Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 09.03.1994, Az.: 5 A 43/93

Berechtigung zur Führung einer Berufsbezeichnung ; Geltung als Erlaubnis bei staatlicher Anerkennung nach DDR-Recht; Vereinheitlichung des Berufsbildes der Säuglings- und Kinderkrankenschwester

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
09.03.1994
Aktenzeichen
5 A 43/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 11106
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:1994:0309.5A43.93.0A

Verfahrensgegenstand

Berufsanerkennung als Kinderkrankenschwester

Prozessführer

der Pflegehelferin ...

Prozessgegner

die Bezirksregierung Lüneburg, Auf der Hude 2, Lüneburg,

Zusammenfassung

Das Verwaltungsgericht hatte sich vorliegend mit der Erlaubnis zur Führung der Berufsberzeichnung "Kinderkrankenschwester" zu beschäftigen. Die Klägerin hatte in der ehemaligen DDR eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester absolviert und danach die staatliche Anerkennung und die Berechtigung zur Ausübung des Berufes als "Säuglings- und Kinderkrankenschwester" erhalten. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin die Voraussetzungen zur Führung der Berufsbezeichnung der "Kinderkrankenschwester" erfüllt, da sie nach den durch den Einigungsvertrag übergeleiteten DDR-Rechten kraft Gesetzes berechtigt ist, sich der Berufsbezeichnung zu bedienen, weil die "staatliche Anerkennung" nach DDR-Recht als "Erlaubnis" nach dem Krankenpflegegesetz gilt.

In der Verwaltungsrechtssache
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 09. März 1994
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts v. Alten,
den Richter am Verwaltungsgericht v. Bierbrauer zu Brennstein und
die Richterin am Verwaltungsgericht Tröster sowie
die ehrenamtlichen Richter Peter Schade und Hermann Saucke
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 1992 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 30. April 1993 wird aufgehoben. Die Klägerin ist berechtigt, die Berufsbezeichnung "Kinderkrankenschwester" zu führen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin bedarf der behördlichen Erlaubnis, die Berufsbezeichnung "Kinderkrankenschwester" zu führen.

2

Die heute 46-jährige Klägerin hat nach ihrem 10-klassigen Schulbesuch im Bezirkskrankenhaus in Stralsund die 3-jährige Ausbildung zur "Kinderkrankenschwester" absolviert. Die anschließende Prüfung bestand sie laut Facharbeiterzeugnis vom 23. Mai 1968 mit "befriedigend". Datengleich erhielt sie vom Rat des Kreises Stralsund die staatliche Anerkennung und die Berechtigung zur Ausübung des Berufes als "Säuglings- und Kinderkrankenschwester" ab 1. Juni 1968. Mit der weiteren Urkunde vom 20. Januar 1982 erhielt die Klägerin vom Direktor der Medizinischen Fachschule in Stralsund wegen ihrer abgeschlossenen Ausbildung und mehrjährigen Berufstätigkeit sowie der staatlichen Anerkennung als Kinderkrankenschwester ab 1. Juni 1968 die medizinische Fachschulanerkennung auf der Grundlage der Anordnung vom 21.08.1975 über die medizinische Fachschulanerkennung für Krankenschwestern und andere mittlere medizinische Fachkräfte (DDR-GBl. I 1975 S. 642).

3

Am 13. November 1989 beantragte die Klägerin die Beglaubigung ihrer staatlichen Anerkennung als Säuglings- und Kinderkrankenschwester. Die Beklagte verstand dies als einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung "Kinderkrankenschwester" und forderte mit dem Schreiben vom 22. Januar 1990 von der Klägerin u.a. ein mindestens dreimonatiges Berufspraktikum auf einer Kinderstation eines Krankenhauses oder einer sonstigen unter Leitung eines Kinderarztes stehenden Einrichtung. Dies lehnte die Klägerin unter Hinweis auf ihre wirtschaftliche Lage als DDR-Flüchtling ab, weil sie nicht drei Monate unentgeltlich auf einer Kinderkrankenhausstation arbeiten könne. Die Beklagte sah daher im März 1991 den Antrag als erledigt an.

4

Mit dem Schreiben vom 12. September 1991 an das Sozialministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern wandte sich die Klägerin um Hilfe in ihrer Angelegenheit, weil sie von ihrem Niedersächsischen Arbeitgeber im Lohn zurückgestuft werde, da die Beklagte dem Arbeitgeber eine Auskunft gegeben hatte, daß sie nicht als Kinderkrankenschwester anerkannt und arbeiten dürfe. Dieses Vorgehen der Klägerin führte zum Erlaß des Nds. Sozialministeriums vom 22. Oktober 1991 - 402.2 -, der die Beklagte aufforderte, ihre Entscheidung vom 29. Juli 1991 gegenüber dem Arbeitgeber der Klägerin zu überprüfen. Die von der Klägerin vorgelegte Urkunde vom 20. Januar 1982 weise die staatliche Anerkennung als Kinderkrankenschwester aus. Im Anhang 1 zum Einigungsvertrag, Kapitel X, Sachgebiet D, Abschnitt 2, Ordnung 5, Buchstabe a, sei ausgeführt, daß die in der ehemaligen DDR erteilte Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung "Kinderkrankenschwester" als Erlaubnis nach dem geltenden Krankenpflegegesetz gelte. Gegenüber der Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 4. November 1991 das bereits früher geforderte Anerkennungspraktikum für eine Feststellung der Gleichwertigkeit.

