Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 19.04.2016, Az.: 5 B 48/16

Beißkorbzwang; Fachbehörde; Gefahren; gefährlicher Hund; Hund; Hundebiss; Leinenzwang; vorläufige Maßnahme; sachliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
19.04.2016
Aktenzeichen
5 B 48/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43555
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Fachbehörde ist, sobald sie ein Verwaltungsverfahren zur Überprüfung der Gefährlichkeit eines Hundes nach § 7 NHundG eingeleitet hat, kraft Sachzusammenhangs auch für vorläufige Maßnahmen, die die Hundehaltung bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 7 NHundG regeln, sachlich zuständig (Fortsetzung der Rechtsprechung der Kammer aus dem Beschluss vom 08.02.2016 - 5 B 3/16 -).

2. Gefahrenverdacht als hinreichende Gefahrenlage für einen vorläufigen Leinen- und Beißkorbzwang während der Dauer des Verfahrens zur Überprüfung der Gefährlichkeit eines Hundes nach § 7 NHundG; hier im Einzelfall bejaht.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Verfügung, mit der der Antragsgegner ihm als vorläufige Maßnahme aufgegeben hat, seinen Hund an der Leine und mit einem Beißkorb zu führen.

Der Antragsteller ist Halter eines ca. 6 Jahre alten Labrador-Mischlings.

Am 5. Januar 2016 kam es zu einem Vorfall in der Hundehaltung, dessen genaue Umstände zwischen den Beteiligten umstritten bzw. noch nicht vollständig aufgeklärt sind.

Eine im Wohnort des Antragstellers lebende Frau zeigte am 19. Januar 2016 bei der Polizei in Ilsede an, dass sie am 5. Januar 2016 von dem Hund des Antragstellers gebissen worden sei, und stellte insoweit einen Strafantrag. Ausweislich des polizeilichen Reports machte sie hierbei im Wesentlichen folgende Angaben: Sie sei auf dem Fußweg gegangen. Auf dem Grundstück des Antragstellers sei ein Mann mit Schneeräumen beschäftigt gewesen. Als sie sich in Höhe des Grundstücks des Antragstellers befunden habe, sei ein großer Hund, vermutlich ein Labrador, zu ihr gerannt und habe sie grundlos in den linken Oberschenkel gebissen; danach habe der Hund nochmals den Schädel gegen ihr rechtes Bein gerammt. Der Biss habe keine blutende Wunde verursacht, jedoch eine Prellung. Durch das Rammen mit dem Schädel habe sie eine weitere starke Prellung erlitten. Wegen anhaltender Schmerzen habe sie am folgenden Tag einen Arzt aufgesucht.

Ausweislich eines Attestes der Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau B. in C. stellte sich die Frau am 6. Januar 2016 zur Behandlung vor und erklärte, sie sei am Vortag von einem Hund angefallen und in den linken Oberschenkel gezwickt worden. Die Ärztin attestierte ein kleines Hämatom am linken Oberschenkel und dokumentierte dies durch ein Foto. Wegen der Einzelheiten wird auf das Attest und das Foto (Blatt 9 f. Beiakte 1) verwiesen.

Ausweislich eines Vermerks des Antragsgegners erklärte die Frau in einem Telefonat am 25. Februar 2016, der Hund, der sie gebissen habe, gehöre zum Haushalt des Antragstellers. Vor 3 Jahren habe der Hund ihren Enkel angegriffen und gebissen, als dieser mit dem Fahrrad gefahren sei; ihr Enkel habe ein Hämatom am Arm davongetragen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Telefonvermerk (Bl. 23 der Beiakte 1) verwiesen.

Gegenüber Polizeibeamten der Polizeistation Ilsede machte der Antragsteller am 27. Januar 2016 keine Angaben zu dem Vorfall. Mit Schreiben vom 1. Februar 2016 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu dem Geschehen an und wies darauf hin, dass er überprüfen müsse, ob nach §§ 7 ff. NHundG die Gefährlichkeit des Hundes festzustellen sei. Unter dem 13. Februar 2016 erwiderte der Antragsteller, dass er zunächst innerhalb seiner Familie recherchieren müsse und deswegen um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme von 4 bis 6 Wochen bitte.

