Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.08.2024, Az.: 1 Ws 209/23

Vergütungsfestsetzung bei anthropologischen Vergleichsgutachten anhand der im konkreten Einzelfall erbrachten sachverständigen Leistungen gemäß § 9 Abs. 2 JVEG

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
14.08.2024
Aktenzeichen
1 Ws 209/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 20881
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2024:0814.1WS209.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 16.08.2023 - AZ: 8 Qs 123/23

Amtlicher Leitsatz

Anthropologische Vergleichsgutachten sind rechtlich weder einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG genannten Sachgebiete noch einer der in Teil 2 der Anlage 1 genannten Honorargruppen M1 bis M3 zuzuordnen. Die Vergütungsfestsetzung erfolgt anhand der im konkreten Einzelfall erbrachten sachverständigen Leistungen gemäß § 9 Abs. 2 JVEG.

In dem Beschwerdeverfahren
des L a n d e s N i e d e r s a c h s e n, vertreten durch den Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig, Münzstraße 17, 38100 Braunschweig,
- beschwerdeführendes Land -
gegen
Dr. ...,
- Sachverständiger und Beschwerdegegner-
wegen Diebstahls
hier: weitere Beschwerde des Bezirksrevisors gegen die Festsetzung der Vergütung des Sachverständigen
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 14. August 2024 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 16. August 2023 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen.

  2. 2.

    Das Verfahren über die weitere Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

In einem gegen den Beschuldigten B. gerichteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls konnten von dem Täter Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras gesichert werden. Zur Feststellung, ob es sich bei der Person auf den Aufnahmen um den Beschuldigten handelte, wurde ein anthropologisches Sachverständigengutachten bei dem Beschwerdegegner, einem Fachanthropologen und Humanbiologen, in Auftrag gegeben. Zunächst erstattete der Sachverständige ein Gutachten ohne Vergleich mit dem Beschuldigten, wofür er mit Rechnung vom 30. Mai 2022 einen Betrag von 1.324,17 Euro brutto abrechnete. Nachdem der Beschuldigte inhaftiert worden war, nahm der Sachverständige diesen in Augenschein und erstattete ein weiteres Gutachten. Hierfür rechnete er unter dem 10. Januar 2023 weitere 3.155,69 Euro brutto ab. Der Sachverständige machte jeweils 120,00 Euro als Stundenhonorar geltend. Der Kostenbeamte reduzierte den Stundenlohn auf 90,00 Euro.

Sowohl der Sachverständige als auch der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig beantragten die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 JVEG.

Der Sachverständige führte aus, dass nach dem neu überarbeiteten JVEG eine Eingruppierung von anthropologischen Vergleichsgutachten in eine der Gruppen nicht mehr möglich sei und stellte klar, dass mit seiner Rechnung keine Vergütung nach einer Honorargruppe beantragt worden sei. Er begehre eine Festsetzung nach § 9 Abs. 2 JVEG. Bei Gutachten für Privatpersonen würde seit vielen Jahren mit einem Stundensatz von 180,00 Euro abgerechnet. Seit der letzten JVEG Anpassung im Jahr 2013 sei an Gerichten mit 100,00 Euro pro Stunde abgerechnet worden, sodass eine Erhöhung seit 2021 auf 120,00 Euro pro Stunde für angemessen erachtet werde. Eine Reduzierung auf 90,00 Euro pro Stunde widerspreche der derzeitigen Kostenentwicklung völlig.

Der Bezirksrevisor hielt dem entgegen, dass die erbrachten Leistungen nach der Rechtsprechung des Landgerichts Braunschweig nach der Honorargruppe M2 mit einem Stundensatz von 90,00 Euro zu vergüten seien.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 19. April 2023 (3 Gs 400/23) wurde die Vergütung des Sachverständigen auf 1.127,82 Euro (Rechnung vom 30. März 2022) und weitere 2.768,84 Euro (Rechnung vom 10. Januar 2023) festgesetzt.

Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, die Kürzung des Sachverständigenhonorars auf 90,00 Euro pro Stunde sei auf der Grundlage der Stellungnahme des Bezirksrevisors gerechtfertigt. Der Schwerpunkt der anthropologischen Begutachtung liege in der rein äußerlichen Beschreibung und dem Vergleich von Körpermerkmalen aufgrund derer dann eine Wahrscheinlichkeitsprognose hinsichtlich der Identität einer Person mit einer anderen Person angegeben wird. Damit sei die Tätigkeit des anthropologischen Sachverständigen am ehesten in die Honorargruppe M2 einzuordnen, welche eine Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge verlange. Dies entspreche auch der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Landgerichts Braunschweig.

