Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 08.07.1980, Az.: 14 U 201/79
Rechtsschutzinteresse an der Vaterschaftsfeststellung nach Adoption; Vermutung des § 1600o Abs. 2 Satz 1 BGB; Untergang von Ansprüchen auf rückständigen Unterhalt durch Adoption
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.07.1980
- Aktenzeichen
- 14 U 201/79
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1980, 12151
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1980:0708.14U201.79.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 31.10.1979 - AZ: 1 C 287/77
Verfahrensgegenstand
Feststellung der Vaterschaft, und Zahlung von Regelunterhalt
Prozessführer
des Arbeiters ...,
Prozessgegner
den am ... geborenen ...,
das Jugendamt der ... 1,
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 1980
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 31. Oktober 1979 wird zurückgewiesen, jedoch wird das Urteil wie folgt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß der Beklagte der Vater des Klägers ist.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger zu Händen des gesetzlichen Vertreters den dem Kläger für die Zeit vom 8. Juni 1977 bis 20. Dezember 1977 zustehenden Regelunterhalt zu zahlen.
Im übrigen - soweit der Kläger Regelunterhalt für die Zeit ab 21. Dezember 1977 bis zur Vollendung seines 18. Lebensjahres verlangt hat - ist die Hauptsache erledigt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Soweit der Beklagte zur Zahlung von Regelunterhalt verurteilt worden ist, wird gegen dieses Urteil die Revision zugelassen.
Tatbestand
Der am ... 1977 außerehelich geborene und im Juli 1979 - im Wege der sog. Inkognito-Adoption - adoptierte Kläger begehrt die Feststellung, daß der Beklagte sein Vater sei, und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Regelunterhalt. Er hat behauptet, seine Mutter habe mit dem Beklagten in der Zeit vom ... bis ... 1976 (Empfängniszeit im Sinne des § 1592 BGB) geschlechtlich verkehrt.
Mit seiner im Oktober 1977 erhobenen Klage hat er beantragt,
- 1.
festzustellen, daß der Beklagte sein Vater sei;
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, ihm zu Händen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters vom ... 1977 (Tag der Geburt) an bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres den Regelunterhalt monatlich im voraus zu zahlen, die rückständigen Beträge sofort.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat eingeräumt, mit der Mutter des Klägers einmal - gegen Entgelt - geschlechtlich verkehrt zu haben; aber behauptet, den Zeitpunkt nicht mehr zu wissen. Er hat eingewandt, daß die Mutter des Klägers damals mit vielen Männern geschlechtlich verkehrt habe, weil sie der gewerblichen Unzucht nachgegangen sei.
Das Amtsgericht hat, nachdem es den Beklagten als Partei vernommen und ein serologisch-serostatistisches Abstammungsgutachten des Sachverständigen Professor Dr. ... eingeholt hatte, das nach der Methode von Essen-Möller eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit für den Beklagten von 99 % ergeben hat, durch das angefochtene Urteil der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Mit seiner Berufung bringt der Beklagte vor: Wegen der Adoption bestehe kein Rechtsschutzinteresse für die Feststellungsklage und kein Anspruch auf rückständigen Unterhalt mehr. Weiter behauptet er jetzt, in der Empfängniszeit nicht mit der Mutter des Klägers geschlechtlich verkehrt zu haben. Außerdem wiederholt er sein Vorbringen, daß die Mutter des Klägers der gewerblichen Unzucht nachgegangen sei, und behauptet er, daß sie insbesondere auch mit ihrem Verlobten ... geschlechtlich verkehrt habe.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat erklärt, daß, soweit er Zahlung des Regelunterhalts für die Zeit ab 21. Dezember 1977 verlangt habe, die Hauptsache erledigt sei und er insoweit auf die Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichte. Der Beklagte hat sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten im übrigen zurückzuweisen.
Er trägt vor, seine Adoptiveltern hätten ihn am 21. Dezember 1977 in ihren Haushalt aufgenommen und ihm seitdem Unterhalt gewährt.
Der Sachverständige Professor Dr. ... ist in einem auf Anordnung des Senats eingeholten serologisch-serostatistischen Ergänzungsgutachten zu dem Ergebnis gelangt, daß die Vaterschaftswahrscheinlichkeit für den Beklagten nach Essen-Möller 99,65 % betrage und sich außerdem weitere Hinweise auf die Vaterschaft des Beklagten ergäben.
Auf die Gutachten des Sachverständigen vom 22. August 1979 (Bl. 38-39 d.A.) und vom 27. Mai 1980 (Bl. 102-104 d.A.) wird Bezug genommen. Die Mutter des Klägers hat bei ihrer Vernehmung als Zeugin vor dem Senat erklärt, daß sie mit dem Beklagten in der Empfängniszeit mehrfach geschlechtlich verkehrt habe; wegen der Einzelheiten ihrer Aussage wird auf das Vernehmungsprotokoll vom 20. Juni 1980 verwiesen (Bl. 117 R - 118 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet.
