Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.08.2024, Az.: 1 Ws 210/23

Rückforderung bereits an den Pflichtverteidiger ausgezahlter Vergütung nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres; Einrede der Verjährung des Zahlungsempfängers gegen den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nach Ablauf der dreijährigen Frist des § 195 BGB

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
07.08.2024
Aktenzeichen
1 Ws 210/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 21372
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2024:0807.1WS210.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 27.12.2019
LG Göttingen - 03.08.2023 - AZ: 1 KLs 13/19

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Rückforderung von Gebühren und Auslagen, die ein Pflichtverteidiger erhalten hat, ist mangels analoger Anwendbarkeit der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG auch nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres nicht ausgeschlossen.

  2. 2.

    Der Zahlungsempfänger kann sich gegen den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nach Ablauf der dreijährigen Frist des § 195 BGB mit der Einrede der Verjährung verteidigen.

In dem Beschwerdeverfahren
des Rechtsanwalt X,
- Beschwerdeführer -
gegen
das Land Niedersachsen, vertreten durch die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Göttingen, Berliner Straße 8, 37073 Göttingen,
- Beschwerdegegner -
betreffend das Verfahren des Angeklagten Y wegen Bandendiebstahls
hier: Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen die Rückzahlung bereits ausgezahlter Vergütung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 7. August 2024 beschlossen:

Tenor:

Die Entscheidung über die Beschwerde wird auf den Senat übertragen (Beschluss des Einzelrichters).

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 3. August 2023 wird als unbegründet verworfen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Der Beschwerdeführer wurde dem ehemaligen Angeklagten Y in dem wegen Bandendiebstahls geführten Verfahren der Staatsanwaltschaft Göttingen 62 Js 3528/19 mit Beschluss vom 7. Februar 2019 (Bd. I Bl. 91) als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Göttingen vom 27. Dezember 2019 (versehentlich auf 2010 datiert) wurde die Wirkung der Beiordnung nach Anklageerhebung, die unter dem 27. Mai 2019 erfolgte, auf hinzuverbundene Verfahren erstreckt.

Durch Beschluss vom 4. März 2020 (Protokollband I Bl. 143 f.) wurde das Verfahren gegen den ehemaligen Angeklagten Y dann während der Hauptverhandlung abgetrennt (neues Aktenzeichen 1 KLs 601 Js 4491/22) und später im Hinblick auf das ebenfalls beim Landgericht Göttingen geführte Verfahren 6 Ks 34 Js 34413/18 gemäß § 154 StPO eingestellt (Bd. VIII d.A. 601 Js 4491/22).

Mit Schriftsatz vom 14. März 2020 hat der Beschwerdeführer die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von 10.881,84 € begehrt. Darin enthalten sind auch die Grundgebühr (Nr. 4101 VV RVG), die Verfahrensgebühr (Nr. 4105 VV RVG) und die Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) für insgesamt 10 Verfahren, die die Staatsanwaltschaft mit Abschlussverfügung vom 28. Mai 2019 zum Verfahren 62 Js 3528/19 hinzuverbunden hat (Bd. IV Bl. 31 ff.). Die Gebühren und Auslagen sind antragsgemäß festgesetzt und ausgezahlt worden.

Mit Schriftsatz vom 19. November 2021 hat der Beschwerdeführer zudem beantragt,ihm eine Pauschgebühr gemäß § 51 RVG in Höhe von weiteren 2.000,- € zu bewilligen. Wegen der Einzelheiten wird auf den am 19. November 2021 beim Landgericht Göttingen und danach am 3. Januar 2022 beim Senat eingegangenen Antrag verwiesen.

Im Rahmen des beim Senat anhängigen Pauschgebührenverfahrens (1 ARs 1/22) hat der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig dahingehend Stellung genommen, dass die Akten vor der Entscheidung über die Pauschgebühr zunächst der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Göttingen vorgelegt werden mögen. Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Göttingen möge vorab prüfen, ob die Festsetzung mit der Erinnerung anzugreifen sei, da die gesetzlichen Gebühren und Auslagen unzutreffend festgesetzt worden seien. Gebühren und Auslagen für die hinzuverbundenen Verfahren könnten nicht verlangt werden, weil der Beschwerdeführer vor der Verbindung in jenen Verfahren gar keine Tätigkeit entfaltet habe.

