Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 22.06.2005, Az.: 3 A 216/04

Abzug; Arznei; Arzneimittel; Aufwendung; Beihilfe; Berufung; Dienstherr; Doppelbelastung; Eigenbehalt; Eigenvorsorge; freiwillige Versicherung; gesetzliche Krankenkasse; Kostendämpfungspauschale; Medikament; Minderung; Praxisgebühr; Provisorium; Risikosphäre; Verbandmittel; Zulassung

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
22.06.2005
Aktenzeichen
3 A 216/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50754
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Gegen die beihilferechtlichen Eigenbehalte sowohl in Form der sog. "Praxisgebühr" wie auch bezüglich der Aufwendungen für Arznei- und Verbandsmittel bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist freiwillig gesetzlich versicherter, beihilfeberechtigter Beamter des Landes und wendet sich gegen vom Beklagten im Rahmen der Beihilfegewährung vorgenommene Abzüge von Eigenbehalten für (1.) jede erste Inanspruchnahme von ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen sowie (2.) Aufwendungen für Arznei- und Verbandmittel.

2

Mit Beihilfebescheiden Nr. 1077772 und 1136203 sowie Nr. 1198283 und 1204247 nahm der Beklagte entsprechende Abzüge vor; die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers, mit denen dieser insgesamt 171,21 € weitere Leistungen begehrte, wurden mit Bescheiden vom 28. und 29.9. sowie 4.10.2004 zurückgewiesen. Auf diese Schriftstücke wird Bezug genommen.

3

Zur Begründung seiner am 28.10.2004 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, er bedürfe ständiger ärztlicher Behandlung, so dass die von ihm aufzuwendenden Kosten enorm seien. Aufgrund seiner deshalb wirtschaftlich angespannten Lage müsse die Fürsorgepflicht des Dienstherrn eingreifen. Unverständlich sei, dass der Beklagten bezüglich der Belastungsgrenze andere Maßstäbe Einwände als die gesetzliche Krankenkasse des Klägers. Nicht nachvollziehbar sei, warum im Bescheid 1198283 zweimal Zuzahlungen in Höhe von 15 € in Abzug gebracht worden seien. Ebenso wenig nachvollziehbar sei, warum bezüglich des Bescheids 1136203 beihilfefähige Zuzahlungen nicht verrechnet worden seien; dadurch werde er schlechter gestellt als Beamte, die privat versichert seien. Zu seinem Nachteil falle eine Verwaltungsgebühr von 5% und die Nichtanerkennung des Apothekenrabattes ins Gewicht; Praxisgebühr und Zuzahlungen für Medikamente müsse er doppelt bezahlen.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten zu verpflichten, ihm weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 171,21 € zu gewähren, und die Beihilfebescheide 1198283, 1204247, 1136203 und 1077772 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte nimmt auf die ergangenen Bescheide Bezug.

9

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Die Kammer hat den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen nicht zu; die ergangenen Bescheide sind rechtmäßig.

11

Rechtsgrundlage der in den angegriffenen Beihilfebescheiden vorgenommenen Abzüge ist § 87c Absatz 1 NBG (1.) i.V.m. § 12 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 BhV bezüglich der Minderung der beihilfefähigen Aufwendungen für Arznei- und Verbandsmittel bzw. (2.) i.V.m. § 12 Absatz 1 Satz 2 BhV bezüglich der Minderung der Beihilfe für jede erste Inanspruchnahme von ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Leistungen je Kalendervierteljahr (BhV i.d.F. des RdErl. d. MF v. 3.2.2004, NdsVBl. Nr. 13/2004, S. 248).

12

Bezüglich (1.) wird zur Begründung auf die Rechtsausführungen in den Entscheidungen des VG Hannover, Urteil vom 17.3.2005, 2 A 2884/04 - den Beteiligten mit Schreiben vom 12.5.2005 übersandt - sowie des VG des Saarlands, Urteil vom 11.1.2005, 3 K 174/04, juris, Bezug genommen; diese macht sich das Gericht zu eigen.

