Landgericht Lüneburg
Urt. v. 06.07.1994, Az.: 2 O 20/93

Anspruch auf Schmerzensgeld wegen einer unterlassenen Mitteilung über einer AIDS-Erkrankung

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
06.07.1994
Aktenzeichen
2 O 20/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 23978
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:1994:0706.2O20.93.0A

Verfahrensgegenstand

Schadensersatzes aus Amtspflichtverletzung

In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
auf die bis zum 30.06.1994 eingegangenen Schriftsätze
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 1.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22.04.1993 zu zahlen.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a ZPO abgesehen.

2

I.

Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,00 DM zu. Das beklagte Land haftet für die unrichtige Mitteilung, daß er an Aids erkrankt sei (§§ 839, 847 BGB, Art. 34 GG).

3

1.

Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen ... vom 12.01.1994 (Bl. 72 ff. d.A.) steht für das Gericht fest, daß aufgrund vertauschter Blutproben dem Kläger das falsche Ergebnis - HIV positiv - mitgeteilt worden ist. Der Sachverständige hat im einzelnen dargelegt, daß zwar prinzipiell falschpositive Ergebnisse vorkommen können, daß dazu aber besondere Faktoren vorliegen müssen, die hier nicht gegeben sind. Insbesondere ist ein Umschlagen eindeutiger Ergebnisse nicht innerhalb von drei Wochen zu erwarten, es sei denn, daß im Gegensatz zum vorliegenden Fall besondere Behandlungen des Patienten - Impfungen, Bluttransfusion - vorangegangen sind. Auch ohne eine vergleichende Untersuchung der Blutproben besteht daher für das Gericht kein vernünftiger Zweifel daran, daß die Proben vertauscht worden sind. Soweit das beklagte Land sich gegenbeweislich auf Zeugen beruft, daß aufgrund des verwendeten Systems eine Verwechslung ausgeschlossen sei, ist das unerheblich. Wie auch der Sachverständige ausführt, gibt es naturgemäß kein System, bei dem Vertauschungen überhaupt nicht möglich sind. Zu der allein interessierenden Frage, welchen Verlauf die hier streitige Blutprobe vom Patienten zum Labor genommen hat, können die Zeugen nichts bekunden.

4

2.

Unabhängig von der Frage der Verwechslung liegt eine Amtspflichtverletzung auch darin, daß dem Kläger das scheinbar positive Ergebnis mitgeteilt worden ist, ohne daß zuvor eine zweite Blutprobe entnommen worden war. Auch vom Standpunkt der Bediensteten des beklagten Landes, daß bei aller Sorgfalt unrichtige Ergebnisse nicht ausgeschlossen seien, hätte es nahegelegen, vor der Mitteilung an den Patienten nicht nur die erste Blutprobe, sondern eine weitere mehrfach untersuchen zu lassen, wie es später ohnehin geschehen ist. Mehr Aufwand oder eine Behandlungsverzögerung wären nicht entstanden, aber dem Kläger das vermeintliche Todesurteil erspart geblieben. Auch eine konkrete Gefährdung von Mitpatienten ohne Benachrichtigung des Klägers ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Jedenfalls ist seine Verlegung aus der Sicherheitsabteilung der JVA ... ins Lazarett nach der Aussage von Dr. ... (Bl. 115 d.A.) zur psychischen Stützung des Klägers erfolgt.

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3.

Aufgrund der Aussagen des Zeugen Dr. ... und der Zeugin ... (Bl. 71 d.A.) steht auch fest, daß der Kläger Infolge der unrichtigen Mitteilung gesundheitliche Schäden erlitten hat. Beide Aussagen bestätigen, daß der Kläger in Todesangst versetzt worden ist und unter erheblichen psychischen Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Unruhe und Schweißausbrüchen gelitten hat. Die Selbstmordgefahr ergibt sich auch aus dem Schreiben von Dr. ... vom 06.01.1992 (Bl. 96 d.A.). Das ist ohne weiteres nachvollziehbar, zumal der Kläger ohnehin in diesem Zeltraum schon vorher psychisch labil war, wie Dr. ... bekundet hat.

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4.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Gericht gegeneinander abgewogen, daß der Kläger glücklicherweise bereits nach zwei Wochen die Unrichtigkeit der Mitteilung erfahren hat und daß ein besonders ins Gewicht fallendes Verschulden von Bediensteten des Landes nicht feststellbar ist, daß der Kläger aber andererseits während dieser Zeit unter dem Eindruck einer tödlichen Erkrankung gestanden und entsprechende psychische Beeinträchtigungen erlitten hat. Zu berücksichtigen war auch, daß sich das Verfahren zumindest objektiv sehr lange hingezogen hat, bis der Kläger zu dem ihm zustehenden Schmerzensgeld kommt. Ein Betrag von 1.000,00 DM erschien unter diesen Umständen als angemessen.

7

5.

Die Zinsforderung - 4 % seit Rechtshängigkeit am 22.04.1993 - ist gemäß § 291 BGB gerechtfertigt.

8

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.