nach wenigen Tagen ab Die Strafvollstreckungskammer erließ daraufhin am 01.10.2009 in jenem Verfahren einen Sicherungshaftbefehl, der zur Zeit vollstreckt wird (24 BRs 96/09 LG Oldenburg, StVK Vechta/17 Js 2988/08 Staatsanwaltschaft Hildesheim).
Mit Beschlüssen vom 20.10.2009 hat die Vollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg die Strafaussetzungen zur Bewährung aus den Urteilen der Amtsgerichte Norden und Holzminden widerrufen.
Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden der Verurteilten sind zulässig und haben in der Sache Erfolg.
Zwar ist der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit zulässig. Die angefochtenen Entscheidungen halten aber einer Überprüfung unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung nicht stand.
Kommt aufgrund neuer Umstände eine Änderung der Bewährungsentscheidung in Betracht, so ist hierüber zeitnah zu entscheiden. Eine Zurückstellung der Entscheidung ist nicht zulässig, vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl. § 56f Rdn. 19 m.w.Nachweisen.
Da in der Nachverurteilung durch das Landgericht Hildesheim wiederum Strafaussetzung und auch Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gewährt worden war, hat die Strafvollstreckungskammer den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in den beiden vorliegenden Verfahren zu Recht nicht auf § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt, zumal sie im maßgeblichen Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Widerrufsgrund der Nachverurteilung nicht über bessere Prognosemöglichkeiten als das erkennende Gericht verfügte. Die Strafvollstreckungskammer hat aber, obwohl ihr die Nachverurteilung seit April 2009 bekannt war, die Bewährungen erst mit Beschlüssen vom 20.10.2009 widerrufen, nachdem die Verurteilte die stationäre Therapie in ... abgebrochen hatte. Seit der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Hildesheim waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als sieben Monate und seit Ablauf der Bewährungszeiten vier Monate vergangen.
Durch das Verfahren der Strafvollstreckungskammer ist die Bewährungszeit in den beiden vorliegenden Sachen nicht durch förmlichen Beschluss, aber praktisch gleichwohl verlängert worden, um zu überprüfen, ob sich die Verurteilte zukünftig an die in anderer Sache erteilten Bewährungsauflagen halten werde. Ein derartiges Verfahren ist dem Gesetz fremd und mit dem o.g. Grundsatz der Beschleunigung nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass der Verurteilten nicht vorgeworfen wird, dass sie gegen Weisungen oder Auflagen aus den Bewährungsbeschlüssen vom 08.12.2004 in den hiesigen Verfahren verstoßen habe, sondern ein Bewährungsversagen in anderer Sache.
Die angefochtenen Beschlüsse waren deshalb aufzuheben. Die Strafen aus den Urteilen der Amtsgerichte Norden und Holzminden waren nach § 56g Abs. 1 StGB zu erlassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.