I.
1.
Trotz der Adoption hat der Kläger noch ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, daß der Beklagte sein Vater ist (vgl. dazu Lüderitz in MünchKomm. zum BGB, § 1755 Rdn. 16):
a)
Er hat grundsätzlich auch jetzt noch ein schutzwürdiges natürliches Interesse daran, daß festgestellt wird, wer tatsächlich sein Vater ist.
b)
Darüber hinaus besteht für ihn auch noch weiter ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Vaterschaft:
aa)
Im Ehe- und im Verfahrensrecht wirkt die leibliche Verwandtschaft trotz Adoption fort (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EheG; §§ 41 Nr. 3, 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO; §§ 22 Nr. 3, 52 Nr. 3 StPO).
bb)
Wird die Adoption aufgehoben, so wird die leibliche Verwandtschaft mit entsprechenden Rechtsfolgen im Erb- und Unterhaltsrecht wiederhergestellt (§ 1764 Abs. 3 BGB), dann unter Umständen zu einer Zeit, in der die Vaterschaft nicht mehr geklärt werden kann.
2.
Aufgrund der Beweisaufnahme ist festzustellen, daß der Beklagte der Vater des Klägers ist.
a)
Die Vaterschaft des Beklagten wird vermutet, weil er der Mutter des Klägers in der gesetzlichen Empfängsniszeit beigewohnt hat (§ 1600 o Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Beweisaufnahme hat eindeutig ergeben, daß die Mutter des Klägers während dieser Zeit mehrfach mit dem Beklagten geschlechtlich verkehrt hat. Das hat die Mutter des Klägers bei ihrer Vernehmung vor dem Senat glaubhaft bekundet. Der Beklagte, der bei der Vernehmung zugegen war, hat auch keine Einwände gegen diese Aussage erhoben, sondern der Zeugin nur vorgehalten, daß sie auch mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt habe. Der in dem Vernehmungsprotokoll enthaltene Vorhalt, daß der Beklagte behauptet habe, er habe nur einmal mit der Mutter des Klägers geschlechtlich verkehrt, ist der Zeugin nicht von dem Beklagten oder seinem Prozeßbevollmächtigten, sondern von dem Berichterstatter gemacht worden.
b)
Auch nach Würdigung aller Umstände verbleiben keine schwerwiegenden Zweifel, welche die Vermutung der Vaterschaft entkräften (§ 1600 o Abs. 2 Satz 2 BGB).
aa)
Die Vaterschaftswahrscheinlichkeit nach Essen-Möller von 99,65 %, die der Sachverständige Professor Dr. ... errechnet hat, bedeutet, daß nur in 35 von 10.000 Fällen, in denen Mutter, Kind und vermeintlicher Erzeuger dieselben Blutmerkmale aufweisen wie im vorliegenden Fall, die Feststellung, daß der vermeintliche Erzeuger der Vater sei, falsch wäre. Der Rechenansatz von Essen-Möller geht dabei von der Annahme aus, daß die Mutter in der Hälfte aller Fälle den wirklichen Erzeuger als Vater angibt.
bb)
Die Untersuchung des Sachverständigen Professor Dr. ... hat im HLA-System noch zwei zusätzliche Hinweise auf die Vaterschaft des Beklagten erbracht:
Bei dem früheren Merkmal Bw 16, das jetzt in die Merkmale Bw 38 und Bw 39 unterteilt wird, liegt eine Übereinstimmung der Parteien bei Bw 38 vor, die - mangels ausreichenden statistischen Zahlenmaterials - bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeit noch nicht berücksichtigt werden konnte.
Außerdem besteht bei den Parteien noch eine Übereinstimmung bei Cw 3, die aus den gleichen Gründen ebenfalls nicht in die Wahrscheinlichkeitsberechnung einbezogen werden konnte.
cc)
Für die Vaterschaft des Beklagten spricht auch die Aussage der Mutter des Klägers, daß sie mit dem Beklagten ohne Schutzmittel verkehrt habe, während sie sonst Schutzmittel verwandt habe.
dd)
Alle diese Umstände sprechen so sehr für die Vaterschaft des Beklagten, daß der Senat weitere Beweiserhebung darüber nicht für erforderlich hält.
Eine erbbiologische Untersuchung kann bei einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit nach Essen-Möller von über 99 % keinen Gegenbeweis mehr erbringen (vgl. BGH FamRZ 74, 181).
Der Senat hält es auch nicht mehr für geboten, den Verlobten ... der Mutter des Klägers in die serologische Untersuchung mit einzubeziehen. Er ist der Überzeugung, daß dieser den Umständen nach ebensowenig als Vater des Klägers in Betracht kommt wie die anderen Männer, mit denen die Mutter des Klägers in der gesetzlichen Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt hat und die sonst auch noch - soweit sie überhaupt zu ermitteln wären - mituntersucht werden müßten.
