Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 07.04.2016, Az.: 5 A 75/15
Clanzugehörigkeit als Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe; Hargeysa; Heirat zwischen Angehörigen eines Mehrheits und eines Minderheitenclans; Mehrheitsclan Issaq, Sub Clan Haberawal; Minderheitenclan Midgan; Somalia
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 07.04.2016
- Aktenzeichen
- 5 A 75/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43238
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan in Somalia ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG.
2. Eine Verfolgung, die den Eheschließenden im Zusammenhang mit der clanübergreifenden Heirat durch Clanangehörige bzw. Familienmitglieder droht, kann an die unterschiedliche Clanzugehörigkeit und somit an ein asylerhebliches Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG anknüpfen; hier im Einzelfall bejaht.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 02.12.2014 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sowie (hilfsweise) die Gewährung subsidiären Schutzes.
Die Kläger sind somalische Staatsangehörige und in G., Somaliland geboren. Sie stellten am 21.12.2009 Asylanträge in Schweden. Nach Ablehnung der Asylanträge sind die Kläger nach Norwegen gereist. Dort stellten sie am 23.02.2012 Asylanträge. Am 15.08.2012 wurden die Kläger nach Schweden abgeschoben. Am 26.11.2012 reisten die Kläger nach Deutschland ein, wo sie am 30.11.2012 Asylanträge stellten.
Die Klägerin zu 1. wurde am 28.10.2013 angehört. In der Anhörung gab die Klägerin zu 1. an, in Schweden und Norwegen einen Asylantrag gestellt zu haben. Die Klägerin zu 1. gab weiter an, zum Clan der Issaq, Sub-Clan Haberawal zu gehören. Bis zu ihrer Ausreise habe sie in G. in der Republik Somaliland gelebt. Sie habe sich von ihrem ersten Ehemann, dem Vater der Kläger zu 2. - 4., 2004 getrennt. Ihren zweiten Ehemann habe sie 2007 über einen Bekannten kennengelernt. Ihr zweiter Ehemann sei oftmals aus Schweden zu Besuch nach G. gekommen. Er gehöre dem Stamm der Midgan an. Dies habe sie aber ihren Familienangehörigen vor der Heirat verheimlicht. Dies sei möglich gewesen, da ihr zweiter Ehemann in ihrem Heimatort nicht bekannt gewesen sei. Sie habe daher gesagt, er würde einem angesehenen Stamm angehören. Sie habe ihren zweiten Ehemann geheiratet, um ihrem Bruder zu entfliehen, der sie und die Kinder misshandelt habe. Ihr zweiter Ehemann habe den Geldbetrag, der nach den Traditionen gefordert werde, gezahlt. Daraufhin sei ihr Bruder, der seit dem Tod ihres Vaters das Familienoberhaupt sei, mit der Heirat einverstanden gewesen. Ihr Bruder sei nur an dem Geld interessiert gewesen, da er Kath konsumiere. Durch die Heirat habe sie Schande über ihre Familie gebracht. Zwei Tage nach ihrer Ankunft in Schweden habe sie ihrem Bruder aus Wut erzählt, dass sie einen Angehörigen vom Stamm der Midgan geheiratet habe. Dies habe sie später bereut, da sich noch zwei ihrer Kinder in Somalia befunden hätten. Der Bruder der Klägerin zu 1. habe mit Zustimmung des Clans beschlossen, sie zu töten. Auch ihre zwei noch in Somalia befindlichen Kinder würden zusammen mit der Mutter der Klägerin zu 1. vor ihrem Bruder geflohen sei, da dieser auch ihre Kinder umbringen wolle.
Bei einer Rückkehr nach Somalia befürchte sie, dass sie durch ihre Familienangehörigen oder durch die Angehörigen ihres Stammes getötet werden würde.
Von ihrem zweiten Ehemann habe sie sich mittlerweile getrennt. Er habe viel Alkohol getrunken und im Rausch ihre Kinder geschlagen.
Am 27.11.2013 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Übernahmeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) an Schweden. Die schwedischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 03.12.2013 ihre Zuständigkeit für die Übernahme der Kläger und die Behandlung ihrer Asylanträge.