Am 25. Februar 2016 erließ der Antragsgegner den streitgegenständlichen Bescheid. Er verfügte gegenüber dem Antragsteller, dass er seinen Hund bis zur förmlichen Entscheidung über die Feststellung der Gefährlichkeit außerhalb ausbruchssicherer Grundstücke anzuleinen habe und der Hund einen Beißkorb tragen müsse; außerdem ordnete er die sofortige Vollziehung an. Der Antragsgegner begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Ihm liege die Strafanzeige vom 19. Januar 2016 vor, wonach der Hund des Antragstellers von dessen Grundstück auf den Gehweg gelaufen sei und eine Frau grundlos in den linken Oberschenkel gebissen und er danach seinen Kopf gegen den anderen Oberschenkel der Frau gerammt habe. Es sei ein deutliches Hämatom am linken Oberschenkel entstanden. Außerdem solle der Hund bereits vor 3 Jahren den Enkel der Geschädigten angegriffen und gebissen haben. Nach § 7 NHundG müsse er prüfen, ob die Gefährlichkeit des Hundes festzustellen sei. Seine Ermittlungen dauerten insoweit noch an. Er habe nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden, für den Hund vorläufig einen Leinen- und Beißkorbzwang außerhalb ausbruchssicherer Grundstücke anzuordnen, bis das Verfahren über die Feststellung einer Gefährlichkeit förmlich abgeschlossen sei. Er habe das öffentliche Interesse an einer Gefahrenvorsorge höher gewichtet als das Interesse des Antragstellers, seinen Hund auch ohne Leine und Beißkorb führen zu dürfen, um von dem Hund möglicherweise ausgehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu verhindern, da es nach gegenwärtiger Aktenlage hinreichend wahrscheinlich sei, dass von dem Hund eine Gefahr ausgehe, wenn er außerhalb Ausbruch sicherer Grundstücke ohne Leine und ohne Beißkorb geführt werde, und deshalb zugleich die sofortige Vollziehung angeordnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid (Blatt 24 ff. der Beiakte 1) verwiesen.

Mit Schreiben vom 7. März 2016 hörte der Antragsgegner die Eltern des Kindes, das vor circa drei Jahren vom Hund des Antragstellers gebissen worden sein soll, zu dem Geschehen an. Die Stellungnahme steht noch aus.

Mit Schreiben vom 7. März 2016 nahm der Antragsteller zu dem Geschehen am 5. Januar 2016 Stellung. Er führte aus, dass sein Hund nicht gebissen habe. Es sei vielmehr so gewesen, dass das angebliche Opfer unerlaubt sein privates Grundstück betreten und versucht habe, mit dem in der Garage sitzenden Hund zu spielen und ihn zu streicheln. Daraufhin habe sein Hund, der als Wachhund ausgebildet sei, die Frau angebellt, aber nicht gebissen. Seiner Stellungnahme fügte er ein Schreiben in russischer Sprache bei. Hierbei handele es sich um die Stellungnahme seines Vaters, der den Hund am 5. Januar 2016 beaufsichtigt habe. Nach der - nicht amtlichen - Übersetzung einer Mitarbeiterin des Antragsgegners führt der Vater des Antragstellers hierin aus, dass er am 5. Januar 2016 auf dem Hof des Antragstellers den Schnee geräumt habe, als auf dem Bürgersteig eine ältere Frau entlang gegangen sei und den Hund des Antragstellers gesehen habe. Der Hund habe in der Garage gesessen. Die Frau habe ihn streicheln und mit ihm spielen wollen. Der Hund habe die Frau angebellt, ohne ihr hierbei nahe zu kommen. Er habe sie keinesfalls gebissen. Die Frau habe sich erschrocken und sei auf die Fahrbahn gesprungen. Hierbei sei sie ausgerutscht, hingefallen und habe sich gestoßen.