Gegen diesen Beschluss hat der Sachverständige mit Schreiben vom 2. Mai 2023 Beschwerde eingelegt.

Auf die Beschwerde hat das Landgericht Braunschweig mit dem angefochtenen Beschluss vom 16. August 2023 (8 Qs 123/23) den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 19. April 2023 aufgehoben und die Vergütung des Sachverständigen auf 1.291,45 Euro (Rechnung vom 30. März 2022) sowie weitere 3.039,77 Euro (Rechnung vom 10. Januar 2023) festgesetzt.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Vergütung nach § 9 Abs. 2 JVEG zu erfolgen habe und entscheidend sei, welche Tätigkeiten ein anthropologisches Gutachten tatsächlich umfasse und welcher bestehenden Honorargruppe dies am ehesten entspräche. Der Sinn eines anthropologischen Lichtbildvergleichsgutachtens liege in der vergleichenden Untersuchung und Beschreibung äußerer Körpermerkmale und der Einordnung der Individualität dieser Körpermerkmale. Im Falle von Videoaufnahmen seien Einzelbilder zu trennen, zu untersuchen und gegebenenfalls digital zu bearbeiten. Daran schließe sich die Einbeziehung der möglichst perspektivisch korrekt angefertigten Vergleichsbilder der Betroffenen an. Es sei somit unzutreffend, dass anthropologische Gutachten lediglich einer beschreibenden Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge entsprechen würden. Vielmehr handele es sich um Gutachten, die zur Wahrung der Objektivität nach einem standardisierten Schema ablaufen müssten, sich aber zusätzlich konkret mit der Individualität der jeweiligen Person oder auch mehrerer zu begutachtender Personen auseinandersetzten. Dies spiegele sich in den Anforderungen an die Urteilsgründe bei der Darstellung des Ergebnisses eines anthropologischen Gutachtens wieder. Im Ergebnis sei ein solches Gutachten am ehesten mit dem grafischen Gewerbe vergleichbar. Daher betrage der angemessene Stundensatz für die Erstellung eines anthropologischen Vergleichsgutachtens im Strafverfahren 115,00 Euro analog der Honorargruppe 16 nach Anlage 1 zu § 9 JVEG.

Das Landgericht hat die weitere Beschwerde zugelassen. Da infolge der dortigen Entscheidung innerhalb des Landgerichts Braunschweig divergierende Rechtsauffassungen hinsichtlich der Vergütung von anthropologischen Sachverständigen existierten (andere Auffassung: Landgericht Braunschweig, Beschluss vom 15. November 2021, 2b Qs 291/21), sei die Herbeiführung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Mit Zuschrift vom 29. August 2023 hat der Bezirksrevisor für das Land Niedersachsen weitere Beschwerde eingelegt und beantragt, die Vergütung des Sachverständigen mit einem Stundensatz von 90,00 Euro festzusetzen und die Rückforderung des überzahlten Betrages anzuordnen. Zur Begründung hat der Bezirksrevisor ausgeführt, er mache sich die Argumentation der 2. Strafkammer des Landgerichts Braunschweig, Beschlüsse vom 15. November 2021, 2b Qs 291/21 sowie vom 17. November 2022, 2b Qs 337/22 zu eigen. Da weitere konkurrierende amtsgerichtliche Entscheidungen bekannt und ebenso Verfahren nach § 4 Abs. 3 JVEG anhängig seien, diene die hier eingelegte weitere Beschwerde der gebotenen Vereinheitlichung der Rechtsprechung im hiesigen Oberlandesgerichtsbezirk.

Der Beschwerdegegner hat auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen.

Das beschwerdeführende Land hat sein Rechtsmittel mit Schreiben vom 20. Oktober 2023 und 7. Juni 2024 weiter begründet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 229ff. und Bl. 240ff. d. A. verwiesen.

II.

Die durch die Entscheidung des Landgerichts zugelassene weitere Beschwerde ist zulässig (§ 4 Abs. 5 Satz 1 JVEG) und hat auch in der Sache Erfolg.

Der Senat ist an die Zulassung gebunden (§ 4 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 4 JVEG). Da die angefochtene Entscheidung nicht von einem Einzelrichter erlassen wurde, entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richtern (§ 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).