Mit Bescheid vom 05.12.2013 stellte das Bundesamt fest, die Asylanträge der Kläger unzulässig seien und ordnete die Abschiebung nach Schweden an.
Am 17.12.2013 haben die Kläger gegen den Bescheid vom 05.12.2013 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und Klage erhoben (7 A 238/13, 7 B 239/13). Mit Beschluss vom 21.01.2014 hat das erkennende Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. In der Folge konnten die Kläger nicht innerhalb der Überstellungsfrist nach Schweden überstellt werden. Denn die Klägerin zu 1. war aufgrund ihres Gesundheitszustands reiseunfähig. Der Bescheid vom 05.12.2013 wurde mit Schriftsatz der Beklagten vom 17.09.2014 aufgehoben und eine Entscheidung im nationalen Verfahren angekündigt.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 02.12.2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (Nr. 1), ebenso die Anerkennung als Asylberechtigter (Nr. 2) und stellte fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt werde (Nr. 3). Die Beklagte stellte unter Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.
Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen. Der Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft werde abgelehnt, da die Klägerin zu 1. nicht glaubhaft zur Begründung eines Verfolgungsschicksals vorgetragen habe. Es sei nicht plausibel, dass die Familie der Klägerin zu 1. nicht gewusst habe, dass ihr zweiter Ehemann dem Clan der Midgan angehöre. Auch ihr Vortrag, ihrem Bruder nach ihrer Flucht von der Clanzugehörigkeit ihres zweiten Ehemannes berichtet zu haben, sei nicht glaubhaft. Denn sie habe sich und ihre Kinder damit bewusst einer Gefahr ausgesetzt. Die Vermeidung einer solchen Gefahr würden von ihr als Mutter immer berücksichtigt werden. Auch bestehe kein Anspruch auf subsidiären Schutz, da die von ihr vorgetragene Bedrohung einer Strafe oder sogar Tod durch ihren Bruder aus den genannten Gründen nicht glaubhaft sei.
Hinsichtlich der Bejahung eines Abschiebungsverbots für die Kläger nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt die Beklagte aus, dass die derzeitigen humanitären Bedingungen in Somalia zu der Annahme führen würden, dass bei der Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Aufgrund der individuellen Umstände der Kläger sei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung außergewöhnlich erhöhe und deswegen ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen sei.
Gegen die Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus haben die Kläger am 18.12.2014 Klage erhoben.
Zur Begründung tragen sie vor, dass sich die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zu der Frage der Glaubhaftigkeit in Spekulationen erschöpfen würden. Der Klägerin zu 1. sei durchaus bewusst gewesen, dass ihre Situation und die der Kinder durchaus schwieriger werde, als sie ihrem Bruder von der Clanzugehörigkeit ihres zweiten Ehemannes erzählte. Der Bruder der Klägerin zu 1. habe wegen der Zugehörigkeit ihres zweiten Ehemannes zu einem minderen Clan beschlossen, die Klägerin zu 1. zu töten.
In Ansehung der Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte den Klägern zwar ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuspreche, die Zuerkennung des internationalen subsidiären Schutzstatus jedoch ablehne. Die Beklagte habe ausgeführt, dass aufgrund individuell-konkreter Umstände der Kläger eine Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohe, wenn eine Abschiebung nach Somalia durchgeführt werde. Daher hätte den Klägern zumindest auch subsidiärer Schutz zugebilligt werden müssen.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 02.12.2014 hinsichtlich Ziff. 1 und 3 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
Die Klägerin zu 1. ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Wegen des Ergebnisses wird auf die Verhandlungsniederschrift vom 07.04.2016 verwiesen.
Mit Beschluss vom 01.03.2016 hat die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden, weil sie mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig. Insbesondere haben die Kläger die Klagefrist von zwei Wochen eingehalten (§ 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG). Der streitgegenständliche Bescheid vom 02.12.2014 ist ausweislich eines Aktenvermerks in den Verwaltungsvorgängen am 03.12.2014 als Einschreiben bei der Post aufgegeben worden (Bl. 179 Beiakte A). Der streitgegenständliche Bescheid ist ausweislich des Eingangsstempels am 04.12.2014 bei dem Prozessbevollmächtigten der Kläger eingegangen. Die Klagefrist endete daher am 18.12.2014. An diesem Tag haben die Kläger Klage erhoben.