Am 13. März 2016 hat der Antragsteller Klage (gerichtliches Aktenzeichen: 5 A 47/16) gegen den Bescheid vom 25. Februar 2016 erhoben und zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Er wiederholt sein Vorbringen aus der Stellungnahme vom 7. März 2016 und führt ergänzend im Wesentlichen wie folgt aus: Sein Hund habe nicht gebissen. Weil er ein Wachhund sei, habe er aber angeschlagen, als die Frau sein Grundstück unerlaubt betreten habe. Einen früheren Vorfall in der Hundehaltung, der mehrere Jahre zurück liege, habe es ebenfalls nicht gegeben. Er gehe vielmehr davon aus, dass die angeblich gebissene Anzeigenerstatterin aus Rache und Neid handele. Sie habe schon in der Vergangenheit seine damals noch minderjährigen Kinder mit ausländerfeindlichen Parolen belästigt.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage 5 A 47/16 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er erwidert im Wesentlichen wie folgt: Nach Aktenlage bewerte er die Angaben der Geschädigten über den Hergang des Geschehens am 5. Januar 2016 als glaubhaft. Das attestierte Hämatom sei nach Größe und Ausprägung typisch für den Abdruck eines Hundefangzahns. Es sei deshalb von einem Hundebiss, also dem gezielten Zuschnappen eines Hundes an einen menschlichen Körper, auszugehen. Keine Voraussetzung für die Annahme eines  Beißvorfalls sei es, dass es zu einer blutenden Wunde oder einer sonstigen schweren Verletzung gekommen sei. Es sei zudem davon auszugehen, dass die Verletzungen vorliegend weniger gravierend ausgefallen seien, weil die Geschädigte - der Vorfall habe sich im Januar zugetragen - eine Hose aus vergleichsweise festem Stoff getragen haben werde. Die Einlassung des Antragstellers sei nicht schlüssig und wenig glaubhaft. Das Verfahren über die Feststellung der Gefährlichkeit bzw. Nicht-Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers werde erst abgeschlossen, wenn eine Erstbeurteilung durch den Amtsveterinär erfolgt sei. Dies sei in absehbarer Zeit  möglich. Grund für die vorläufige Maßnahme mit dem Bescheid vom 25. Februar 2016 sei insbesondere gewesen, dass es wahrscheinlich sei, dass der Hund am 5. Januar 2016 gebissen habe und noch nicht abschließend habe ermittelt werden können, ob er bereits früher gebissen habe. Nach Aktenlage dürfe er davon ausgehen, dass aus der Hundehaltung des Antragstellers gegenwärtig eine hinreichend konkrete Gefahr für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit resultiere.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird  auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung seiner Verfügung vom 25. Februar 2016 formell rechtmäßig angeordnet. Insbesondere genügt die in der Verfügung gegebene Begründung den formellen Anforderungen von § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Hiernach ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Erforderlich ist insoweit, dass die Behörde anhand der Umstände des Einzelfalls die Gründe benennt, weswegen sie eine sofortige Vollziehung der Verfügung ausnahmsweise für geboten und das Interesse des Betroffenen, von der Regelung im Verwaltungsakt bis zu dessen Bestandskraft zunächst verschont zu bleiben, als nachrangig bewertet. Dem entspricht die Begründung des Antragsgegners. Er hat dargelegt, dass er das öffentliche Interesse an einer sofortigen Geltung des angeordneten vorläufigen Leinen- und Maulkorbzwangs höher gewichte als das Interesse des Antragstellers, die Anordnung zunächst nicht befolgen zu müssen,  weil es nach gegenwärtiger Aktenlage hinreichend wahrscheinlich sei, dass von dem Hund eine Gefahr ausgehe, wenn er außerhalb ausbruchssicherer Grundstücke ohne Leine und ohne Beißkorb geführt werde.

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung der Klage 5 A 47/16 wiederherzustellen. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO ist aus materiell-rechtlichen Gründen erfolgreich, wenn das Interesse des Antragstellers, den Vollzug eines Verwaltungsaktes vor einer abschließenden gerichtlichen Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit im Klageverfahren zunächst zu verhindern, gegenüber dem Interesse der Behörde oder sonstiger Dritter an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Im Rahmen der Interessenabwägung ist regelmäßig die  (voraussichtliche) Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu berücksichtigen: Erweist sich die Maßnahme bei einer im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Überprüfung als voraussichtlich rechtswidrig, überwiegt regelmäßig das Interesse des Betroffenen; ergibt sich bei einer summarischen Überprüfung, dass die Maßnahme aller Voraussicht nach rechtmäßig ist, fällt die Interessenabwägung regelmäßig zulasten des Betroffenen aus. So ist es hier.

Die Verfügung des Antragsgegners vom 25. Februar 2016 ist aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage ist § 17 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 2 des Niedersächsischen Gesetzes über das Halten von Hunden (NHundG). Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 NHundG können die zuständigen Behörden die zur Einhaltung der Vorschriften des NHundG im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen treffen. Nach § 2 NHundG sind Hunde so zu halten und zu führen, dass von ihnen keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen.

