Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.11.2009, Az.: 1 Ss 167/09
Feststellungen zur Schuldfähigkeit bei Alkoholgenuss; Sachverständigenbeweis bei hohem Blutalkoholwert und Leberschädigung sowie Betäubungsmittelgebrauch
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 03.11.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ss 167/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 46934
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:1103.1SS167.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 27.05.2009 - AZ: 12 Ns 83/09
Rechtsgrundlagen
- § 244 Abs. 2 StPO
- § 20 StGB
Fundstellen
- Blutalkohol 2010, 28
- StRR 2010, 83 (amtl. Leitsatz)
- VRR 2010, 83
Amtlicher Leitsatz
Bei einem Blutalkoholgehalt von rund 3 g Promille kann eine Schuldfähigkeit des Angeklagten jedenfalls dann nicht ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen ausreichend sicher festgestellt werden, wenn der Angeklagte eine Lebervorschädigung aufwies und längere Zeit alkoholabstinent gelebt hatte oder wenn er zugleich nicht unerheblich mit einem Betäubungsmittelwirkstoff (hier: THC) intoxiert war.
Tenor:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 27. Mai 2009 in den sie betreffenden Schuld und Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zum Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.
Die Schriftsätze von Rechtsanwalt ... vom 28. Oktober 2009 und Rechtsanwalt ... vom 30.10.2009 haben dem Senat vorgelegen. Sie geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückverwiesen. Diese hat auch über die Kosten der Revisionen zu entscheiden.
Gründe
Das Amtsgericht Delmenhorst Schöffengericht hat die Angeklagten am 29. Januar 2009 wegen gemeinschaftlich versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gemeinschaftlich gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, den Angeklagten K... zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und den Angeklagten M... zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die von den Angeklagten gegen dieses Urteil eingelegten Berufungen hat das Landgericht Oldenburg am 27. Mai 2009 mit der Maßgabe verworfen, dass sie wegen vollendeten gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Sachbeschädigung verurteilt werden.
Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten K... und M... jeweils Revision eingelegt, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.
Die Rechtsmittel sind zulässig und teilweise begründet.
1.
Die vom Angeklagten K... erhobene Aufklärungsrüge, mit der geltend gemacht wird, das Landgericht habe ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen müssen, das seine Schuldunfähigkeit ergeben hätte, ist zulässig erhoben und begründet. Das Landgericht hat insoweit entgegen § 244 Abs. 2 StPO seine Beweisaufnahme nicht auf alle Beweismittel erstreckt, die für die Entscheidung von Bedeutung waren. Angesichts des von ihm festgestellten sehr hohen Blutalkoholwertes des Angeklagten von ca. 3 o/oo im Zeitpunkt der Tat bei bestehender Lebervorschädigung und vorangegangener zweijähriger Alkoholabstinenz drängte sich die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Klärung einer in Betracht kommenden (vgl. BGH NJW 1989, 779) Schuldunfähigkeit des Angeklagten so sehr auf, dass dem zur Wahrheitsermittlung nachzugehen war, ohne dass es eines dahingehenden Beweisantrages oder einer Beweisanregung des Angeklagten bedurft hätte.
2.
Die vom Angeklagten M... erhobene Sachrüge ist hinsichtlich des Schuld und Strafausspruches begründet. Bei Berechnung des Blutalkoholwertes hat das Landgericht übersehen, dass bei der Rückrechnung vom Zeitpunkt der Blutentnahme auf die Tatzeit neben dem stündlichen Abbauwert von 0,2 o/oo zusätzlich ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 o/oo anzusetzen ist, vgl. Fischer, StGB,§ 20 Rdn. 13 m. w. Nachw.. Bei Einbeziehung eines solchen Zuschlags hätte sich ein Blutalkoholwert des Angeklagten zum Tatzeitpunkt von 3 o/oo ergeben. Dieser sehr hohe Wert legt die Möglichkeit nahe, dass der Angeklagte zur Tatzeit nicht mehr schuldfähig war. Dies hat das Landgericht zwar geprüft, allerdings nur lückenhaft und deshalb rechtsfehlerhaft. Denn es hat insoweit lediglich auf den Eindruck abgestellt, den die Zeugen M..., B... und S... vor und nach der Tat vom Angeklagten hatten. Wegen der ebenfalls festgestellten nicht unbeträchtlichen THC-Intoxikation des Angeklagten M... in Verbindung mit dem sehr hohen Blutalkoholwert konnte das Landgericht allein aufgrund dieser Zeugenaussagen, zumal diese wenig konkret waren, aber nicht ausreichend sicher eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten ausschließen. Eine sichere Feststellung, dass der Angeklagte nicht schuldunfähig war, konnte nach Lage des Falles vielmehr nur mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen erlangt werden.
3.
Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern können die Schuld und der Strafaussprüche beruhen. Denn im Falle einer festgestellten Schuldunfähigkeit hätten die Angeklagten nicht wie geschehen verurteilt werden können.
4.
Das angefochtene Urteil war deshalb in den die revisionsführenden Angeklagten betreffenden Schuld und Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, ohne dass es noch eines Eingehens auf die weiteren Revisionsrügen, soweit sie sich gegen den Schuld bzw. Strafausspruch richten, bedurfte. Im Umfang der Aufhebung war die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revisionen zu entscheiden hat.
Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen, dem Verhalten der Angeklagten und ihrem Wissen und Wollen bei der Tatausführung sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben. Insoweit sind die Revisionen im Sinne von§ 349 Abs. 2 StPO unbegründet.