II.
1.
Als Vater des Klägers ist der Beklagte verpflichtet, dem Kläger vom Tage der Geburt, dem ... 1977, bis zum ... 1977 den Regelunterhalt zu zahlen (§§ 1615 d, 1615 f BGB). Der Anspruch des Klägers auf diesen rückständigen Unterhalt ist nach Ansicht des Senats durch die Adoption nicht entfallen.
a)
Zwar wird die Ansicht vertreten, daß nach § 1755 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz BGB durch die Adoption auch die Ansprüche des Kindes auf rückständigen Unterhalt untergehen (Diederichsen in Palandt, BGB, 39. Aufl., § 1755, Anm. 1 d; Zopfs, FamRZ 79, 385). Zum Teil wird das aus dem angeblich eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung gefolgert (Diederichsen a.a.O.), zum Teil aus dem Zweck der Volladoption abgeleitet (Zopfs a.a.O.).
b)
Demgegenüber geht die - wohl überwiegende - Meinung dahin, daß sich § 1755 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz BGB nicht auf rückständigen Unterhalt bezieht (Ruthe FamRZ 77, 30 f.; 79, 388 f.; Brüggemann, DAVorm 79, 81 f.; Lüderitz in MünchKomm. zum BGB, § 1755 Rdn. 18; Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 3. Aufl., IX § 62 Nr. 1 und Fußn. 1; Roth-Stielow, Adoptionsgesetz, § 1755 BGB, Anm. 4; OLG Hamburg FamRZ 79, 180 f.; zweifelnd Oderski, Nichtehelichengesetz, 4. Aufl., § 1755 BGB, Rdn. 44).
c)
Der Senat schließt sich dieser Meinung an: Der Wortlaut des § 1755 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz BGB ist unklar. Das zeigt schon der darüber entstandene Meinungsstreit. Angesichts dieser Unklarheit ist es nicht geboten, die Bestimmung so auszulegen, daß durch die Adoption auch Ansprüche auf rückständigen Unterhalt entfallen (vgl. Gernhuber a.a.O.). Dadurch würde der Unterhaltsschuldner in ungerechtfertigter Weise entlastet und insbesondere auch der nichteheliche Vater, der seine Zahlungen hinauszögert, in unbilliger Weise demjenigen nichtehelichen Vater gegenüber bessergestellt, der den Unterhalt freiwillig zahlt. Außerdem würden dem Kind und auch sonstigen Dritten, auf die Unterhaltsansprüche des Kindes übergegangen sind, weil sie dem Kind Unterhalt gewährten (§ 1615 b BGB), diese Ansprüche genommen, ohne daß eine solche "Enteignung" zwingend geboten wäre.
d)
Da die Entscheidung dieser Streitfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist, läßt der Senat gegen dieses Urteil, soweit der Beklagte dadurch zur Zahlung von Regelunterhalt verurteilt wird, die Revision zu (§ 576 Abs. 1 ZPO).
2.
Soweit der Kläger Regelunterhalt ab 21. Dezember 1977 verlangt hat, ist die Hauptsache erledigt.
a)
Der Anspruch des Klägers auf Regelunterhalt war bei Klagerhebung im Oktober 1977 - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - zunächst in vollem Umfang begründet.
b)
Er ist dann durch die Adoption gemäß § 1755 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz BGB für die Zeit ab Juli 1979 erloschen. Dadurch hat er sich von diesem Zeitpunkt ab erledigt.
Für die Zeit vom ... 1977 bis zur Adoption ist eine Erledigung des Anspruchs auf Zahlung von Regelunterhalt dadurch eingetreten, daß - wie aus der Verzichtserklärung des Klägers zu entnehmen ist - derjenige, auf den der Anspruch übergegangen ist, weil er dem Kläger als Vater Unterhalt gewährt hat, (§ 1615 b BGB) sich entschlossen hat, keine Ansprüche gegen den Beklagten mehr geltend zu machen.
III.
Da die Berufung des Beklagten und auch seine Verteidigung gegen die Erledigungserklärung des Klägers keinen Erfolg haben, muß der Beklagte - außer den ihm zu Recht auferlegten Kosten erster Instanz - auch die Kosten der Berufung tragen (§§ 97 Abs. 1, 91 ZPO). Wenn auch der Kläger die Erledigungserklärung - zumindest, soweit sie sich aus der Adoption ergab - schon in erster Instanz hätte abgeben können, so sind doch durch dieses verzögerliche Verhalten des Klägers keine zusätzlichen Kosten entstanden, da sich der Streitwert hier allein nach dem Wert des nicht vermögensrechtlichen Feststellungsanspruchs bestimmt (§ 12 Abs. 3 GKG).