Der Antragsgegner hat den vorläufigen Leinen- und Beißkorbzwang formell rechtmäßig angeordnet. Insbesondere ist er die sachlich zuständige Behörde im Sinne von § 17 Abs. 4 Satz 1 NHundG. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 NHundG sind die Landkreise - wie der Antragsgegner - als sogenannte Fachbehörden insbesondere sachlich zuständig, sofern die Haltung eines Hundes gefährlichen Hundes im Sinne der §§ 7 ff. NHundG in Rede steht; im Übrigen sind nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NHundG weitgehend die Gemeinden sachlich zuständig. Obwohl der Hund des Antragstellers nicht nach §§ 7 ff. NHundG für gefährlich erklärt worden ist, ist nach diesem Maßstab der Antragsgegner die sachlich zuständige Behörde für die getroffene Anordnung. Denn er hat - im Hinblick auf den Vorfall vom 5. Januar 2016 - ein Verwaltungsverfahren nach den §§ 7 ff. NHundG eingeleitet, mit dem die Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers überprüft werden soll. Kraft Sachzusammenhangs ist der Antragsgegner dadurch auch für vorläufige Maßnahmen, die die Hundehaltung - wie vorliegend - bis zum Abschluss des Verfahrens nach §§ 7 ff. NHundG regeln, sachlich zuständig (vgl. VG Braunschweig, B. v. 08.02.2016 - 5 B 3/16 -).

Die Verfügung ist aller Voraussicht nach auch materiell rechtmäßig. Der Antragsgegner ist nach summarischer Überprüfung insbesondere aller Voraussicht nach zu Recht davon ausgegangen, dass aus der Hundehaltung des Antragstellers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit resultiert, die ihn berechtigt hat, einen vorläufigen, bis zum Abschluss des Verfahrens über die Gefährlichkeitsfeststellung befristeten Leinen- und Beißkorbzwang anzuordnen.

Eine Gefahr in diesem Sinne ist eine Sachlage bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird, vgl. § 2 Nr. 1 a) Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG). Die Behörde muss auf der Grundlage der erkennbaren Tatsachen eine Prognose zu einem zukünftigen Schadenseintritt anstellen. Insoweit gilt, dass sich die erforderliche Wahrscheinlichkeit danach bemisst, wie schwer der zu befürchtende Schaden wiegt: Je höherrangig das betroffene Rechtsgut und je größer der ihm drohende Schaden, desto geringere Anforderungen können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden (vgl. Ullrich/Weiner/Brüggemann, Niedersächsisches Polizeireicht Rn. 35).

Eine Besonderheit betrifft den Fall, bei dem der Behörde bewusst  ist, dass sie nicht sämtliche tatsächliche Umstände, die für eine umfassende Gefahreneinschätzung erforderlich sind, kennt, sie aber aufgrund objektiver Umstände schon jetzt das Vorhandensein einer Gefahr für möglich und ein Einschreiten für geboten hält (sog. Gefahrenverdacht). Ein Gefahrenverdacht ist demnach eine Situation, in der die sich aus Schadenspotential und Eintrittswahrscheinlichkeit ergebende Gefahrenschwelle nach dem Kenntnisstand der Behörde bei Maßnahmenerlass bereits überschritten ist, jedoch die Möglichkeit besteht, dass weitere Recherchen zu einer dem Pflichtigen günstigeren Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit führen (vgl. Nds. OVG, B. v. 09.12.2015 - 1 LA 184/14 -, juris Rn. 14). Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sind die Maßnahmen der Behörde bei einem Gefahrenverdacht regelmäßig darauf zu beschränken, die Umstände weiter aufzuklären sowie die Gefahrensituation vorläufig zu sichern; nur in besonderen Einzelfällen, beispielsweise bei einem besonders schwerwiegenden Gefahrenverdacht, können die Maßnahmen über die vorläufige Klärung und Sicherung hinaus den Charakter endgültiger Maßnahmen haben (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 25.07.2013 – 1 S 733/13 –, juris Rn. 30; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl, Kap. D Rn. 48).

