Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 11.10.2000, Az.: 2 U 172/00
Produkthaftung; Herstellerhaftung; Hersteller; Eigentumsverletzung; Unerlaubte Handlung; Schadensersatz; Weiterfressender Mangel; Mangelunwert; Weiterfressender Fehler; Grundierung; Farbe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 11.10.2000
- Aktenzeichen
- 2 U 172/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21333
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2000:1011.2U172.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 15 Abs. 2 ProdHaftG
Fundstellen
- BauR 2001, 647-648 (Volltext mit amtl. LS)
- IBR 2001, 197
- NJW-RR 2001, 459-460 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2001, 35-36
Amtlicher Leitsatz
Der Hersteller eines von ihm u. a. als Haftbrücke für ein dreischichtiges Fensterbeschichtungssystem vorgesehenen und vertriebenen, aber nicht geeigneten Grundierungsmittels haftet dem Hersteller von Fenstern, der dieses Mittel bestimmungsgemäß verwendet und die behandelten Fenster sodann bei seinem Auftraggeber eingebaut hat, außerhalb der Vorschriften des ProdHaftG wegen Eigentumsverletzung deliktisch unter dem Gesichtspunkt des "weiterfressenden Fehlers" auf Schadensersatz, wenn in der Folgezeit die beiden oberen Schichten des insgesamt hergestellten Systems (Fenstervorlack und Fensterdecklack) wegen der Untauglichkeit des Grundierungsmittels vorzeitig funktionslos werden und sogar die Zerstörung des gesamten Endprodukts durch Holzschäden droht
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 8. Juni 2000 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg geändert:
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Zur Entscheidung über den Betrag des Klaganspruchs wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des zweiten Rechtszugs zu befinden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für den zweiten Rechtszug und der Wert der Beschwer betragen 39. 849, 58 DM.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz. Sie hat Mitte 1996 bei den Bauherren Q. . . /. . . in O. . . . sowie R. . . /. . . in W. . . von ihr hergestellte Fenster eingebaut, die sie zuvor mit dem von der Beklagten hergestellten, verkauften und gelieferten Material "Aidol Hydro Bläuegrund" im Tauchverfahren grundiert und sodann mit ebenfalls von der Beklagten hergestelltem, verkauftem und geliefertem "Aidol Hydro Fenstervorlack" und "Aidol Hydro Fensterdecklack" beschichtet hatte. Die Materialien waren zwischen dem 30. 01. und dem 03. 07. 1996 geliefert worden.
1997 traten bei beiden Bauvorhaben unabhängig voneinander Lackabsplitterungen auf. In einem daraufhin von der Klägerin gegen die Beklagte angestrengten selbständigen Beweisverfahren (9 O 3313/97 LG Oldenburg) erstattete der Sachverständigen H. . . ein Gutachten vom 23. 02. 1998. Er stellte bei beiden Bauvorhaben erhebliche Beschichtungsschäden fest. Die Beschichtung löste sich teilweise bis zum rohen Holz. Als Ursache bezeichnete er die mangelnde Haftung des Gesamtsystems auf dem Holz. Die Imprägnierung ("Aidol Hydro Bläuegrund") war nach seinen Feststellungen nicht in die oberste Holzschicht eingedrungen; Feuchteeinflüsse durch offene VFugen und Flügelfalze ohne Endbeschichtung hatten den Verfall beschleunigt. Vorlack und Decklack waren nach seiner Beurteilung in Ordnung, die Grundierung hatte sich indes nicht mit der Holzoberfläche verbunden. Verbundprobleme der vorliegenden Art innerhalb Einbau Mitte 1996 und Schadenseintritt 1997 bezeichnete er als nicht normal, der Mangel im Beschichtungssystem war nach seinen Ausführungen für die Klägerin beim Tauchen der Grundierung nicht erkennbar, die Verarbeitung war fachgerecht erfolgt. Der Sachverständige veranschlagte die Kosten zur Schadensbeseitigung auf 9. 269 DM. Die Hälfte dieses Betrages, d. h. 4. 634, 50 DM, zahlte die Beklagte im Oktober 1998 an die Klägerin.
Im Sommer 1999 wurden die Lackschäden an beiden Objekten beseitigt. Die Klägerin wandte hierfür und für vorangehende Winterfestarbeiten insgesamt 44. 484, 08 DM auf.
Die Klägerin hat u. a. vorgetragen: Ein Fachberater der Beklagten habe ihr vor Bestellung der Materialien aus der Produktion der Beklagten ausdrücklich erklärt, daß diese für den vorgesehenen Zweck geeignet seien. Die Beklagte hafte auch wegen arglistigen Verschweigens des Mangels, denn die fehlende Eignung sei ihr aufgrund mehrerer Reklamationen bekannt gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 39. 849, 58 DM nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen. Im übrigen hat sie u. a. behauptet, die Klägerin habe fehlerhaft gearbeitet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen aller Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des am 08. 06. 2000 verkündeten Urteils verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 39. 849, 58 DM nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Beklagte hat der Klägerin nach § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der deliktsrechtlichen Produkthaftung Schadensersatz zu leisten.