Der daraufhin mit Verfügung der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Göttingen vom 28. Juli 2022 angebrachten Erinnerung hat die Urkundsbeamtin des Landgerichts Göttingen abgeholfen und durch Entscheidung vom 30. Dezember 2022 wie beantragt einen Betrag von 4.438,70 € inklusive Umsatzsteuer (10 x 373, - € x 1,19 = 4.438,70 €) zurückgefordert.

Daraufhin hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 2. Januar 2023 im Verfahren 1 ARs 1/22 zunächst beim Senat eine an den abgesetzten Betrag angepasste Pauschgebühr in Höhe von nunmehr weiteren 6.500,- € (statt 2.000,- €) gefordert. Außerdem hat er mit Schriftsatz vom 13. Januar 2023 seinerseits Erinnerung gegen den Beschluss der Urkundsbeamtin vom 30. Dezember 2022 angebracht.

Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers hat die zuständige Einzelrichterin des Landgerichts Göttingen den Beschluss vom 30. Dezember 2022 durch den angefochtenen Beschluss unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsbehelfs dahingehend abgeändert, dass der Erinnerung der Bezirksrevisorin vom 28. Juli 2022 nur teilweise abgeholfen wird. Es seien lediglich die Positionen 13-15, 19-21 und 31-36 aus dem Kostenantrag vom 14. März 2020 in Höhe von insgesamt 1.775,48 € inklusive Umsatzsteuer (373,- € x 4 = 1.492,- € x 1,19 = 1.775,48 €) zurückzufordern. Denn in jenen Verfahren (Fallakten 8, 12, 19.1 und 19.2) habe der Beschwerdeführer weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass er vor der Verbindung bereits eine gebührenauslösende Tätigkeit entfaltet habe.

Hiergegen richtet sich die mit Schreiben vom 4. September 2023 beim Landgericht Göttingen eingelegte Beschwerde, die noch am selben Tag bei Gericht eingegangen ist. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse in entsprechender Anwendung von § 20 GKG verwirkt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 4. September 2023 verwiesen.

II.

Die Entscheidung über die Beschwerde war wegen grundsätzlicher Bedeutung vom Einzelrichter auf den Senat zu übertragen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG). Das Rechtsmittel ist statthaft (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG) und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht angebracht (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG), hat indes in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die Kammer hat mit Recht festgestellt, dass der Beschwerdeführer verpflichtet ist, insgesamt 1.775,48 € inklusive Umsatzsteuer zurückzuzahlen. (373,- € x 4 = 1.492,- € x 1,19 = 1.775,48 €). Dieser Betrag entspricht der Grundgebühr (Nr. 4101 VV RVG), der Verfahrensgebühr (Nr. 4105 VV RVG) und der Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) für insgesamt 4 hinzuverbundene Sachen (Fallakten 8, 12, 19.1 und 19.2). Die Kammer hat im angefochtenen Beschluss, auf den der Senat insoweit verweist, zutreffend dargelegt, dass der Beschwerdeführer keine konkrete gebührenauslösende Tätigkeit gemäß §§ 55 Abs. 5 Satz 1 RVG, 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht hat.

2.

Die Rückforderung ist auch nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen. Ob und in welcher Weise die Rückforderung einer überhöht festgesetzten und ausgezahlten Vergütung einer zeitlichen Begrenzung unterliegt, ist streitig. Eine Auffassung zieht die gesetzliche Wertung zur Nachforderung von Kosten wegen eines unrichtigen Ansatzes (§§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG) heran und meint, dass die Rückforderung nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres ausgeschlossen sei (OLG Brandenburg, Beschluss vom 10. September 2009, 2 Ws 125/09, juris, Rn. 18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. August 2019, II-1 WF 128/19, juris, Rn. 11). Demgegenüber wird unter Hinweis auf die gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG unbefristete Erinnerungsbefugnis die Auffassung vertreten, dass die genannten Vorschriften nicht eingreifen und die Rückforderungsbefugnis der Staatskasse allenfalls im Rechtsinstitut der Verwirkung seine Grenze findet. Es sei eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, die Erinnerung nicht zeitlich zu befristen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2017, I-10 W 35-37/17, juris, Rn. 5; LAG München, Beschluss vom 4. März 2014, 1 Ta 416/12, juris, Rn. 18).

