Amtsgericht Hildesheim
Urt. v. 30.12.2004, Az.: 18 C 199/04

Schadensersatzpflicht der Eisenbahn für die Beschädigung von Reisegepäck in der Zeit von der Annahme zur Beförderung bis zur Auslieferung

Bibliographie

Gericht
AG Hildesheim
Datum
30.12.2004
Aktenzeichen
18 C 199/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 30332
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHILDE:2004:1230.18C199.04.0A

Fundstellen

  • MDR 2005, 405 (Volltext mit red. LS)
  • NJW 2005, XII Heft 8 (amtl. Leitsatz)
  • NJW-RR 2005, 471-473 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZV 2005, 320-321 (Volltext mit amtl. LS)
  • SBT 2005, 19
  • VersR 2005, V Heft 27 (amtl. Leitsatz)
  • VersR 2005, 1307-1308 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessgegner

Firma ...

Redaktioneller Leitsatz

Wird ein Pkw während des Transports auf einem Autoreisezug von Italien nach Deutschland beschädigt, haftet der Transporteur auch ohne Verschulden für den entstandenen Schaden, es sei denn, er kann beweisen, dass für ihn der Schadenseintritt unabwendbar war.
Allgemeine Geschäftsbedingungen des Transporteurs, die seine Haftung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Personals beschränken (wie hier die Eisenbahnverkehrsverordnung), sind insoweit unwirksam.
Die verschuldensunabhängige Haftung entfällt auch dann nicht, wenn der Transport auf einem offenen Transportwagon durchgeführt wird. Insbesondere stellt dieser Umstand kein Fehlen und auch keinen Mangel der Verpackung i.S.d. Art. 35 § 3 CIV dar.

Das Amtsgericht Hildesheim hat
auf die mündliche Verhandlung vom 02.12.2004
durch
die Richterin
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger einen Betrag von 337,53 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 27.07.2004 zu zahlen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die Klage ist zulässig und begründet.

3

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in der ausgeurteilten Höhe aus Art. 35 § 1 der Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (CIV).

4

a)

Gemäß Art. 1 Abs. 1 § 1 CIV i.V.m. Art. 3 des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 09.05.1980 (COTIF) sind die Vorschriften der CIV auf internationale Beförderungen von Personen und Gepäck anzuwenden, wenn der Weg die Gebiete mindestens zweier Mitgliedsstaaten umfasst. Italien und Deutschland sind Mitgliedsstaaten des COTIF; die Fahrtroute führte von Italien nach Deutschland.

5

b)

Nach Art. 35 § 1 CIV haftet die Eisenbahn für den Schaden, der durch die Beschädigung von Reisegepäck in der Zeit von der Annahme zur Beförderung bis zur Auslieferung entsteht. Kraftfahrzeuge zählen dabei als Reisegepäck (Art. 17 § 2, 41 CIV). Es handelt sich dabei um einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch eigener Art.