Die weitere Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die angegriffene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht, wobei §§ 546, 547 ZPO entsprechend gelten (§ 4 Abs. 5 Satz 2 JVEG). Aus der Anwendbarkeit des § 546 ZPO folgt zugleich, dass im Rahmen der weiteren Beschwerde nur eine Überprüfung in rechtlicher und nicht in tatsächlicher Hinsicht erfolgt (Schneider, 4. Aufl. 2021, JVEG § 4 Rn. 74; Hartmann in: Hartmann, Kostengesetze online, 4. Lieferung, 11/2022, § 4 JVEG, Rn. 33).

Dies zugrunde gelegt hat das Rechtsmittel auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg. Denn die Entscheidung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.

1.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Leistung des Sachverständigen auf dem Gebiet der Anthropologie keiner der in Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG genannten Sachgebiete entspricht, so dass die Festsetzung nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 2 JVEG durch den Gesetzgeber gebunden ist, sondern entsprechend § 9 Abs. 2 JVEG nach billigem Ermessen zu erfolgen hat.

Hierzu im Einzelnen:

a.

Die Zuordnung anthropologischer Vergleichsgutachten scheidet sowohl bezüglich Ziffer 16 des Teils 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG (Grafisches Gewerbe) als auch hinsichtlich der anderen in Teil 1 der Anlage 1 genannten Sachgebiete aus.

Mit Inkrafttreten des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes am 1. August 2013 hat der Gesetzgeber die Zuordnungen der Honorargruppen für Sachverständigentätigkeiten neu geregelt und die in Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG aufgeführten Tätigkeiten einer bestimmten Honorargruppe zugeordnet. Aus den ursprünglich 10 Honorargruppen nach altem Recht sind damals 13 Honorargruppen mit neuen und teilweise veränderten Zuordnungen entstanden. Das Sachgebiet der anthropologischen Vergleichsgutachten ist dabei bewusst nicht in die Klassifizierungen der Honorargruppen einbezogen worden (BT-Drucks. 17/11471, S. 355 zu Ziffer 99 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb der Stellungnahme des Bundesrates). Denn die Honorargruppentabelle der Anlage 1 ist das Ergebnis einer Marktanalyse. Der Gesetzgeber hat anthropologische Vergleichsgutachten schon deshalb nicht in der Anlage 1 erfasst, weil es für solche Gutachten keinen privaten Markt gibt, anhand dessen sich eine durchschnittliche Preisgestaltung ermitteln ließe (BT-Drucks. 17/11471, S. 260, 355). Der im damaligen Gesetzgebungsverfahren seitens des Bundesrates vorgeschlagenen Zuordnung anthropologischer Gutachten zur Honorargruppe 6 (S. 325 und 326 der BT-Drucks. 17/11471) ist der Gesetzgeber aus dem genannten Grund nicht gefolgt. Hieran haben sich auch durch das Kostenrechtsänderungsgesetz vom 21. Dezember 2020 keine Änderungen ergeben. Anthropologische Vergleichsgutachten sind nach wie vor keiner der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG aufgeführten Sachgebietsbezeichnung zugeordnet worden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2024, 2 Ws 40/23, juris, Rn. 13).

Mangels eindeutiger Zuordnung zu einem bestimmten Sachgebiet und damit zu einer bestimmten Honorargruppe kann die Vergütung nicht unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls konstant festgesetzt oder etwa durch Ermittlung eines durchschnittlichen Mittelwertes aus den Honorargruppen gebildet werden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Januar 2015, 2 Ws 78/14, Rn. 7 - 8, juris).

b.