Nach diesem Maßstab hat eine hinreichende Gefahrenlage, nämlich ein hinreichender Gefahrenverdacht, bestanden, die die vorläufige Regelung des Antragsgegners für die Zeit bis zum Abschluss des Verfahrens über die Feststellung der Gefährlichkeit nach §§ 7 ff. NHundG rechtfertigt.

Der Antragsgegner ist zu Recht von einem begründeten Verdacht ausgegangen, der Hund des Antragstellers habe am 5. Januar 2016 eine Passantin gebissen. Nach derzeitigem Sachstand sprechen die Angaben der Passantin in der Strafanzeige vom 19. Januar 2016 sowie im Telefonat vom 25. Februar 2016 und das ärztliche Attest vom 6. Januar 2016 mit dem Foto des Hämatoms dafür, dass der Hund des Antragstellers die Passantin angegriffen und in den Oberschenkel gebissen hat. Die Einschätzung des Antragsgegners, die auf dem Foto erkennbare Verletzung der Passantin zeige den Abdruck eines Hundefangzahns und somit eine typische Folge eines Hundebisses, erscheint plausibel; die Einlassung des Antragstellers, die Passantin habe sich erschrocken und sei auf die Straße gestürzt, kann die Art der Verletzung nach derzeitigem Erkenntnisstand hingegen nicht plausibel erklären. Wenig plausibel, zumal vor dem Hintergrund seiner weiteren Einlassung, es habe bereits in der Vergangenheit Konflikte zwischen ihr und seiner Familie gegeben, erscheint nach derzeitigem Erkenntnisstand auch die Einlassung des Antragstellers, die Passantin habe sich eigenmächtig auf sein Grundstück begeben, um mit dem Hund zu spielen und diesen zu streicheln. Inwieweit die schriftliche Erklärung des Vaters des Antragstellers dessen Einlassung stützt bzw. der Annahme des Antragsgegners entgegensteht, muss im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden. Es erscheint aber nicht ausgeschlossen, dass dieser das Geschehen nicht vollständig wahrgenommen hat, weil es sich auch nach seiner Einlassung schnell zugetragen hat. Angesichts der entsprechenden Einlassung der Passantin im Telefonat mit dem Antragsgegner vom 25. Februar 2016 besteht zudem ein Verdacht, dass der Hund des Antragstellers in der Vergangenheit ein Kind gebissen hat.

Dem Antragsgegner ist insoweit bewusst gewesen, dass der für die Gefahrenprognose relevante Sachverhalt nicht abschließend aufgeklärt ist. So hat er selbst angekündigt, dass vor einer abschließenden Entscheidung zur Hundehaltung des Antragstellers eine Erstbegutachtung des Tieres durch den Amtsveterinär erfolgen soll. Außerdem hat der Antragsgegner unter dem 7. März 2016 die Eltern des Kindes, das vor circa drei Jahren gebissen worden sein soll, schriftlich angehört; deren Stellungnahme steht noch aus. Weil mit der physischen und psychischen Unversehrtheit von Menschen hochrangige Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit in Rede stehen, ist der Antragsgegner aber zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Gefahreneinschätzung schon so weit verdichtet hat, dass er die streitgegenständliche Verfügung, die ausdrücklich nur vorläufig bis zum Abschluss des Verfahrens über die Gefährlichkeitsfeststellung gelten soll, treffen durfte.

Der vorläufige Leinen- und Beißkorbzwang belastet den Antragsteller nicht unverhältnismäßig in seiner Hundehaltung. Es handelt sich um eine Maßnahme der vorläufigen Sicherung. Sie betrifft zudem nur einen absehbar kurzen Zeitraum bis zum Abschluss des Verfahrens über die Gefährlichkeitsfeststellung. Der Antragsgegner hat hierzu mit Schriftsatz vom 18. April 2016 mitgeteilt, dass die Erstbegutachtung des Hundes am 3. Mai 2016 erfolgen und danach voraussichtlich eine Entscheidung getroffen werden kann, ob der Hund als gefährlich im Sinne des NHundG beurteilt werde oder nicht. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass aus dem vorläufigen Leinen- und Beißkorbzwang unzumutbare Beeinträchtigungen für den Antragsteller oder dessen Hund resultieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht hat den Streitwert, der im Hauptsacheverfahren in Ansatz zu bringen ist, für das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes um die Hälfte reduziert (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2013, Beilage Heft 2, 57 ff., Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 35.2).