Die Klage ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), soweit ihnen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft versagt wird.
Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Beklagte ist verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen.
Die erkennende Einzelrichterin glaubt der Klägerin auf der Grundlage ihre informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ihr verfolgungsrelevantes Kernvorbringen, wonach sie nicht standesgerecht einen Angehörigen des Minderheitenclans der Midgan geheiratet hat und infolge dessen sie und ihre Kinder von ihrem Bruder gesucht werden, um getötet zu werden. Ihre diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung sind glaubhaft und nachvollziehbar.
Der Vortrag der Klägerin zu 1., die das Schicksal wie viele Asylbewerber nicht durch andere Beweismittel nachweisen konnte, ist gemäß dem Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung zu würdigen (§ 108 Abs. 1 VwGO). Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es muss dabei von dem behaupteten individuellen Schicksal und der vom Asylsuchenden dargelegten Verfolgung überzeugt sein. Grundsätzlich müssen die die Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden, wobei für den Nachweis derjenigen Fluchtgründe, die ihren Ursprung im Heimatland des Asylbewerbers haben, in der Regel die Glaubhaftmachung genügt. Die freie richterliche Beweiswürdigung bindet das Gericht nicht an starre Regeln, sondern ermöglicht ihm, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden. Das Gericht darf hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.04.1985 - 9 C 109/84 - BVerwGE 71, 180 ff.).
Vorliegend hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung glaubhaft angegeben, ihren zweiten Ehemann als einen Angehörigen des Minderheitenclans der Midgan geheiratet zu haben, obwohl die Klägerin zu 1. einem Mehrheitsclan angehört.
Für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spricht, dass die Klägerin zu 1. ihre Situation bei ihrer Anhörung durch die Beklagte als auch in der mündlichen Verhandlung deckungsgleich dargelegt hat. Die Klägerin zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung ausführlich, detailliert und zum Teil auch unaufgefordert Erlebnisse aus H., ihrer dortigen Wohnsituation und ihrem Verhältnis zu ihrem Bruder geschildert. Auch das Kennenlernen und die Heirat mit ihrem zweiten Ehemann sowie die zeitlichen Abfolgen konnte die Klägerin zu 1. glaubhaft und umfassend schildern. Den Einwand der Beklagten, es sei nicht plausibel, dass die Familie der Klägerin zu 1. nicht die Clanzugehörigkeit des zweiten Ehemannes gekannt haben will, konnte die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung entkräften. Die Klägerin zu 1. gab an, dass ihre Familie ihr geglaubt habe, dass ihr Mann zu ihrem Mehrheitsclan gehöre. Al Grund hierfür gab sie nachvollziehbar an, dass er aufgrund seiner Herkunft aus dem Ausland als besser gestellt und gebildet gilt. Auch dürfte aufgrund der schwedischen Herkunft des zweiten Ehemannes für die Familie der Klägerin zu 1. kaum eine Möglichkeit bestanden haben, Nachforschungen über ihn anzustellen. Dafür spricht auch die glaubhafte Angabe der Klägerin zu 1., ihr Bruder hat Kath konsumiert und das für die Heirat gezahlte Geld ihres zweiten Ehemannes zur Finanzierung des Konsums benötigt. Auch vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich die Nachforschungen des Bruders als Familienoberhaupt - mangels anderer Informationsquellen - auf die Angaben der Klägerin zu 1. beschränkt haben dürften.
Auch die Annahme der Beklagten, die Klägerin zu 1. habe ohne Einwilligung der Familie geheiratet, was jedoch unglaubhaft sei, erschließt sich der erkennenden Einzelrichterin nicht. Bereits im Rahmen ihrer Anhörung hat die Klägerin zu 1. angegeben, ihre Familie über die Stammeszugehörigkeit ihres zweiten Ehemannes getäuscht und aufgrund dessen die Einwilligung ihres Bruders zu der Heirat bekommen zu haben. Dies hat die Klägerin zu 1. auch in der mündlichen Verhandlung glaubhaft bestätigt.