5

Das Nds. Sozialministerium beschied die Klägerin mit Erlaß vom 31. Januar 1992 - Az.: 402.2 - 41 057/00 - abschlägig, weil die Beklagte festgestellt habe, daß die Klägerin lediglich eine auf die Berufsbezeichnung "Säuglings- und Kinderkrankenschwester" lautende Erlaubnisurkunde in der ehemaligen DDR erhalten habe. Gegen die Forderung der Bezirksregierung könne die Klägerin widerspruch einlegen. Daraufhin erbat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin unter Vorlage des im Erlasses des Sozialministers des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 25. Juni 1992 vertretenen Auffassung einen beschwerdefähigen Bescheid, den die Beklagte erst nach Abmahnung vom 16. September 1992 unter dem 9. Oktober 1992 erteilte.

6

Den rechtzeitigen widerspruch begründete der Prozeßbevollmächtigte damit, daß die Klägerin einer Erlaubnis gemäß der Anordnung vom 07.06.1980 (Gesetzblatt der DDR Teil I Nr. 26, Seite 254) gerade nicht entbehre. Bereits durch die 14. Durchführungsverordnung zur VO über die Berufserlaubnis und Berufsausübung in den mittleren medizinischen Berufen sowie medizinischen Hilfsberufen vom 01.03.1971 (Gesetzblatt der DDR Teil II, Nr. 40 vom 26.04.1971) sei der Beruf der "Säuglings- und Kinderkrankenschwester" in den der "Kinderkrankenschwester" umbenannt worden. Die medizinische Fachschulanerkennung für Krankenschwestern der medizinischen Fachschule Stralsund habe daher die Berufserlaubnis der Klägerin auf den aktuellen rechtlichen Stand gebracht. Eine fachliche Qualifikation der Klägerin stehe außer Frage.

7

Der Widerspruch blieb nach Ansicht der Beklagten u.a. erfolglos, weil die Klägerin eine Erlaubnis als Kinderkrankenschwester i.S. des § 27 a KrPflG nicht vorlegen könne. Sonst hätte es ihres Antrags nicht bedurft. Eine Erlaubnis als Kinder- und Säuglingskrankenschwester gelte nicht in den "klassischen Bundesländern" und sei auch nicht in dem Staatsvertrag mit der DDR aufgenommen worden.

8

Die Klägerin hat am 1. Juni 1993 Klage erhoben, nachdem ihr am 10. Mai 1993 der Widerspruchsbescheid vom 30. April 1992 zugestellt worden war. Sie hält die Rechtsauffassung der Beklagten für unzutreffend und beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. April 1993 aufzuheben und festzustellen, daß die Klägerin berechtigt ist, die Berufsbezeichnung "Kinderkrankenschwester" zu führen.

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

10

da die Klägerin eine staatliche Erlaubnis als "Kinderkrankenschwester" bisher nicht vorgelegt habe. Im übrigen verweist sie zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Sitzungsniederschrift vom 09. März 1994 Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Gründe

12

Die Klage ist begründet. Die umstrittene Verfügung der Beklagten und deren widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen dadurch die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

13

1.)

Die Beklagte verkennt, daß die Klägerin die Erlaubnis als Kinderkrankenschwester nach § 27a des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz) - KrPflG - vom 04.06.1985 - BGBl. I S. 893, eingeführt durch Artikel 8 und 11 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) - EV - vom 31.08.1990 (BGBl. II Seite 889 ff.) Anlage I B Kapitel X Sachgebiet D Abschnitt II Nr. 5, hat und daher gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 KrPflG berechtigt ist, die Berufsbezeichnung "Kinderkrankenschwester" zu führen.

14

2.)

Das Krankenpflegegesetz gewährt auf zweifache weise die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung zu führen: a) für die sogenannten Altfälle gemäß § 27 a KrPflG und b) nach Ausbildung und staatlicher Prüfung gemäß § 2 KrPflG. Ob die Klägerin durch ihre Ausbildung als Kinderkrankenschwester in der ehemaligen DDR einen i.S. des § 2 Abs. 4 KrPflG gleichwertigen Ausbildungsstand erreicht hat und ihr damit aufgrund dieser Vorschrift ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zusteht, kann hier deshalb offen bleiben, weil die Klägerin bereits die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Kinderkrankenschwester" besitzt und keiner weiteren Erlaubnis bedarf.

15

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen nach den übergeleiteten DDR-Rechten gem. § 27 a KrPflG. Sie ist damit kraft Gesetzes berechtigt, sich der Berufsbezeichnung zu bedienen, weil die "staatliche Anerkennung" nach DDR-Recht vom 23. Mai 1968 als "Erlaubnis" gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 KrPflG gilt.