6

Der Pkw des Klägers wurde während der Beförderung durch die Beklagte beschädigt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war der rechte Seitenspiegel des Pkw bei der Verladung in Italien unbeschädigt. Die Ehefrau des Klägers, die Zeugin ................ hat glaubhaft bekundet, dass der rechte Seitenspiegel beim Beginn des Verladevorgangs als sie den Pkw verließ, noch nicht aus der Halterung gebrochen war. Das Gericht zweifelt nicht an der Aussage der Zeugin. Diese hat sowohl zum Kern- als auch zum Randgeschehen detailliert und widerspruchsfrei ausgesagt. Es ist auch nachvollziehbar, dass die Zeugin angibt, sich bei ihrer Sitzposition im Pkw unmittelbar neben dem fraglichen Spiegel befunden zu haben und in diesen häufiger hineinzusehen, so dass es ihr aufgefallen sein müsste, wenn er bereits zu Beginn der Verladung aus der unteren Halterung gebrochen sei. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es sich bei der Beklagten um die Ehefrau des Klägers handelt und sie so ebenfalls ein Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits haben kann. Anhaltspunkten dafür, dass die Zeugin aus diesem Grund fehlerhaft ausgesagt hat, bestehen jedoch nicht. Hinsichtlich des Verladevorgangs selbst hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2004 detailliert ausgeführt, dass er auf den Wagon hinaufgefahren sei, dabei noch in den unbeschädigten Spiegel .geblickt habe und sodann als erstes Fahrzeug auf die ihm zugewiesene Verladeebene hinaufgefahren sei, wobei der Wagen in der Spur geführt worden sei und ein Rangieren nicht möglich gewesen sei. Am Ankunftsort Hildesheim habe er als erstes Fahrzeug die Wagonebene verlassen und sei, ohne dabei dicht an anderen Fahrzeugen vorbei zu fahren auf den Parkplatz gefahren, wo er die Beschädigung des Spiegels bemerkt habe. Aus dieser umfangreichen und detaillierten Schilderung des Klägers ergibt sich, dass der Spiegel nicht während des Verladens bzw. Abladens beschädigt wurde. Im Hinblick auf diesen Vortrag kann sich die Beklagte für ihr Bestreiten nicht lediglich darauf berufen, dies sei eben doch möglich gewesen. Unstreitig wurde sodann durch die Mitarbeiter der Beklagten die Tatbestandsaufnahme (Bl. 7 d.A.) ausgefüllt, in der festgehalten ist: "Spiegel aus der Halterung gebrochen". Das Gericht hat insoweit keinen Zweifel daran, dass die Beschädigung tatsächlich so vorlag, wie sie die Mitarbeiter der Beklagten selbst festgehalten haben. Etwas anderes ergibt sich - da es sich nicht um einen Bestandteil handelt, der für die Funktionstauglichkeit des Pkw zwingend erforderlich ist - weder daraus, dass der Kläger nach seinem eigenen Vortrag den Spiegel bisher nicht hat reparieren lassen noch daraus, dass er ihn so "zurecht gebastelt" hat, dass er benutzbar ist. Die Beklagte hätte insoweit darlegen müssen, wieso ihre Mitarbeiter ein entsprechendes Tatbestandsaufnahmeprotokoll fertigten, wenn die Beschädigung tatsächlich nicht oder nicht in dem angegebenen Ausmaße vorlag. Sobald der Kläger den Pkw nach den Anweisungen der Beklagten ordnungsgemäß auf dem Wagon abgestellt hatte, war der Verladevorgang beendet. Mit diesem Zeitpunkt war er zur Beförderung angenommen. Art. 35 § 1 CIV stellt insoweit ausdrücklich für den Haftungsbeginn nicht auf den Beginn der Beförderung, sondern auf die Annahme zur Beförderung ab.

7

c)

Die damit dem Grunde nach bestehende Haftung der Beklagten ist nicht gemäß § 25 Eisenbahnverkehrsordnung (EVO) i.V.m. § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGB ausgeschlossen. Hiernach entfällt zwar die Haftung wenn die Beschädigung durch die Verwendung von offenen nicht mit Planen gedeckten Fahrzeugen verursacht wurde. Diese Vorschrift ist jedoch gemäß § 1 EVO nicht anwendbar. Denn hiernach gilt die EVO nur, wenn und soweit die Vorschriften der CIV nichts anderes bestimmen. Diese regeln jedoch in Art. 35, 35 Haftungsgrund und -ausschlüsse umfassend (s.a. Art. 46 CIV), eine Regelung entsprechend § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGB ist gerade nicht enthalten. Aus dieser (negativen) Wertentscheidung der CIV ergibt sich auch, dass die Verladung in einem offenen Transportwagon - wie sie von der Beklagten selbst angeboten wird - auch kein Fehlen oder einen Mangel der Verpackung i.S.d. Art. 35 § 3 CIV darstellt.

8

Die Haftung ist auch nicht gemäß Tuff. 12 der AGB der Beklagten v, 01.12.2003 (Bl. 24 d.A.) ausgeschlossen. Hiernach haftet die Beklagte zwar nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, wenn sie vertragliche Nebenpflichten, hier die sorgfältige Aufbewahrung des Reisegepäcks, verletzt. Die AGB sind jedoch gemäß Art. 5, 8, 46 CIV unwirksam, soweit sie sich auf eine Abänderung der Regelungen der CIV beziehen, denn deren Regelungen stehen nicht zur Disposition der Parteien (vgl. auch LG Hildesheim, TranspR 2003, 196 ff.[LG Hildesheim 13.02.2003 - 1 S 105/02]). In Art. 46 CIV ist festgehalten, dass gegen die Eisenbahn ein Schadensersatzanspruch nur unter den Voraussetzungen und Beschränkungen der CIV geltend gemacht werden kann. Aus Art. 5, 8 CIV ergibt sich, dass es zur Änderung der Vorschriften der CIV eines internationalen Tarifs bedarf und diese nur abgeändert werden könne, wenn es in ihnen selbst ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Änderungsbefugnis ist in Art. 35, 36 CIV nicht vorgesehen. Aus der Gesamtschau der Vorschriften der CIV ergibt sich daher, dass die Haftungsregelungen nicht zur Disposition der Parteien gestellt werden sollten.