Die Verfolgung infolge einer nicht standesgerechten Heirat, hier zwischen einem Mitglied eines Minderheitenclans und dem eines Mehrheitsclans, durch Mitglieder des Mehrheitsclans ist in Somalia weit verbreitet. Denn eine solche Heirat zwischen einem Mann eines Minderheitenclans und einer Frau eines Mehrheitsclans, wie im vorliegenden Fall, wird als sozial inakzeptabel angesehen (EASO Country of Origin Information report: South and Central Somalia - Country overview (Stand: August 2014), Seite 110).
Die Klägerin zu 1. wurde zwar nicht bereits von ihrem Bruder und den Angehörigen des Mehrheitsclans verfolgt, als sie noch in Somalia lebte. Jedoch hat sie sogenannte Nachfluchtgründe geltend gemacht, indem sie glaubhaft angab, nach ihrer Ankunft in Schweden ihrem Bruder von der Stammeszugehörigkeit ihres zweiten Ehemannes telefonisch berichtet zu haben und ihr Bruder ihr daraufhin gedroht hat, sie und ihre Kinder umzubringen.
Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid ein solches Telefonat angezweifelt, da die Klägerin zu 1. sich und ihre Kinder dadurch einer großen Gefahr ausgesetzt habe, welche von ihr als Mutter immer berücksichtigt werde. Diese Zweifel konnte die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung ausräumen. Die Klägerin zu 1. konnte überzeugend schildern, dass sie sich von ihrem Bruder endgültig lossagen wollte. Bereits in ihrer Anhörung bei der Beklagten gab sie an, von ihrem Bruder misshandelt worden zu sein. Dies stimmt mit ihren glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung überein, wonach ihr Bruder schon immer sehr eifersüchtig war und er nicht wollte, dass sie mit anderen spricht. Dies hatte sie schon lange belastet, sodass sie nach eigenen Angaben mit dem Telefonat die Sache loslassen wollte. Die erkennende Einzelrichterin hält das für nachvollziehbar. Letztlich hat die Klägerin zu 1. selbst angegeben, dass sie davon ausgegangen ist, dass ihr Bruder von der Clanzugehörigkeit ihres zweiten Ehemannes wohl auch auf anderem Wege erfahren hätte. Daher bestand für sie kein Anlass, diese Information weiterhin zurückzuhalten.
Die Klägerin zu 1. gab in der mündlichen Verhandlung glaubhaft an, dass ihr Bruder ihr am Telefon gedroht hat, sie umzubringen. Außerdem konnte sie glaubhaft darlegen, dass durch die Heirat auch ihre Kinder in Gefahr sind. Denn dieser Verstoß durch die nicht standesgerechte Heirat wird auch auf ihre Kinder übertragen.
Vor diesem Hintergrund ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II 559, 560, Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2a).
Für die Feststellung, ob eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt, sind die §§ 3a ff. AsylG maßgebend, die die Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL) umsetzen.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind erfüllt. Insbesondere knüpft die von der Klägerin zu 1. geltend gemachte Verfolgung durch Familien- bzw. Clanmitglieder an ein Verfolgungsmerkmal im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. Denn die behauptete Verfolgungsfurcht beruht auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, hier der Clanzugehörigkeit (vgl. auch VG Braunschweig, U. v. 23.09.2015 - 5 A 42/15 -, abrufbar unter www.rechtsprechung.niedersachsen.de).
Die Zugehörigkeit zu einem Mehrheits- oder Minderheitenclan in Somalia stellt die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG dar. Denn diese Zugehörigkeit hat regional einen besonders hohen Stellenwert und ist identifikationsstiftend (VG Braunschweig, a.a.O. m.w.N.).