1. Die angefochtene Entscheidung ist richtig, soweit das Landgericht Gewährleistungsansprüche der Klägerin verneint und weiter ausgeführt hat, daß eventuelle Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung verjährt seien (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die Berufung bringt insoweit nichts vor, was eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnte. Alle etwaigen vertraglichen Ansprüche der Klägerin waren bei Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens bereits verjährt, durch die Zahlung der Beklagten konnte die bereits vollendete Verjährung nicht mehr unterbrochen werden. Von einem "Verzicht" auf die Einrede der Verjährung kann nicht die Rede sein.
2. Es kann im übrigen dahinstehen, ob das Landgericht zu Recht Ansprüche der Klägerin aus abgetretenem Recht ihrer Bauherren nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG verneint hat. Der Senat würde, wenn es darauf ankäme, auch insoweit dazu neigen, sich den landgerichtlichen Überlegungen jedenfalls teilweise sowie im Ergebnis anzuschließen. Das bedarf indessen keiner weiteren Erörterung, weil die Klage nur hilfsweise auf Ansprüche aus abgetretenem Recht gestützt ist, der Klägerin aber auf der Grundlage des Sachvorbringens der Parteien bereits nach ihrem Hauptvorbringen (eigene) Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB zustehen, so daß - jedenfalls zur Zeit - nicht über das Hilfsvorbringen zu befinden ist.
3. An eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Produkthaftung hat das Landgericht offenbar nicht gedacht. Eine solche Haftung wird durch die Vorschriften des ProdHaftG nicht ausgeschlossen (§ 15 Abs. 2 ProdHaftG). Sie liegt hier auf der Hand. Nach den Feststellungen im selbständigen Beweisverfahren ist hier von der Klägerin, ohne daß sie das erkennen konnte, ein von der Beklagten hergestelltes und in Verkehr gebrachtes fehlerhaftes Produkt verarbeitet worden, nämlich das von der Beklagten ausdrücklich nicht nur als Imprägnierungsmittel, sondern als "Haftbrücke" für die "Aidol HydroFensterbeschichtung" aus Fenstervorlack und Fensterdecklack vorgesehene und vertriebene und an die Klägerin gelieferte Material "Aidol Hydro Bläuegrund". Dieses Produkt war als Haftbrücke ungeeignet mit der Folge, daß die anschließend aufgebrachte Lackbeschichtung zwingend vorzeitig beeinträchtigt und schließlich wertlos werden mußte. Wir haben es hier mit einem Fall eines sogenannten "weiterfressenden Fehlers" zu tun (vergl. dazu PalandtThomas, BGB, 59. Aufl. , § 823 Rdn. 212 m. w. N. ), einem Fehler nämlich an einem funktionell abgrenzbaren Teil des Endprodukts "beschichtetes Fenster", der geeignet war, das hergestellte Endprodukt zu beschädigen oder gar zu zerstören, indem zunächst ein weiterer abgrenzbarer Teil, das Beschichtungssystem, vorzeitig funktionslos wurde und in der Folgezeit sogar die Zerstörung des gesamten Endprodukts durch Holzschäden drohte. Werden - wie vorliegend - zunächst unversehrt im Eigentum des Herstellers einer Gesamtsache - hier des beschichteten, zum Einbau fertigen Fensters - stehende Einzelteile - hier das Fenster im Rohbauzustand sowie Vorlack und Decklack - durch ihr unauflösliches Zusammenfügen mit einem fehlerhaften anderen Teil - hier dem als Haftbrücke vorgesehenen, aber insoweit untauglichen Hydro Bläuegrund - nicht nur in ihrer Verwendbarkeit, sondern erheblich in ihrem Wert beeinträchtigt oder gar wertlos, wie das jedenfalls schon mit der Lackbeschichtung geschehen war, so handelt es sich um eine Eigentumsverletzung (BGH NJW 1998, 1942).
Hat wie hier ein Produktfehler einen Schaden verursacht, muß der Hersteller beweisen, daß ihn an dem Schaden kein Verschulden trifft (BGH NJW 1999, 1028). Insoweit fehlt es an jeder Darlegung der Beklagten, die der Klägerin folglich nach § 823 Abs. 1 BGB zwar nicht die Kosten für eine neue - mangelfreie - Haftbrücke zu ersetzen hat, wohl aber den sonstigen Aufwand für die Herstellung nunmehr mangelfrei beschichteter Fenster.
3. Der Streit der Parteien über die Höhe des danach von der Beklagten zu leistenden Schadensersatzes ist noch nicht zur Entscheidung reif. Insoweit ist - mindestens - noch weiterer Sachverständigenbeweis erforderlich, so daß nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht geboten ist. Sachdienlichkeit eines Absehens von einer solchen Zurückverweisung im Sinn von § 540 ZPO verneint der Senat. Dem Betragsverfahren vorbehalten bleibt auch die Entscheidung über eine etwaige Mitverursachung des zu ersetzenden Schadens durch die Klägerin.
4. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr. 10, 711 und 546 Abs. 1 und 2 ZPO.