Anthropologische Gutachten sind mangels Vergleichbarkeit mit den dort genannten medizinischen oder psychologischen Gutachten auch nicht unter eine der in Teil 2 der Anlage 1 genannten Honorargruppen zu subsumieren (KG Berlin, Beschluss vom 30. September 2016, 1 Ws 37/16, juris, Rn. 3; OLG Köln, Beschluss vom 4. August 2014, III-2 Ws 419/14, juris, Rn. 6). Mit dem Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber die bisherige M-Gruppe (M1 bis M3) für medizinische und psychologische Gutachter im Ergebnis beibehalten, allerdings ihren Anwendungsbereich erweitert (OLG Frankfurt, a. a. O.). Der Gesetzesbegründung lässt sich zwar entnehmen, dass sich die Praxis bei der Frage, wie anthropologische Sachverständigengutachten zu vergüten seien, an den Honorargruppen M1 bis M3 orientieren könne (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 355), der Gesetzgeber hat jedoch entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Braunschweig keine zwingende Zuordnung vornehmen wollen, sondern (nur) einen aus seiner Sicht gangbaren Weg dargetan. So wird in der Gesetzesbegründung weiter ausgeführt, dass eine konkrete Zuordnung zu einer der Honorargruppen M1 bis M3 unterbleiben solle, um der Praxis einen ausreichenden Spielraum zu belassen, die auftretenden Fälle sachgerecht zu vergüten (BT-Drucks. 17/11471, S. 356). Der Gesetzgeber hat damit verdeutlicht, dass eine Vergütung sich zwar an den Honorargruppen M1 bis M3 orientieren könne, aber die Tätigkeit eines anthropologischen Sachverständigen nicht losgelöst von dem jeweiligen Einzelfall zu bewerten ist (KG Berlin, Beschluss vom 30. September 2016, 1 Ws 37/16, Rn. 3, juris). Andernfalls hätte der Gesetzgeber die Honorargruppen M1 bis M3, die mit der Bezeichnung "Gegenstand medizinischer und psychologischer Gutachten" auf die Vergütung von in diesen Fachgebieten erbrachten Leistungen beschränkt sind, auch um anthropologische Gutachten ergänzt (KG Berlin a. a. O.). Dass es sich vielmehr um eine einzelfallabhängige Ermessenentscheidung handeln soll, zeigt sich zudem daran, dass der Rückgriff bei anthropologischen Gutachten auf die Honorargruppen M1 bis M3 nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/11471, S. 355) gemäß § 9 Absatz 1 Satz 3 JVEG a. F. - heute § 9 Abs. 2 Satz 1 JVEG - erfolgen soll. Danach ist die Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.

2.

Die Vergütungsfestsetzung richtet sich damit - wie von dem Landgericht grundsätzlich zutreffend angenommen - nach § 9 Abs. 2 JVEG. Das dem Landgericht danach eingeräumte Ermessen kann der Senat nur eingeschränkt überprüfen. Seiner Kontrolle unterliegt lediglich, ob die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorlagen, ob von dem Ermessen Gebrauch gemacht wurde, ob alle wesentlichen Tatsachen berücksichtigt und die gebotenen Grenzen eingehalten wurden (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1994, XII ZR 168/92). Dem Beschwerdegericht ist es insbesondere verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Tatrichters zu setzen (vgl. Bleutge in: BeckOK KostR, 44. Ed. 1. Januar 2024, JVEG § 4 Rn. 33; Binz in: Binz/Dorndörfer/Zimmermann, GKG, FamFG, JVEG, 5. Auflage, § 4 Rn. 17).

Vorliegend lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen, ob das Landgericht von dem ihm zustehenden Ermessen Gebrauch gemacht hat. Vielmehr ist das Landgericht erkennbar davon ausgegangen, dass anthropologische Gutachten schematisch einer bestimmten Vergleichsgruppe zuzuordnen und aufgrund der von ihnen umfassten Tätigkeiten stets in Anlehnung an die Honorargruppe 16 der Anlage 1 zu § 9 JVEG zu vergüten seien. So befasst sich das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht im Einzelnen mit den konkret vom Gutachter erbrachten Tätigkeiten und deren Umfang und Schwierigkeit, sondern ordnet anthropologische Gutachten allgemein einer bestehenden Honorargruppe zu. Die Kammer hat somit erkennbar verkannt, dass die Vergütung in dem konkreten Einzelfall nach billigem Ermessen zu erfolgen hat, wobei zwar die Vergleichbarkeit mit einem Sachgebiet als Kriterium heranzuziehen ist, jedoch abhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalles zu bewerten ist, welche Vergütung angemessen ist.

Eine einheitliche Vergütung für anthropologische Sachverständigengutachten ist bereits deshalb nicht möglich, da diesen Begutachtungen keine standardisierten Untersuchungsmethoden zugrunde liegen (BGH, Urteil vom 15. Februar 2005, 1 StR 91/04, juris, Rn. 16; Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 5. Juli 2006, Ss 81/05, juris, Rn. 7; Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2007, Ss (OWi) 4/07, juris, Rn. 5; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Mai 2006, 1 Ss 106/06, juris, Rn. 15; Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 6. April 2010, 3 Ss OWi 378/10, juris, Rn. 12) und die von dem Sachverständigen zu erbringenden Leistungen von der jeweiligen Begutachtungsmaterie abhängen. Umfang und Schwierigkeit der anthropologischen Begutachtung können wesentlich voneinander abweichen und hiermit auch das für die Beantwortung der Gutachtenfrage im Einzelfall erforderliche Fachwissen. Es fehlt daher an der notwendigen Vergleichbarkeit der maßgeblichen Parameter, anhand derer diese in jedem Fall einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG bestimmten Sachgebiet oder einer der dort in Teil 2 der Anlage genannten Honorargruppen M1 bis M3 zugeordnet werden könnten. Dies zeigt sich auch bereits daran, dass im Gesetzgebungsverfahren des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes kein gemeinsamer Markt für anthropologische Sachverständigengutachten gefunden werden konnte, anhand dessen die Ermittlung einer durchschnittlichen Preisgestaltung möglich gewesen wäre (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 260, 355).