Eine Gruppe gilt nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG insbesondere dann als eine „bestimmte soziale Gruppe", wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zudem muss diese Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Dies ist hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einem Mehrheitsclan in Somalia der Fall. In Somalia beherrschen die Mehrheitsclans das gesellschaftliche Leben. Aufgrund des Bürgerkrieges besteht in Somalia kein funktionierendes Polizei- oder Justizsystem (Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Somalia vom 01.12.2015, S. 4). Schutz bieten lediglich die einflussreichen Clans. Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor innerhalb der somalischen Nation. Das Clan-System ist für alle gesellschaftlichen Funktionen von Bedeutung, sogar für die Struktur der Regierung. Somalier kennen in der Regel genau ihre Stellung innerhalb des Clan-Systems (vgl. EASO Country of Origin Information report: South and Central Somalia - Country overview (Stand: August 2014), Seite 45).
Die Zugehörigkeit zu einem Mehrheitsclan wird durch die familiäre Abstammung bestimmt, sodass ein Aufstieg von einem Minderheiten- in einen Mehrheitsclan nicht möglich ist. Die Mitglieder der Mehrheitsclans weisen daher angeborene Merkmale auf, die nicht verändert werden können (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 a) AsylG). Aufgrund der Bedeutsamkeit der Clanzugehörigkeit haben die Clans eine deutlich abgegrenzte Identität, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig wahrgenommen werden (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 b) AsylG; vgl. auch VG Regensburg, U. v. 22.06.2015 - RO 7 K 14.30492 -, abrufbar unter www.asyl.net, S. 3; a.A. VG Lüneburg, Urteil vom 16.07.2015 – 6 A 200/14 – n.v., m.w.N).
Die Verfolgungshandlung knüpft vorliegend auch an das asylerhebliche Merkmal der Zugehörigkeit zu der sozialen Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. Denn die Klägerin zu 1. wird gerade als Angehörige des Mehrheitsclans aufgrund ihrer nicht standesgemäßen Heirat mit einem Mann eines Minderheitenclans verfolgt. Bei einer Zugehörigkeit der Klägerin zu 1. zum Minderheitenclan ihres zweiten Ehemannes oder bei entsprechender Zugehörigkeit des Mannes zu ihrem Mehrheitsclan wäre sie einer solchen Verfolgung nicht ausgesetzt gewesen. Insofern knüpft die Verfolgung nicht an die Heirat an sich und damit an ein nicht asylrelevantes Merkmal an, sondern an die Zugehörigkeit der Klägerin zu 1. zu einem Clan als sozialer Gruppe, also ein asylerhebliches Merkmal an (vgl. VG Braunschweig, a.a.O. zu dem Fall eines Klägers, der Angehöriger eines Minderheitenclans war und ebenfalls eine Frau eines Mehrheitsclan geheiratet hatte). Gleiches gilt für die minderjährigen Kinder der Klägerin zu 1., die Kläger zu 2. bis 4. Sie sind ebenso wie die Mutter der Klägerin zu 1. durch die nicht standesgerechte Heirat ihrer Mutter einer Verfolgung durch den Bruder und die Clanangehörigen ausgesetzt. Auch hier knüpft die Verfolgung an ihre Zugehörigkeit zu dem Mehrheitsclan und damit an das Merkmal der sozialen Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an.
Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG). Hat keine relevante Vorverfolgung stattgefunden, so kann Schutz nach § 3 AsylG weiterhin nur derjenige beanspruchen, der eine i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG relevante Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VG Augsburg, Urteil vom 11. November 2014 – Au 2 K 14.30395 –, juris Rn. 23 m.w.N.). Dabei gilt unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum inhaltsgleichen bisherigen § 60 Abs. 1 AufenthG a.F., dass eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung nur dann vorliegt, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (vgl. z.B. BVerwG, B. v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – AuAS 2008, 118). Entscheidend ist, ob bei „qualifizierender“ Betrachtungsweise aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und deshalb eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (VG Augsburg, Urteil vom 11. November 2014 – Au 2 K 14.30395 –, juris Rn. 25 m.w.N).