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Bezüglich (2.) wird zur Begründung auf die Rechtsausführungen in den Entscheidungen des VG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2005, 1 A 413/04, http://www.dbovg.niedersachsen.de, sowie des VG des Saarlands (a.a.O.) Bezug genommen; diese macht sich das Gericht zu eigen. Diesen Rechtsausführungen entspricht im Wesentlichen auch die o.g. Entscheidung des VG Hannover; soweit dessen Entscheidung allerdings dahin geht, die sog. „Praxisgebühr“ dürfe entgegen dem Wortlaut der beihilferechtlichen Bestimmung nicht die Beihilfe mindern, sondern müsse von den beihilfefähigen Aufwendungen abgezogen werden, folgt das Gericht dem nicht. Der Dienstherr ist nicht aus Gründen der „Systemgerechtigkeit“ gehalten, Selbstbehalte angesichts der Beihilfebemessungssätze stets nur in Form von Abzügen von den beihilfefähigen Aufwendungen zu regeln; auch Normierung von Abzügen von der dem Beamten nach den Beihilfevorschriften im Übrigen zu gewährenden Beihilfeleistung steht ihm im Rahmen seines Gestaltungsermessens frei (vgl. zur sog. „Kostendämpfungspauschale“ des § 87c Absatz 4 NBG i.d.F.d. Haushaltsbegleitgesetzes 1999 v. 21.1.1999 (GVBl. S. 10) nur Nds.OVG, Urteil vom 23.4.2002, 2 LB 3367/01, http://www.dbovg.niedersachsen.de = NdsVBl 2003, 16). Dies gilt auch bei einer „Umsetzung“ einer „Entschließung des Bundestages“, die auf eine „wirkungsgleiche“ Übertragung von für die gesetzliche Krankenversicherung gesetzlich geregelten Einschnitten in das Beihilferecht abzielt. Ob der Dienstherr insoweit „des Guten zuviel getan hat“ stellte wohl eine rechtspolitische Erwägung dar, die den Bereich der Rechtsanwendung verließe.

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Soweit der Kläger mit Blick auf seine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenkasse „Doppelbelastungen“ geltend macht, greifen diese Einwände sämtlich nicht durch. Derartige Friktionen, die in dem Nebeneinander zweier vom Wesen her unterschiedlicher Systeme der Erbringung von Leistungen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge begründet sind, müssen von den Betroffenen hingenommen werden. Es ist nicht Aufgabe des Dienstherrn, den Beamten beihilferechtlich vor Belastungen zu bewahren, die ihren Ursprung letztlich in der Entscheidung des Beamten haben, auf welche Art und Weise er Eigenvorsorge für den Krankheitsfall trifft. Dies gilt insbesondere für Beamte, die sich - wie der Kläger - aus freien Stücken und deshalb „freiwillig“ in der gesetzlichen Krankenkasse versichert haben. Derartigen Entscheidungen liegt regelmäßig eine individuelle Abwägung von Vor- und Nachteilen zugrunde, die es den Betroffenen günstig erscheinen ließen, diese Art der Krankenvorsorge zu wählen; damit früher oder später eintretende Umstände, die vom Betroffenen ex post als nachteilig bewertet werden, auszugleichen, ist nicht Sache des Dienstherrn, sondern ist der persönlichen Risikosphäre des Betroffenen zuzuordnen. Die gerügte mehrfache Ansatz der „Praxisgebühr“ erklärt sich ausweislich der Beihilfebescheide aus der mehrfachen Inanspruchnahme verschiedener Ärzte bzw. Psychotherapeuten.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Die Zulassung der Berufung erfolgt gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO mit Rücksicht auf die abweichende Rechtsauffassung des VG Hannover in o.g. Entscheidung. Zwar mag es sich bei den zugrunde liegenden beihilferechtlichen Bestimmungen aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28.10.2004, 2 C 34.03, DVBl 2005, 509; Urteil vom 17.6.2004, 2 C 50.02, DVBl 2004, 1420) in gewisser Weise um „auslaufendes Recht“ (so VG Hannover, a.a.O.) handeln, doch hat sich dieses „Provisorium“ in der Vergangenheit als derart lebenfähig erwiesen (vgl. Nachweise in BVerwG, Urteil vom 17.6.2004, 2 C 50.02, a.a.O., aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts seit 1973), dass dieser Gesichtspunkt einer Zulassung der Berufung nicht entgegen steht.