9

Die Haftung der Beklagten ist auch nicht gemäß Art. 35 § 2 CIV ausgeschlossen, es handelte sich bei der Beschädigung nicht um eine für die Beklagte unvermeidbares Ereignis. Dies wäre dann der Fall, wenn der Schaden auch bei Anwendung der äußersten nach den Umständen möglichen und vernünftigerweise noch zumutbaren Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Die Beweislast hierfür obliegt gemäß Art. 36 § 1 CIV der Beklagten. Sie muss daher darlegen, dass sie die gebotenen Sicherungsmaßnahmen für die Sicherheit der zur Beförderung angenommenen Pkw ergriffen hat und zwar auch bezüglich etwaiger Beschädigungen durch Dritte bzw. weitere Reisende unmittelbar nach der Annahme der Pkw zur Beförderung sowie während des weiteren Beförderungsvorganges. Der Vortrag der Beklagten, der Zug sei während der gesamten Fahrt unter Kontrolle gehalten worden, es habe kein Abstellen auf der Fahrstrecke gegeben, genügt hierfür nicht. Es hätte jedenfalls vorgetragen werden müssen, wann wo welches Personal in welchem Umfang für den Zug und insbesondere die Sicherung der Pkw vor Beschädigungen eingesetzt war und welche Sicherungsmaßnahmen sonst ggfs. noch ergriffen wurden. Dies ist jedoch nicht geschehen.

10

d)

Die Höhe des Schadens unterliegt gemäß § 287 ZPO der richterlichen Schätzung. Das Gericht hält dabei den klägerseits geltend gemachten Betrag im Hinblick auf den Kostenvoranschlag (Bl. 8 d.A.) für angemessen. Dabei konnte letztlich offen bleiben, ob eine Reparatur der Halterung des Spiegels oder nur möglich gewesen wäre oder nicht. Denn im Hinblick auf den in dem vorgelegten Kostenvoranschlag (Bl. 8 d.A.) aufgeführten Arbeitslohn und die auch im diesen Fall erforderlichen Ersatzteile ist nicht davon auszugehen, dass sich der Schadensbetrag verringert hätte. Da es sich bei dem rechten Seitenspiegel nicht um ein Gebrauchsteil handelt, dass der Abnutzung unterliegt, erscheint ein Abzug Neu für Alt auch im Hinblick auf das Baujahr des Pkw nicht gerechtfertigt.

11

Eine Beschränkung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ergibt sich auch nicht aus Art. 39 § 2 lit. b) CIV, wonach, wenn nur ein Teil des Reisegepäcks durch die Beschädigung entwertet ist, der Betrag zu zahlen ist, der bei Verlust des entwerteten Teiles zu zahlen wäre. Bei dem fraglichen Seitenspiegel handelt es sich nicht um einen selbstständigen Teil des Reisegepäcks, sondern um einen Bestandteil des Reisegepäcks "Pkw". Der Schadensersatz ist daher der Höhe nach lediglich auf das beschränkt, was bei Verlust des Pkw zu zahlen wäre, dieser Betrag wird hier ersichtlich nicht überschritten.

12

e)

Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.12.2004 die Zahlung der Klageforderung und damit die Erledigung des Rechtsstreits angekündigt hat, war hierauf nicht weiter einzugehen, da bis zum Verkündungstermin eine entsprechende Erledigungsanzeige nicht eingegangen ist.

13

2.

Der Kläger hat gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Zinsen in der ausgeurteilten Höhe seit dem 27.07.2004 aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Unstreitig wurde die Beklagte zur Zahlung bis zum 26.07.2004 aufgefordert, so dass sie sich ab dem 27.07.2004 im Verzug befand. Das Gericht legt den Antrag des Klägers entsprechend den gesetzlichen Zinsvorschriften so aus, dass Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz begehrt werden.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 708 Nr. 11,711,713 ZPO.

15

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO nicht vorlagen.