Vorliegend hat die Klägerin zu 1. glaubhaft geschildert, dass sie und ihre Kinder aufgrund der nicht standesgemäßen Heirat von ihrem Bruder mit Zustimmung der Clanmitglieder getötet werden sollen. Es liegen nicht von der Klägerin zu 1. selbst geschaffene subjektive Nachfluchtgründe vor, auch wenn die Klägerin zu 1. ihrem Bruder erst nach der Ausreise von der Clanzugehörigkeit ihres zweiten Ehemannes erzählt hat und damit die Wahrheit offenbarte. Vielmehr fand die Heirat bereits in Somalia, also dem Herkunftsland der Klägerin zu 1. statt. Die Verfolgung droht hier mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Die Furcht der Klägerin zu 1. vor der Verfolgung durch ihren Bruder und möglicherweise auch durch Angehörige ihres Mehrheitsclans ist daher begründet. Dies deckt sich auch mit den der erkennenden Einzelrichterin vorliegenden Erkenntnismitteln (vgl. EASO Country of Origin Information report: South and Central Somalia - Country overview (Stand: August 2014), Seite 110; VG Braunschweig, a.a.O.).
Diese befürchtete Verfolgungshandlung geht von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG aus. In Somalia beherrschen - wie bereits ausgeführt - die Mehrheitsclans das gesellschaftliche Leben. Aufgrund des Bürgerkrieges besteht in Somalia kein funktionierendes Polizei- oder Justizsystem (Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Somalia vom 01.12.2015, S. 4). Schutz bieten lediglich die einflussreichen Clans (EASO Country of Origin Information report: South and Central Somalia - Country overview (Stand: August 2014), Seite 45). Die meisten Konflikte und Straftaten werden mithilfe des xeer geahndet, dem clangestützten Gewohnheitsrecht, in dem die Zahlung einer Entschädigung (diya oder mag) eine zentrale Rolle spielt (EASO Country of Origin Information report: South and Central Somalia - Country overview (Stand: August 2014), Seite 29). Akteure, die nach § 3d AsylG Schutz bieten könnten, sind für die Kläger nicht mehr vorhanden, da sie nunmehr von ihrem eigenen Clan aufgrund der nicht standesgerechten Heirat gesucht und mit dem Tode bedroht werden.
Aufgrund der noch anhaltenden Suche ihrer Familien- und Clanmitglieder droht den Klägern im Falle ihrer Rückkehr auch eine konkrete Lebensgefahr, da die Mitglieder des Clans sie nach den glaubhaften Angaben der Klägerin zu 1. weiterhin töten wollen.
Schließlich ist den Klägern ein Ausweichen innerhalb Somalias nicht zumutbar (§ 3e AsylG, Art. 8 Abs. 1 QRL).
Innerhalb ihrer Herkunftsregion ist es den Klägern nicht möglich auszuweichen, da davon auszugehen ist, dass der Bruder der Klägerin zu 1. sowie Clanangehörige sie auch über G. hinaus suchen werden. Dies verdeutlicht die Flucht der Mutter der Klägerin zu 1. gemeinsam mit den zwei weiteren Kindern der Klägerin zu 1. Darüber hinaus ist auch in Somaliland keine funktionierende Strafverfolgungspraxis und damit kein staatlicher Schutz für die Kläger vorhanden (Lagebericht Auswärtiges Amt vom 01.12.2015 Ziff. 1.5). Insbesondere können die Kläger - aufgrund der nicht standesgemäßen Heirat - nicht auf die notwendige Unterstützung ihres Clans hoffen.
Auch können die Kläger nicht in andere Regionen Somalias ausweichen. Dies ist nicht möglich, da solche Gebiete ohne existenzielle Gefahren nicht zu erreichen sind. Wer durch Somalia reist, überquert häufig Frontlinien. Wer in Gebiete der Al-Shabaab ein- oder ausreist bzw. aus westlichen Ländern zurückkehrt, riskiert, als Spion verdächtigt zu werden, dem eine Enthauptung oder Hinrichtung droht (vgl. EASO Country of Origin Information report: South and Central Somalia - Country overview (Stand: August 2014), S. 106, 113).
Einer Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bedarf es bei einer Flüchtlingsanerkennung nicht mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.