16

Nach § 27 a Abs. 1 KrPflG "gilt" eine nach dem Wirksamwerden des Beitrittes nach den Fortschriften der Deutschen Demokratischen Republik erteilte Erlaubnis als Krankenschwester, Krankenpfleger, Kinderkrankenschwester oder Kinderkrankenpfleger als Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KrPflG. Die Beklagte geht bei der Anwendung dieser Vorschrift (dazu Drobnig, Anwendung und Auslegung von DDR-Recht heute, DtZ 1994, 86/86) zu Unrecht davon aus, daß die Klägerin keine Erlaubnis als Kinderkrankenschwester besitze, obwohl die Klägerin auf die inhaltlich unbestrittenen Urkunden vom 23. Mai 1960 und 20. Januar 1982 hingewiesen hat. Danach hat die Klägerin im Jahre 1968 die staatliche Anerkennung als Säuglings- und Kinderkrankenschwester erhalten. Ihre Ausbildung hat sie gemäß Prüfungszeugnis als "Kinderkrankenschwester" absolviert. Daß die staatliche Anerkennung vom 23. Mai 1968 ihrem Wortlaut nach für den Beruf Säuglings- und Kinderkrankenschwester ausgesprochen wurde, obwohl die Klägerin nur als Kinderkrankenschwester ausgebildet worden ist, spricht bereits dagegen, daß es sich um unterschiedliche Berufe handelte. Im übrigen ist nach der DDR-Rechtslage, hier § 2 der Verordnung vom 1. März 1971 (DDR GBl. II S. 313), die Berufsbezeichnung der Säuglings- und Kinderkrankenschwester der der Kinderkrankenschwester "angeglichen" und auf diese weise eine einheitliche Berufsbezeichnung eingeführt worden. Mit Inkrafttreten der Verordnung gab es also die Berufsbezeichnung "Säuglings- und Kinderkrankenschwester" nicht mehr, sondern nur noch die Bezeichnung "Kinderkrankenschwester". Damit ist die Vereinheitlichung der verschiedenen Benennungen des vergleichbaren Berufsbildes in der Deutschen Demokratischen Republik - wie in der Bundesrepublik Deutschland; § 27 Abs. 1 KrPflG - herbeigeführt worden. Dies zeigt auch die medizinische Fachschulanerkennung mit der Urkunde vom 20. Januar 1962, welche die staatliche Anerkennung der Klägerin vom 23. Mai 1968 entsprechend § 4 Abs. 2 der Verordnung vom 21.08.1975 (Gesetzblatt DDR I Seite 642 f) als eine staatliche Anerkennung als Kinderkrankenschwester wertete.

17

Auch in der DDR bedurfte die Klägerin zur Ausübung ihres erlernten Berufes einer Kinderkrankenschwester seit 1955 einer "Erlaubnis" (§ 2 Abs. 1 VO v. 17.02.1955 - DDR GBl. I S. 149), die als staatliche Anerkennung bezeichnet wurde. Diese ist ihr lt. Urkunde am 23. Mai 1968 erteilt worden. Die ihr erlaubte medizinische Berufsausübung durch die staatliche Anerkennung des Berufes als "Säuglings- und Kinderkrankenschwester" (gem. § 1 der 12. DV v. 30.10.1963 - DDR GBl. II S. 757) wurde mit Wirkung vom 26. April 1971 (14. DV vom 01.03.1971, a.a.O.), vereinheitlicht. Das Berufsbild einer Säuglings- und Kinderkrankenschwester wurde dem der Kinderkrankenschwester angeglichen. Die Rechtslage ist auch in der DDR für beide Berufsbilder gleich. Beide gehören zweifelsfrei zu den sogen, mittleren medizinischen Berufen (vgl. § 1 Abs. 2 der VO v. 17.2.55), welche der Erlaubnis bedürfen. So besitzt die Klägerin jedenfalls ab 1971 die Erlaubnis (= staatliche Anerkennung), als Kinderkrankenschwester tätig zu sein. Das entsprach dem geltenden DDR-Recht (vgl. VerwR Lehrbuch 2. Aufl. im Staatsvertrag der DDR, Berlin 1986, S. 284, Ziff. 13.1.4 = Die verwaltungsrechtliche Stellung des medizinischen Personals), das nach dem EV fortgilt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Anordnung über die staatliche Erlaubnis zur Ausübung der medizinischen, pharmazeutischen und sozialen Fachschul- und Facharbeiterberufe vom 7. August 1980 (DDR GBl. I S. 254). Denn nach § 5 Abs. 4 dieser Anordnung haben bisher als staatliche Anerkennung erteilte Erlaubnisse ihre Gültigkeit behalten, so daß die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten in den angefochtenen Bescheide keiner - weiteren - Erlaubnis bedurfte. Damit war die Klägerin in der DDR berechtigt, die Berufsbezeichnung Kinderkrankenschwester zu führen (vgl. Urkunde vom 23. Mai 1982) und dieses Recht auch in den "klassischen" Ländern zu beanspruchen.

18

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die vorläufige vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO und § 708 Nr. 11 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 DM (in Worten: Zehntausend Deutsche Mark) festgesetzt.