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an und hält die analoge Anwendung der starren Fristen der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG auf die Rückforderung von Gebühren und Auslagen von einem Pflichtverteidiger für verfehlt. Die Nachforderung von Kosten wegen eines unrichtigen Ansatzes ist nicht mit der unzutreffenden Auszahlung von Gebühren und Auslagen eines Pflichtverteidigers vergleichbar. Hätte der Gesetzgeber die Rückforderung in solchen Fällen an eine konkrete Frist knüpfen wollen, hätte es ihm freigestanden, eine entsprechende Regelung zu treffen. Davon hat der Gesetzgeber abgesehen und sich vielmehr bewusst entschieden, die Erinnerung nicht zeitlich zu befristen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2017, I-10 W 35-37/17, juris, Rn. 5; LAG München, Beschluss vom 4. März 2014, 1 Ta 416/12, juris, Rn. 18). Das Landgericht hat im angefochtenen Beschluss zutreffend auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf der Bundesregierung des Justizkommunikationsgesetzes vom 23. Februar 2005 (Bt-Drs. 15/4952) hingewiesen, wonach die Neufassung von § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG klarstellen sollte, dass die Erinnerung gegen die Vergütung zeitlich nicht befristet ist (Seiten 41 und 51 der Drucksache).

Gerade der vorliegende Fall, bei dem zugleich ein Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) gestellt ist, zeigt, dass die kurze Frist der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG für den Rückforderungsanspruch nicht angemessen ist. Denn bei Festsetzung einer Pauschgebühr ist zu prüfen, ob die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten gesetzlichen Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens unzumutbar niedrig sind (§ 51 Abs. 1 Satz 1 RVG). Wäre die Rückforderung in analoger Anwendung der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres ausgeschlossen, könnte deren sich aus den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses ergebende Höhe trotz des Eingangs eines Antrags auf Bewilligung einer Pauschgebühr danach gegebenenfalls nicht mehr korrigiert werden. Denn beim Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr ist es dem Staat binnen 3 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das zugrundeliegende Verfahren rechtskräftig geworden ist, untersagt, die Einrede der an §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu bemessenden Verjährung zu erheben (OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. April 2019, 1 ARs 5/19, juris, Rn. 5; KG Berlin, Beschluss vom 15. April 2015, 1 ARs 22/14, juris, Rn. 4). Der gemäß § 51 RVG zu treffenden Senatsentscheidung fehlte somit der zutreffende Bezugspunkt.

Der Zahlungsempfänger ist trotz der Unanwendbarkeit der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG auch nicht unbegrenzt dem Erstattungsanspruch des Staates ausgesetzt. Vielmehr ist er unabhängig vom Rechtsinstitut der Verwirkung seinerseits durch die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB geschützt. Der Rückzahlungsanspruch ist als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch einzuordnen (KG Berlin, Beschluss vom 22. April 2008, 1 Ws 47/07, juris, Rn. 5; Groß in Groß Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Aufl., § 45 Rn. 8; Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, § 51 RVG Rn. 89), so dass sich die einschlägige Verjährungsregelung nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage beurteilt (BVerwG, Urteil vom 15. März 2017, 10 C 3/16, Rn. 18; BVerwG, Beschluss vom 5. November 2021, 2 B 15/21, juris, Leitsatz 1 und Rn. 11). Spricht schon allgemein viel dafür, der Sachnähe des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zum Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) durch Anwendung des § 195 BGB Rechnung zu tragen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2017; a.a.O.; Rn. 20), tritt bei der Pflichtverteidigervergütung noch hinzu, dass eine längere Verjährungsfrist auch deshalb unangemessen wäre, weil sich die Verjährungsfrist für den Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr, wie dargelegt, ebenfalls an § 195 BGB orientiert (OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. April 2019, 1 ARs 5/19, juris, Rn. 5; KG Berlin, Beschluss vom 15. April 2015, 1 ARs 22/14, juris, Rn. 4).

Die Voraussetzungen einer Verwirkung liegen ebenfalls nicht vor. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment), der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten zudem darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde ((Umstandsmoment; vgl BGH, Urteil vom 16. März 2017, I ZR 49/15, juris, Rn. 83). Bei der Bestimmung der für die Annahme einer Verwirkung hinreichenden Zeitspanne sind auch die Verjährungsfristen in den Blick zu nehmen und eine Verwirkung scheidet regelmäßig - so auch hier - aus, wenn der Anspruch gemäß § 195 BGB der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliegt (BGH, a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 26. Mai 2016, 1 Ws 245/16, juris, Rn. 10). Es fehlt zudem an einem Verhalten der Staatskasse, dem der Beschwerdeführer nach Auszahlung der Vergütung entnehmen konnte, dass der Rückforderungsanspruch nicht geltend gemacht werde.

III.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).