Soweit anthropologische Vergleichsgutachten der Identifikation von Personen dienen sollen, können diese Identitätsgutachten erhebliche Unterschiede zueinander aufweisen und deshalb nicht pauschal derselben Honorargruppe zugeordnet werden. Für die Beurteilung der Identitätswahrscheinlichkeit kommt es maßgeblich auf die Feststellung und den Abgleich individueller Merkmale eines Menschen an. Die Beurteilung dieser individuellen Merkmale unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls machen es erforderlich, dass der Sachverständige Fachkenntnisse aus dem Bereich der Biologie oder Medizin aufweist und zur Geltung bringen kann. Es kann im Einzelfall auch von Bedeutung sein, wie sich individuelle phänotypische Einzelmerkmale im Rahmen einer körperlichen Bewegung oder durch Einsatz äußerer Einwirkungen, wie etwa durch Masken oder maskenähnliche Objekte oder auch durch medizinische Veränderungen im Erscheinungsbild, verändern oder wie diese bewusst verfremdet oder entstellt werden können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2024, 2 Ws 40/23, juris, Rn. 15).

Im Wesentlichen kommt es für den Umfang, die Schwierigkeit und auch das erforderliche Fachwissen darauf an, was für ein Bilddokument vorliegt und ob es sich um ein Einzelbild, eine Bilderreihenfolge oder eine Videodatei handelt sowie auch maßgeblich auf die Qualität der Bilder und welche individuellen Merkmale auf diesen überhaupt mit welcher Sicherheit zu erkennen sind. Dies zeigt sich bereits daran, dass ein anthropologisches Gutachten in Ordnungswidrigkeitenverfahren zumeist lediglich einen Abgleich eines Lichtbildes und der hierauf erkennbaren individuellen Merkmale mit denjenigen einer bestimmten Person erfordert, während beispielsweise in dem vorliegenden Verfahren eine Videoaufnahme mit verschiedenen Einzelbildern auszuwerten und die dort aus verschiedenen Perspektiven erkennbaren individuellen Merkmale der abgebildeten Person mit denjenigen des Beschuldigten zu vergleichen waren.

Letztendlich obliegt es damit dem zur Entscheidung berufenen Gericht, die für die sachverständige Begutachtung angemessene Vergütung anhand der für diese in dem konkreten Einzelfall erforderlichen Tätigkeiten, des Umfang und der Schwierigkeit der Begutachtung unter wertendem Vergleich mit den für die Zuordnung zu einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG bestimmten Sachgebiet oder auch die Eingruppierung in eine der in Teil 2 der genannten Anlage bestimmten Honorargruppe (M1 bis M3) maßgeblichen Anforderungen festzusetzen. So kann es sachgerecht sein, die Leistungen des anthropologischen Sachverständigen in einer einfachen Sache der Honorargruppe M1 und in einem umfangreichen Verfahren der Honorargruppe M3 zuzuordnen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2024, 2 Ws 40/23, juris, Rn. 16). Ebenso sind Fälle denkbar, in denen eine Zuordnung zu einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG genannten Sachgebieten, und hier voraussichtlich dem Sachgebiet 16 (grafisches Gewerbe), gerechtfertigt sein kann, weil der Sachverständige Leistungen erbracht hat, die sich nicht in reiner Bildbearbeitung erschöpfen, sondern hinsichtlich der Komplexität und des Umfangs eine Vergleichbarkeit mit den u. a. von dem Begriff des grafischen Gewerbes erfassten Leistungen der Bildverarbeitung, des Designs, verschiedener Drucktechniken sowie Reproduktionen zu begründen vermag.

Da das Landgericht diese Einzelfallabhängigkeit der angemessenen Vergütung verkannt hat und sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen lässt, dass es sich dem ihm insoweit zukommenden Ermessen bewusst war, liegt ein einen Verfahrensfehler begründender Ermessensnichtgebrauch vor, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zwingt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.